Buchvorstellung von "Biografie"

Wenn Maxim Biller kaum mehr als im Roman verrät

Maxim Biller, Schriftsteller
Maxim Biller präsentierte im Deutschen Theater in Berlin seinen Roman "Biografie". © picture alliance/dpa/Karlheinz Schindler
Von Gerd Brendel |
Buchpremiere im Deutschen Theater Berlin: Mit dem Journalisten Adam Soboczynski stellte Maxim Biller seinen Roman "Biografie" vor. Die Show bewegte sich fast nur zwischen den Buchdeckeln des vor zwei Wochen erschienenen Buches. Das hat unseren Reporter irgendwie enttäuscht.
Buchvorstellungen funktionieren immer nach dem gleichen Muster: Offiziell wollen Verlag und Autor dessen jüngstes Werk vermarkten. Der Verkaufstrick ist ein unausgesprochenes Versprechen, nämlich etwas über den Schriftsteller zu erfahren, was nicht in seinen Büchern steht: Private Motive, Anekdoten, auf der einen Seite oder auf der anderen Seite ein paar kluge Gedanken zum Gang der Welt aus dem Mund des Schriftstellers in seiner Rolle als Intellektueller. Dass Maxim Biller beides kann, hat er in unzähligen Glossen zu deutschem Alltag und Berliner Gesellschaftsleben und in zahllosen Interviews bewiesen. Eines der spannendsten hat Adam Soboczynski vor ein paar Wochen für die "ZEIT" mit Biller geführt.

Agenten, Immobilienhaie, Sex-Praktiken

Zu gerne würde man hören, was sich die beiden über Identität, Heimat und vielleicht auch Europa heute zu erzählen hätten, aber stattdessen bewegt sich Gespräch fast ausschließlich im Rahmen des Buchs - zugegeben ein riesiger Rahmen:
"Es kommen noch kommunistische Agenten vor, Kunsthändler, Immobilienhaie, es gibt ausgefallene Sex-Praktiken, öffentliche Onanie in der Sauna, Enthauptungsvideos auch. Also, es ist unglaublich unterhaltsam."
Schütteres Gelächter im Publikum. Viel lustiger wird es allerdings nicht, und so richtig persönlich auch nicht. Immerhin den biografischen Hintergrund von "Biografie" erklärt Biller:
"Es handelt sehr stark von meiner Begegnung, der ich aus einer jüdisch-russischen, nicht religiösen Familie, die nach Deutschland gekommen ist 1970 stamme, mit der jiddisch-osteuropäischen Welt meines besten Freundes. Das hat das Ganze auch für mich so poetisch aufgeladen, würde man jetzt als deutscher Schriftsteller sagen."
Aus diesem poetischen Akku beziehen die 900 Seiten von "Biografie" ihre literarische Energie. 900 Seiten, in denen die beiden Freunde Soli und Noah alles Mögliche erleben, von dem an diesem Abend naturgemäß nur ein kleiner Ausschnitt mitgeteilt wird. Drei Dinge haben alle an die 50 Romanfiguren gemeinsam. Erstens viel Sex, zweitens:
"Alle Figuren in diesem Roman werden von einem antisemitischen Neonazi, einem ungarischen Psychotherapeuten behandelt. Jetzt frag mich mal, warum ich das gemacht hab! Ich fand's halt witzig."

Nicht witzig, aber stilistisch brillant

Gar nicht witzig, aber von unglaublich stilistischer Brillanz die anschließende Beobachtung des Icherzählers:
"Wir rennen einmal, zweimal die Woche zu unserem untherapierbaren Therapeuten, machen ihn, als hätten wir nicht genug komplizierte Beziehungen, zu unserer Seelengeisel und wundern uns, dass trotzdem nichts besser wird. Außer, dass wir nach einem Jahr im Treatment dem Kindheitsleid nicht einmal mehr metaphysische Bedeutung abgewinnen können."
Die dritte Gemeinsamkeit aller Romanfiguren:
"Wir sind alle nicht in Ordnung. Aber wo das alles herkommt, könnte ich vielleicht in dem letzten Teil vorlesen."
Der letzte Teil: das Schicksal derjenigen, die den Holocaust überlebt haben. Lakonisch, mit feinen Dosen Galgenhumor erzählt Biller die letzten Wochen der Juden von Buczacz in der Ukraine. Und er liest so, als sei das der einzige Weg, vom Morden zu erzählen. Wie sagt Maxim Biller irgendwann an diesem Abend?
"Kunst und Literatur handeln für mich immer davon, wie schrecklich und wie gleichzeitig schön das Leben ist, und dass gar keinen Sinn hat."
Darauf einen Wodka. L'Chaim! Auf das Leben!
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