Zu spät
Lesungen, Empfänge, Diskussionen - der Buchmessebesucher hetzt von Termin zu Termin und kommt dauernd zu spät. Doch selbst wer den Beginn des Suhrkamp-Kritikerempfangs verpasst hatte, verließ die Veranstaltung mit einer Gewissheit.
Zu den grundlegenden Gefühlen eines jeden Buchmessebesuchers gehört es, ewig zu spät zu kommen. Hier eine laufende Podiumsdiskussion - und man muss sich das Thema durch rückblickendes Kombinieren erschließen. Dort eine Menschentraube - und man hört nur die Pointe eines schon fast erzählten Witzes.
Litanei von Namen
Beim Suhrkamp-Kritikerempfang gestern in der Villa des Verlages im Frankfurter Nordend-West hat der Reporter die Lesung knapp verpasst. Aber wie immer wird Ulla Unseld-Berkéwicz bei der Begrüßung die Namen sämtlicher anwesenden Autorinnen und Autoren genannt haben, in alphabetischer Reihenfolge, und mancher der geladenen Gäste wird dabei an eine Litanei gedacht haben. Wie immer wird sie einen der Anwesenden ans Lesepult gebeten haben, und zwar gestern den Philosophen Peter Sloterdijk, der eine Passage aus seinem demnächst erscheinenden Roman präsentierte.
Schaurig oder vergnüglich?
Was der Zuspätgekommene bezeugen kann, sind die Reaktionen auf die Lesung. Schaurig sei es gewesen, meinte ein Kritiker, dass man dem monotonen Singsang des Vortragenden kaum habe folgen können. Großartig, vergnüglich sei der gewählte Romanausschnitt, meinte ein anderer; allerdings, wie jemand Drittes hinzufügte, zu pointenreich.
Und ein Kritiker-Urgestein aus dem FAZ-Feuilleton berauschte sich - Alkohol war noch nicht im Spiel - an seiner eigenen freischwebenden Thesenbildung zum soeben Gehörten: Der weibliche Hintern, der im Text eine Rolle spiele, gehöre in eine Reihe mit den vielen geschwungenen weiblichen Hinterteilen unserer öffentlichen Bildwelten, man denke nur an Kim Kardashian; und all diese Hinterteile seien nichts als ein großer Aufstand gegen die allgemeine Homosexualisierung der Gesellschaft. Hm.
Die eigentliche Nachricht dieser Annonce jedenfalls lautet: Seit Jahren hat es beim Suhrkamp-Empfang während der Messe keine Lesung gegeben, über die lebhafter diskutiert worden wäre als über dieses kommende fiktionale Werk des Karlsruher Philosophen.