Bücher unter Waffen

Von Susanne Mack |
Deutsche Soldaten wurden in den beiden Weltkriegen von der obersten Heeresleitung auch mit geistiger Nahrung ausgestattet. Sogenannte Schützengraben-Bücher sollten die Moral der Truppe hochhalten. Darunter findet sich nicht nur Kriegspropaganda, sondern auch Rilke und Goethe - in entsprechend zurechtgestutzten Editionen.
Roland Vogler-Wander: "Als ich nach Afghanistan gegangen bin, ich war selbst auch in Afghanistan im Einsatz, hat mir meine Frau das Buch 'Drachenläufer' mitgegeben."

Roland Vogler-Wander. Marine-Offizier im Einsatzführungskommando der Bundeswehr.

Roland Vogler-Wander: "Der 'Drachenläufer' ist Ein Buch über einen Jungen aus Afghanistan, der, sozusagen eine Familien-Saga, der in Afghanistan aufwächst."

Zitat aus "Drachenläufer":
"Alle waren sich einig, dass mein Vater, mein Baba, das schönste Haus im ganzen Wazir-Akbar-Khan-Viertel, einem neuen und wohlhabenden Stadtteil im Norden Kabuls, gebaut hatte. Ein breiter, von Rosenbüschen flankierter Weg führte zu dem geräumigen Haus mit den Marmorböden und den großen Fenstern. Mit Goldfäden durchwirkte Gobelins, die Baba in Kalkutta gekauft hatte, zierten die Wände. Ein kristallener Kronleuchter hing von der gewölbten Decke herab."

Roland Vogler-Wander: "Und dann flüchtet er mit seiner Familie, als die Russen Afghanistan besetzen, nach Amerika. Und kommt dann wieder zurück, um zu helfen in der Zeit der Taliban. Und erlebt dann seinen alten Freund als großen Taliban-Führer, und da gibt es halt diese Auseinandersetzung. Sehr spannend zu lesen."

"Trümmer und Bettler. Wohin ich auch sah. Die meisten waren noch Kinder, dünn und mit verhärmten Gesichtern. Einige saßen auf dem Schoß der verschleierten Mutter am Rande geschäftiger Straßenecken und riefen: 'Backschisch!'. Väter gab es nach den Kriegen nur noch wenige in Afghanistan."

Roland Vogler-Wander: "Kann ich sagen, ich hatte den 'Drachenläufer' mit im Tornister. Und ich war auch in Kabul. Und es war schon interessant, dieses Buch zu lesen und gleichzeitig diese Stadt, die ja so zerstört war dort, zu sehen. Das hat einen schon interessiert, auch für diese Menschen und diese Kultur, das fand ich schon sehr gut."

"Drachenläufer". Ein Roman des Afghanen Khaled Hosseini. Lektüre eines Offiziers der Bundeswehr im Einsatz am Hindukusch.

Es gab Zeiten, da packten deutsche Soldaten und Offiziere ganz andere Bücher in ihre Tornister.

"Lieb' Vaterland, magst ruhig sein, Lieb' Vaterland, magst ruhig sein ..."

August 1914. Mobilmachung im deutschen Kaiserreich.

"Wie ein Mann hat sich Deutschland erhoben, und freudig zieh'n die Söhne unseres Volkes hinaus, um in blutigen Schlachten deutsche Ehre und Deutsches Eigentum zu schützen. Wir wollen einstimmen in den Ruf: Unser geliebtes Regiment - Hurra ... Hurra ... Hurra ... " (Stimmengewirr, Gesang)

Wer die Bücher der deutschen Soldaten anno 1914 in Augenschein nehmen möchte, muss sich auf den Weg nach Leipzig machen. Zur Deutschen Nationalbibliothek.

Lothar Poethe: "Das ist eine Hebelschubanlage zur Unterbringung von Büchern. Wir stehen jetzt in einem der Magazine des Deutschen Buch- und Schriftmuseums,"

Lothar Poethe, Mitarbeiter der Generaldirektion.

