Ann-Kristin Schäfer, Johanna und die Sache mit dem Sinn des Lebens, Jugendroman
Schwarzkopf Verlag Berlin 2013, 352 Seiten, 16,95 Euro
"Eine Sehnsucht nach mehr"
Der Sinn des Lebens – das ist vielleicht "42", wie Douglas Adams in seinem Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" vermutet. Die junge Autorin Ann-Kristin Schäfer hat ihre Protagonistin Johanna auf die Suche geschickt.
"Johanna und die Sache mit dem Sinn des Lebens" ist ein Roman, also frei erfunden. Doch was darin über fromme christliche Gemeinden zur Sprache kommt, wirkt so profiliert wie es soziologische Studien vermutlich niemals sagen könnten. Ann-Kristin Schäfer ist 25, studiert Wissenschaftsjournalismus und volontiert im Rahmen ihres Studiums beim Nachrichtenmagazin Focus in München. Als sie ihren Roman zu schreiben begann, war sie kaum älter als Johanna, ihre 17-jährige Heldin.
Ann-Kristin Schäfer: "Im Prinzip ist oder war Johanna immer ganz glücklich mit ihrem Leben, wie es war. Aber auf einmal hat sie das Gefühl, dass ihr das alles nicht mehr reicht. Dass das zu normal ist und zu – ja – langweilig, durchschnittlich. Und sie denkt: Das kann jetzt nicht alles sein: Dass ich morgens in die Schule gehe, nachmittags zu meinen Hobbys und abends ins Bett, und das war alles! Dann kommt sie zu dem Entschluss, dass sie mehr will. Dass sie zum einen was Besonderes sein will, nicht so wie alle andern, und dass sie irgendwie auch was Sinnvolles machen will."
Durch Zufall gerät Johanna, die kaum Verbindung zur Kirche hat, in einen Jugendgottdienst.
Ann-Kristin Schäfer: "Es ist nicht eine Kirche, wie sie sie erwarten würde. Sondern sie kommt da hin, und es ist alles anders. Da spielt eine Band statt einer Orgel. Und die Liedtexte werden mit Beamer an die Wand geworfen und sind auf Englisch. Und es ist so eine Mischung aus Gottesdienst und Popkonzert, und das ist ja erstmal irgendwie dann cool."
Mara, die Johanna von der Schule kennt, stürmt mit einer guten Laune auf sie zu, die keine Unterbrechung kennt. Das ist nicht gerade angenehm. Aber da gibt es auch noch Maras Bruder Basti, ein "hübscher Kerl, der konzentriert am E-Bass herumfummelt." Warum also nicht einmal den Jugendkreis besuchen? Johannas erster Abend dort: ein Gebetsabend.
Die Autorin liest aus "Johanna und die Sache mit dem Sinn des Lebens": "Wir verteilten uns in verschiedenen Räumen. Mara schien riesige Angst zu haben, ich könne mich verlaufen oder abhauen, denn sie ließ mich keine Sekunde lang aus den Augen. "Mara, du kannst ruhig zu einer anderen Station gehen, die dich mehr interessiert. Ich komm schon allein klar!", gab ich ihr genervt zu verstehen."
Neugierig und skeptisch, amüsiert und fasziniert spaziert Johanna durch die Welt des Glaubens, wie man sie in vielen Freikirchen, aber auch in nicht geringen Teilen der Volkskirchen findet. Die Sache mit Gott beschäftigt sie zunächst kaum: Da ist eher der Wunsch nach Freundschaft. Es geht um Leidenschaft, Gefühl, Musik – und dann aber doch auch um eine grenzenlos große Kraft.
"Tief in mir brennt ein Feuer, eine Sehnsucht nach mehr, doch so vieles was ich versuchte, ließ mich hinterher leer."
Zitat Autorin liest über Musik aus "Johanna und die Sache mit dem Sinn des Lebens": "Nach ein paar Sekunden entstand ein ganz unbeschreibliches Gefühl in meinem Bauch und streckte sich in meinem ganzen Körper aus. Mir wurde plötzlich ganz warm und ich fühlte mich, als stünde ich ganz allein im Raum und alle anderen um mich herum seien verschwunden. Anstelle der Menschen breitete sich eine riesige Kraft um mich aus, die sich bedrohlich, aber gleichzeitig auch auf eine eigenartige Weise vertraut und gut anfühlte. Aus irgendeinem Grund hatte ich plötzlich das Bedürfnis, aufzustehen. Ich stand da und sang mit geschlossenen Augen: O Herr, bitte hör mein Schreien, ich will Dir ganz nahe sein."
... O, Herr, bitte hör mein Schreien. Ich will Dir ganz nahe sein. ...
Jetzt ist Johanna bekehrt, gehört zur Gruppe, und natürlich auch zu Gott. Alles ist perfekt.
