Jakob Hein: Hypochonder leben länger und andere gute Nachrichten aus meiner psychiatrischen Praxis
Galiani Berlin 2020
240 Seiten. 20 Euro.
Katja Oskamp empfiehlt: "Hypochonder leben länger"
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Wie Jakob Hein hat auch die Beschenkte eine naturwissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen und sie wird sich an dem Buch freuen, weil es mit Liebe erzählt ist. Es zeigt, wie sich Menschen in sich selbst verkanten - und wie schön es ist, ihnen zu helfen.
Jakob Hein ist seit vielen Jahren ein erfolgreicher Schriftsteller; er übt seit ebenso vielen Jahren einen zweiten Beruf aus, den des Psychiaters. Zum ersten Mal in seinem bald 50-jährigen Leben führt er diese beiden Berufe nun in einem Buch zusammen: auf kluge und amüsante Weise schreibt der Schriftsteller über den Psychiater.
Zerpflückt Vorurteile gegen den Berufsstand des Psychiaters
Er erzählt von seinem Berufswunsch, den er schon sehr früh hatte, vom Medizinstudium, von seinen Jahren als Oberarzt in einem Berliner Krankenhaus, von seiner eigenen Praxis, die er als niedergelassener Arzt seit zehn Jahren betreibt. Er schildert die äußerst hartnäckigen Vorurteile, die über seinen Berufsstand im Umlauf sind und zerpflückt sie nicht ohne Genuss. Er widmet sich dem Verhältnis von Arzt und Patient, erklärt den Sinn und die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht, er philosophiert über den Begriff des sogenannten Normalen und singt ein Loblied auf den Placebo-Effekt.
Aus dem großen Erfahrungsschatz, den er in der Arbeit mit den Patienten angesammelt hat, destilliert er in erhellenden Aufsätzen und sehr lustigen Anekdoten jene Phänomene, die ihm im Praxisalltag immer wieder begegnen. Es geht um das Cocktailparty-Syndrom, den Dreiviertel-Wunsch oder darum, wie man ohne Blessuren von Magdeburg ans Mittelmeer kommt. Mit den analytischen Fähigkeiten des Naturwissenschaftlers und mit Liebe erzählt Jakob Hein davon, wie Menschen sich in sich selbst verkanten und davon, wie schön es ist, ihnen dabei zu helfen, ihre missliche Lage zu erkennen, zu lindern, nicht selten sogar zu beseitigen.
Verhaltensbiologin, die gerne von Nacktmullen erzählt
Ich schenke das Buch meiner Freundin Susanne. Sie hat, ganz ähnlich wie Jakob Hein, nach dem Abitur eine naturwissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen und ist Verhaltensbiologin geworden. Wenn ich ein Problem und davon schlechte Laune habe, hilft mir Susanne gern mit Vergleichen aus dem Tierreich; sie bevorzugt die Nacktmulle. Meistens ist das Problem danach schon viel kleiner.
Mit Susanne unternehme ich lange Spaziergänge, auf denen wir uns ausführlich über die Dinge des Lebens unterhalten, die Arbeit, die Liebe, das Älterwerden. Da wir unter allem möglichst wenig leiden wollen und über alles möglichst viel lachen, sind wir nicht nur potentielle Patientinnen für Jakob Hein, sondern auch die idealen Leserinnen seines wunderbaren Buchs.