Büchner-Preisträgerin Terézia Mora

"Der Eiserne Vorhang verfolgte mich bis in meine Träume"

10:16 Minuten
Die Autorin Terézia Mora blickt in die Kamera.
Die Autorin Terézia Mora hat offene Grenzen für sich genutzt. Die aktuelle Abschottung Europas findet sie falsch. © dpa picture alliance/ Arne Dedert
Moderation: Julius Stucke |
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Büchner-Preisträgerin Terézia Mora interessiert sich schon aufgrund ihrer Herkunft für Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die aktuelle politische Entwicklung verfolgt sie mit Sorge: "Wir zeigen da gerade nicht unser souveränstes Gesicht."
Julius Stucke: Außenseiter und Heimatlose bekommen literarisch ein Zuhause im Werk von Terézia Mora, in Ungarn geborene und seit den 90ern in Berlin lebende Schriftstellerin. Sie erhält in diesem Jahr den wichtigsten Literaturpreis, den es hierzulande gibt, den Büchner-Preis, dafür, dass sie sich, so die Jury, dass sie sich prekären Existenzen widmet, Menschen auf der Suche. Und weil Mora damit, mit ihren Romanen und Erzählungen schmerzlich den Nerv unserer Zeit trifft. Und das natürlich auch in einer besonderen Sprache – lebendig, poetisch, drastisch und zart zugleich.
So – genug des Lobes, Zeit zu gratulieren. Herzlichen Glückwunsch und guten Tag, Terézia Mora!
Terézia Mora: Guten Tag und vielen Dank!
Stucke: Wie wichtig ist Ihnen denn ein solcher Preis, eine solche wichtige Ehrung?
Mora: Ich muss sagen, dass das nur so Stück für Stück bei mir ankommt. Ich wurde ja, ich glaube, am Freitag oder so angerufen vom Akademie-Präsidenten, der mir das mitgeteilt hat. Da habe ich mich auch schon sehr gefreut, wobei mein erster Gedanke doch ein panischer war, nämlich: Oh, jetzt muss ich eine dieser Büchner-Preisreden halten, und das ist ja eine der Preisreden, die nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, also wo zugehört wird. Und dann habe ich mir aber gesagt, na gut, das ist eigentlich alles gar nicht so schlimm, denn ich hab ja ein inniges Verhältnis zu Büchner.
Und dann nahm meine Freude noch mehr Fahrt auf, weil ich mir dachte, ja, und es ist Büchner, und das ist jemand, zu dem ich was sagen kann und wo ich mich freue, einen Preis zu bekommen, der nach ihm benannt wird, obwohl es mit ihm ja eigentlich so nichts zu tun hat. Aber das ist toll, ja, der Büchner-Preis. Ich versuche das noch zu verarbeiten.

"Sofort kam mir mein eigener Roman besser vor"