"das sind die so genannten 'Schützengraben-Bücher' aus dem Verlag von Karl Siegismund in Berlin. Von 1915-1919 sind insgesamt 120 Titel erschienen. Mit einer Auflage von fast 14,5 Millionen Exemplaren. Und diese Bibliothek hat also solche Themen wie 'Unser Feind Russland', 'Unser Feind England', 'Unser Feind Frankreich' heißt ein Titel."

"'Viel Feind, viel Ehr'! Die Ehre ist umso größer, je gewaltiger und tüchtiger die Feinde sind. Und so wird denn dieser Krieg, den das deutsche Volk jetzt auszufechten hat, vielleicht der ehrenvollste sein, den es je geführt hat. Frankreich ist der Erbfeind, die Erklärung dazu hat ein französischer General gleich nach Königsgrätz in einem Gespräch mit Bismarck gegeben: 'Der gallische Hahn kann es nicht vertragen, dass ein anderer lauter kräht als er!'"

"Schützengraben-Buch" Nummer 4 von Berthold Otto. Erstausgabe 1915.

Die Erstürmung von Lüttich, Hörbild, 1915:
"Der Feind will uns den Weg nach Frankreich nicht frei machen, darum müssen wir ihn erkämpfen. Es steht auf Leben und Tod. Mit Gott Für König und Vaterland - marsch, marsch! - Hurra, Hurra!

Heil Dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands, heil Kaiser, Dir!"

Lothar Poethe: "Der Verlag Karl Siegismund ist ein Verlag, der sehr stark monarchistisch und den Militarismus unterstützend aktiv geworden ist. Alle Bereiche des Lebens werden aus der Sicht von hochrangigen Schriftstellern, Reichstagsabgeordneten, Historikern, Wirtschaftswissenschaftlern dargestellt im Sinne einer Gesamtmotivierung der Bevölkerung. Dafür ist diese 'Schützengrabenbücherei' gedacht.

Hier haben wir ein Beispiel: 'Frauendienst im Kriege'."

Ein Heftchen aus dem Jahre 1916. Die erste vaterländische Pflicht der deutschen Frau im Weltkrieg:

Lothar Poethe: "Natürlich immer für gute Laune im Hinterland sorgen!"

Aus "Frauendienst im Kriege":

"Der Krieg hat alle Unterschiede verwischt. Er hat die Frauen aus den verschiedensten Lebensverhältnissen, Reiche und Arme, in der Stadt oder auf dem Lande, Hausfrauen und Berufstätige, zu einer einzigen, einheitlich empfindenden Gemeinschaft verschmolzen. Viel stärker und bewusster als je zuvor fühlen wir Frauen, seit unsere Lieben ins Feld gezogen, seit plötzlich so viel von jeder verlangt wird, so schwere Lasten zu tragen sind - seitdem empfinden wir tiefer und inniger als je zuvor, dass auch wir Frauen dem Vaterland gehören!"

Und was waren des deutschen Landsers schöngeistige Begleiter, als er 1914 mit Begeisterung ins Feld gezogen ist? In kaum einem Sturmgepäck fehlte das Buch Nr.1 aus der Leipziger Insel-Bücherei, 1912 erschienen: "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christof Rilke". Mit ihm hatte sich ein bis dato unbekannter Dichter über Nacht einen Namen gemacht.

"Reiten, reiten, reiten. Durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten.
Und abends Wein. Leuchtend. In eisernen Hauben. Wein.
Oder Blut? Wer kann's unterscheiden."


Ein Text von Rainer Maria Rilke - dessen Verfasserschaft seinem Autor in späteren Jahren eher unangenehm gewesen ist. In einem Brief, den er Mitte der Zwanziger Jahre an einen Freund geschrieben hat, wundert sich Rilke

"wieso gerade diese so mangelhafte Leistung in Hunderttausenden von Exemplaren sich verbreiten konnte."

Über die kriegsbegeisternde Wirkung des "Cornet" hat sein Autor nie ein Wort verloren. Rilke war kein kriegerisches Naturell. Vater Joseph Rilke hatte für den Sohn eine Offizierslaufbahn avisiert, aber der junge Schöngeist flüchtete mit sechzehn Jahren aus der Militärschule. Die Atmosphäre dort hat ihn krank gemacht.

