Krznaric: „Der gute Vorfahr“

Warnung vor der „Kolonisierung der Zukunft“

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Cover von Roman Krznarics Buch "Der gute Vorfahr"
© DuMont

Roman Krznaric

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel

Der gute Vorfahr. Langfristiges Denken in einer kurzlebigen WeltDuMont, 2024

368 Seiten

25,00 Euro

Von Sieglinde Geisel |
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Wie können wir unseren Nachkommen eine lebenswerte Welt hinterlassen? Der Philosoph Roman Krznaric plädiert für langfristiges Denken und eine „Tiefendemokratie“. Doch viele seiner Vorschläge sind bekannt - oder wirken wie Wunschdenken.
Ob wir gute Vorfahren sind, sei die wichtigste Frage unserer Zeit, sagt Roman Krznaric - und der Perspektivwechsel, um den es ihm geht, steckt bereits in diesem titelgebenden Wort: Wer sich als Vorfahr begreift, schaut aus der Zukunft auf sein eigenes Leben. Dies verändert das Zeitempfinden: „Statt im Maßstab von Sekunden, Tagen und Monaten zu denken, sollten wir unseren zeitlichen Horizont erweitern und Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende in den Blick nehmen.“
Krznaric verwendet für dieses langfristige Denken, das über die Dimension der menschlichen Existenz hinausgeht, den Begriff der „Tiefenzeit“. Wir haben die Erde erst vor Kurzem betreten und zerstören etwas, was in Jahrmillionen entstanden ist. Denkt man in kosmischen Maßstäben, ist unser Dasein bedeutungslos.

Allerweltsweisheiten in Diagrammform

Das ist keine neue Erkenntnis, und über weite Strecken dient die Lektüre von Krznarics Buch eher der Selbstbestätigung und Erweiterung dessen, was die meisten von uns ohnehin denken. Zum Thema Generationengerechtigkeit heißt es etwa: „Behandle Menschen gleichwertig, unabhängig davon, wann sie zufällig geboren werden.“ Oder: „Behandle zukünftige Generationen so, wie du gern von früheren Generationen behandelt worden wärst.“
Krznaric kleidet seine Allerweltsweisheiten gern in Diagramme und denkt sich dafür symbolkräftige Schlagworte aus: „Pfeil“, „Waage“, „Augenbinde“ und „Staffelstab“, so die vier ethischen Motive für Generationengerechtigkeit.
Interessanter sind die konkreten Beispiele, die Krznaric für langfristiges Denken anführt, etwa das „Kathedralendenken“ für Projekte, deren Vollendung jenseits der Lebensspanne derer liegt, die sie begonnen haben. Dazu gehört nicht nur das Münster von Ulm mit seiner Bauzeit von über 500 Jahren, sondern auch politische Anliegen wie die Abschaffung der Sklaverei oder die Einführung des Frauenwahlrechts, ebenso wie das Denken in sieben Generationen, das man aus indigenen Traditionen kennt.

Ein anderes Verständnis von Demokratie

Die Tiefenzeit erfordere ein anderes Verständnis von Demokratie, so eine von Krznarics Thesen: Die repräsentative Demokratie denkt kurzfristig in Wahlperioden, überdies ist sie dem Einfluss von Interessengruppen ausgesetzt, zu denen auch die Erdölindustrie gehört. Dies führe, in Verbindung mit dem Wachstumskapitalismus, zu einer Kolonisierung der Zukunft: Wir behandeln die Zukunft dem Philosophen zufolge „wie ein fernes Land, in dem keine Menschen leben“.
Um dieser Kolonisierung der Zukunft zu entgehen, fordert Krznaric eine „Tiefendemokratie“. Als Konkurrenz zum Parlament gäbe es in ihr Bürgerversammlungen, bestehend aus Menschen ab zwölf Jahren, die zufällig per Los ausgewählt werden. Die Macht würde sich vom Nationalstaat zu selbstverwalteten Stadtstaaten verschieben, eine Dezentralisierung.

Keine Lösungen in Sicht

Das sind interessante Ansätze – doch eine praktikable Lösung dafür, wie unsere Zivilisation vom Wachstumskapitalismus zum Gleichgewicht einer zukunftstauglichen Lebensweise gelangen könnte, hat auch Krznaric nicht zu bieten. Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion nennt er „Zeitrebellen“: Dies sei „nur der Anfang einer progressiven gesellschaftlichen Bewegung, die sich als eine der kraftvollsten unserer Zeit erweisen könnte“, bemerkt er hoffnungsvoll angesichts der Klimastreiks. Bei solchen Sätzen merkt man, dass das Original 2020 erschienen ist. Vier Jahre später klingt das eher wie Wunschdenken.
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