Streiten in der Empörungsgesellschaft

„Demokratie kann eine große Zumutung sein“

Karoline M. Preisler im Gespräch mit Christian Rabhansl |
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„Ich hatte Covid-19, und ich mache mir Sorgen um euch!“ Mit diesem Schild geht die FDP-Politikerin Karoline M. Preisler seit ihrer Genesung auf Querdenker-Demos. Es sei wichtig, zuzuhören. Trotzdem rede sie nicht mit jedem.
Karoline M. Preisler hat das Buch „Demokratie aushalten! Über das Streiten in der Empörungsgesellschaft“ geschrieben und wirbt darin für offenere Debatten nicht nur, aber auch im Ringen um die richtige Anti-Corona-Politik. Preisler ist Juristin und FDP-Politikerin in Mecklenburg-Vorpommern.
Christian Rabhansl: Sie haben sich im März 2020 mit Covid-19 infiziert. Sie haben dann im Krankenhaus um Ihr Leben gerungen. Und auch Monate später noch hatten Sie Probleme mit Haarausfall, Sprachstörungen, Geruchsverschiebungen. Wie hat diese Erfahrung beeinflusst, wie sie über Corona denken und reden?

„Ich habe aus der Krankheit eine neue Kompetenz gewonnen: das Zuhören“

Karoline M. Preisler: Die Krankheit hat bei mir bewirkt, dass ich besser zuhöre als vorher, weil ich sehr schwach war und nicht so aktiv auf Menschen zugehen konnte, sondern viele Menschen auf mich zugekommen sind.
Und dadurch habe ich sehr viel über die Herausforderungen in der Gesellschaft gelernt und auch über die Krankheit und habe aus der Schwäche im Endeffekt eine neue Kompetenz gewonnen, nämlich dieses Zuhören bis zum Ende und dann darauf erwidern. Und deshalb würde ich sagen, bei all dem Kummer habe ich auch was mit herausgenommen aus der Krankheit.
Rabhansl: Sie haben nicht nur gelernt zuzuhören, sondern sie schreiben auch. Sie führen ein öffentliches Corona-Tagebuch seither, und das schreiben Sie ist ziemlich offen darüber, wie es Ihnen und Ihren Kindern und Ihrem Mann mit dieser Pandemie geht. Dafür bekommen sie viel Zuspruch, aber auch Hass. Warum tun Sie sich das an?
Preisler: Das war eine Familienentscheidung. Wir sind in die Quarantäne gegangen, als mein Mann ein positives Testergebnis hatte. Damals war ich noch gesund. Und wir wussten, dass wir jetzt zwei Wochen lang die Wohnung nicht verlassen können, die Kinder und ich. Und da haben wir gedacht: Wie macht man denn das in einem Mehrfamilienhaus? Wie kommt der Müll raus, wie beschäftigt man die Kinder, was passiert, wenn jemand innerhalb der Familie positiv ist und die anderen negativ sind? Und dann haben wir kurz das in die Suchmaschine eingegeben und versucht, Antworten zu finden.

„Ob Virologe oder Politikerin, jeder kriegt im Augenblick sein Fett ab“

Wir haben die Antworten nicht gefunden und haben gesagt, das ist unser Projekt. Wir nutzen jetzt die Zeit, denn die Fragen, die wir uns stellen, stellen andere sich auch. Und dann habe ich begonnen, auf Twitter dieses Corona-Tagebuch zu führen, ich war immerhin noch gesund. Und dann haben wir es einfach durchgezogen, als ich dann auch ein positives Testergebnis bekam.
Rabhansl: Ich meinte jetzt mit dem ‚warum tun Sie sich das an‘, dass Sie ja auch wirklich tatsächlich angefeindet werden. Einfach dafür, dass Sie krank waren.
Preisler: Ja, heutzutage muss man, glaube ich, mit allem rechnen. Egal, wer sich irgendwie exponiert, wer eine Krankheit hat, wer politisch aktiv ist, wer eine besondere Position einhält oder im Ethikrat ist. Egal. Virologe, Politikerin, jeder kriegt im Augenblick in der Gesellschaft sein Fett ab und muss dann wohl damit lernen umzugehen.
Rabhansl: Das hat Ihnen noch nicht gereicht. Sie haben sich dann noch ein Schild gebastelt und draufgeschrieben, „Ich hatte Covid-19, und ich mache mir Sorgen um euch“, und mit diesem Schild sind Sie auf Querdenker-Demos gegangen. Wie haben da die Leute reagieren?