Nach der Hölle von Verdun mit über 600.000 Toten und Verletzten, dazu die Schlacht an der Somme, wo die Zahl der Opfer die Millionengrenze übersteigt, erlahmt die deutsche Kriegsbegeisterung allmählich. Zumal noch immer keine Entscheidung (geschweige denn ein Sieg) in Aussicht steht. Im "Steckrübenwinter" 1916/17 bleibt das vaterländische Pathos dann vollends auf der Strecke. Im folgenden Mai tritt der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vor den Reichstag.

"Meine Herren! Es ist genug! Jeder Mann mit Verantwortungsgefühl und Gewissen sollte sich die Frage vorlegen, ob es jetzt redlich wäre, immer neue Hunderttausende auf die Schlachtbank zu schicken. Für ein Ziel, ein Eroberungsziel, dass die erdrückende Mehrheit unseres Volkes gar nicht will und das überhaupt gar nicht erreicht werden kann. Ich wiederhole, meine Herren, was ich seit Jahren vertreten habe: Es wäre ein Glück für ganz Europa, wenn wir schnellstens einen Frieden der Verständigung haben könnten."

Selbst in den kaisertreuen "Schützengrabenbüchern", Jahrgang 1917, wirkt die Stimmung merklich ernüchtert.

Lothar Poethe: "Mit dem fortschreitenden Kriegsverlauf und dem ungünstigen Verlauf für Deutschland gibt's dann auch solche Titel wie 'Nebenerwerbsmöglichkeiten für Kriegsbeschädigte' ..."

"Dieses Büchlein verfolgt den Zweck, Kriegsbeschädigten, welchen die Geldrente das Rückgrat ihrer wirtschaftlichen Existenz ist, Mittel und Wege zu anständigem Nebenerwerb anzudeuten. Der größte Segen für den seelisch oft sehr gedrückten Invaliden liegt in der Arbeit. Wo die Kriegsverletzung die Rückkehr in den alten Beruf unmöglich macht, muss der Beruf gewechselt werden. Dieser Wechsel ist keineswegs immer ein Unglück, im Gegenteil, hat doch manch einer ohnehin einen verfehlten Beruf ergriffen."

"Wenn schon Sinn für Realitäten, dann mit Zweckoptimismus gepaart", so die Devise der "Schützengraben-Bücherei". Der Krieg sei längst nicht entschieden, einzig ein paar Sozialdemokraten wollten aufgeben; ergo: "Der neue Feind sitzt in der Heimat", befindet zumindest Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg in seiner Ansprache zur Lage der Nation im Oktober 1917.

"Deutschland steht im vierten Kriegsjahr militärisch und wirtschaftlich unerschüttert. Da Waffen und Hunger Deutschland nicht niederzwangen, griff der Feind zur Niedertracht. Er suchte, Zwietracht zu säen, das Volk von seinem Kaiser zu trennen. An der deutschen Treue sind seine Giftpfeile aber abgeprallt. So wird die Deutsche Eiche allen Stürmen trotzen. In ruhiger Zuversicht erwarten wir den Ausgang des Ringens. Der gerechte Gott ist mit uns. Ans Vaterland, ans teure schließ' Dich an, das halte fest mit Deinem ganzen Herzen. Hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft!"

Schiller, Wilhelm Tell. Der Generalfeldmarschall wie das preußische Offizierskorps geben sich zitierfreudig, was die deutschen Klassiker betrifft. Der Schöpfer der "Ode an die Freude" gilt als besonders wehrdiensttauglich. Vor allem liebt man Schillers "Reiterlied" aus dem ersten Teil der "Wallenstein"-Trilogie:

"Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist,
man sieht nur Herren und Knechte,
Die Falschheit herrschet, die Hinterlist,
Bei dem feigen Menschengeschlechte,
Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein, ist der freie Mann."


Schillers "Reiterlied" - ein Stück soldatischer Selbstmotivation in verzweifelter Lage.Auch die "Schützengraben-Bücher für das Deutsche Volk" werden im Frühjahr 1918 so genutzt. Da werden noch immer Titel verlegt, die den Krieg zu rechtfertigen suchen.

Lothar Poethe: "'Für welche Güter zog Deutschland 1914 sein Schwert?' von Friedrich Meinecke, ein bekannter und sehr hoch angesehener Historiker ..."