Stucke: Also die Panik ist der Freude mittlerweile gewichen. Aber weil das schon so etwas ist wie der schriftstellerische Gipfel, haben Sie ein bisschen Sorge, dass es sich auf dem künftiger schwieriger schreibt?
Mora: Nein, ehrlich gesagt. Ich habe auch noch Folgendes beobachtet: Ich befinde mich ja auf der Zielgeraden mit dem dritten Teil der Darius-Kopp-Trilogie. Ich sage es deswegen so, weil mir in letzter Zeit der Titel abhanden gekommen ist. Also ich befinde mich auf der Zielgeraden mit Kopp 3, das heißt, ich werde ihn am Ende des Jahres abgeben, und ich befinde mich jetzt in einer Phase, wo einen diese Melancholie vorm Schluss etwas überfällt, dieses okay, jetzt geht es auf das Ende zu. Und ich habe bereits zu viel investiert, um es ganz zu entlassen, und eigentlich finde ich es ja auch ganz gut, aber jetzt bin ich doch verunsichert, und jetzt wird im Schreiben auch nichts Aufregendes mehr passieren, keine großen Revolutionen, jetzt musst du es nur noch zu Ende machen. Da ist man immer ein bisschen verunsichert. Das ist, kurz, bevor man es anderen zeigen muss.
Und dann ist Folgendes passiert: Dann hieß es, du kriegst den Büchner-Preis, und sofort kam mir mein eigener Roman besser vor, sofort habe ich mir gesagt, okay, die haben gesagt, du bist eine gute Schriftstellerin, das heißt, dann schreib auch diesen Roman jetzt dann zu Ende. Es wird schon alles gut gehen.
Stucke: Mit Rückenwind weitermachen … Sie treffen den Nerv unserer Zeit. Auch das sagt die Jury. Wie sehen Sie das denn selber? Geht Ihnen das beim Schreiben darum, den Finger in irgendeine Wunde unserer Zeit zu legen, oder kommt das per Zufall?
Mora: Durch Zufall nicht, mein Interesse geht in die Richtung. Ich möchte darüber schreiben, was mich umgibt, was ich sehe und was mich dabei stört, was mich angreift und was ich eventuell nicht verstehe, womit ich meine Probleme habe. Und dann entsteht wahrscheinlich automatisch dieser Eindruck mit diesem Nerv der Zeit.
Aber eigentlich geht es ja tatsächlich nur darum, offenen Auges durch sein eigenes Leben zu gehen und darüber zu berichten, was man dort gesehen hat. Und ich habe natürlich wie wir alle einen selektiven Blick. Mein selektiver Blick, wahrscheinlich beeinflusst durch meine Herkunft, ich komme ja vom Rand, aus ärmlichen Verhältnissen, vom Dorf, kommunistisch und katholisch, und ich war ein Mädchen, und meine Eltern waren geschieden, und wir hatten kein Geld et cetera, und ich gehörte zu einer sprachlichen Minderheit. Und seitdem, wenn ich durch die Welt gehe, sehe ich immer diese Phänomene und diese Menschen, die auch irgendetwas Randständisches an sich haben. Und denen fühle ich mich dann verbunden. Und ich denke, dass es sich lohnt, über sie zu berichten.

"Diese Grenzen hier demütigen mich"

Stucke: Jetzt haben Sie Ihre Geschichte gerade angesprochen. Sie haben ja selbst ein verschlossenes, ein noch verschlossenes Europa erlebt, 1971 in Ungarn geboren, dann, als Europa sich öffnete in den Neunzigern, nach Berlin gekommen. Mit diesem Wissen, diesem Erleben, wie ein Kontinent eben mit Grenzen auch sein kann, wie beobachten Sie denn das, was wir gerade in Europa erleben, quasi so was wie eine Rückkehr der Grenze oder zumindest den Ruf nach Zurückweisung an der Grenze, das Abschotten gegenüber anderen – wie sehen Sie das gerade?
Mora: Ich bin darüber äußerst betrübt bis verärgert bis enttäuscht. Es ist tatsächlich so, dass das wesentliche Erlebnis meiner Kindheit war, dass ich in Sichtweite des Eisernen Vorhangs aufgewachsen bin. Das verfolgte mich bis in meine Albträume als Kind. Ich weiß nicht, wie lange ich das immer geträumt habe, man kommt an diese Grenze, und da sind diese Uniformierten, und selbst, wenn man einen Pass hat und durchgelassen wird, ist es immer mit Angst und Demütigung verbunden. Das ist das, was ich nicht haben will.
Ich habe es schon als Kind so empfunden, dass das mir als Mensch nicht würdig ist. Ich bin ein Mensch, und dazu gehört, dass mir die Freiheit eingepflanzt ist oder der Wunsch nach Freiheit, und diese Grenzen hier demütigen mich. Und als sie dann wegfielen, und zwar gleichzeitig zu meinem Erwachsenwerden, fühlte ich mich irgendwie so bestätigt, Gott liebt mich, denn ich bin erwachsen geworden und da von zu Hause weg, ohne dass ich zurückgeholt werde. Und gleichzeitig sind die Grenzen weg.

