Patrick Hofmann: "Nagel im Himmel"
Penguin Verlag, München 2020
304 Seiten, 22 Euro
Andreas Schäfer empfiehlt "Nagel im Himmel" von Patrick Hofmann
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Der Schriftsteller Andreas Schäfer schenkt das Buch über ein mathematisch hochbegabtes Wunderkind einem befreundeten Dirigenten, weil der mit einer unersättlichen Wissbegierde ausgestattet ist.
Der Schriftsteller Andreas Schäfer schenkt das Buch über ein mathematisches Wunderkind einem befreundeten Dirigenten. In "Nagel im Himmel" geht es um die Grenzen des Verstehens und den hohen Preis des Andersseins.
Die Mutter macht sich nach der Geburt aus dem Staub, der gleichgültige Vater gibt das Kind in die Obhut der Großmutter. Oliver Seuß, im Jahr des Mauerfalls in Ostdeutschland geboren, wächst unter ziemlich lieblosen Umständen auf. Sein einziger Trost sind die Zahlen. Denn schnell zeigt sich – dieser Oliver ist ein mathematisches Genie mit einem Faible für Primzahlen.
"Nagel im Himmel" erzählt mitreißend und hautnah am Herzschlag und Denken seiner außergewöhnlichen Hauptfigur entlang vom Aufstieg eines Wunderkinds aus einfachen sächsischen Verhältnissen. Es geht um die rätselhafte Schönheit der Mathematik und um die Grenzen des Verstehens, um Triumph, sogar um Weltruhm – und um den hohen Einsamkeitspreis des Andersseins. Bis eines Tages die Physikerin Ina Olivers eng gezirkeltes Blickfeld betritt.
Eine Heldenreise
Das Feine und das Grobe, das akademisch Abstrakte und das derb Proletarische - Patrick Hofmann wechselt beeindruckend souverän Tonlagen und Milieus. Eben weilen wir auf einer Mathematik-Olympiade, im nächsten Moment hocken wir mit Spätpunks auf einem Sperrmüllsofa in einem besetzten Haus. Im Verlauf dieser Heldenreise stößt man auf einige kompliziert schillernde Formeln, doch es steht nie Fachwissen im Vordergrund, sondern Olivers Ringen, seine Verzweiflung, sein Immer-Wieder-Neu-Ansetzen-Müssen. Wie schafft man es, seiner Berufung zu folgen, ohne dabei den andren abhanden zu kommen? Diese Frage ist nicht nur für Genies relevant. Abgesehen davon enthält "Nagel im Himmel" die ungewöhnlichste und anrührendste Mutter-Sohn-Versöhnungsszene, die ich kenne.
Ich schenke dieses Buch einem befreundeten Dirigenten. Er ist mit einer unersättlichen Wissbegier auf nahezu alles ausgestattet und weilt gleichzeitig oft in seiner eigenen, hoch komplexen Welt. Ich denke, es könnte ihm gefallen.
Von Andreas Schäfer erschien zuletzt "Das Gartenzimmer".