Der Bestseller-Code
Mit einem Buch auf den Listen der meistverkauften Titel zu landen – davon träumen Autoren, Verleger und Literaturagenten. Doch gibt es ein Rezept, einen Code für einen Bestseller?
Umfrage: "Es gibt immer so Trendwellen. Und das sind dann auch die Bestseller, weil das vom Verlag oder von den Medien sehr gepusht wird. / Auf jeden Fall muss sich der Leser mit der Figur identifizieren können, das ist ganz wichtig. / Also erstmal muss die Idee da sein und dann ganz viel Durchhaltvermögen. Ich glaube, man muss den Zahn der Zeit treffen, den Nerv der Zeit, sich auf jeden Fall nicht von Außenstehenden sagen lassen: Das geht nicht. Geht nicht gibt's nicht."
Internationale Autorenmesse in Frankfurt am Main. Hier kommen an einem Sommerwochenende Hunderte Jung-Autorinnen und Autoren zusammen, um Vorträgen von Experten und Expertinnen zuzuhören, Kontakte zu knüpfen und möglicherweise mit einem Verlag in Verbindung zu treten.
Umfrage: "Wir haben alle noch nicht veröffentlicht. wir schreiben … wir warten darauf, Bestseller zu werden … vor allen Dingen warten wir …"
Der erste Eindruck: Es gibt einen starken Frauenüberhang. Anscheinend ist das Schreiben vor allem eine Frauendomäne. Eine Aussage, die sich für den gesamten Literaturbetrieb sicher nicht halten lässt. Auf dieser Autorenmesse geht es nicht um hohe Literatur, viele teils obskure Kleinverlage, Berater und Agenten sind anwesend. Die Messe will den Jungautoren dabei helfen, den Zeitgeist zu treffen, sich eine gute Vermarktungsstrategie, einen guten Titel und ein interessantes Cover zu überlegen. Darauf komme es durchaus an, behauptet Hermann Scherer, der Organisator der Autorenmesse.
Scherer: "Naja, es ist ein Rezept von vielen wahrscheinlich, das andere Rezept, 50 Prozent sind die Buchqualität entscheidend, aber natürlich auch 50 Prozent die Fähigkeit, es zu vermarkten, also wir wissen heute, wenn Sie heute in einer Fernsehsendung sitzen, wird es mehr gekauft als logischerweise wenn Sie zu Hause sitzen und hoffen, dass es jemand liest."
Scherer, 52, halblanges Haar, ist Businesstrainer, Vortragsreisender und erfolgreicher Sachbuchautor. Eines seiner Bücher stand bereits auf der SPIEGEL-Bestseller-Liste. Er meint, dass man Dinge auch mal gegen den Strich bürsten müsse, wenn man Erfolg auf dem Buchmarkt haben will:
Scherer: "Diese Mischung aus gutem Inhalt, der auch aus Radikalität entstehen kann, und natürlich auch die Fähigkeit, das zu vermarkten, nach außen zu tragen, das sind schon mal zwei wichtige Erfolgsfaktoren."
Ein aktuelles Thema als Erfolgsfaktor
Scherer meint, dass sowohl im Sachbuchmarkt als auch in der Belletristik ein aktuelles Thema durchaus ein Erfolgsfaktor sein könne. Wer jetzt beispielsweise einen herausragenden Roman oder ein überzeugendes Sachbuch über die Flüchtlingsproblematik schreiben würde, könnte möglicherweise einen Bestseller landen. Dieser Effekt habe sich in der Vergangenheit schon oft gezeigt:
Scherer: Gucken Sie, wenn ein Papst stirbt, oder ein neuer kommt, dann kommt zwei Wochen später das Papst-Buch raus und es ist ein Bestseller, weil es halt aktuell ist. Jetzt ist wieder ein Flugzeug vermisst worden wie damals diese malaysische Maschine. Ich glaube, wenn da zwei Wochen später ein Buch rausgekommen wäre, das gelautet hätte: Wir wissen, wo der Flieger steckt so ungefähr, das wäre ein Bestseller geworden… wenn das jemand schafft, so zeitnah Aktualität aufzugreifen, was im Verlagswesen nicht unbedingt leicht ist, dann ist das ein großer Faktor zum Bestseller.
