Heldenmythos und Weltuntergang
Gängiges Motiv in rechtsextremen Erzählungen ist die Beschreibung der Gegenwart als düstere Zeit. Aus der Krise bezieht sie die Legitimation für ihr konkretes politisches Handeln. © Getty Images / Westend61
Erzählerische Narrative der Neuen Rechten
Romane spielen in der Neuen Rechten seit jeher eine große Rolle. Ein Blick auf viel rezipierte Bücher zeigt, welche Narrative bei ihnen immer wieder auftauchen.
Während die AfD in den sozialen Medien - und insbesondere bei TikTok - aktiv ist, arbeiten Akteure der Neuen Rechten im Hintergrund an Theorien und Strategien. Das ist kein neues Phänomen. Es ist eine seit Jahren eingeübte Symbiose. Doch neben Abhandlungen zur Geschichte und Weltanschauung rechten Denkens spielen auch Romane eine große Rolle bei der Neuen Rechten - zumindest in ihrem Selbstverständnis.
In Formaten wie der Youtube-Gesprächsrunde „Aufgeblättert. Zugeschlagen – Mit Rechten lesen“ des Antaios Verlags und des Kulturhauses Loschwitz oder dem Podcast „Von rechts gelesen“ des Jungeuropa Verlags versuchen Rechtsextremisten, den Anschein einer intellektuellen Lesekultur zu kultivieren.
Wie neu sind die Narrative der Neuen Rechten?
Betrachtet man die Romane, die derzeit in der rechten Szene kursieren, wird schnell deutlich, welche Erzählmuster immer wiederkehren – und an welchen neuen Erzählungen sich die Szene versucht. Die Neue Rechte gilt innerhalb der extremen Rechten als intellektuelle Strömung, die vor allem kulturell Einfluss nehmen will. Das Lesen spielt in der Szene eine besonders identitätsstiftende Rolle. Von großer Literatur kann aber keine Rede sein: Die Texte sind ästhetisch meist nicht besonders innovativ, man könnte fast sagen: langweilig. Dicke Bücher über Freikorpskämpfe, glorifizierende Memoiren von NS-Tätern, politische Pamphlete, hauchdünn verpackt in Erzählungen.
Dass die unter Rechten verbreitete Belletristik für Außenstehende meist wenig ansprechend war, verwundert nicht, folgt man dem Soziologen Felix Schilk. In einer umfassenden Studie mit dem Titel „Die Erzählgemeinschaft der Neuen Rechten“ hat er herausgearbeitet, dass in der Szene drei Erzählungen immer wieder auftauchen.
Sie sind allesamt nicht neu, sondern waren - und sind - als Deutungsmuster auch bei vielen Konservativen beliebt. Er nennt sie das Dekadenz-, Apokalypse-, und Entzweiungsnarrativ. Was er damit meint, wird deutlich, wenn man sich Neuerscheinungen anschaut, die in diesem Jahr bei der politischen Rechten auf Resonanz gestoßen sind.
Erste Erzählung: „Früher war alles besser“
Da ist zum Beispiel „Larissa“ von Hubert Gilbert, neu aufgelegt in der Romanreihe des vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften Antaios-Verlags. Das Buch erschien erstmals 1930 und erzählt von den Jahren unmittelbar davor. Der deutsch-schlesische Autor Gilbert spinnt darin ein verworrenes Netz aus knallhartem Nationalismus und der Faszination für das bolschewistische Projekt in der noch jungen Sowjetunion. „Larissa“ erzählt von einem getriebenen Protagonisten, der von einer dekadenten, untergehenden Welt umgeben ist.
Der Roman bedient sich plumper antisemitischer Stereotype: Der Chef der Komintern wird als „jüdischer Typ“ bezeichnet, ebenso die beiden Geheimpolizisten, die ihn verhören – sie sprechen „jiddisch miteinander“. Auch die Intriganten der Weimarer Republik sind Juden. Frauen erscheinen meist nur als dummes Beiwerk, als sexuell verfügbare Lustbefriediger oder, im Fall der eigentlich faszinierenden Larissa Werner/Reisner, als Klischee der verführerischen Hexe.
Die Erzählung ist letztlich einfach: Während die Welt schlecht ist, gibt es einen Mann, der ihren Gefahren und Verlockungen trotzt. Es ist die Erzählung einer vermeintlich heroischen Zeit, in der ein solcher Einzelner noch das Schicksal von Völkern und Nationen bestimmen konnte.
Diese Sichtweise prägt das Weltbild der Neuen Rechten bis heute. Zwar sei die Welt dekadent, verkommen und ziellos, aber gerade solche Zeiten würden wieder starke Männer hervorbringen. Die Opfer dieser starken Männer kommen allerdings nicht vor.
Zweite Erzählung: „Die Welt geht unter“
Neben der Figur des starken Mannes findet sich häufig das, was der Soziologe Schilk das „apokalyptische“ Narrativ nennt. Kurz gesagt: Die Welt ist nicht nur aus den Fugen geraten, sondern steht kurz vor dem Untergang.
Ein Beispiel für dieses Narrativ ist das Buch „Auslöschung“ des Schweizer Kommunikationsberaters Guiseppe Gracia. Das Buch, das auch Antaios-Verleger Götz Kubitschek als „unbedingte Leseempfehlung“ verkauft, handelt von einem Terroranschlag einer islamistischen Gruppe. Die Gewaltszenen bei einer Kulturveranstaltung in Berlin werden in drastischen Worten geschildert, eine gewisse Lust an der Barbarei kann der Autor nicht verbergen.