Unsere Literaturkritikerin Dorothea Westphal hat vor zwei Wochen auf dem Europäischen Autoren-Gipfel mit Terézia Mora gesprochen. Hier können Sie einen Ausschnitt nachhören:
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Für meine ganze Generation eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten. Und wir können dieses internationale Leben leben. Wir können das Land wechseln und unsere Perspektiven erweitern und alles. Und ein paar Jahre war das auch sehr schön, und jetzt in diesen letzten Jahren, diese Entwicklung ist ganz einfach fürchterlich, und ich glaube, es ist auch ein Verspielen von Chancen. Da haben wir diese Europäische Union. Ein integraler Bestandteil ist diese Idee der weichen Grenzen, oder überhaupt der grünen Grenzen und des gegenseitigen Austauschs.
Ich finde, dass diese Haltung auch für diejenigen gilt, die halt nicht innerhalb der Europäischen Union geboren worden sind oder aufgewachsen oder hier leben, sondern die sich ihr von außen annähern. Und wir zeigen da nicht gerade unser souveränstes und bestes Gesicht, finde ich. Ich gehöre halt zu denen, die sagen, du musst dich da human verhalten und möglichst flexibel und hilfsbereit und –
Stucke: Offen sein.
Mora: Ja, offen sein ganz einfach. Ich gehöre tatsächlich zu denen, die sagen, wir können das schaffen, wenn wir uns ein bisschen anstrengen.

Um den Büchnerpreis für Terezia Mora gebührend zu würdigen, hat unser Moderator Korbinian Frenzel zusammen mit unserem Studiogast Mathias Greffrath in unserer Sendung "Studio 9 - Der Tag mit..." eine Szene aus Moras Stück "Sowas in der Art" vorgetragen.
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Stucke: Begleitet Sie das denn, wenn Sie in Ihre Heimat, in Ihr Geburtsland Ungarn jetzt noch mal reisen, begleitet Sie dieses Thema dort?
Mora: Absolut. In den letzten Jahren, wir fahren immer sommers hin mit dem Auto, und dabei haben wir folgende Strecke: Deutschland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Österreich, Ungarn – weil wir so wohnen, dass es am kürzesten ist, wenn wir da noch ein paar Mal das Land wechseln. Und vor ein paar Jahren hat das halt angefangen, dass wir uns gefragt haben, werden wir an jeder dieser Grenzen aufgehalten? Wir wurden im Übrigen nur an einer aufgehalten, und zwar an der österreichischen beim Reinfahren. Beim Rausfahren nicht, raus geht es scheinbar immer.
Das andere ist, dass ich dann dort bin in diesem Dorf und man muss wissen, dass die Fidesz ihre Siege auf dem Land erringt, nicht in den urbanen Zentren. In meinem Dorf hat die Fidesz zuletzt 50 Prozent der Stimmen errungen, 20 Prozent gingen an die rechtsextreme Jobbik. Das ist ein recht niederschmetterndes Ergebnis, was mich aber nicht überhaupt nicht überrascht. Denn die Bevölkerung wird überschwemmt mit hetzerischen Plakaten. Einer der großen Feinde darauf ist 'der unbekannte Flüchtling', der angeblich millionenfach Ungarn überschwemmen will, während es in Wahrheit – ich glaube – 123 anerkannte Flüchtlinge in ganz Ungarn gibt.
Stucke: Terézia Mora, sie erhält in diesem Jahr den bedeutenden Büchner-Preis, sagt, dass sie damit quasi Rückenwind bekommt fürs Weiterschreiben, für ihre Romane und Erzählungen. Frau Mora, Danke Ihnen fürs Gespräch hier bei "Studio 9" und einen schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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