Die meisten Bücher haben jedoch nicht unbedingt etwas mit der Aktualität zu tun, im Gegenteil: Sie verhandeln zeitlose Themen, die immer wieder neu aufbereitet und variiert werden. Wie viele Manuskripte jedes Jahr geschrieben und an die Verlage geschickt werden, kann nicht beziffert werden, es sind laut Branchenschätzungen aber hunderttausende pro Jahr. Ironisch formuliert könnte man sagen: Rein statistisch hat ein Großteil der Bevölkerung schon mal ein Manuskript verfasst. Und viele wünschen sich natürlich den großen Erfolg.
Was die Themen und Genres betrifft, so haben Lektoren und Agenten folgende Erfahrung gemacht: Im Sachbuch-Bereich werden oft Texte eingereicht, die die eigene Scheidung thematisieren oder eine Krebserkrankung. In der Belletristik schreiben Neu-Autoren und Autorinnen oft Fantasy- oder Liebesromane. Das belegt auch die Zahl der über 1200 Bücher-Blogs in Deutschland: Thematisch geht es dort überproportional um Fantasy-, Krimi-, oder Liebesromane. Auch eine Zufallsumfrage auf der Frankfurter Autorenmesse scheint dies zu bestätigen:
Umfrage: "Geht so Richtung Fantasy, Parallelwelt und so. Ist aber bislang nur eine Idee, noch nicht einmal das Exposé ist fertig. Mein erstes Buch ist zufällig ein Bestseller geworden, ich habe damals ein Sommer-Cover im Winter publiziert, "Ein Surfer zum Verlieben", das hat ein sehr farbenfrohes Cover, Klappentext war witzig, Story an sich ist auch gut, und wenn dann alles zusammenspielt, dann ist da schon mal viel getan. Ich schreib ein Buch übers Träumen, das heißt: "Wach auf!" Es ist Zeit zum Träumen, weil ich der Meinung bin, dass wir uns zu sehr darauf fokussieren, was wir nicht haben wollen und viel zu wenig auf das, was wir wollen."
All diese Ideen, Geschichten und Sujets müssen, wenn sie nicht im Self Publishing verlegt werden, durch das Nadelöhr der Lektorate in den Verlagen. Rund 90.000 Bücher werden jedes Jahr veröffentlicht. Nur ein Bruchteil davon hat nennenswerte Auflagen, geschweige denn, wird zum Bestseller. Die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln hat mit Studierenden ein Forschungsprojekt durchgeführt, das ganz simpel die Verkaufscharts von Amazon anhand einiger Kriterien ausgewertet hat. Das Ergebnis, knapp zusammengefasst, lautet so:
Autoren aus dem angelsächsischen Raum sind im Vorteil
Zitator: "Im Untersuchungszeitraum wurden von den 20 meistverkauften Büchern mehr als sechzig Prozent von Männern verfasst und nur 39 Prozent von Frauen. Auch was die Nationalität der Bestsellerautoren angeht, ist das statistische Bild eindeutig: Autoren, die aus dem angelsächsischen Raum kommen, sind weitaus im Vorteil. Und, noch ein Kuriosum, statistisch wäre zu raten, einen Titel zu wählen, der aus maximal drei Wörtern besteht. Über die Hälfte der Top 3- Bestseller-Bücher, haben als Titel nur drei oder weniger Wörter, zum Beispiel "Bis(s) zur Mittagsstunde". Titel mit neun Wörtern wie "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" sind auf der Bestsellerliste die große Ausnahme."
