Bücher über den Aufbruch ins Unbekannte

    Von Gereiztheit und Hoffnung

    Amel Karboul auf der Buchmesse in Leipzig
    Amel Karboul © Deutschlandradio / Margarete Huch
    Von Margarete Hucht |
    Warum hassen sich alle? Wie geht es politisch weiter? Welches Land wollen wir? Auf der Buchmesse in Leipzig geht es nicht nur ums Umdenken, sondern auch ums "Umfühlen" – um eine neue emotionale Basis der Gesellschaft.
    Im Christoph Links Verlag ist ein kleines Buch erschienen, das man eigentlich bei Herder vermuten würde. Es ist mit dem schlichten Titel "Hoffen" überschrieben. Verfasst hat es die NZZ-Journalistin Kathrin Klette, die - wie sie sagt - ein existenzielles Lebensgefühl erkunden wollte.
    Ein erstaunliches Projekt.
    Klette trifft Menschen, von denen sie glaubt, dass Hoffnung in deren Leben eine Triebfeder sei. Darunter ist Sarah Schätzl, eine junge Frau aus Donauwörth, ein RTL-Sternchen, das seinen Traum von einer Hollywood-Karriere zumindest halb verwirklicht. Oder eine an Krebs Erkrankte, die hoffnungsfroh durch die unbestimmte Leidenszeit geht und Dinge tut, die zuvor nicht möglich gewesen wären. Auch eine Geliebte wird porträtiert: Sie wacht verkatert auf, als die Affäre sich schließlich zu ihr bekennt.
    Klette arbeitet streng journalistisch, will zum Nachdenken anregen, hat keinen (!) Ratgeber verfasst. Neben den Porträts gibt es Interviews mit Psychologen und Therapeuten, die dem Leser / der Leserin Anstöße geben, das tief vergrabene Gefühl des Hoffens - des Getragen-Seins in der Zeit - in sich selbst zu rekonstruieren.

    Deutschland - ein Land der "Gereizten"

    Dieses kleine Buch, könnte man meinem, steht in Zusammenhang mit einem, dem auf der Buchmesse sehr viel größerer Raum gegeben wird. Es ist das Buch "Über die Macht von Stimmungen" des Soziologen Heinz Bude.
    Bude denkt darüber nach, wie es in Deutschland nach fast zwei Jahrzehnten des Neoliberalismus nun weitergehen könnte. Noch nie sei die Stimmung so gereizt gewesen, sagt er. Und man stimmt ihm ungefragt zu.
    Bude hält das für eine Folge der Jahre, in denen wir ständig aufgerufen wurden, unser "starkes Ich" gegen die anderen in Sicherheit bringen. (So seine Umschreibung der neoliberalen Ära.) Und er mahnt zur Solidarität. Hass sei gesellschaftsfähig geworden, weil er sehr wirksam das eigene - von Verbitterung geprägte - Selbstwertgefühl steigere. Ein Irrweg.
    Bude ruft uns auf, wieder an "eine Zukunft der kollektiven Verständigung" zu glauben. Nichts sei aktuell wichtiger, als unsere demokratische Handlungsfähigkeit unter Teilhabe aller Milieus zurückgewinnen. "Hoffen - ohne Optimismus", empfiehlt er dazu als zeitgemäßes Lebensgefühl für Menschenfreunde und Pragmatiker.
    Sahra Wagenknecht auf der Buchmesse in Leipzig
    Sahra Wagenknecht auf der Buchmesse in Leipzig© Deutschlandradio / Margarete Hucht

    Wagenknecht gegen die Gier

    Passend dazu beschäftigt sich die Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht in "Reichtum ohne Gier" mit Reparatur-Arbeiten am Kapitalismus, der - so hoffen wir mal - nicht das Ende der Geschichte ist.
    "Wir glauben, dass der Kapitalismus Leistungschancen eröffnet, aber das ist nicht wahr", sagt Wagenknecht und zieht damit die Zuschauer-Massen an die Bühnen.
    Sie redet viel, schnell, gereizt und technokratisch. Zum Beispiel möchte sie eine Wirtschaftsordnung ohne Aktien. Denn eine Aktiengesellschaft wolle ausschließlich Geld vermehren. Extreme Renditeausrichtung sei aber letztlich innovationsfeindlich."
    Auch Wirtschaftsmacht, muss begrenzt werden, mahnt Wagenknecht. "Die Mächtigen müssen Macht teilen." Doch wenn man ihr zuhört, naht der Kopfschmerz.
    Kopfschmerz, na klar, Veränderungen tuen nun mal weh.

    Macht begrenzen – notfalls auf dem Sofa

    Macht begrenzen, das ist auch dort das zentrale Stichwort, wo der bekannte Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck mit seinem Buch "Mit Recht gegen die Macht" auf dem Sofa sitzt.
    Kaleck will unterbinden, dass Politiker und Unternehmen über Leichen gehen. Kaleck nutzt dazu die Hebel der nationalen und internationalen Rechtsprechung, um über Staatsgrenzen hinweg Menschenrecht einzufordern. Mehrmals hat er beispielsweise Klage gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen der Folterungen in Gefängnissen im Irak eingereicht. Aktuell bereitet er, gemeinsam mit vielen lokalen Anwälten und Aktivisten, eine Klage gegen den Mode-Discounter KIK mit vor.
    Wolfgang Kaleck auf der Buchmesse in Leipzig
    Wolfgang Kalek © Deutschlandradio / Maragrete Hucht

    Bei den Drogenkartellen Führung lernen

    Weil der alternde Pop-Literat Benjamin von Stuckrad-Barre ("Panikherz") seinen Auftritt abgesagt hatte, rutschte Amel Karboul ins Programm. Die studierte Maschinenbauerin arbeitete für Daimler-Benz in Südafrika oder die Boston Consulting Group, wurde schließlich Ministerin für Tourismus in Tunesien und hat heute eine Unternehmensberatung für "Change Management".
    In ihrem Buch "Coffin Corner – Warum die besten Firmen abstürzen können" analysiert sie Führungsstile und ist sich sicher: Die alten Haudegen, die John Waynes und Patriarchen, haben ausgedient. Die Welt sei einfach zu komplex und dynamisch geworden. Mit autoritären Ansagen komme niemand mehr weiter.
    Stattdessen appelliert sie an die Führungsstärke jedes Einzelnen: "Führung passiert überall im Unternehmen oder in einer Gesellschaft. Jeder ist dafür verantwortlich, dass es weitergeht." Es brauche keine Helden, sondern Netzwerker.
    Lernen könne man das – aufgepasst! – bei den Drogenkartellen oder sogar beim IS. Denn diese Organisationen hätten nicht den einen Chef, der über allem throne, sondern mehrere Hubs, Knotenpunkte, sie funktionierten also wie das Internet. Falle der eine Knoten im Netz aus, dann gebe es ein anderen.
    Karboul will uns abgewöhnen, zu denken, dass sich Kausalitäten und Hoffnungen erfüllen, nur weil wir dies prognostizieren. "Ich kann nicht erwarten, dass b kommt, wenn ich a mache." Und sie empfiehlt, Probleme und Fragestellungen aus vielen verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
    Ihr Schluss über eine Führungskultur, die uns weiterbringt, ist eine Re-Formulierung dessen, was man oft auf der Messe hörte: Macht muss neu verteilt werden – oder, wie Karboul sagt:
    "Um Kontrolle in dieser Welt zu behalten, muss ich Kontrolle abgeben."
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