Auch das Narrativ der Dekadenz findet sich in diesem Buch: Die Opfer sind Journalisten, Schauspieler, Intendanten oder Schriftsteller. Für sie hat der Autor nur Verachtung übrig, schließlich haben sie alle der islamistischen Gewalt nichts entgegenzusetzen.
Schließlich plädiert Gracia für eine Heilserzählung, in der das Christentum wieder Erlösung bringen soll. Damit knüpft er an die biblische Apokalypse an - eine christliche Erzählung, die auch heute noch jenen Zuflucht bietet, die den Zumutungen der Moderne entfliehen wollen. Literarisch interessant ist das nicht. Die für rechtes Denken seit jeher konstitutive Krisenerzählung wird hier lediglich in eine neue Hülle verpackt.
Dritte Erzählung: „Die Welt macht keinen Sinn mehr“
Dass neue Hüllen durchaus interessant sein können, zeigt ein Roman, der vor allem online viel Aufmerksamkeit erregte: „Schizoid Man“ des 22-jährigen Sebastian Schwaerzel. Der Roman wurde in Szene-Podcasts, -Zeitschriften und YouTube-Kanälen besprochen.
Der Inhalt ist schnell zusammengefasst: „Schizoid Man“ erzählt die Geschichte eines von Selbstoptimierung besessenen jungen Mannes, der in eine Spirale aus Nihilismus und Gewaltfantasien gerät. Der Protagonist bewegt sich durch eine Welt, die er als sinnlos und feindlich empfindet. Besessenes Krafttraining, Hass auf seine Mitmenschen und Hass auf sich selbst bestimmen seinen Alltag.
Die grundlegende Erzählung lässt sich dem „Narrativ der Entzweiung“ zuordnen. Entzweiung bedeutet, dass es einen Zustand gab, in dem die Welt noch heil war, in der Moderne hingegen hat sich der Mensch von seiner Umwelt und seinen Mitmenschen entfremdet. Ein Narrativ, das auch in der linken Kulturkritik, etwa in der Tradition der Kritischen Theorie, geläufig ist. Dort gilt Entfremdung zumeist als notwendiger Preis für Emanzipationsfortschritte. Dieses emanzipatorische Potential fehlt in der rechten literarischen Umsetzung völlig.
Stattdessen schwingt in „Schizoid Man“ immer eine latente Gewaltbereitschaft mit. Politisch lässt sich diese jedoch nicht direkt verorten. Auch wenn sich der Protagonist selbst als „Faschist“ bezeichnet und sich später sogar ein Hakenkreuz in die Stirn ritzt, geht diese politische Symbolik an keiner Stelle über das Spiel mit gesellschaftlich geächteten Symbolen hinaus. Es geht darum, mit Tabus zu spielen, nicht um eine kohärente politische Aussage.
Immer wieder macht der Autor deutlich, dass sich keines dieser Worte und Symbole für ihn mit einer politischen Haltung verbindet. Es geht nur darum, welche Symbole schockieren. Auch der Versuch, zum Selbstmordattentäter zu werden, ist letztlich nichts anderes: ein postmodernes Spiel mit Zeichen, bei dem es nicht um den politischen Inhalt geht, sondern nur um die Reaktion, die die Worte hervorrufen.
Entsprechend kritisch wird das Werk innerhalb der Neuen Rechten trotz aller Popularität beäugt. Zum Beispiel auf dem YouTube-Kanal von „degeneratiod“, einem bekennenden AfD-Wähler. Er kritisiert: „Der Protagonist bleibt am Ende des Tages nur ein narzisstischer, in der Zoomer-Generation verlorener Identitätsloser, der zwar Gefallen am faschistischen Stil und der dahinterliegenden Ästhetik empfindet, mit dem historischen Faschismus aber rein gar nichts am Hut hat.“
Wozu braucht die Rechte Romane?
Die Rolle der Belletristik in der Neuen Rechten zeigt sich anhand des Buchs „Schizoid Man“ deutlich. Der Protagonist ist selbst nicht gefestigt in rechter Ideologie, aber darauf kommt es nicht an. Denn es geht nicht in erster Linie darum, ein konkretes politisches Angebot zu machen. Wichtiger ist es, die Grunderzählungen der Konservativen auf verschiedene, auch aktualisierende Weise zu variieren. Und die Leser dabei emotional anzusprechen.
Für die Neue Rechte ist die Welt in einem andauernden Krisenzustand. Daraus bezieht sie die Legitimation für ihr konkretes politisches Handeln. Wenn die dekadente Welt aus den Fugen gerät, rechtfertigt das ein beherztes, notfalls auch brutales Eingreifen ihrer Protagonisten. Wie dieses Eingreifen genau aussieht, das erzählen die Romane nicht unbedingt. Dafür gibt es theoretische Schriften, Strategietreffen, Sommerakademien. Für die Neue Rechte ist es also konstitutiv, die alternative Ordnungserzählung nur latent zu halten.
Die eigentliche Ordnung, die die Neue Rechte anstrebt, bleibt vage. Vielmehr kommt es darauf an, die bestehende Ordnung zu delegitimieren – und genau das leisten die immer gleichen Narrative.