Mit derlei schematischer Erbsenzählerei kommt man natürlich nicht viel weiter. Und all das sagt auch nichts über die manchmal zweifelhaften Inhalte aus. Aber einen gewissen Anhaltspunkt, was ein Buch zum Bestseller machen kann, bieten diese Ergebnisse schon.
Die Geschichte des Bestsellers reicht weit in die Vergangenheit zurück. Die erste Bestsellerliste ihrer Art erschien 1891 im Magazin "Bookman" in Großbritannien, vier Jahre später dann auch in den USA. Die berühmte Bestsellerliste der "New York Times" wird seit 1931 veröffentlicht. In Deutschland erschien kurz zuvor erstmals: "Die literarische Welt", ein Magazin des Publizisten und Filmkritikers Willy Haas. Darin gaben Buchhändler ihre Verkaufszahlen weiter. Unter anderem stand Hermann Hesses "Steppenwolf" lange ganz oben in den Verkaufslisten. Der "Spiegel" führte seine Bestsellerliste erst 1961 ein.
Der Bestseller als wirtschaftliches, aber eben auch als kulturelles Gut – das beschäftigt auch Wissenschaftler seit Jahrzehnten. Corinna Norrick-Rühl ist Buchwissenschaftlerin an der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Sie hat die Geschichte des Bestsellers in Deutschland erforscht.
Norrick-Rühl: "Wenn wir jetzt weit zurückgehen in der Geschichte, dann kann man sagen, dass zum Beispiel die "Flugschrift" von Martin Luther an den christlichen Adel deutscher Nation innerhalb von fünf Tagen 4000 Stück verkauft hat, und das könnte man schon so als Bestseller sehen, das ist natürlich jetzt kein Buch, aber das war für die Zeit eine enorm hohe Auflage."
Die Bestsellerforschung ist noch relativ unterentwickelt. Einerseits hat das methodische Gründe, andererseits gab es in der Vergangenheit auch eine gewisse Voreingenommenheit: Das Buch sollte eben nicht als Ware betrachtet werden. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ging man davon aus, dass vor allem die literarische Qualität für Kaufentscheidungen ausschlaggebend sei. Der Soziologe Siegfried Kracauer wies in den 1920er Jahren darauf hin, dass der Buchverkauf mehr mit den sozialen Verhältnissen der Leser als mit dem Inhalt eines Werkes zu tun haben könnte.
"Also, man kann sagen, eigentlich seit es in Deutschland den Begriff des Bestsellers gibt, gibt es auch Menschen, die sich damit auseinandersetzen, was sich dahinter verbirgt, also was führt dazu, dass Bücher erfolgreich sind. Generell gab es schon in den 30er Jahren eine Kommentarreihe: "Wie erklären sich große Bucherfolge?" Das ist ja eigentlich die Frage, die uns alle umtreibt."
Die Forschung nach den Faktoren, die ein Buch zum Erfolg machen, ist nicht so einfach. Denn: Was macht eigentlich einen Bestseller aus? Handelt es sich, gemessen an den Verkaufszahlen, dabei um 5000, 50.000 oder 500.000 verkaufte Exemplare? Bei den Bestsellertiteln, die sich weltweit gut verkaufen wie Joanne K. Rowling oder Ken Follett, muss man darüber nicht lange nachdenken. Schwieriger wird es schon bei nicht so bekannten Autoren, von deren Büchern die Verlage weniger erwarten und schon kleinere Auflagen als Erfolg gelten können.
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Bestsellerlisten sind nicht immer seriös
Ein weiteres Problem ist, so Corinna Norrick-Rühl, dass bei vielen Bestseller-Listen nicht ganz klar ist, wie sie genau entstehen.