Allmählich aber stolpert der Glaubensneuling über einige Dinge. Da ist etwa das Bibellesen, das streng nach Plan geschieht. Johanna kommt damit nur zurecht, indem sie sich die Lektüre kindlich versüßt, sagt Ann-Kristin Schäfer in ihrem Elternhaus bei Offenbach, wo sie ihren Roman zu schreiben begann:
Allmählich aber stolpert der Glaubensneuling über einige Dinge. Da ist etwa das Bibellesen, das streng nach Plan geschieht. Johanna kommt damit nur zurecht, indem sie sich die Lektüre kindlich versüßt, sagt Ann-Kristin Schäfer in ihrem Elternhaus bei Offenbach, wo sie ihren Roman zu schreiben begann:
Keine Vorschriften und keine Abrechnung mit Vergangenem
"Johanna hat immer Kakao getrunken. Eigentlich immer vor dem Schlafengehen abends. Und jetzt hat sie sich ja vorgenommen, regelmäßig in der Bibel zu lesen, nämlich auch jeden Abend. Hat aber eigentlich darauf nicht viel Lust. Und dann verbindet sie das einfach miteinander, sie gönnt sich den Kakao zum Abend nur, wenn sie auch in der Bibel gelesen hat. Und da ihr der Kakao so wichtig ist und sie ohne den nicht einschlafen kann (Löffelgeräusch), führt es dazu, dass sie dann auch immer brav in der Bibel liest."
Weniger brav verhalten sich Johannas Gefühle. Da ist ja Basti! Heftig verliebt sie sich in ihn. Und auch er in sie, doch kontrolliert. Denn nicht nur das Bibellesen, sondern auch die Sache mit der Liebe ist geregelt.
Ann-Kristin Schäfer: "Man befreundet sich dann, also sie ist dann mit Basti befreundet, ist aber schon auch irgendwie offiziell mit ihm zusammen. Aber alles, was Beziehung von einer Freundschaft unterscheidet, dürfen sie nicht. Und na ja, der nächste Schritt wäre dann quasi die Verlobung. Und dann dürfen sie eigentlich immer noch nichts, zum Beispiel zusammen in den Urlaub fahren oder was auch immer. Und dann kommt direkt die Heirat, die vermutlich relativ schnell. Und dann können sie erst anfangen, sich richtig kennenzulernen – als Paar."
Ann-Kristin Schäfer hat mehrere Jahre Erfahrung mit entschieden christlichen Gruppen. Eindrücklich an ihrem Buch: Sie rechnet nicht ab, schreibt nichts vor, sondern – erzählt:
"Ich glaube halt, dass man Leuten nicht zu viel reinquatschen sollte. Ich würde jetzt keinem reinquatschen, der das so entscheidet und – was weiß ich was – gerne den ersten Kuss vorm Traualtar haben will. Es ist ja nicht meine Sache. Aber das Problem ist: Wenn man das als den einzigen richtigen Weg sieht und es dann jedem aufdrängen muss, will - aufdrängt."
Die Romanheldin verlässt schließlich die Gemeinde mit Hilfe eines Freundes, den sie im Urlaub kennenlernt. Er bricht ihre immergleichen Gedankenbahnen auf, indem er mit ihr politisch diskutiert. Und jetzt? Sie genießt das neue Leben, zieht in eine WG, findet Freunde, die sich politisch engagieren, und zwar extrem links, marxistisch. Auch diese Welt kennt die Autorin aus Erfahrung:
"Es wiederholt sich schon vieles, aber eben im Gegenteil. Aber das ist ihr erst einmal nicht bewusst, aber dann mit der Zeit fällt ihr das auch auf, dass es zwischen ihrem früheren Umkreis und dem neuen Umkreis doch auch wieder Parallelen gibt, obwohl es auf den ersten Blick erst einmal das absolute Gegenteil war."
In der politisch extrem fortschrittlichen Gruppe gibt es Vereinsmeierei, Kleinkariertheit, einfache Antworten. "Was vorher Satan war, ist jetzt der Kapitalismus", denkt Johanna. Und auch die sexuelle Lockerheit wirkt auf Dauer ziemlich dogmatisch, wird in dem Roman deutlich, der auf eine wunderbar schwebende Weise Ernst, Spott und Heiterkeit miteinander verbindet. Erneut hat Johanna ihr Ziel verfehlt. Aber vielleicht ist ja gerade das der Sinn: ihn nicht gefunden zu haben.
"Was Johanna im Prinzip macht: Sie steckt sich zwei Mal selbst in eine Schublade und klettert dann wieder raus. Und erkennt, es ist besser außerhalb der Schublade zu leben. Auch wenn das vielleicht heißen kann, dass man dann wieder zurückkommt zum, ich sage mal, Normalsein, dann nicht mehr besonders ist in dem Sinn, dass man sich einer krassen Gruppierung zugehörig fühlt. Aber dann lieber normal, aber außerhalb der Schubladen. Das würde ich auch für mich sagen: Ich bezeichne mich jetzt weder als sehr gläubigen Christ oder Kommunist oder was auch immer, aber das finde ich im Moment auch gar nicht schlimm."