"Schüler haben Ferien, damit sie sich erholen können"
Nachhilfe durch Lehrer anstelle von Ferien, so eine Forderung des Bildungsforschers Wilfried Bos kurz vor den Ferien. Angelockt werden sollen die Lehrkräfte durch Extrazahlungen. Gewerkschafter Udo Beckmann hält davon allerdings wenig.
Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung hat den Vorschlag von Bildungsforscher Wilfried Bos zu Nachhilfestunden für schwache Schüler scharf kritisiert. "Einerseits möchte ich feststellen, dass Schülerinnen und Schüler ja auch die Ferien haben, damit sie sich einmal vom Schulstress erholen können, insbesondere auch die schwächeren Schüler brauchen vielleicht mal Luft, um sich erholen zu können", so Beckmann am Dienstag im Deutschlandfunk Kultur. Außerdem gebe es wohl kaum ein flächendeckendes Angebot, wenn Lehrer sich freiwillig dazu melden sollen.
Das Schulsystem funktioniere nicht
"Wir müssen vielmehr darauf achten, dass die Schulen so ausgestattet sind, dass es eben so gut wie gar nicht zu solchen Wiederholungsfällen kommt, sondern dass das System so ausgestattet ist, dass Schülerinnen und Schüler entsprechend gefördert werden, um eben Sitzenbleiben zu vermeiden", so die Forderung von Beckmann. Das Schulsystem funktioniere nicht so wie es soll, da müsse Geld in die Hand genommen werden. "Damit wir für alle Schülerinnen und Schüler, ganz gleich, wo es wohnt, an welcher Schule es ist, die gleichen Bildungschancen hat und dass es individuell entsprechend seinen Fähigkeiten gefördert werden muss."
(uz)
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Das Interview im Wortlaut:
Christine Watty: Ganz so viele freie Tage und Nächte stehen Schülern und Lehrerinnen und Lehrern in den Sommerferien nicht bevor, aber doch sechs Wochen, zumindest für die Schülerinnen und Schüler. Jetzt rüttelt der Bildungsforscher Wilfried Bos an der Aussicht auf so viel Ruhe und Erholung. Er plädiert in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur für Ferien mit Lerninhalten, gerade für die Schwächeren in der Schule. Die könnten doch, so Bos, im Sommer gefördert werden. Seine Idee dazu: Man sagt den Lehrern, hier nichts mit mehr oder weniger sechs Wochen Ferien für euch, es gibt 5.000 Euro extra und dafür wird in den Ferien mit den Schülern nachgearbeitet. Ein Vorschlag, definitiv mit Zündstoff für die eine oder andere Sommerdebatte, und ich begrüße den Bundesvorsitzenden des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann. Schönen guten Morgen, Herr Beckmann!
Udo Beckmann: Guten Morgen!
Watty: Also, der Vorschlag von Bos ist, glaube ich, ziemlich übersichtlich und deutlich. Ist das nur ein Aufruf zu einer Debatte oder tatsächlich eine Möglichkeit, die umzusetzen wäre in der Schule?
Beckmann: Also ich sehen diesen Vorschlag von Herrn Bos sehr skeptisch. Einerseits möchte ich feststellen, dass Schülerinnen und Schüler ja auch die Ferien haben, damit sie sich einmal vom Schulstress erholen können, insbesondere auch die schwächeren Schüler brauchen vielleicht mal Luft, um sich erholen zu können. Zum zweiten ist der Vorschlag von Herrn Bos, wenn ich ihn richtig verstehe, so gedacht, dass Lehrerinnen und Lehrer sich freiwillig melden, in den Ferien zusätzlich etwas zu tun, und damit hätte man auch kein flächendeckendes Angebot, sondern es wäre von Zufälligkeiten angetan.
"Das Schulsystem funktioniert nicht so wie es soll"
Watty: Ich nehme jetzt mal die Bos’sche Haltung ein, ganz pragmatisch wäre es aber doch, wenn man sagen könnte, na ja, das ist trotzdem viel Zeit, also selbst wenn ein schwächerer Schüler vielleicht erst mal ein paar Wochen braucht, um sich auszuruhen. wäre das doch eine günstige Gelegenheit, um auf den Stand der Dinge zu kommen in diesen langen Ferien, damit dann das nächste Schuljahr gleich besser startet. Wo soll das denn passieren, wenn nicht in dieser Zeit?