Norrick-Rühl: "Die Liste kann das aussagen, was wirklich verkauft wird, sie könnte aber auch – also Jens Fischer, der auch sehr viel Bestsellerforschung betrieben hat, ein Kollege hier aus Mainz, der inzwischen emeritiert ist, der hat eben gesagt, dass es Erfahrungen gibt, dass Buchhändler eben die Titel melden, die sie am liebsten verkauft sehen wollen. Ob das jetzt inhaltliche Kriterien sind, oder die selber den falschen Riecher hatten, und davon 100 Exemplare bestellt haben und es sind erst drei verkauft worden, und dann melden sie diesen Titel, damit er auf die Liste kommt und er dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommt. Bestsellerlisten sind wirklich ganz kritisch zu betrachten, wenn man sich entscheidet, damit zu arbeiten, dann muss man das berücksichtigen von vornherein."
Doch egal, für wie glaubwürdig man die Listen erachtet, in jedem Fall gab und gibt es immer wieder Bücher, die von Verlagen als Bestseller geplant werden, die also gezielt zu einem Erfolg gemacht werden sollen. Mittels Werbung, sozialer Medien wie Facebook oder Twitter, oder aber, weil der Autor/die Autorin bereits einen bekannten Namen hat. "Das Buch im Medienverbund" nennen das die Forscher. Eines der ersten Bücher, bei denen der Erfolg ganz strategisch geplant wurde, war Hildegard Knefs Biografie "Der geschenkte Gaul" im Jahr 1970.
Norrick-Rühl: "Denn da wurde von vornherein schon damit gerechnet, dass eine große Werbekampagne im Radio, im Fernsehen, vor Ort in den Buchhandlungen. Hildegard Knef hat sich auch dafür hergegeben, wie sich vielleicht ein herkömmlicher Autor in den Siebzigerjahren noch nicht hergegeben hätte.
Inzwischen gehört die Vermarktung der Person des Schriftstellers dazu. Sie wird oft sogar von Literaturagenten und Verlagen erwartet.
Zoe Beck: "Die Hauptfigur in meinem Buch ist Cathleen Anderson, die von London nach Callander gezogen ist. Callander ist ein kleiner Ort am Fuße des schottischen Hochlands, und sie fühlt sich auch sehr, sehr wohl in diesem Leben, und sie musste mit der Vergangenheit auch richtig brechen, weil sie vor ihrem Ex-Mann fliehen musste."
Die Berliner Krimi-Autorin Zoe Beck hat keinerlei Scheu davor, ihre Bücher selbst zu bewerben – in allen Medien. Als vor fünf Jahren ihr Roman "Der frühe Tod" erschien, wurde dazu eine Website erstellt. Darauf konnte man kleine Filmclips anklicken, in denen Beck ihre Figuren und ihre Charaktere erklärte.
Beck: "Ich selbst bring mich da wahnsinnig gerne ein. Das hat damit zu tun, dass ich die Bücher nicht einfach nur geschrieben habe, um den Vorschuss zu kassieren, sondern ich möchte ja auch wirklich, dass sie diskutiert werden, die Leute sollen sich darüber streiten. Und wenn dann ein Verlag sagt, wir haben hier ein bisschen Geld, wir machen ein bisschen Marketing und es ist ein Marketing, wo Du Dich noch einbringen kannst, und ich geb' immer das Signal: Leute ich mach alles. Das ist was, was ich tatsächlich sehr unterstütze."
Beck glaubt, dass dieses Selbst-Marketing – der Autor präsentiert sein Buch und tritt auch als Person auf – nicht jedem liegt. Dann sollte man es eher lassen.
Beck glaubt, dass dieses Selbst-Marketing – der Autor präsentiert sein Buch und tritt auch als Person auf – nicht jedem liegt. Dann sollte man es eher lassen.
Beck: "Das war am Anfang mal so, dass die Verlage in den entsprechenden Abteilungen geglaubt haben, sie müssten da jemanden irgendwie zu überreden, und das ging natürlich immer nach hinten los. Und ich denke, bei denjenigen, die da wirklich Spaß dran haben, da läuft das auch richtig gut. Ich hab keine Ahnung, wie viel mehr Bücher das dann letztlich verkauft, meine Erfahrung ist, Marketing ist eine schöne Sache, aber wenn das Buch dann nicht in der Buchhandlung liegt, wird es auch nicht wirklich so doll gekauft."