„Bei Jana aus Kassel hatte ich richtig Lust, die Bühne abzureißen“

Preisler: Viele kannten keinen Menschen, der an Covid-19 erkrankt war, und haben die Gelegenheit dann genutzt und mich gefragt, wie es ist. Und haben mir zum Beispiel auch ihre Bedenken mitgeteilt, dass sie Corona eben nicht für sehr gefährlich halten. Oder haben Fragen gestellt. Es gab auch manches Übergriffiges. Aber die, die auf solche Demonstrationen gehen, um dort Krawall zu machen, mit denen habe ich nicht gesprochen, sondern wirklich mit denen, die die Chance ergriffen haben.
Rabhansl: Sie werben in Ihrem Buch für eine bessere Streitkultur. Sie haben schon gesagt, dass Sie schon unterscheiden, mit wem Sie reden. Aber wie streiten Sie denn mit Leuten wie Jana aus Kassel zum Beispiel, die sich mit Sophie Scholl vergleicht?
Preisler: Ich war da, als Jana aus Kassel dachte, sie sei Sophie Scholl. Und wissen Sie, ich war sehr herausgefordert. Es gibt so ein schönes Lied: Sie haben uns ein Denkmal gebaut, und man müsse das Denkmal abreißen. Ich hatte richtig Lust, die Bühne abzureißen, denn Jana aus Kassel hat es nicht nur einmal gesagt, die hat das dreimal gesagt, die ist dann wieder von der Bühne runtergegangen, noch mal raufgekommen. Und hat es dann noch zweimal gesagt, dass sie sich fühlt wie Sophie Scholl.
Und diese ständigen Diktaturvergleiche! Die machen den Gesprächspartner extrem schwierig, denn es ist ja in Ordnung zu sagen, ich habe ein Problem mit der Pandemie. Ich fühle mich unwohl.
Karoline Preisler mit einem Schild, auf dem steht: "Ich hatte Covid-19 und mache mir Sorgen um Euch".
Macht sich Sorgen: Karoline Preisler mit dem Covid-Schild, mit dem sie unter anderem bei Demontrationen auftrat. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Bernd Wüstneck

„Dieses Rumgeopfere macht es extrem schwer, sachlich zu bleiben“

Und Jana aus Kassel war eben eine Studentin, die sich beschränkt fühlte in ihren Freiheiten und unterdrückt. Und hätte sie das gesagt, dann hätte man auch auf Augenhöhe was erwidern können. Aber dieses ständige, – ich sag es salopp – Rumopfern, diese Diktaturvergleiche machen es extrem schwer, sachlich zu bleiben. So war es an dem Tag. Ich habe erst mal mächtig mit mir gerungen und habe dann die Gespräche am Rande der Demonstration fortgesetzt. Mit den Leuten gesprochen, habe gesagt: ‚Sehen Sie das? Hören Sie das? Das ist nicht in Ordnung. So funktioniert das nicht.‘
Rabhansl: Haben die verstanden, was Sie meinen?
Preisler: Ja, aber Hannover war wirklich sehr speziell, denn es gibt ja Ordner auf diesen Demonstrationen, und Jana aus Kassel hat einen riesigen Fanblock, und es gab eben Ordner, die diese Gespräche, die ich mit den Passanten und mit den Demonstrationsteilnehmern führen wollte, immer wieder unterbunden haben.
Rabhansl: So viel zur Meinungsfreiheit… In Ihrem Buch wird auch sehr deutlich, wie sehr es Ihre Liebe zur Freiheit prägt, dass Sie in der DDR aufgewachsen sind. Und Sie haben gerade schon gesagt, wie allergisch Sie darauf reagieren, wenn dann so Worte wie Corona-Diktatur kommen. Können Sie das erläutern?

„Der Widerspruch vor Ort bewirkt mehr"

Preisler: Ja, ich habe den Eindruck, dass wir sehr leichtfertig bestimmte Begriffe bemühen. Also: Holocaustvergleiche, diesen Stern mit dem Schriftzug ‚Ungeimpft‘, den manche Menschen tragen, dieses ‚DDR 2.0‘. Diese gewählte Übertreibung verprellt, glaube ich, die Gesprächspartner, denn ich höre wirklich jedem gerne zu und erwidere dann auch und bitte um sein Gehör. Aber es fällt mir wirklich schwer, wenn er glaubt, er wäre ein Opfer wie die Opfer der Shoah. Und dann muss er auch aushalten, dass ich ihm sage: ‚Was Sie sagen, ist unerträglich.
Und ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass dieser Widerspruch direkt vor Ort mehr bewirkt, als wenn ich das dann hinterher verurteile, in einem Statement.

Denn wenn man von Angesicht zu Angesicht zu jemandem sagen: ‚Das ist doch nicht in Ordnung, so wie Sie sprechen. Das ist doch nicht in Ordnung. Überlegen Sie doch mal.‘ Dann hat derjenige auch die Chance, noch mal zu reflektieren und zu sagen: ‚Ja, das war dumm.‘