Zu spät. Am 9. November 1918 verkündet Philipp Scheidemann den Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches.

"Arbeiter und Soldaten!
Furchtbar waren die vier Kriegsjahre. Grauenhaft waren die Opfer, die das Volk an Gut und Blut hat bringen müssen. Der Krieg ist zu Ende, das Morden ist vorbei. Die Folgen des Krieges, Not und Elend werden noch viele Jahre auf uns lasten. Die Niederlage, die wir unter allen Umständen verhüten wollten, ist uns nicht erspart geblieben. Der Kaiser hat abgedankt, er und seine Freunde sind verschwunden. Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die Deutsche Republik!"

Lothar Poethe: "Und es ist von einer besonderen Ironie, dass die Ausgabe 120, das letzte dieser 'Schützengrabenbücher für das Deutsche Volk' den Titel trägt: 'Heitere Gedichte aus ernster Zeit'. Damit endet dann diese besondere Reihe, für die der Verleger übrigens das Eiserne Kreuz bekommen hat."

Gut Zwanzig Jahre später marschieren deutsche Soldaten in den nächsten Krieg.

Joseph Goebbels: "Denn wir waren der Überzeugung, dass der November 1918 nicht der Schlussstrich unter die Deutsche Geschichte sein könnte."

Joseph Goebbels. Eine Rede in Prag, 1940. - Auch diesmal ziehen eine Menge Bücher mit ins Feld. Im Auftrag des Propaganda-Ministeriums.

Joseph Goebbels: "Zwei Aufgaben insbesondere hat das deutsche Buch im Krieg zu erfüllen. Es zeigt dem deutschen Volke die gewaltigen Hintergründe des geschichtlichen Geschehens unserer Tage, und es spendet ihm Kraft und Entspannung in den schweren Wochen und Monaten des Krieges. Gerade darum ist das deutsche Buch zum wahren Eigentum des deutschen Soldaten an der Front geworden."

Lothar Poethe: "In diesem Magazinteil ist der Aufbewahrungsort der Sammlung 'Bühler', und wir haben hier etwa 2.200 Titel aus dem II. Weltkrieg."

Die "Deutsche Bücherei" in Leipzig, jetzt Deutsche Nationalbibliothek, bekam bei ihrer Gründung im Jahr 1912 den Auftrag, jedes Buch zu sammeln, das in deutscher Sprache gedruckt wird. Weltweit. Von jeder Schrift ein Exemplar. - Leider gibt es Lücken in der Sammlung, vor allem kriegsbedingte.

Lothar Poethe: "Denken Sie an die Luftangriffe ab '44, die auch hier in Leipzig dann viele Verlage getroffen haben. Und auch die Auslieferung. So dass dort also viele Exemplare verbrannt sind."

Deshalb hat die Nationalbibliothek neulich eine Sammlung "Frontbücher" angekauft aus den Jahren 1939-1945. Sie entstammt dem Nachlass des Historikers Hans-Eugen Bühler.

Lothar Poethe: "Es sind rund 2250 Einzelexemplare, also Titel, in dieser Sammlung. Das ist schon eine erhebliche Menge, da konnten wir doch unseren Bestand vervollständigen."

"Heimat des Blutes"
"Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann"
"Das Ende der eisernen Schar"
"Du mein Vaterland!"


Lothar Poethe hat festgestellt, die Titel zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ähneln verdächtig denen zu Anfang des Ersten.

Lothar Poethe: "Wirklich nationalsozialistisches Propaganda-Material. So etwa auch in dem Stil, Beschreibung der Kriegsgegner, ihrer Ressourcen und die Darlegung der angeblichen Überlegenheit der Deutschen Waffen, Kampftaktik und -strategie."

In einem "Führer durch Flandern und Nordfrankreich" heißt es:

"Dank seiner schicksalsvollen Vergangenheit und seiner hohen politischen Bedeutung gehört Nordfrankreich zu den wichtigsten Gebieten des westlichen Europa. Für uns Deutsche ist es zudem heiliger Boden, auf dem 1914-1918 unendlich viel deutsches Blut vergossen wurde, und auf dem 1940 die großen Entscheidungen fielen, die eine schnelle und siegreiche Beendigung des Westfeldzuges ermöglichten."

