Bühne frei!
Mittlerweile ist das "Fringe" das weltgrößte Theaterfestival für freie Gruppen. Denn: Hier darf jeder zeigen, was er kann. Und genau deshalb hat das Festival auch in diesem Jahr einige Überraschungen zu bieten: engagiertes Polit-Theater in Bestform.
1947 wurde in Edinburgh das International Festival gegründet, nicht zuletzt, um nach dem Krieg Brücken der Verständigung zu bauen. Viele schottische Künstler freuten sich, ein großes Podium zu bekommen – aber sie freuten sich zu früh. Denn vor allem Kollegen vom Kontinent mit internationalem Renommee wurden eingeladen. Die schottischen Künstler ärgerten sich nicht nur, sie schritten auch zur Tat und boten während der Festspielzeit eigene Auftritte an: Konzerte, Aufführungen. Das war die Geburtsstunde des Fringe.
Der Teppich und seine Franse
"Fringe" heißt auf Deutsch "Franse" und das Fringe gehört zum International Festival wie die Franse zum Teppich. Die Anziehungskraft ist groß – nicht nur für das Publikum, vor allem junge Leute, sondern auch für Künstler aus aller Welt. Hier darf im Unterschied zum International Festival jeder, der mag, zeigen, was er kann. Inzwischen dürfte es das größte Off-Festival der Welt sein – das Fringe wirbt selbstironisch: Das Größteste.
Natürlich herrscht der Durchschnitt vor, denn das Fringe bietet eine schier unüberschaubare Zahl von Produktionen auf allen möglichen und unmöglichen Bühnen in allen denkbaren Genres, der Programmüberblick hat fast 400 Seiten. Es gibt verschiedene Arten, sich zu orientieren. Man kann flanieren, zum Beispiel im Universitätsviertel liegt eine Spielstätte neben der anderen – die Vielfalt des Angebot ist augenfällig. Oder frau schaut in eine Zeitung. Die meisten, ob regional oder national, bieten jeden Tag mehrere Kritiken vom Fringe an, so dass man dort wertvolle Hinweise findet. Oder der Zuschauer hat (s)einen eigenen Schwerpunkt. Wer sich zum Beispiel für englischsprachiges Drama interessiert, findet sicher etwas im Traverse Theatre, das ein eigenes Festival im Festival veranstaltet. Das Traverse ist für Edinburgh, was die Schaubühne für Berlin ist - die Bühne für zeitgenössisches Theater.
Natürlich herrscht der Durchschnitt vor, denn das Fringe bietet eine schier unüberschaubare Zahl von Produktionen auf allen möglichen und unmöglichen Bühnen in allen denkbaren Genres, der Programmüberblick hat fast 400 Seiten. Es gibt verschiedene Arten, sich zu orientieren. Man kann flanieren, zum Beispiel im Universitätsviertel liegt eine Spielstätte neben der anderen – die Vielfalt des Angebot ist augenfällig. Oder frau schaut in eine Zeitung. Die meisten, ob regional oder national, bieten jeden Tag mehrere Kritiken vom Fringe an, so dass man dort wertvolle Hinweise findet. Oder der Zuschauer hat (s)einen eigenen Schwerpunkt. Wer sich zum Beispiel für englischsprachiges Drama interessiert, findet sicher etwas im Traverse Theatre, das ein eigenes Festival im Festival veranstaltet. Das Traverse ist für Edinburgh, was die Schaubühne für Berlin ist - die Bühne für zeitgenössisches Theater.
Das Theater klagt an
In diesem Jahr gab auch der British Council Hinweise – darunter ein starkes neues Stück von Tim Price: "The Radicalisation of Bradley Manning".
"Bradley Mannings Radikalisierung” ist engagiertes politisches Theater. Tim Price hat als Dramatiker noch nicht viel Erfahrung, dennoch hat er es gewagt, einen Stoff, der ihn im Innersten erregte, zu ergreifen und zu gestalten. Er hat (s)ein Stück zur Verteidigung des jungen US-Soldaten mit Herzblut geschrieben, der junge Dramatiker aus Wales ergreift Partei für Bradley Manning, der Informationen über schwere Verbrechen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten und andere Unterlagen an WikiLeaks und damit an die Öffentlichkeit weitergeleitet hat, deshalb wegen Geheimnisverrat und Spionage angeklagt und kürzlich auch verurteilt wurde – das Urteil könnte bei 60 Jahren Gefängnis liegen. Ein Unrecht, analysiert Tim Price: Ein schreiendes Unrecht! Und er versucht herauszubekommen, wie es dazu kam, dass Manning nicht, wie die meisten anderen, die Schnauze hielt und mitmachte.
