Der taiwanesische Leseboom
Die Kultur- und Sprachbarrieren zwischen der westlichen und der asiatischen Welt sind enorm. Und doch steigt das Interesse an westlicher Literatur - zum Beispiel in Taiwan. Ein Besuch in Taipeh auf einer der größten Buchmessen der Welt.
Womöglich ist Taiwan seit dem Ende der DDR das neue Leseland. Nirgendwo sonst gibt es gemessen an der Einwohnerzahl so viele Buchhandlungen, kaum irgendwo sonst zudem so viele aus fremden Sprachen übertragene Bücher. Die Hälfte der 40.000 jährlichen Neuerscheinungen sind Übersetzungen, die meisten davon aus dem Englischen, aber zunehmend gewinnt auch die deutsche Literatur an Bedeutung. Das lässt sich am Sortiment nahezu jeder Buchhandlung in Taiwan ablesen, vor allem aber am Angebot der Verlage auf der Buchmesse in Taipeh. Für die Übersetzerin Wei Tang ist die große Offenheit gegenüber fremden Kulturen und Sprachen quasi naturgegeben:
"Weil wir auf einer Insel leben, denken wir, zuerst möchten wir die Welt außer der Insel sehen und wissen. Man hat deswegen Sehnsucht in die Ferne."
Wei Tang gehört zu den wichtigsten Vermittlern von deutscher Literatur nach Taiwan. Sie hat zum Beispiel Juli Zeh, Cornelia Funke und Charlotte Roche ins Chinesische übersetzt. Beständig ist sie unterwegs zwischen Berlin und Taipeh. In Deutschland wirbt sie für die hierzulande viel zu wenig beachtete taiwanische Literatur, in ihrem Heimatland macht sie auf deutsche Schriftsteller aufmerksam.
Und dabei hat sie es deutlich leichter. Zahlreiche taiwanische Verlage führen deutsche Titel im Programm. Spitzenreiter ist der Verlag Business Weekly, der so unterschiedliche Autoren wie Niklas Luhmann, Elfriede Jelinek und Arno Geiger veröffentlicht hat. Als Grund für den Anstieg von Übersetzungen aus dem Deutschen sieht die Cheflektorin Feng Yi Cheng nicht zuletzt eine gewachsene Sprachkompetenz in den Verlagen:
"Seit 15 Jahren arbeite ich bei unserem Verlag, damals machten wir durchschnittlich wahrscheinlich alle zwei Jahre ein deutsches Buch. Aber jetzt machen wir jedes Jahr drei bis vier, sogar fünf deutsche Bücher. Damals gab es zwei Lektoren, die Deutsch verstehen konnten, heutzutage arbeiten in unserem Verlag vier Lektoren, die Deutsch sprechen und verstehen können."
Übertragung geschieht per Mausklick
Der Andrang am Stand von Business Weekly ist enorm. Aber nicht nur dort. Die Buchmesse in Taipeh wird Jahr für Jahr zur größten und interessantesten Buchhandlung im Land, verlockend wirkt nicht zuletzt, dass sämtliche Titel mit Rabatten von rund 20 Prozent angeboten werden. Doch die Messe ist keineswegs allein bei Taiwanern beliebt. Vor allem Verleger aus China informieren sich hier Jahr für Jahr über internationale Autoren und Trends:
"Sie kommen nach Taipeh, um die Buchmesse zu besuchen und zu sehen, was in Taiwan im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Taiwan ist ein Fenster zur Welt, ein Fenster für chinesische Verleger und Lektoren vom Festland."
Linden Lin vom Verlag Linking muss es wissen. Er ist nicht nur einer der bekanntesten Verleger in Taiwan, sondern war zudem auch Chef der Taipeh-Buchmesse. Andere bestätigen seine Einschätzung: Ein Roman, der es von Europa nach Taiwan geschafft hat, ist China und damit einer potenziell riesigen Leserschaft ein entscheidendes Stück näher gekommen. Zwar prägen in Taiwan die traditionellen chinesischen Langzeichen das Schriftbild, während in China die vereinfachten Kurzzeichen Standard sind, doch die Übertragung geschieht per Mausklick am Computer. Weitaus problematischer ist hingegen die restriktive Publikationspolitik in der Volksrepublik. Yu-Shiuan Chen von der in Taipeh ansässigen Literaturagentur Bardon Chinese, die unter anderem die Buchrechte von Verlagen wie Diogenes und Kiepenheuer & Witsch nach Taiwan, Hongkong und China verkauft, hat mit diversen Einschränkungen Erfahrungen gemacht:
"Zensur ist immer noch ein zentrales Thema in China. Politics, Sex und Religion sind drei Themen, die in China generell nicht möglich sind oder nur sehr limitiert möglich sind. Der Inhalt muss politisch korrekt werden. Das heißt, manche Stelle muss herausgenommen oder umgeändert werden. Manche Bücher können nie veröffentlicht werden in China, weil die Autoren sagen, das geht nicht, das Werk muss so bleiben, wie es ist."
So lange die kommunistische Partei in Peking streng darüber bestimmt, was ihre Bürger lesen dürfen, bleibt die Buchmesse in Taipeh das wohl wichtigste große Fenster für die chinesisch-sprachige Welt in den Westen. Zum Glück steht es weit offen.