Besonders im Krimi-Genre, vermarkten sich Autoren oft und gerne selbst. Veit M. Etzold ist ein Krimi- und Sachbuchautor, der auch als Unternehmensberater arbeitet. Etzold hat rund ein Dutzend Bücher geschrieben, die meisten davon eher reißerische Thriller wie "Final Cut":
Ein professionell geplanter Erfolg
Zitator: "Nummer Zwölf! Er stellte die beiden Kanister mit der dunkelroten Flüssigkeit auf den modrigen Boden des Kellers, zog sich den schwarzen Gummianzug aus, knüllte ihn zusammen und schleuderte ihn ins Feuer. Das Plastik warf Blasen, die schmatzend und zischend aufblähten und zusammenschrumpften, während die Flammen das Gummi verzehrten und ein stechender Geruch den Raum mit der hohen Decke erfüllte. Er warf alles, was er getragen hatte ins Feuer, die Maske, die Brille, die Schuhe. Zwölf Anzüge, zwölf Opfer, zwölf Leben."
Etzold inszenierte beispielsweise die Trauung mit seiner Frau, einer Rechtsmedizinerin, für die "Bild"-Zeitung: "Berlins gruseligste Hochzeit" lautete die Schlagzeile, im Hintergrund war ein Skelett zu sehen. Egal, ob man das nun geschmacklos findet oder nicht, Etzold meint, Marketing sei das A und O – und so sehe es auch sein Verlag:
Etzold: "Bastei-Lübbe hat sich entschieden, das groß zu promoten, eine tolle Kampagne zu machen. Der Erfolg war sicher zum Teil professionell geplant, nur: Man kann die schönste Marketingkampagne machen, wenn das Buch nix taugt, spricht sich das auch schnell rum. Also richtig nachhaltigen Erfolg gibt's nur, wenn beides stimmt, Vermarktung und Inhalt."
Etzold sieht in seinem Bereich, dem Krimigenre, durchaus so etwas wie einen Code, ein Rezept, wie man erfolgreiche Bücher schreiben könne:
Etzold: "Ja, das gibt es. Zum Beispiel sollte man immer nach einem Konflikt suchen in der Gesellschaft, Dinge, die sich irgendwo beißen. Mal auf "Final Cut" bezogen: Alle sind auf Facebook, finden das toll, wollen sich da promoten, aber ich kann nicht davon ausgehen, dass es da nur Freunde gibt auf Facebook. Da sind auch Feinde dabei. Und aus solchen Fragen, die man sich stellen kann, wenn man die Realität ein bisschen überdreht, kann man ein Thema machen, was relevant ist und wo die Leute sagen: Oh, das könnte mir auch passieren, vielleicht nicht, weil es zu übertrieben ist, aber vielleicht auch schon, weil es nah genug an der Realität ist."
Etzolds Rezept lautet außerdem: Mehrmals in jedem Buch müsse eine Katastrophe passieren, damit dann am Schluss die Konflikte aufgelöst werden, und alles auf ein Happy End hinsteuern könne. Diese etwas simple Masche findet sich in der Tat bei vielen Thrillern, die auf schnellen Verkauf aus sind – Massenware, die oft schon bald nach Veröffentlichung gar nicht mehr zu bekommen ist, weil niemand mehr danach fragt.
