Zwiespalt der Identitäten
Kein Europäer, nein, ein Inder erhält in diesem Jahr den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung. Der im Himalaya aufgewachsene und heute in London lebende Pankaj Mishra hat Bücher wie "Aus den Ruinen des Empires" geschrieben, in denen er ein neues Licht auf den europäischen Kolonialismus in Asien wirft.
Pankaj Mishra lebt und arbeitet heute überwiegend in London, gemeinsam mit seiner Frau und seiner sechsjährigen Tochter. Sein Büro liegt in einer unscheinbaren Seitenstraße im Norden der Hauptstadt, in einem dieser typisch britischen roten Ziegelsteingebäude.
"Wenn Sie durch die Tür gehen, ist links eine Treppe, gehen Sie da hinauf bis zur ersten Etage! Da ist noch eine Treppe, Ich bin ganz oben und treffe Sie da!"
"Hallo, schön Sie zu treffen! ...Ich bin gerade erst zurück! Deshalb ist es etwas unordentlich."
Seine schwarzen Locken fallen ungekämmt in die Stirn. Ein grüner Rollkragenpulli und Jeans lassen den schlanken, zurückhaltenden 44-Jährigen auf den ersten Blick leger und unkompliziert erscheinen. Doch seine Augen wirken durchdringend. Man spürt: Pankaj Mishra beantwortet nicht nur Fragen, sondern taxiert und bewertet sein Gegenüber selbst ganz genau. Sein Büro ist eher spartanisch eingerichtet. Zwei Stühle. Zwei kleine Tische. Ein Computer.
Pankaj Mishra ist viel unterwegs. Kurz vor unserem Gespräch ist er aus dem Iran zurückgekommen. Durch seine Reisen, seine Studien über das Verhältnis von Asien, dem Orient und dem Okzident verdient Pankaj Mishra seinen Lebensunterhalt. Als Journalist. Als Gastprofessor an britischen Universitäten. Als Schriftsteller und Herausgeber von Büchern. Er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Einen Beruf, den es so zu seiner Jugendzeit in Indien noch gar nicht gab.
Pankaj Mishra ist viel unterwegs. Kurz vor unserem Gespräch ist er aus dem Iran zurückgekommen. Durch seine Reisen, seine Studien über das Verhältnis von Asien, dem Orient und dem Okzident verdient Pankaj Mishra seinen Lebensunterhalt. Als Journalist. Als Gastprofessor an britischen Universitäten. Als Schriftsteller und Herausgeber von Büchern. Er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Einen Beruf, den es so zu seiner Jugendzeit in Indien noch gar nicht gab.
"Irgendwie hat es sich ergeben, dass ich Schriftsteller wurde. Meine Eltern wollten ursprünglich ein sichereres Leben für mich. Ich wuchs in kleinen Dörfern auf, weil mein Vater für die indische Eisenbahngesellschaft arbeitete. Wir sind oft umgezogen. Ich bin auf eine Vielzahl verschiedener Schulen gegangen. In Delhi habe ich schließlich meinen Masterabschluss in englischer Literatur gemacht. Es gleicht einem Wunder, dass ich aus dem Gefängnis entfliehen konnte, in dem so viele Unterprivilegierte gefangen sind."
Frühe Hingabe ans Lesen
Seine beiden älteren Schwestern und der Rest seiner Familie leben noch in Indien. Pankaj Mishras Karriere ist eine absolute Ausnahmeerscheinung für eine immer noch stark hierarchisch organisierte Gesellschaft wie Indien. Seinen Zugang zur Welt hat er sich durch Bücher erschlossen, in einem kleinen Dorf hoch oben im Himalaya.
"Alles was ich tat war lesen und schreiben. Wenn sie das einige Zeit machen, dann erwerben sie eine große Fertigkeit darin, was immer sie auch tun. In meinen Fall steckt viel Arbeit dahinter, eine völlige Hingabe. Sicher auch weil ich nichts anderes zu tun hatte in dem kleinen Dorf im Himalaya."
Pankaj Mishra vertieft sich in Schriften, die schon längst vergessen waren. Irgendwann wird ihm bewusst, wie wenig er und viele andere über die Geschichte Asiens eigentlich wussten, wie wenig bekannt war über die intellektuellen Debatten, die wesentlich zur Dekolonialisierung und schließlich zum Wiederaufstieg Asiens beigetragen hatten. Aus seinen Recherchen in bislang weitgehend unbeachteten historischen Aufzeichnungen entstand sein nun mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung ausgezeichnetes Werk.
"Wie hat der Westen Asien beeinflusst? Darum geht es in dem Buch: Aus den Ruinen des Empires. Wie haben die Intellektuellen in Asien auf diese enorme Präsenz des Westens in ihrem Leben reagiert? Diese Art der Präsenz fühlt im Westen niemand. Niemand in Europa oder Amerika bemerkt die Anwesenheit von anderen Gesellschaften oder Kulturen. Sie werden nicht gezwungen Hindi zu sprechen oder nicht gezwungen Urdu oder Arabisch zu sprechen. Sie werden nicht gezwungen, sich anders anzuziehen."
"Der Westen prägt die Ideen auf der ganzen Welt"
Über diesen Zwiespalt der Identitäten, über den aufgezwungenen Kulturwandel, den er selbst erlebt hat, schreibt Pankaj Mishra. Neben Standardwerken wie „Der Wettlauf um Afrika“ zur Kolonialisierung des schwarzen Kontinents stehen in seinem Büro Reiseberichte, Poesiebände. Viele dieser Bücher wurden von heute weitgehend unbekannten Autoren geschrieben. Was den rund 100 Quadratmeter großen Raum prägt sind seine drei Meter hohen Bücherwände. Schriften aus mehreren Jahrhunderten zu Kultur, Philosophie, Geschichte. Es ist die Bibliothek eines Universalgelehrten, der in der Vergangenheit nach Antworten sucht für die Probleme unserer Zeit.
"Es war früher sehr klar, wer der Feind ist, für viele Vordenker, ob Ghandi oder Atatürk. Der Feind war westlicher Imperialismus. Heute ist der Westen in uns selbst. Er prägt die Ideen auf der ganzen Welt. Deshalb ist der Kampf Al Quaidas völlig sinnlos. Was wir bekämpfen müssen sind schlechte Ideen. Wir müssen uns eingestehen, dass es so viel Gewalt und Konflikte gibt wie nie zuvor. Um darauf Antworten zu geben, müssen wir zurück gehen und uns Zeiten der Geschichte ansehen, Philosophien ansehen, die nicht so viel Gewalt hervorriefen."
Pankaj Mishra plädiert eindringlich für eine Abkehr von der inzwischen weltweit vertretenen Wachstumsideologie, die er als Quelle für Gewaltexzesse und Konflikte der vergangenen 150 Jahre ausmacht. Was die Welt heute brauche, sei nicht mehr Wachstum, sondern Bescheidenheit, das Glück, das aus der Harmonie entspringt. Eine Einsicht, die sicher leichter fällt, wenn man wie Pankaj Mishra sein Leben in einem kleinen Dorf im Himalaya verbracht hat.