Beckmann: Also ich glaube, wir müssen insgesamt auf das System gucken. Wenn wir da drüber reden, dass wir Schülerinnen und Schüler in den Sommerferien fördern müssen, weil sie einen bestimmten Stoff im laufenden Schuljahr nicht mitbekommen haben, dann, denke ich, glaube, ist es der falsche Ansatz. Wir müssen vielmehr darauf achten, dass die Schulen so ausgestattet sind, dass es eben so gut wie gar nicht zu solchen Wiederholungsfällen kommt, sondern dass das System so ausgestattet ist, dass Schülerinnen und Schüler entsprechend gefördert werden, um eben Sitzenbleiben zu vermeiden.
Watty: Okay, gegen das Sitzenbleiben ist Wilfried Bos, glaube ich, auch. So habe ich ihn zumindest verstanden, und er unterstreicht auch, dass Lehrerinnen und Lehrer schon früh merken müssen, wenn Schüler tatsächlich irgendwie so an den Rand geraten sind, dass eben dieses Sitzenbleiben an der Stelle droht. Wenn wir sagen, oder ihnen folgen und sagen, die Situation in der Schule muss sich einfach verbessern, dass die Ferien dann auch Ferien bleiben können und man da keine Extraunterstützung braucht, dann ist es aber doch insofern so ein bisschen realitätsfremd, weil ja jetzt schon auch viele Eltern ihre Kinder zu teuren Nachhilfelehrern schicken und das wahrscheinlich auch sogar in den Sommerferien sowieso schon tun, weil das Schulsystem eben nicht so funktioniert wie es soll. Also muss man nicht doch dann an der Stelle eingreifen?
Beckmann: Ja, Sie haben ja den wunden Punkt angesprochen: Das Schulsystem funktioniert nicht so wie es soll, weil die Rahmenbedingungen dafür nicht gegeben sind, und da muss das Geld investiert werden, da muss Geld in die Hand genommen werden, damit wir für alle Schülerinnen und Schüler, ganz gleich, wo es wohnt, an welcher Schule es ist, die gleichen Bildungschancen hat und dass es individuell entsprechend seinen Fähigkeiten gefördert werden muss. Es muss mehr Geld in die Hand genommen werden, aber nicht, um Nachhilfeinstitute zu fördern, sondern um die Kinder zu fördern, um das Schulsystem zu verbessern.
Forderung nach mehr Ganztagsschulen
Watty: Okay, das ist ein klarer Aufruf, das Geld so da reingesteckt werden. Das kriegen wir wahrscheinlich auch nach diesem Interview, nicht bis morgen oder nächste Woche hin. Wie kann man denn in der jetzigen Situation aber dann mit Situation umgehen, dass es eben auch viele Schüler gibt, die eben nicht mit dem Schulstoff hinterherkommen und denen dann dieses Sitzenbleiben droht oder auf jeden Fall sehr ungemütliche Ferien. Gibt es denn jetzt schon irgendwas zu verändern?
Beckmann: Also ich denke, wir müssen weiterhin darauf drängen, dass der Ganztag weiter ausgebaut wird, weil der Ganztag die Möglichkeiten bietet, Schülerinnen und Schüler zusätzlich zu fördern, zusätzliche Förderangebote zu geben. Wir beide werden von heute auf morgen jetzt keine Lösung finden, das für die Schülerinnen und Schüler, die jetzt einen Jahrgang wiederholen müssen, eine Lösung finden. Das hat der Bos auch nicht, sondern das ist ja erst mal ein Vorschlag, und dem Vorschlag von Herrn Bos setze ich entgegen, ja, wir müssen mehr Geld in die Hand nehmen, aber dann im System investieren, damit alle was davon haben.
Watty: Danke schön an Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, zum Vorschlag des Bildungsforschers Wilfried Bos, Lehrern in den Sommerferien anzubieten für ein Bonus von beispielsweise 5.000 Euro schwächere Schülerinnen und Schüler zu fordern. Vielen Dank, Herr Beckmann für dieses Gespräch, und ich wünsche Ihnen einen ruhigen und erholsamen Sommer!
Beckmann: Das wünsche ich Ihnen auch! Danke!
Watty: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.