Lothar Poethe: "Es ist ja bekannt, dass eine ganze Reihe von Ausgaben der 'Frontbücher' in Druckereien in den besetzten Ländern gedruckt worden ist. Zum Beispiel, dass der Insel-Verlag in Paris eine Ausgabe von Rilkes 'Stundenbuch' hat drucken lassen, 1941 ..."

"O Herr, gib jedem seinen eignen Tod.
Das Sterben, das aus jedem Leben geht,
darin er (?) Liebe hatte, Sinn und Not."


Nach erfolgreichem Frankreich-Feldzugs startet das "Unternehmen Seelöwe". Die Wehrmacht rüstet zum Luftkrieg gegen England. Joseph Goebbels 1940:

"Also, wissen Sie, die Engländer, das sind zähe Hunde. Mit denen werden wir nicht so leicht fertig. Denn, nebenbei bemerkt, sind die Engländer ja auch Germanen! Und was das Zähe-Sein anbetrifft: Wir haben das sehr gerne, einmal mit einem zähen Gegner die Klinge zu kreuzen!" (Beifall)

"Unsre Flagge, und die wehet auf dem Maste,
Sie verkündet unsres Reiches Macht,
Denn wir fahren gegen Engeland!"


Das "Matrosenlied" von Hermann Löns. Es taugte schon im Ersten Krieg zur geistigen Mobilmachung gegen die Briten. Hermann Löns, Schriftsteller und Journalist, war im August 1914 als Kriegsfreiwilliger an die Westfront gezogen und ein paar Wochen später in der Champagne gefallen. Sein Roman "Der Wehrwolf" von 1910 avancierte zum nationalsozialistischen Bestseller.

"'Der Wehrwolf' ist ein Buch vom Totschlagen. Das Blutvergießen macht diesen gerechten Männern ganz offensichtlich nicht weniger Spaß als den Bösewichtern. Dreißig Jahre nach Löns Tod, am Ende des Zweiten Weltkriegs, wird man sein Buch dem letzten Aufgebot des Hitlerreiches, den Flak-Helfern und Hitlerjungen, zur Lektüre verordnen."

Der Schriftsteller Georg Klein in einem Artikel der "Frankfurter Rundschau".

1934 lässt Hitler Hermann Löns Gebeine in Frankreich ausgraben. Die Reichswehr bringt sie "heim ins Reich" und bestattet sie bei Walsrode in der Lüneburger Heide. Letzte Ehre für einen neuen Helden der Nation. Sein Grab wird zur nationalsozialistischen Pilgerstätte.

Nach zwei Kriegswintern in Russland und der Katastrophe von Stalingrad werden die Töne des Propagandaministers elegisch. Joseph Goebbels 1943:

Joseph Goebbels: "Es gibt ein sehr tiefes Wort von Hölderlin, das wir uns für diesen Krieg zu eigen machen müssen. Ein Wort, das sagt: 'Wer diese Welt gestalten will, der darf sie nicht genießen wollen'."

Friedrich Hölderlin galt schon 1914 als Heros der kriegsbegeisterten deutschen Jugend. Anlässlich des Dichters 100. Todestag im Juni 1943 wird unter Goebbels Schirmherrschaft eine Hölderlin-Gesellschaft gegründet. Die macht es sich zur Aufgabe,

"jedem deutschen Studenten ein Hölderlin-Brevier mit ins Feld zu geben."

Theodor Pfizer, Präsident der Gesellschaft, hat eine mehrbändige Feldausgabe im Blick. Dazu müsse man Hölderlins Texte zunächst einmal sichten. Mit dem Ziel

"einen zwar begrenzten, aber edlen und textlich einwandfreien 'Kriegs-Hölderlin' zu erhalten."

Lothar Poethe: "Wir haben hier eine Feldpostausgabe mit einer Auswahl von Gedichten von Hölderlin aus dem Verlag Hermann Böhlau in Weimar…"

Friedrich Hölderlin
Der Tod für's Vaterland

Denn die Gerechten schlagen wie Zauberer,
und ihre Vaterlandsgesänge
lähmen die Knie den Ehrlosen.

Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht
Ist unser! - Lebe droben, o Vaterland,
Und zähle nicht die Toten! Dir ist,
Liebes! nicht Einer zu viel gefallen.


Eines der meist zitierten Hölderlin-Gedichte der nationalsozialistischen Ära.

Der Dichter hatte es mit Blick auf den Kongress von Rastatt verfasst, dort wollte Napoleon die Abtretung der linksrheinischen Gebiete an Frankreich besiegeln. Hölderlin ist Patriot genug und träumt von einer Deutschen Republik, die Napoleons Eroberungsgelüsten Einhalt gebietet. "Der Tod für's Vaterland" ist eine Dichterphantasie. Von einem, der nie beim Militär gedient und niemals ein Schlachtfeld betreten hat. Die Nationalsozialisten haben sie umfunktioniert: zu einer Feldherrenrede.

Im gleichen Jahr wie das Gedicht "Der Tod fürs Vaterland" - 1799 - schreibt Hölderlin auch eine Ode an den Frieden.

"Komm du nun, du der heiligen Musen all und der Gestirne Liebling,
verjüngender, ersehnter Friede!
Komm. - Und gib ein Bleiben im Leben, ein Herz uns wieder."


Dieses Gedicht kommt in der Hölderlin-Feldausgabe des Böhlau Verlages nicht vor.

Wie schon im Ersten, so ändern sich auch im Zweiten Krieg mit den Jahren die Titel auf den Buchdeckeln.

Lothar Poethe: "Ja, also spätestens mit Stalingrad. Dass man also weiß, dass man mit solchen vordergründigen Propagandaschriften den Soldaten nicht mehr erreicht."

Heldenlieder. Und Phantasien von "Blut und Boden" vor Stalingrad, Belletristik und Unterhaltungsliteratur danach. Und ganz viel zum Trösten und Durchhalten - beim Vormarsch der russischen Truppen in Richtung Berlin.

Musik Zarah Leander: "Davon geht die Welt nicht unter, sieht man sie manchmal auch grau, einmal wird sie wieder bunter, einmal wird sie wieder himmelblau!"

Lothar Poethe: "Das kann man zum Beispiel an der Bücherreihe des OKW sehen, dass also dort die Unterhaltungsliteratur in den letzten Kriegsjahren völlig überwiegt. Es gibt dort keinen einzigen Titel, der vordergründig irgend etwa zur Kriegsbegeisterung beitragen soll. Es ist Unterhaltung, es ist Entspannung,"

Musik Zarah Leander: " ... davon geht die Welt nicht unter, die wird ja noch gebraucht. Davon geht die Welt nicht unter, die wird ja noch gebraucht."

Auch die Weimarer Klassik wird "zum Wehrdienst eingezogen". Lothar Poethe nimmt ein Buch aus dem Regal.

"Goethe. Die Feld-Ausgabe 1940. Es ist eine Auswahl mit einem Vorwort des Herausgebers."

"Das Deutsche Volk und ihm voran der deutsche Soldat steht im schwersten Entscheidungskampf seiner Geschichte. Diese Auswahl aus Goethes Werken, die ich nach Gutheißung des Oberkommandos der Wehrmacht hier für den Feldsoldaten herausgebe, will Goethes Ganzheit geben. Die Ganzheit eines Menschen, der bei aller Toleranz immer ein Mann von entschiedener Haltung, bei allem Weltbürgertum immer zuerst ein Deutscher, bei aller Zartheit des Gefühls immer und allzeit ein Kämpfer gewesen ist."

Das schmale Goethe-Bändchen ist mit einem Umschlag versehen. Rechts oben, gedruckt, das Wort "Feldpost". Darunter, handgeschrieben, eine Adresse:

Lothar Poethe: " An den Wachtmeister Rudolf Börsig, Feldpost-Nr. 26032."

Unter dem Absender - unleserlich geworden durch Dreck und Wasser, vielleicht aus einem Schützengraben - entziffert Lothar Poethe eine Nachricht an den Empfänger:

Lothar Poethe: "'Wann sehen wir uns einmal in Mannheim?' Und dann ... aha, hat er noch weiter geschrieben: 'Lassen Sie es sich gut gehen. Mit herzlichem Gruß'..."

