Buchmarkt

Die Verlage sind schlimmer als Bundesliga-Vereine

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Das Bild zeigt die Stadtbücherei von Weimar - an den Wänden stehen hohe Regale über mehrere Etagen mit unzähligen Büchern.
Jede Menge Bücher werden jedes Jahr verlegt - doch wo sind die Leser? Auf dem Buchmarkt herrscht inzwischen große Konkurrenz. © imago images / Eibner / Daniel Lakomski
Von Sigrid Löffler |
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Auf dem Buchmarkt wird hart um jeden Leser gekämpft, Verleger werden ausgewechselt wie Trainer in der Fußball-Bundesliga. Sigrid Löffler beobachtet noch jede Menge andere Unsitten. Und lobt die Verlage, die standhaft an Qualität festhalten.
Im Vorjahr hat der Börsenverein des deutschen Buchhandels festgestellt, dass dem Buchmarkt binnen weniger Jahre mehr als sechs Millionen Leser abhanden gekommen sind. Vor allem unter jungen Lesern ist der Verlust massiv. Die meisten Buch-Abwanderer finden sich bei den Unter-30-Jährigen.
Naturgemäß hat dieser drastische Leserschwund die Buchverlage aufgescheucht und sie zum Teil regelrecht in Panik versetzt. Sie fragen sich: Was tun? Und ihren Gegenmaßnahmen merkt man die Nervosität der Buchbranche deutlich an.

Hektische Suche nach neuen Autoren

Mehr noch: Manche Verlage reagieren genauso kopflos, wie wir das aus einer ganz anderen Branche kennen: Haben wir vielleicht bisher übersehen, wie ähnlich sich leserschwundbedrohte Buchverlage und abstiegsbedrohte Fußballvereine verhalten?
Fußball-Clubs wechseln in Panik den Trainer aus und wetteifern darum, neue Spieler von auswärts zu verpflichten. Und Buchverlage machen es ganz ähnlich: Sie wechseln den Verleger aus und suchen hektisch nach neuen Autoren von sonstwoher.
Beides sind zweifelhafte und eher unbedachte Strategien, mit einem einzigen Ziel: Sie sollen bei einem desinteressierten Publikum neues Interesse erwecken und eine wegbrechende Kundschaft womöglich zurückgewinnen.
Fast droht man den Überblick zu verlieren, welcher Verleger gerade zu welchem Verlag gewechselt ist, und welcher eben erst frisch berufene Verleger seinen neuen Posten auch schon wieder geräumt hat.

Aufbau-Chef zu Ullstein - aber nur für Monate

Da wechselt beispielsweise der Chef des Aufbau-Verlags zum Ullstein-Verlag – nur um binnen Monaten schon wieder ersetzt zu werden, durch eine Verlegerin, die eben erst beim Rowohlt-Verlag unschön verabschiedet worden ist, weil man sich dort von einem Quereinsteiger mehr Erfolg verspricht, einem Kunsthändler ohne die geringsten verlegerischen Referenzen.
Die frühere Ullstein-Verlegerin ihrerseits heuert beim Verlag S. Fischer an – einem Verlag, dem binnen kürzester Zeit sowohl der Verleger wie auch der Programmchef abhandengekommen sind, wobei beide beteuern, wie sehr dieser Abgang ihren eigenen Wünschen entspricht.
Der eine entdeckt plötzlich, dass sein wahrer Lebenstraum immer schon eine eigene Kunstgalerie war; der andere möchte endlich hauptberuflich Kriminalromane schreiben, was er bisher nur nebenberuflich und unter falschem Namen tun konnte.
Erinnern diese hektischen Rochaden nicht frappant an das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel, mit dem uns die deutsche Bundesliga derzeit in Atem hält? Da weiß man ja auch nicht immer genau, bei welchem Klub die Trainer Dieter Hecking oder Bruno Labbadia aktuell gerade Station machen, geschweige denn, ob ihr kurzzeitiges Wirken ihren jeweiligen Klubs geholfen hat.
Hinter all diesen Trainerwechseln steht ja immer die verzweifelte Hoffnung, mit neuen Spielern auf dem Feld das abgewanderte Publikum zurückzugewinnen. Und mit der Buchbranche verhält es sich genau so: Verleger werden ausgewechselt in der Hoffnung, der oder die Neue werde neue Erfolgsautoren entdecken, damit die sechs Millionen verschwundenen Leser zurückkommen.

Kampf um die Aufmerksamkeit des Lesepublikums

Wie stellen sich die Buchmarkt-Strategen diese neuen Erfolgsautoren vor? Wer sind die Autoren, von denen sie sich nun Bestseller erhoffen?
Im Kampf um die Aufmerksamkeit des Lese-Publikums setzen sie vor allem auf außerliterarische Prominente. Bekannte Namen müssen her, egal woher. Romane von beliebten Schauspielern sollen es nun richten, gerne auch von bekannten Strafverteidigern, Journalisten oder Bergsteigern.
Es wimmelt in der Literaturszene geradezu von romanschreibenden Tatort-Kommissaren. Der Herbst-Spitzentitel des S. Fischer Verlags beispielsweise ist ein Roman von Tatort-Kommissar Ulrich Tukur, gefolgt von einem Roman des Bergsteigers Reinhold Messner und dem Roman eines "Spiegel"-Redakteurs. Dabei ist es eine offene Frage und keineswegs erwiesen, dass in Tatort-Guckern wirklich potenzielle Romanleser stecken.
In ihrer Panik verfallen die Buchverlage auch auf andere Strategien, um den Leserschwund hintanzuhalten. Sie zapfen etwa die Sehnsucht von Stadtbewohnern nach dem Landleben an: Es wimmelt derzeit von Bekenntnis-Romanen von Hobby-Gärtnerinnen, die uns was vorschwärmen von ihren Obstbäumen, Schafen und Ziersträuchern und von ihrer Lust an selbstgemachter Marmelade und selbstgebackenem Brot.
Wieder andere Verlage suchen ihr Heil im so genannten Printburger – in anspruchsreduzierter Massen-Konfektionsware für das einfache Lesergemüt. Und alle Verlage blicken einmal im Jahr nach Klagenfurt zum Wettlesen beim Bachmannpreis, in der Hoffnung auf ein Debütanten-Wunder, einen verheißungsvollen Jungautor, aus dem sich ein Lesermagnet machen lässt.

Glücklich der Verlag, der einen Bestseller-Autor hat

Glücklich der Verlag, der bereits einen bewährten Bestsellerautor in seinen Reihen hat, den er melken kann, wie etwa der Suhrkamp-Verlag mit Romanen von Elena Ferrante, der Klett-Cotta Verlag mit Tolkien-Romanen oder der Diogenes-Verlag, wo Donna Leon ihren ewigen Commissario Brunetti bereits seinen 28. Fall lösen lässt und Martin Suter an seiner Endlos-Serie über den Detektiv Allmen weiterwerkelt.
Zum Glück lassen sich nicht alle Buchverlage hysterisieren und dazu verleiten, nur noch einem schwindenden Markt hinterherzuschreiben. Auch wenn der Markt kleiner wird, halten sie am Qualitätsbuch fest, in der Überzeugung, dass es auch weiterhin Qualitätsleser geben wird.
Und die jüngsten Umfragen geben ihnen recht: Der Buchmarkt scheint sich zu erholen. Es gibt wieder Zuwächse bei den Buchkäufern, sogar bei den jungen unter dreißig.
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