„Ich finde sehr gut, dass wir ein anderes Infektionsschutzgesetz haben“

Rabhansl: Das war jetzt die eine Karoline Preisler, die wir kennengelernt haben. Es gibt in Ihrem Buch auch die andere Karoline Preisler, nämlich die, die so manche Anti-Corona-Maßnahme wirklich kritisch sieht.
Sie schreiben von einer Verfassungskrise, wie wir sie seit Beginn unseres Grundgesetzes noch nie hatten. Gerade jetzt in dieser Woche hat der Bundestag ein neues Infektionsschutzgesetz beschlossen, also die epidemische Notlage eben nicht verlängert, sondern den Parlamenten wieder mehr Macht gegeben. Auch wenn der Bundesrat noch fehlt. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Preisler: Gottseidank ja, ich denke, das ist der richtige Weg. Hierzu haben wir bestimmt 80 Millionen Meinungen in Deutschland. Aber die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben den Föderalismus gestärkt, haben die Parlamente zur ersten Gewalt gemacht. Und ich habe voller Bestürzung gesehen, dass nicht nur nach starken Händen gerufen wurde, dass also jemand die Menschen in Deutschland an die Kandare nehmen wollte, ich habe gesehen, dass die auch an die Kandare genommen wurden. Und das finde ich sehr kritisch.
Denn ich habe den Eindruck, dass die Exekutive ausschließlich das zu tun hat, was in den Parlamenten entschieden wird. Und nicht, dass die Exekutive anfängt, Entscheidungen, die das Parlament treffen sollte, an sich zu reißen. Und dieser Machthunger, der ist ja unendlich. Und wenn wir damit anfangen, das der Exekutive durchgehen zu lassen, dann verlieren wir unsere demokratische Ausgewogenheit. Und deshalb finde ich das sehr gut, dass wir hoffentlich bald ein anderes Infektionsschutzgesetz haben, dass wir wieder den Föderalismus stärken, dass wir den Ländern wieder die Möglichkeit geben, ihre eigenen Regeln zu machen. Und dass wir der Exekutive sagen, wo ihr Platz ist. Denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, und das Volk wählt die Parlamentarier.

„Jede Alternative zur Demokratie ist eine viel größere Zumutung“

Rabhansl: Ihr Buch dreht sich nicht nur um den Streit um die richtige Anti-Corona-Politik, sondern viel grundsätzlicher in allen möglichen Politikbereichen um die Frage, wie wir in der Empörungsgesellschaft besser streiten können. Der Titel lautet ja: „Demokratie aushalten!“ – Ist Demokratie denn eine Zumutung?

Ich denke, Demokratie kann manchmal eine große Zumutung sein. Und wir müssen uns dann überlegen, ob die Zumutung zu groß ist oder ob sie nicht immer noch das kleinere Übel ist. Denn jede Alternative zur Demokratie ist mit Sicherheit eine viel größere Zumutung.

Karoline Preisler

Rabhansl: Gehört zur Zumutung, auch Parteifreunde auszuhalten? Also wenn Sie als FDP-Politikerin auf der Straße diese mühsame Debatte mit Querdenkern führen und dann gleichzeitig zum Beispiel Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki von der Bild sich dafür feiern lässt, Corona-Maßnahmen zu brechen. Oder wenn Parteichef Christian Lindner in den Tagesthemen behauptet, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Kontaktbeschränkungen nichts brächten und dann am nächsten Tag zurückrudern muss, weil das eben falsch ist. Was denken Sie da?

Preisler: Ich denke, dass Christian Lindner sich unglücklich ausgedrückt hat, denn er ist eben am nächsten Tag zurückgerudert und hat gesagt, ‚ich habe mich schlecht ausgedrückt‘. Und ich habe mich vorhin in diesem Interview auch einmal schlecht ausgedrückt, das passiert eben, wenn wir schnell reden. Aber Sie sprechen natürlich auch meinen Parteikollegen Kubicki an. Ja, manchmal muss man das aushalten. Liberalismus ist auch ein Spektrum. Jede Partei hat ihr Spektrum. Das ist ein Kollege, der ist genauso Jurist wie ich, er hat genauso ein Recht auf seine Meinung.
Ich würde sagen, Regeln sind dazu da, eingehalten zu werden. Und ganz besonders natürlich von denen, die sie gemacht haben, schon weil sie ein Vorbild sein sollten. Wenn er das anders sieht, dann ist das so. Das muss man aushalten.

„Im Streit immer erst einmal für den Mut danken, etwas zu sagen“

Rabhansl: Das Aushalten, das bessere Streiten ist das Thema Ihres Buches. Haben Sie am Ende ein paar Kniffe, vielleicht ein paar praktische Tipps, wie wir besser streiten können, wenn es zum Beispiel mit Freunden oder in der Familie mal wieder richtig hitzig wird wegen Corona?
Preisler: Ich habe eine Idee. Und zwar würde ich vorschlagen, dass man sich immer erst einmal bedankt für den Mut, etwas zu sagen. Denn wenn Menschen in Gespräche gehen, ob das nun am Küchentisch oder auf der Geburtstagsparty ist, dann bedeutet denen das was, dass sie Ihnen etwas anvertrauen. Und ich habe gelernt, dass – egal wie kontrovers es ist, – dass es immer schon mal die Wogen glättet, wenn man sagt: ‚Vielen Dank, hu! Das war jetzt ganz schön mutig. Danke, dass du mir das anvertraut hast. Ich habe hierzu eine andere Meinung.‘ Damit bringt man denjenigen auch in die Situation, dass er gesichtswahrend sich die Erwiderung anhören kann.

Karoline M. Preisler: „Demokratie aushalten! Über das Streiten in der Empörungsgesellschaft“ (156 Seiten, 18 Euro, Hirzel)

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.