Price schildert Mannings Biografie bruchstückhaft, er beginnt in der Schule. Bradley ist ein Außenseiter, seine Kameraden mobben ihn. Aber er ist keine Petze. Er liebt seine Lehrerin, die ihm beibringt, dass große Männer Zivilcourage hatten und gegen den Strom schwammen. Gleichzeitig will die Lehrerin Gehorsam, Bradley soll Autoritäten anerkennen lernen – der Widerspruch ist schmerzlich spürbar, die Pädagogin blind dafür.
Bradley erscheint als typischer, offener, sympathischer amerikanischer Junge, intelligent, er zeichnet sich für ein Talent für elektronische Medien aus, fürs Programmieren, er möchte gern studieren. Der Vater lehnt ab, das Studium zu finanzieren. Bradley soll zur Armee. Da kann er was lernen und nach vier Jahren bekommt er ein Stipendium. Obwohl ihm die Lehrerin abrät, geht Bradley. Er sieht einfach keine andere Möglichkeit. Es wird schlimm, denn seine Kameraden finden rasch heraus, dass er schwul ist, und machen ihm das Leben zur Hölle.
Die Vorgesetzten kujonieren ihn, das geht gegen sein Ehrgefühl. Ihn widert der Zynismus der Kameraden an, die sich damit amüsieren, Videos anzuschauen, in denen die Feinde explodieren. Barbarei, Grausamkeit, Primitivität – das dominiert das Leben des Private Manning und seiner Kameraden. Er ist neben dem materiellen Aspekt Soldat geworden, weil er idealistisch hoffte, er könne dazu beitragen, die Welt zu verbessern – das Gegenteil wird wahr. Seine Vorgesetzten lassen ihn im Stich.
Tim Price ordnet die Szenen nicht chronologisch, der Dramatiker reiht sie eher assoziativ aneinander – all Erfahrungen & Erlebnisse Bradleys tragen zur Radikalisierung bei – nicht nur, wenn es geschieht, sondern wenn Bradley daran denkt, wenn er sich daran erinnert, wenn er davon träumt.
Diese ungeordnete, aber suggestive, dem Bewusstseinsstrom folgende Struktur nimmt die Inszenierung von John E. McGrath auf – nur sechs Schauspieler – zwei Damen, vier Herren, alle jung, vital, spielfreudig und engagiert – übernehmen eine Fülle von Rollen. Alle sind einmal Bradley, dann wieder seine Gegner, seine Feinde. Es wird unerträglich laut Musik eingespielt, das Funkgewitter auf Militärflughäfen, das wohl jeder Zuschauer aus Antikriegsfilmen kennt, ist die akustische Kulisse der Inszenierung, auf Laptops und elektronischen Bildschirmen werden wichtige Informationen eingespielt oder Kurzfilmchen gezeigt, häufig weht auch nur stolz das Sternenbanner – in dieser Inszenierung ist klar, wer die amerikanische Flagge verteidigt und wer sie in den Schmutz tritt.
Diese Produktion des erst jüngst gegründeten Nationaltheaters von Wales über Bradley Manning soll ihn nicht nur verteidigen, sondern für demokratische Tugenden wie Zivilcourage und selbstständiges Denken gegen Opportunismus und Duckmäusertum plädieren – "The Radicalisation…" ist ein lauter theatralischer Aufschrei.
Und er ist gelungen. Man kann, man muss an Emile Zola denken: "J’accuse!" – "Ich klage an!" Im Textbuch wird Billy Graham zitiert, der Prediger warnt: "Mut ist ansteckend!" - Ein tolles Stück, eine gelungene Uraufführungsinszenierung: Eine Sternstunde des Fringe 2013.
