Meditation im Klassenzimmer
Rund 300.000 Buddhisten leben in der Bundesrepublik. Auch deren Kinder wollen im Schulunterricht berücksichtigt werden. Für sie bieten einige Schulen nun buddhistischen Religionsunterricht an.
Montagmorgen in der Sophie-Scholl-Oberschule Berlin. Die Schüler des Philosophie-Kurses sitzen im Kreis. Die einen haben die Hände auf den Knien, die anderen halten sie ineinandergelegt vor dem Bauch.
"Zur Ruhe finden: In der Schule und am Arbeitsplatz sind wir oft gestresst."
In der Mitte des Kreises glimmt ein Räucherstäbchen während eine Stimme von der CD Anweisungen gibt, wie sich die Abiturienten auf ihren Atem konzentrieren sollen:
"Schließe nun sanft deine Augen, achte zunächst auf deinen Körper, darauf, wie du ein und ausatmest. Stell dir vor, du atmest direkt in deine Mitte, dort, wo dein Herz sitzt!"
Die Meditation dauert sieben Minuten, dann schlägt der Meditationsleiter Gerhard Weil wieder die Klangschale.
"Ja, schönen Dank, Sie können sich wieder ein bisschen lockern, notfalls auch mal aufstehen vielleicht noch mal."
Nachdem sich die Schüler gestreckt haben, will Gerhard Weil wissen, wie es ihnen mit der Atem-Mediation ging.
"Das ist eigentlich das, was mir am schwierigsten fällt, das alles rundherum auszublenden, so im Jetzt zu bleiben und sich auf diesen Atem zu konzentrieren, das finde ich eigentlich so das Schwierigste."
"Aber ich finde, wenn man das dann geschafft hat, ist dann schon echt ein total angenehmes Gefühl."
"Aber ich schaff das nicht, ich schweife dann immer ab, ich krieg das nicht hin."
"Das ist aber ganz üblich, das ist das Anfangsproblem, ganz klar, das ist auch überhaupt nicht schlimm, der Geist, der marschiert immer rum, auch wenn Sie zum Beispiel beim Einschlafen oder morgens wach liegen oder so, und marschiert durch alle möglichen Ecken und wieder zurück und so weiter, und das muss man schulen."
Das Leben ist durch Leid geprägt
Gerhard Weil ist geschult in dieser Frage. Der bekennende Buddhist war lange Lehrer, inzwischen ist er pensioniert, doch bei Interesse kommt er nach wie vor gern in den Ethik- oder Philosophieunterricht, um den Buddhismus vorzustellen. In dessen Zentrum steht die Einsicht, dass das Leben durch Leid geprägt ist, das es zu überwinden gilt. Als Weg dorthin hat Buddha den Edlen Achtfachen Pfad entwickelt, zu dem auch die Einübung von Achtsamkeit durch die Meditation gehört. Anders als in den monotheistischen Religionen, betont Weil, stehe hinter Buddha und dem Buddhismus allerdings kein allmächtiger Gott.
"Er hat seine Lehre verbreitet, und die Lehre bedeutet: du musst selbst in der Auseinandersetzung mit dem Leben und deinen Mit-Lebewesen, das ist ganz wichtig, also nicht bloß den Mit-Menschen, sondern allen Lebewesen, deinen Weg zur Überwindung des Leids selbst finden, das musst du alleine mit dir machen, da hilft dir keiner, auch nicht Buddha, der ist weg."
Die Doppelstunde Philosophie vergeht im Flug, keiner der Schüler scheint gelangweilt. Vor allem zwei Punkte hätten sie angesprochen, betont die 18-jährige Satu Soininen: Zum einen, dass es im Buddhismus keinen Gott gebe, der irgendwie über den Menschen stehe, und zum anderen die Meditation.
"Ich kann mir vorstellen, dass ich das jetzt vielleicht auch öfter mal zwischendurch mache, um ein bisschen runterzukommen und auch mir bewusster zu werden über verschiedene Sachen, wie er auch gesagt hat, dass man diese Achtsamkeit übt, dass man sich auf eine Sache konzentriert. Ich glaube, das ist gerade ganz wichtig, weil man ja ständig irgendwie so viel um sich rum hat, sich einfach mal auf eine Sache zu konzentrieren."
Sich auf eine Sache konzentrieren. Das will auch Renate Noack vermitteln. Die pensionierte Lehrerin ist seit 30 Jahren Buddhistin und die einzige Lehrerin, die in Berlin buddhistischen Religionsunterricht anbietet – an einer einzigen Schule in Berlin, der Schinkel-Grundschule in Charlottenburg. Zehn bis 15 Kinder der Klassen eins bis sechs kommen jeden Montag in den Unterricht, der mit einer Meditation auf Sitzkissen beginnt.
"Danach lese ich aus einem Bilderbuch, denn alle können ja noch nicht lesen. Also die noch nicht lesen können, können sich dann die Bildchen anschauen, und die anderen lesen mit verteilten Rollen über Buddhas Leben: Also der kleine Siddharta, wie er geboren wurde, und wie er aufwuchs im Palast und dann die Familie verlässt und der Vater ganz traurig ist, dass der Sohn da weggeht, aber der Sohn meint halt, eine höhere Aufgabe zu haben als König zu werden und seine Familie zu ernähren. Also er will die Erleuchtung erlangen."
Neugier auf ein ungewohntes Fach
Wie der christliche und muslimische Religionsunterricht ist auch der buddhistische in Berlin kein Wahlpflichtfach, sondern ein Angebot der Religionsgemeinschaften und wird nach einem von diesen verantworteten Rahmenlehrplan unterrichtet. Er orientiert sich an dem, was im Buddhismus die drei Juwelen genannt wird: Buddha, Dharma, und Sangha, die Gemeinschaft.
"Die Lebensgeschichte des Buddha, das kann man ja unterschiedlich erklären, diese Suche nach der Wahrheit oder nach der Freiheit, dann Dharma, also seine Lehre, grundsätzlich eben leben wir mit Problemen, das kann man auch Kindern erklären, kleinen Kindern, die wissen das schon, dass ständig irgendwelche Unzufriedenheiten da sind, die man aber selber überwinden kann, und dazu gehört natürlich auch die Praxis, die Meditation, mit der Achtsamkeit usw. Das ist ja ein Teil dieser Übung, dass man eben aus dem Leiden oder aus den Problemen herauskommt."
Die meisten Kinder, die den buddhistischen Religionsunterricht besuchen, haben übrigens keine buddhistischen Eltern. Sie sind schlicht neugierig auf das ungewohnte Fach. Ob sie später Buddhisten werden, ist für Noack nicht das Entscheidende. Viel wichtiger sei, dass sie Achtsamkeit und damit sich selbst besser kennenlernen.