Verlage beobachten genau, was gerade gut läuft und bestellen dann oft gezielt bei Autoren mehr zum jeweiligen Sujet oder Genre. Historische Romane waren beispielsweise vor ein paar Jahren äußerst beliebt, entsprechend üppig war dann auch die Auswahl an neuen Titeln. Zoe Beck meint, dass durch solche Verlagsstrategien Trends kaputt gingen:
Beck: "Es wird ganz oft versucht, zu planen, und geplant wird dann, wenn es bereits einen Bestsellererfolg gibt, da versuchen natürlich viele Verlage, sich dranzuhängen in dem sie sagen, wir brauchen sowas ähnliches. Das wird dann auch gerne an die entsprechenden Literaturagenturen und auch die hauseigenen Autorinnen und Autoren weitergegeben, das da gesagt wird: Schaut mal, das läuft doch super, können wir nicht auch sowas ähnliches dann machen. Und sonst auf dem Markt würde man sagen, das sind so Me-too-Produkte, ähnlich dem schon gelandeten Bestseller, die haben dann auch vielleicht ganz guten Erfolg aber selten den selben oder sogar noch einen besseren Erfolg, das passiert eigentlich selten oder eigentlich nie."
Und doch gibt es Verlage, die mit fast wissenschaftlicher Hingabe ihr Programm planen. Und dann auch das entsprechende Marketing machen. "Bücher auf Bestellung" – ja das gebe es durchaus, sagt Stefan Haselbach, Verlagsleiter bei Droemer Knaur. Die jeweilige Geschichte müsse aber zum restlichen Programm passen. Zu viele Vorgaben zerstörten die Kreativität, meint Haselbach: Wenn es im Krimi beispielsweise eine weibliche Ermittlerin gibt und die Geschichte in England spielt, dann würde man das erst mal so lassen. Oder ein anderes Beispiel:
Haselbach: "Wir würden jetzt einem Spannungsautor nicht unbedingt bitten, dass er auch noch eine Romanze reinschreibt. Wir achten ja darauf, wenn er eine reingeschrieben hat, ob die glaubhaft wirkt, ob die begründet ist, ob die Motivation der Figuren, ob sich das natürlich anfühlt usw. Wir würden dann wahrscheinlich eher beraten, wo für auch immer sich der Autor entscheidet, er das gut umsetzt, glaubhaft umsetzt, dass es in der Geschichte wirklich aufgeht. Wir wollen die Autoren da auch nicht einschränken und es gibt sicherlich gute Beispiele für erfolgreiche, und sehr erfolgreiche viel geliebte Bücher, die eben bestimmte Merkmale haben, oder just mit diesen gelernten Bildern brechen, oder es ganz anders machen."
Etwas anders gestaltet sich das Planen bei Verlagen, die literarisch Höherwertiges im Programm haben. Sicher, auch hier werden ausländische Erfolgstitel eingekauft, werden große Namen im Programm herausgestellt. Es gibt allerdings nach wie vor kleine Verlage, die auf überraschende, außergewöhnliche Literatur setzen. Der 2009 gegründete Galiani Verlag in Berlin ist ein Beispiel dafür, dass auch Bücher erfolgreich sein können, die in keine gängige Genre-Schublade passen. Erfolg hat hier eine andere Bedeutung als bei den großen Publikumsverlagen. Wichtig sei immer, dass es zumindest ein paar Bestseller gebe, die dann schwächere Titel quersubventionieren, sagt Wolfgang Hörner, Programmchef des Galiani Verlags.
Erfolge mit Büchern, die in kein Genre passen
Hörner: "Also bei uns ist es relativ einfach definiert. Bei uns ist ein Bestseller tatsächlich einer, der auf diesen Bestsellerlisten auftaucht, nicht nur unter den ersten 20, die dann im "Spiegel" abgedruckt sind, aber unter den ersten fünfzig, die das Buchjournal immer ermittelt. Das ist für uns auch ein Bestseller. In wenigen Fällen, die es auch gibt, nennen wir etwas Bestseller, was eigentlich ein Longseller ist, dass er wirklich über eine lange Zeit eine hohe Auflage kumuliert, die können wir dann in der Werbung auch schon mal Bestseller nennen, obwohl sie nicht auf der Liste sind. "
Der Galiani Verlag gehört zu Kiepenheuer und Witsch und betreut unter anderem seit Jahren deutschsprachige Gegenwartsautoren wie Karen Duve, Sven Regener, Peter Wawerzinek oder Alain Claude Sulzer. Einige von diesen Autoren sind sehr erfolgreich geworden, obwohl, oder gerade weil manche ihrer Romane in kein literarisches Genre passen.
