Einem Autor sollte nichts peinlich sein
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Ob Headbangen im Schaukelstuhl oder Käsegeruch im Rauschebart – es sind auch Alltagsbeobachtungen, die Clemens J. Setz zu Literatur verarbeitet. Er spricht von einer "Art Formel der Literatur" – die einen Autor befreien wolle, aber nur zum Teil befreien könne.
Der österreichische Autor Clemens J. Setz bekommt den diesjährigen Georg-Büchner-Preis. Das hat die Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung bekannt gegeben. Die Preisverleihung soll am 6. November 2021 in Darmstadt stattfinden. In der Begründung der Jury heißt es:
"Mit Clemens J. Setz zeichnet die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung einen Sprachkünstler aus, der mit seinen Romanen und Erzählungen immer wieder menschliche Grenzbereiche erkundet. Seine bisweilen verstörende Drastik sticht ins Herz unserer Gegenwart, weil sie einem zutiefst humanistischen Impuls folgt. Diese Menschenfreundlichkeit verbindet Clemens J. Setz mit einem enzyklopädischen Wissen und einem Reichtum der poetischen und sprachschöpferischen Imagination. Mit staunenswerter Vielseitigkeit demonstriert er eine radikale Zeitgenossenschaft, welche Buch um Buch die Schönheit und den Eigensinn großer Literatur beglaubigt."
Die große Erlaubnis
Er fühle sich mit der Auszeichnung so, als würde er mit Süßigkeiten beworfen, sagt Setz. Außerdem finde nun eine Verwandlung seines Namens statt. "Man sagt dann schon: der Büchner-Preisträger Clemens. Das ist dann eine Formel, man ist dann eine Figur und ein Teil einer Geschichte – einer schönen Geschichte in dem Fall." [
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Vor allem einer der vorherigen Preisträger sei für ihn wichtig gewesen, sagt Setz: Josef Winkler, wie er aus Österreich. "Ohne den hätte ich sicher nicht angefangen, Prosa zu schreiben."
Winklers Bücher wie "Das wilde Kärnten" oder "Friedhof der bitteren Orangen" hätten ihn vollkommen hypnotisiert und ihm klargemacht, dass er auch über Kärnten schreiben dürfe. "Es war wirklich diese große Erlaubnis. Das darfst du vielleicht auch". Er habe verstanden, dass er über ganz nahe Dinge "ohne Charme" schreiben dürfe und nicht eine "ganz tolle Figur, einen Detektiv oder so was" erfinden müsse.
Die kleinen Reime des Alltags
So sind es bei Setz eben die banalen Beobachtungen des Alltags, die er in seinen Büchner oft verarbeitet oder auch in seinen Tweet-Reihen auf Twitter. In einem Tweet schreibt er etwa: "sitze headbangend im Schaukelstuhl und mein Bart riecht nach Käse".
Darauf angesprochen sagt er: "Es war ein Ziegenkäse und ich habe so eine Bewegung mit meinem Kopf gemacht, um das Schaukeln im Schaukelstuhl anzuregen, was nicht die beste Methode ist. Und da ist mir aufgefallen, dass der Käsegeruch noch da ist." Setz spricht von den "kleinen Reime, die der Alltag macht, die kleinen unverdienten Geschenke von Poesie, die es da gibt."
Der Büchner-Preisträger glaubt, es gebe eine "Art Formel der Literatur". Diese laute, dass nichts peinlich sein müsse und über alles geschrieben werden könne. Das schaffe man natürlich nicht immer. "Es ist natürlich doch vieles peinlich", sagt Setz. "Aber für den, der schreibt, hat eigentlich nichts peinlich zu sein." Er glaube, dass ein Autor oder ein Autorin "unter dem ständigen Rückenwind dieser Formel" lebe, "die einen befreien will, aber es nur bis zu 90 oder 80 Prozent kann".
Trotzdem könne man nicht alle Geheimnisse ausplaudern. Das sei wäre zu viel Gewalt, die man lebenden Menschen antue, sagt Setz weiter.
Zahlreiche Auszeichnungen
Clemens J. Setz wurde am 15. November 1982 in Graz geboren, studierte Mathematik und Germanistik und lebt in Wien. Er schreibt Romane, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke. 2007 erschien sein Debütroman "Söhne und Planeten", es folgten "Die Frequenzen", "Indigo" und "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre".
Für den Erzählband "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes" (2011) erhielt er den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen der Erzählband "Der Trost runder Dinge" (2020) sowie "Die Bienen und das Unsichtbare", ein Buch über Plansprachen (2020).
Ein sehr moderner Autor
"Die Romane und Erzählungen, die er schreibt, sind im besten Sinne eigenwillig, die sind verstörend, die kann man auch nicht immer ins Letzte ausbuchstabieren", sagt Literaturredakteurin Wiebke Porombka. [
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Außerdem seien seine Werke von einem großen Wissen gesättigt, das aber nicht nur traditionell sei. Setz habe auch keine Angst vor dem Trivialen und neuen Techniken. Dadurch sei er ein sehr moderner Schriftsteller, der sich nicht verschanze im Elfenbeinturm.
Wie eine Raupe
Der Literaturwissenschaftler und Leiter des Literaturhauses Graz, Klaus Kastberger, verweist darauf, dass in der Sprache von Setz "eine ganz spezifische Art und Weise steckt, Gegenwart und gegenwärtige Realität aufzuarbeiten".
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Der Autor sei damit in dem Sinne Sprachkünstler, dass er der Welt zugewandt sei. Seine Werke wirkten zwar so, als wären sie Science-Fiction, so Kastberger, "doch wenn man näher hinschaut, sieht man: Nein, diese Welten, die er beschreibt, sind schon da".
Die große Leistung von Setz sei der "Eigensinn" in seiner Literatur, findet Kastberger. "Jedes Buch ist eigentlich je eigenartig, es grast unterschiedliche Gattungen ab." Deswegen sei Setz "einer der innovativsten Autoren, den man sich vorstellen kann". Doch nicht nur das: "Man hat das Gefühl, er ist wie eine Raupe." Wenn er eine Form literarisch erkundet habe, werde diese gleich wieder abgelegt, "als ob es ihm langweilig würde – er macht immer wieder etwas Neues."
Wer noch nicht in den Genuss des Werks des Schriftstellers kam, könne zu dem Roman "Indigo" greifen. "Das ist gedrechselt wie deutsche Romantik", so Kastberger. Wer sich dagegen eher für Bewusstseinsströme interessiere, dem legt der Literaturwissenschaftler "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" ans Herz – "dieses grandiose Riesenwerk". Für einen schnellen und einfachen Zugang würden sich dagegen die Erzählbände empfehlen: "Wenn einem die gefallen, dann möge man die großen Romane zur Hand nehmen."
Gestaltung des Kulturlebens
Der Georg-Büchner-Preis ist die renommierteste Literaturauszeichnung in Deutschland. Damit werden Schriftsteller geehrt, "die in deutscher Sprache schreiben, durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten und die an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben", heißt es in der Satzung.
Zum ersten Mal vergeben wurde der Preis 1923, damals noch für Künstler, Dichter, Schauspieler und Sänger. Seit 1951 vergibt ihn die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung als Literaturpreis. Er ist mit 50.000 Euro dotiert, finanziert wird er vom Bund, dem Land Hessen und der Stadt Darmstadt.
Die Preisträger der vergangenen Jahre waren Elke Erb (2020), Lukas Bärfuss (2019) und Terézia Mora (2018).