"Bradley Mannings Radikalisierung” ist engagiertes politisches Theater. Tim Price hat als Dramatiker noch nicht viel Erfahrung, dennoch hat er es gewagt, einen Stoff, der ihn im Innersten erregte, zu ergreifen und zu gestalten. Er hat (s)ein Stück zur Verteidigung des jungen US-Soldaten mit Herzblut geschrieben, der junge Dramatiker aus Wales ergreift Partei für Bradley Manning, der Informationen über schwere Verbrechen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten und andere Unterlagen an WikiLeaks und damit an die Öffentlichkeit weitergeleitet hat, deshalb wegen Geheimnisverrat und Spionage angeklagt und kürzlich auch verurteilt wurde – das Urteil könnte bei 60 Jahren Gefängnis liegen. Ein Unrecht, analysiert Tim Price: Ein schreiendes Unrecht! Und er versucht herauszubekommen, wie es dazu kam, dass Manning nicht, wie die meisten anderen, die Schnauze hielt und mitmachte.
Price schildert Mannings Biografie bruchstückhaft, er beginnt in der Schule. Bradley ist ein Außenseiter, seine Kameraden mobben ihn. Aber er ist keine Petze. Er liebt seine Lehrerin, die ihm beibringt, dass große Männer Zivilcourage hatten und gegen den Strom schwammen. Gleichzeitig will die Lehrerin Gehorsam, Bradley soll Autoritäten anerkennen lernen – der Widerspruch ist schmerzlich spürbar, die Pädagogin blind dafür.
Bradley erscheint als typischer, offener, sympathischer amerikanischer Junge, intelligent, er zeichnet sich für ein Talent für elektronische Medien aus, fürs Programmieren, er möchte gern studieren. Der Vater lehnt ab, das Studium zu finanzieren. Bradley soll zur Armee. Da kann er was lernen und nach vier Jahren bekommt er ein Stipendium. Obwohl ihm die Lehrerin abrät, geht Bradley. Er sieht einfach keine andere Möglichkeit. Es wird schlimm, denn seine Kameraden finden rasch heraus, dass er schwul ist, und machen ihm das Leben zur Hölle.
Die Vorgesetzten kujonieren ihn, das geht gegen sein Ehrgefühl. Ihn widert der Zynismus der Kameraden an, die sich damit amüsieren, Videos anzuschauen, in denen die Feinde explodieren. Barbarei, Grausamkeit, Primitivität – das dominiert das Leben des Private Manning und seiner Kameraden. Er ist neben dem materiellen Aspekt Soldat geworden, weil er idealistisch hoffte, er könne dazu beitragen, die Welt zu verbessern – das Gegenteil wird wahr. Seine Vorgesetzten lassen ihn im Stich.
Tim Price ordnet die Szenen nicht chronologisch, der Dramatiker reiht sie eher assoziativ aneinander – all Erfahrungen & Erlebnisse Bradleys tragen zur Radikalisierung bei – nicht nur, wenn es geschieht, sondern wenn Bradley daran denkt, wenn er sich daran erinnert, wenn er davon träumt.
Diese ungeordnete, aber suggestive, dem Bewusstseinsstrom folgende Struktur nimmt die Inszenierung von John E. McGrath auf – nur sechs Schauspieler – zwei Damen, vier Herren, alle jung, vital, spielfreudig und engagiert – übernehmen eine Fülle von Rollen. Alle sind einmal Bradley, dann wieder seine Gegner, seine Feinde. Es wird unerträglich laut Musik eingespielt, das Funkgewitter auf Militärflughäfen, das wohl jeder Zuschauer aus Antikriegsfilmen kennt, ist die akustische Kulisse der Inszenierung, auf Laptops und elektronischen Bildschirmen werden wichtige Informationen eingespielt oder Kurzfilmchen gezeigt, häufig weht auch nur stolz das Sternenbanner – in dieser Inszenierung ist klar, wer die amerikanische Flagge verteidigt und wer sie in den Schmutz tritt.
Diese Produktion des erst jüngst gegründeten Nationaltheaters von Wales über Bradley Manning soll ihn nicht nur verteidigen, sondern für demokratische Tugenden wie Zivilcourage und selbstständiges Denken gegen Opportunismus und Duckmäusertum plädieren – "The Radicalisation…" ist ein lauter theatralischer Aufschrei.