Ein Beispiel: Im August ist bei Galiani nun ein Buch erschienen, von dem sich der Verlag einiges verspricht, denn es hat gleich mehrere Qualitäten: Die Erfahrungen eines Trennungskinds werden auf höchst originelle Weise und mit Humor beschrieben. Die junge Autorin heißt Nele Pollatschek, Titel des Romans "Das Unglück anderer Leute". Ein Beispiel für ein Buch einer Debütantin, das großen Erfolg haben könnte. Schon der Anfang ist fulminant:
Zitator: "Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie", nicht voller Wut. Voller Wahrheit. Wut hatte ich hinter mir gelassen. Meistens zumindest. Nun sprach ich nur noch aus, was sowieso alle dachten. Klar und deutlich, ohne Wenn und Aber: Ich hasste meine Mutter.
Auch das kann sicherlich ein Kriterium für einen Bestseller sein: Ein Anfang, der die Leser in die Geschichte zieht. Die ersten Reaktionen von Publikum und Kritik sind durchaus positiv. Doch trotz eines relevanten Themas und einer virtuosen Umsetzung heißt das natürlich nicht, dass dieses Buch ein Erfolg wird. Zumal ein kleiner Verlag wie Galiani nur ein bescheidenes Budget für das Marketing hat. Bücher, die zwischen die Genregrenzen fallen, sind ohnehin schwer zu vermarkten, sagt Verlagschef Hörner:
Hörner: "Wir haben natürlich auch Bücher, die wir toll finden, die gar nicht durchkommen. Ein großes Leid, aber das passiert. Haben auch große Verlage, klar, jeder Verlag hat das. Man kann manchmal nicht genau sagen, woran es lag: Manchmal hat das Quäntchen Glück gefehlt, oder dass der Richtige das zur richtigen Zeit vorstellt oder zur richtigen Zeit liest, im guten Fall geht's genau so."
Und manchmal ist das Überraschungsmoment besonders groß: Karl Ove Knausgard, der sein Leben in sechs Bänden erzählt hat, ist ein solches Beispiel. Oder die britische Autorin Jane Gardam. Gardam, 88 Jahre alt, ist in Großbritannien seit Langem mit ihren Romanen, Erzählungen und Kinderbüchern erfolgreich und beinahe ein Literaturstar. Gardam wird gerne mit dem großen Erzähler Rudyard Kipling verglichen. Sie bekam mehrere Preise – und war doch bislang in Deutschland völlig unbekannt. Das änderte sich erst als Hanser Berlin auf Gardam aufmerksam wurde. Ihre Trilogie um ein britisches Ehepaar hat sich in Deutschland mittlerweile über 100.000 Mal verkauft. Julia Graf, Lektorin bei Hanser Berlin, erzählt, dass Gardam für den letzten Band, der gerade auf Deutsch erschien, noch einmal für einen Preis vorgeschlagen war – so sei man auf sie aufmerksam geworden.
Graf: "Es lag bei uns auf dem Prüfstapel, es war auch nicht eines jener Manuskripte, das schreit: Lest mich, lest mich sofort über Nacht, sonst sind sofort alle anderen dran. Wir haben uns einen Abend dazu entschlossen, es mitzunehmen und es einfach zu lesen, der verlegerische Leiter und ich, ich hatte den letzten Band, er hatte den ersten Band dabei, und am Morgen haben wir uns beide angeschrieben, das ist ganz große Literatur, das müssen wir unbedingt machen, und da war die Entscheidung ganz schnell gefallen."
Doch auch wenn Gardam mittlerweile international erfolgreich und bekannt ist, bleibt die Frage: Was macht den gardamschen Schreibstil so besonders, was begründet ihren Erfolg?