... an die Front. Im Juni '43.

Lothar Poethe: "Auch das hier gibt es natürlich. Es gibt also Wehrmachts-Sprachführer. Hier einer: Deutsch-Russisch. Zum Preis von 30 Pfennig ist der vertrieben worden ... Also, ja ich bin hier zufällig auf einer Seite: 'Ich bin krank'. 'Ich bin verwundet'. 'Ich habe Durst'. 'Ich habe Hunger'. 'Ich spreche nicht russisch, ich spreche nur deutsch', 'Ihr seit gefangen, ihr seit umzingelt.'... ... ja ... das ist eine Anleitung, wie man diese Wörter aussprechen soll. In lateinischen Buchstaben: marschirowatj, djelatj, ... ..so dass also auch derjenige, der nicht kyrillisch lesen kann, zumindest diese Worte annähernd aussprechen kann. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass das jemand verstanden hat."

Musik Zarah Leander: "Davon geht die Welt nicht unter, sieht man sie manchmal auch grau, einmal wird sie wieder bunter, einmal wird sie wieder himmelblau!"

Die große Mehrzahl der Bücher, die zwischen 1939-1945 in Deutschland gedruckt werden, erscheinen im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht.

Lothar Poethe: "Die haben die so genannte 'Soldatenbücherei' mit etwa 140 Titeln verlegt. Und es gibt noch eine bezeichnende Reihe, die so genannten 'Tornister-Schriften' des OKW mit knapp 100 Titeln."

Der Historiker Hans-Eugen Bühler hat viele dieser Titel sammeln können und im Jahr 2002 ein Buch herausgegeben: "Der Frontbuchhandel 1939-1945" - mit ersten Forschungsergebnissen über die Inhalte der Bücher und über die Verlage, die im Auftrag der Wehrmacht gearbeitet haben.

Lothar Poethe: "Es gibt sehr viele Verlage im II. Weltkrieg, die in diesem Bereich sich betätigt haben. Er hat dann also festgestellt zum Beispiel, dass von Bertelsmann es mehrere Reihen gegeben hat von solchen Ausgaben, für die Waffen-SS und für die Polizei. Bertelsmann hat zur Untersuchung dieses Teils der Firmengeschichte eine unabhängige Gruppe beauftragt, entsprechende Untersuchungen anzustellen und das auch zu veröffentlichen, diese Untersuchungen liegen inzwischen vor."

Aber nicht nur Bertelsmann in Gütersloh hat kräftig für die Wehrmacht produziert.

Lothar Poethe: "Firmen wie Rütten und Löningh, der Insel-Verlag, Robert Langewiesche, Wellhagen und Klasing, Philipp Reclam junior, das Bibliographische Institut in Leipzig - das waren so diejenigen, die mit an der Spitze stehen von der Zahl der Titel.
Wenn man bedenkt, dass 1944 von den mehreren Tausend Verlagen, die es am Anfang 1933 gegeben hat, noch gut 200 existiert haben."

Die Mehrzahl der deutschen Verlage wurde während der NS-Zeit geschlossen. Von der Reichsschrifttumskammer im Auftrag des Propagandaministers. Überlebt hat nur, wer für "kriegswichtig" befunden wurde. Nur solche Firmen erhielten auch ein entsprechendes Papierkontingent.

Lothar Poethe: "Ja, ja. Und musste sich keinerlei Gedanken über den Absatz machen, das wurde ja von der Wehrmacht betrieben, das war unterm Strich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein gutes Geschäft! Das sind alles Forschungsfelder, an die man in nicht allzu ferner Zukunft mal gehen müsste. Ist ja auch ein sehr spannendes und zum Teil nicht ganz unproblematisches Gebiet, weil, es sind Firmen beteiligt, ja namhaft beteiligt, die es zum Teil heute noch gibt. Da gibt es noch viel zu tun."
Soldaten an der Front
Soldaten an der Front© AP Archiv
Joseph Goebbels, Propagandaminister der Nazis
Joseph Goebbels, Propagandaminister der Nazis© AP Archiv
Ein deutscher Panzer 1942 vor Stalingrad.
Ein deutscher Panzer 1942 vor Stalingrad.© AP Archiv