Bücherherbst 2021
Der „Bücherherbst“ von Deutschlandfunk Kultur hat Tradition auf der Frankfurter Buchmesse und präsentiert die wichtigsten Bücher der Saison. © imago / fStop Images / Malte Müller
Neue Literatur für den Herbst
Drei Stunden, sechs Autorinnen und Autoren und ein Überblick über die Literatur der Herbstsaison: Florian Illies, Jenny Erpenbeck, Matthias Nawrat, Dilek Güngör, Julia Franck und Edgar Selge sprechen über ihre neuen Bücher und lesen daraus.
Im "Bücherherbst" stellt die Literaturredaktion von Deutschlandfunk Kultur während der Frankfurter Buchmesse ihre Favoriten in Lesung und Gespräch vor. Drei Stunden mit sechs Autorinnen und Autoren bieten einen Überblick über die wichtigen Bücher der Saison mit den unterschiedlichsten Tonlagen, Erzählweisen und Gattungen.
1. Liebesgeschichten als Epochenporträts: Florian Illies "Liebe in Zeiten des Hasses" und Jenny Erpenbeck "Kairos"
Ihre Bücher bringen uns in eine andere Zeit. Das eine in die untergehende DDR, das andere in die untergehende Weimarer Republik. Die Bücher von Jenny Erpenbeck und Florian Illies sind Epochenporträts, die die jeweilige Zeit über Liebesgeschichten erzählen.
Dreh- und Angelpunkt des Buches "Liebe in Zeiten des Hasses" von Florian Illies ist das Jahr 1933. Er hatte das Gefühl, sagt er, dass wir nur scheinbar etwas über die goldenen 20er- und die schrecklichen 30er-Jahre wissen. Er wollte erzählen, wovon die Menschen träumten, wonach sie sich sehnten in der Angst, die sie vor der nationalsozialistischen Gängelung, Vertreibung und Folterung hatten. Der Zugang über die Liebe erschien dem Bestsellerautor hier als eine Möglichkeit.
Auch Jenny Erpenbeck erzählt in ihrem Roman "Kairos" eine Liebesgeschichte. Sie beginnt in den letzten Jahren der DDR, im Sommer 1986. Eine junge Frau, 19 Jahre alt, und ein verheirateter Schriftsteller von Anfang 50 verlieben sich ineinander. "Kairos" verweist dabei nicht nur auf den magischen Moment in der Liebesbeziehung, sondern auch auf einen historischen Kipppunkt: "Der Mauerfall als Moment, wo noch andere Dinge möglich gewesen wären."
2. Mütter und Väter: Matthias Nawrat "Reise nach Maine" und Dilek Güngör "Vater und ich"
Einige Tage oder einen ganzen Urlaub lang mit Vater oder Mutter allein verbringen – das garantiert Konflikte. Dilek Güngör und Matthias Nawrat sprechen über ausgewanderte Eltern, erwachsene Kinder und welche Sprachlosigkeit zwischen den Generationen steht.
Matthias Nawrat sperrt seine Figuren in ein Auto. Zwei Wochen lang fahren die aus Polen nach Deutschland migrierte Mutter und ihr erwachsener Sohn durch die USA. "Reise nach Maine" blickt wie durch ein Brennglas auf ihre Beziehung. "Ich glaube, ich war auch einfach so weit, um meine Beziehung zu meiner eigenen Mutter und überhaupt die Beziehungen von Kindern zu Müttern aus meiner Perspektive zu schildern", sagt der 1979 in Polen geborene Autor.
In Dilek Güngörs autobiografisch grundiertem Roman "Vater und ich" fährt eine erwachsene Tochter für drei Tage ins Elternhaus zurück. Die überpräsente Mutter ist verreist. Nun ist Ipek mit ihrem Vater, der mit Anfang 20 aus der Türkei in die schwäbische Kleinstadt kam, allein und weiß nichts zu sagen. "Ipek hat all diese Gedanken in diesem Roman", erklärt Güngör, "und denkt sich: Ich müsste es eigentlich nur noch sagen! Aber sie schafft es nicht."
3. Radikal subjektiv: Julia Franck "Welten auseinander" und Edgar Selge "Hast du uns endlich gefunden"
Aus der eigenen Geschichte kann eindringliche Literatur werden. Wenn man sich der Erinnerung stellt. Julia Franck und Edgar Selge ist das gelungen. Sie erzählen radikal subjektiv und finden gerade darin Berührungspunkte.
Julia Franck hat ihre Familiengeschichte schon in mehreren Romanen verarbeitet. Doch nie stand sie wie in "Welten auseinander" selbst im Zentrum: "Es hat das Älterwerden gebraucht, den Mut und die Lust daran, eine Geschichte – die sich aus so vielen unterschiedlichen Perspektiven erzählen ließe – einmal in dieser Version, eingedenk all ihrer Brüche zu erzählen", sagt sie.
Für Edgar Selge beginnt das Schreiben mit der eigenen Geschichte. Er sah keine andere Möglichkeit: "Ich konnte mir das nicht aussuchen! Ich bin auch kein Schriftsteller, ich bin ein schreibender Schauspieler. Und ich habe sehr lange versucht, mir meine Kindheit nicht bewusst zu machen." In seinem literarischen Debüt "Hast du uns endlich gefunden" erzählt er von seiner Kindheit in den 50er- und 60er-Jahren im ostwestfälischen Herford. Der Vater ist dort Direktor der Jugendstrafvollzugsanstalt. Und gefangen fühlt sich auch Edgar zwischen Hauskonzerten und immer wieder: Schlägen.