Graf: "Sie schreibt einfach unglaublich gut, sie schreibt ja auf gewisse Weise traditionell, aber eben modern. Sie hat eine ganz besondere Art der Figurenführung, sie psychologisiert nicht, sondern sie bringt uns diese Leben, diese Figuren eigentlich nah, wie man Menschen kennenlernt in einem Leben."
"Der disziplinierte Charme, der Filth sein Leben lang ausgezeichnet hatte, hatte es gut überstanden. Jedenfalls hatte es den Anschein. Im Rückblick war Filth jedoch bewusst, dass er hinter seiner äußerlichen Abgeklärtheit psychisch zusammengebrochen war, und dass ein psychischer Zusammenbruch bei jemandem, der die Schauspielerei verinnerlicht hat (wie etwa ein Kronanwalt), unsichtbar sein kann. Für den Betroffenen ebenso wie für alle anderen."
Vom Erfolg Jane Gardams hat gewissermaßen auch ihre Übersetzerin profitiert: Isabel Bogdan. Ihr eigener Roman "Der Pfau" hat sich 50.000 mal verkauft. Die Geschichte spielt in England auf einem Landsitz – der titelgebende Pfau reagiert auf alles Blaue aggressiv und demoliert eine Nobelkarosse. Er steht für den "Culture Clash" zwischen Landadel und der überdreht überheblichen Unternehmensberaterkaste aus der Stadt. Der Plot erinnert an so manch schräge britische Komödie oder Satire. Bogdan erzählt, dass sich ihre Geschichte aus einer Situation entwickelt habe, die sie selbst erlebt hat. Als sie bei Freunden zu Besuch in Schottland war, fing ein Pfau an, verrückt zu spielen und blaue Dinge anzugreifen:
Auffälliges Umschlagmotiv als Kaufanreiz
Bogdan: "Da dachte ich: Das ist so abgefahren, da möchte ich eine Geschichte draus machen. (…) Meine Hauptsorge war, dass mir nichts einfällt, aber ich hab sicher nicht dran gedacht, irgendwas reinzubringen, um es besser verkäuflich zu machen oder sowas. Ich bin ja auch lange genug im Geschäft, ich übersetze seit 16 Jahren Bücher, um zu wissen, dass man das weder planen kann, noch mit irgendwas rechnen kann, also ich habe damit ja auch nicht gerechnet, dass es so läuft, wie es jetzt läuft."
Die Hauptfigur des Pfaus ist in schillernd aufwändiger Technik auf das Cover gedruckt worden – die Leser können ihm gewissermaßen das Gefieder streicheln. Auch das kann ein Verkaufsargument sein: Ein auffälliges, interessantes Umschlagmotiv verleitet bisweilen zum Kauf des Buches.
Die Suche nach einem "Code" für künftige Bestseller wird in jedem Fall weitergehen, und doch ist allen Verlegern, Agenten und Autoren klar: Man kann ihn nicht planen, weder am Reißbrett noch per Computerprogramm, und wiederholen lässt sich ein Erfolg auch nur selten. Dazu ist die literarische Welt zu komplex und vielschichtig. Allenfalls das Minimieren von Risikofaktoren kann ein Weg sein, um erfolgreiche Bücher zu verlegen. Man muss sie ja nicht gleich Bestseller nennen. Julia Graf von Hanser Berlin macht jedenfalls all jenen Autoren und Autorinnen Mut, deren Bücher sich nicht einem bestimmten Genre zuordnen lassen:
"Die Bücher, die wirklich literarischen Bücher, sind oftmals Bücher, die eigentlich gar nicht kategorisierbar sind, in keine Schublade passen, das macht diese Bücher so großartig. Und deswegen erreichen sie dann auch ein großes Publikum. Das sind eben Bücher, die etwas ganz Menschliches in einem ansprechen, und eben sich über Generationen und Gruppen und Gruppierungen sich hinwegsetzen. "