Marina Benjamin: "Zwischenzeiten. Vom Verstehen der Wechseljahre"
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Längsfeld
Arche/ Zürich-Hamburg 2020
288 Seiten, 22 Euro
Es gibt nichts zu verstecken!
06:49 Minuten
Marina Benjamin und Sheila de Liz haben Bücher über die Wechseljahre geschrieben. Beide fallen sehr unterschiedlich aus. Spannend, informativ und wichtig sind sie beide - und eins davon ist sogar schon ein Bestseller.
Marina Benjamin und Sheila de Liz heißen die Autorinnen. Die eine ist Schriftstellerin, die andere Gynäkologin. Beide wollen Leerstellen füllen. Frauen, die sich in der Mitte ihres Lebens mit Hitzewallungen, Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen, Schlaflosigkeit, Wortfindungsstörungen, Scheidentrockenheit, Inkontinenz und Hauterschlaffung konfrontiert sehen, sollen verstehen, was mit ihnen passiert.
Sie sollen mündig werden. Ihren Körper nicht länger verstecken und lernen, was für ein Leben sie nach dem Ende der Fruchtbarkeit erwartet.
Benjamin erzählt ihre eigene Geschichte
Die Britin Marina Benjamin erzählt ihre eigene Geschichte, davon wie es sich anfühlte, als sie nach einer Hysterektomie, einer Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke, von jetzt auf sofort in hohem Bogen in die Perimenopause katapultiert wurde.
Einem Schock gleich erzählt sie von Verlust, Trauer und Angst. "Das Älterwerden", schreibt die heute 56-jährige, "trifft uns wie eine Schlag in die Magengrube und krempelt uns vollkommen um."
Protokoll des Innenlebens
Benjamin erstellt dazu ein Protokoll ihres Innenlebens. Aber sie will auch Kompass sein und die Lücke schließen: Ihr selbst fehlten die schriftlichen Berichte darüber, wie es sich anfühlt in der Lebensmitte anzukommen. Einzige Zeuginnen sind ihr Simone de Beauvoir, die französische Autorin Colette und die amerikanische Medizinerin Christiane Northrup. An sie will die Engländerin anknüpfen und sich an ihnen abarbeiten.
Vor allem an Dr. Northrup, deren radikale Ermunterung, dass Frauen nach der Menopause ihr Leben mit neuer Energie und Klarsicht gestalten sollen, missfällt ihr: zu viele Verallgemeinerungen, zu viel Aufwiegelei. Und so wählt Benjamin den entgegengesetzten Weg.
Verlust und Abschied
Gekonnt mäandert sie durch ihre eigene Gefühlswelt, in der Verlust und Abschied vorherrschen. Zurückgeworfen auf den eigenen körperlichen Verfall, erzählt sie vom Tod des Vaters, dem der besten Freundin, aber auch davon, wie gekonnt ihre über 80-jährige Mutter das Leben meistert und wie ihre pubertierende Tochter dem Leben munter entgegenspringt. Immer mit der Frage verbunden: Wo stehe ich?
Vermengt ist diese berührende Innenschau mit großem Sachwissen. Gynäkologisches und kulturhistorisches Wissen, Exkurse in die Medizingeschichte der Hormonersatztherapie und Theorien des Scientific Management, wonach Jugend und Produktivität im Gegensatz zu nachlassender Effizienz in der Lebensmitte stehen, all das fließt in den Text wunderbar stimmig ein.
Herausgekommen ist ein kluges, ein wichtiges Buch – und dennoch eins, das eine Art innerlich-reife Abkehr zelebriert, an deren Ende die weise ältere Frau steht.
Vaginale Gesundheitsvorsorge auf dem Stand der 50er
Ganz anders Sheila de Liz. Die Gynäkologin gleicht einem Feuerwerk. Dynamisch und wortreich ermutigt sie Frauen, ihren Körper bis ins Kleinste kennen zu lernen. Tabus gibt es keine. Dafür jede Menge an Wissen darüber, was im Frauenkörper, wann und wo passiert. Wofür Östrogen, Progesteron und Testosteron gut sind und wie es sich anfühlt, wenn sich der Hormonhaushalt ändert. Und vor allem, was man tun kann.
"Das Bild von der Perimenopause ist hoffnungslos veraltet", schreibt Sheila de Liz. Passend dazu stehe die vaginale Gesundheitsvorsorge auf dem Stand der 50er-Jahre. So sehen die Frauenärztinnen die durch Östrogenmangel verursachten Veränderungen an der Vagina zwar lange bevor das den Frauen Probleme verursacht. Doch nur die wenigsten klären darüber auf.
Den Preis dafür bezahlen die Frauen.
Keine Frau muss da durch!
Damit das aufhört, schreibt die gebürtige Amerikanerin unterhaltsam und leicht verständlich über vulvavaginale Atrophie, über Inkontinenz, Knochendichte, Bauchfett und Libidoverlust. Immer unter dem Credo: Keine Frau muss da "durch"!
Anders als Benjamin begegnet Sheila de Liz Trauer und Abschied mit einer wohltuenden Portion Optimismus und Aufmunterung. Dabei leugnet die Ärztin keinesfalls, dass es während der Wechseljahre Umbrüche gibt. Sie will Frauen aber ermächtigen, selbst zu entscheiden, was sie wollen und was nicht, womit sie sich abfinden wollen und womit nicht.
Bioidentische Hormone
Ganz offen wirbt Sheila de Liz so auch für die Therapie mit bioidentischen Hormonen. Diese, so schreibt sie, werden anders als die medizinischen Präparate, die hormonähnliche Wirkung haben, nicht mehr aus Stutenurin hergestellt.
Und auch wenn sie Vor- und Nachteile gegeneinander abwägt – und das tut sie ausführlich –, bleibt sie klare Befürworterin. Denn eine Scheide ohne Östrogen wird zu einer Wüste – und welche Frau will das schon?
Von der Körperkenntnis zur Emanzipation
Tatsächlich kommt dieses medizinische Aufklärungsbuch in Sachen Wechseljahre gut an. Schon jetzt steht es auf Platz 2 der Bestsellerliste des "Spiegel".
Zusammen zeigen diese Bücher, wie weit die Erfahrungswelt von Frauen in den Wechseljahre reicht. Und allein dafür gehört den Autorinnen großes Lob. Nein, mehr noch: die große Bühne. Denn erst wenn Frauen ihre Körper wirklich kennen, tabulos, erst dann fängt wahre Emanzipation an.
Sheila de Liz: "Woman on fire. Alles über die fabelhaften Wechseljahre"
Rowohlt Polaris/Hamburg 2020
287 Seiten, 16 Euro