Reise-Essays von Aldous Huxley

Ein Gentleman tourt durch Europa

Buchcover von Aldous Huxleys "Along the Road. Aufzeichnungen eines Reisenden"
© Rowohlt Verlag

Aldous Huxley

Aus dem Englischen von Willi Winkler

Along the Road. Aufzeichnungen eines ReisendenRowohlt, Berlin 2024

288 Seiten

25,00 Euro

Von Bettina Baltschev |
Aldous Huxley, berühmt geworden mit dem Roman „Schöne neue Welt“, war ein passionierter Reisender. Seine charmanten und angenehm ausschweifenden Essays aus den 1920er-Jahren zeugen von Neugier und Weitsicht.

Der Name Aldous Huxley ist untrennbar mit seinem berühmtesten Roman verbunden: „Schöne neue Welt“. Dabei war der englische Schriftsteller, der von 1894 bis 1963 lebte, ein echter Vielschreiber. Zu seinem Werk gehören elf weitere Romane, mehrere Erzählbände, Essays, Drehbücher, Kinderbücher und nicht zuletzt auch Reiseberichte.
Denn Aldous Huxley liebte das Reisen. Schon 1925 erschien ein erster Band mit Texten, die vom Unterwegssein handeln. „Along the Road. Notes and Essays of a tourist“ war in der englischsprachigen Welt sehr erfolgreich und wurde immer wieder aufgelegt. Ins Deutsche übersetzt wurde er aber erst jetzt, fast einhundert Jahre nach der Erstausgabe. Unter dem Titel „Along the Road. Aufzeichnungen eines Reisenden“ ist das Buch gerade im Rowohlt Verlag erschienen.
Das Reisen an sich scheint etwas in Verruf geraten zu sein, seit es kein Privileg der „happy few“ mehr ist - und man noch im letzten Winkel der Welt auf Seinesgleichen trifft. Doch wer glaubt, früher sei es womöglich aufregender gewesen, der wird von Aldous Huxley eines Besseren belehrt. In „Along the Road“ erweist sich der Schriftsteller bereits Anfang der 1920er-Jahre als genauer Beobachter frühester Auswüchse des modernen Tourismus.
Gleich der erste Essay seines Buches ist mit dem für einen Reisenden durchaus provokativen Titel „Warum nicht lieber zu Hause bleiben?“ überschrieben. Huxley merkt darin an, dass Reisen zu einer Art Konvention geworden ist. Die Menschen tun es, weil sie dazugehören wollen. Aber Huxley fragt sich, ob sie tatsächlich ihr Glück finden und behauptet, dass er auf Beerdigungen schon fröhlichere Gesichter als auf dem Markusplatz in Venedig gesehen hat.

Durch die grüne Brille betrachtet

Selbst ist Aldous Huxley viel unterwegs, vor allem in Italien, wo der Engländer ab 1921 auch einige Zeit lebt. Die meisten seiner Betrachtungen handeln von seinen Reisen unter südlicher Sonne. Doch es sind keine klassischen Reisebeschreibungen. Dazu schweift Huxley zu gern ab, lässt sich von Details zu längeren Ausführungen über Kunst, Literatur oder scheinbar Nebensächliches verführen. So schreibt er wortreich über Sonnenbrillen, denen er eine Funktion zubilligt, die weit über den Schutz vor grellem Licht hinausgeht: Grüne Gläser beispielsweise könnten öde Landschaften in ein milderes Licht tauchen, und auch das Meer leuchte schöner damit.
Weil „Along the Road” also weniger das Reisen für sich als an sich betrachtet, lohnt sich die Lektüre auch noch einhundert Jahre nach der Erstausgabe. Bis heute gültig ist zum Beispiel, dass für den Schriftsteller das Reisen untrennbar mit dem Lesen verbunden ist. Jedoch bemerkt der Autor zurecht, dass längere Texte eher weniger für unterwegs geeignet sind. Deshalb entscheidet sich Aldous Huxley für eine besonders originelle Reiselektüre, nämlich die Bände der Encyclopædia Britannica, die ihm lauter unnützes Wissen liefert, für das er sich aber herzlich begeistern kann.

Ein Blick in die Zukunft

Und schließlich wagt Huxley einen Blick in die Zukunft des Reisens, also seine Zukunft, nicht unsere. Er stellt sich einen Menschen vor, der dank Industrialisierung über viel Zeit und Muße verfügt und fragt sich, was dieser Mensch wohl mit der gewonnenen Zeit anfängt. Seine Befürchtungen sind so düster wie zutreffend. Er meint nämlich, dass die Menschen zwar mehr Muße haben, diese aber mit billigen Kommunikationsmitteln und Funktelefonen verbringen werden, die sie in Langeweile und Depression stürzen. Das kommt einem doch bekannt vor.
Einnehmend und elegant wurde „Along the Road“ vom Literaturkritiker Willi Winkler ins Deutsche übersetzt. In seinem erhellenden Nachwort ordnet er zudem die Texte Huxleys biografisch ein und begründet dessen Faszination für Sonnenbrillen mit einem Augenleiden, das den Autor zeitlebens plagte.
Auch, dass der sein geliebtes Italien wieder verließ, als dort der Faschismus aufkam, erfährt man hier. Denn während seine Betrachtungen über das Reisen noch von Zuversicht und heiterer Begeisterung zeugen, schlägt Huxley einige Jahre nach deren Niederschrift in seinem dystopischen Roman „Schöne neue Welt“ ganz andere Töne an. Für die wird er von den Nationalsozialisten geächtet und aus Europa vertrieben.
Die "Aufzeichnungen eines Reisenden” sind also doppelt interessant. Sie erzählen einerseits vom Reisen in einer Welt vor der zivilisatorischen Katastrophe und andererseits von einem klugen Reisenden. Der mag zwar schlechte Augen gehabt haben, verfügte aber zugleich über ein hohes Maß an Weitsicht.
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