Und er ist gelungen. Man kann, man muss an Emile Zola denken: "J’accuse!" – "Ich klage an!" Im Textbuch wird Billy Graham zitiert, der Prediger warnt: "Mut ist ansteckend!" - Ein tolles Stück, eine gelungene Uraufführungsinszenierung: Eine Sternstunde des Fringe 2013.
Argumente zuspitzen
Im Traverse fanden sich neue Stücke namhafter schottischer Dramatiker. In diesem Jahr schoss David Greig mit "The Events" – "Die Ereignisse" – den Vogel ab, ein Thesenstück. Es geht um Stärke und Schwäche, Verbrechen und Vergebung, Gewalt und Schwäche, "Schuld und Sühne". Der schottische Erfolgsdramatiker, auch bei uns auf dem Kontinent kein Unbekannter, stellte zwei Figuren einander gegenüber, eine Frau und einen Mann – und gewinnt dadurch ein enormes dramatisches Potenzial, das er als Theatertiger bis zum letzten Tropfen auskostet. Der junge Mann wird nicht konturenscharf gezeichnet, er verkörpert während des Stücks mehrere virile Typen – zuerst stellt er sich vor, er sei ein Junge, ein Aborigine, ein Ureinwohner Australiens, der die Ankunft der Schiffe aus Europa beobachtet und noch keine Ahnung hat, was das für schreckliche Folgen für seinen Stamm haben wird – was er indes tun würde, wenn er es wüsste. Er würde die Ankömmlinge töten.
Sein Gegenüber ist eine junge Priesterin, sie ist Lesbierin und war Opfer eines Gewaltverbrechens. Langsam schält sich heraus, dass ein junger Mann sie und eine andere Frau mit der Pistole bedrohte. Kann sie, muss sie als Christin verzeihen? Oder ist das zu viel verlangt?
Greig deutet geschickt an, in wie vielen Fällen diese Fragen wichtig sind. Was sind die Motive von jungen Gewalttätern, von Terroristen? Sind diese Motive nachvollziehbar? Ist es der Wunsch nach Rache für ungesühnte Verbrechen? Ist es der Wunsch, sich in einer Welt, die die jungen Männer marginalisiert, zu verewigen, eine Spur zu hinterlassen?
Das Stück ist in seiner Argumentation rasiermesserscharf und scheut keine Tabuverletzung. Die Debatte über Rassismus verletzt die politische Korrektheit ohne Bedenken. Dahinter verbirgt sich eine alte britische Schule, die "Debating Society", der Debattierklub, an Oberstufen und Universitäten. Die Kontrahenten vertreten Thesen, um ihren Gegner zu besiegen und spitzen ihre Argumente zu – die Zuhörer haben den Gewinn, die Argumente pur geliefert zu bekommen, um sich dann selbst entscheiden zu können. Greig würzt das Ganze noch mit Anschauung. Mit Spannung – und bei der richtigen Besetzung mit der Spannung zwischen den Geschlechtern.
Das Stück ist über die Maßen geglückt – die Uraufführung ist eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Wien und wird zum ersten Mal im November in Österreichs Hauptstadt auf Deutsch aufgeführt.
In Salzburg müssen junge Regisseure vom Festival bezahlt werden um aufzutreten, das hat Edinburgh nicht nötig. Glückliches Schottland!
Sein Gegenüber ist eine junge Priesterin, sie ist Lesbierin und war Opfer eines Gewaltverbrechens. Langsam schält sich heraus, dass ein junger Mann sie und eine andere Frau mit der Pistole bedrohte. Kann sie, muss sie als Christin verzeihen? Oder ist das zu viel verlangt?
Greig deutet geschickt an, in wie vielen Fällen diese Fragen wichtig sind. Was sind die Motive von jungen Gewalttätern, von Terroristen? Sind diese Motive nachvollziehbar? Ist es der Wunsch nach Rache für ungesühnte Verbrechen? Ist es der Wunsch, sich in einer Welt, die die jungen Männer marginalisiert, zu verewigen, eine Spur zu hinterlassen?
Das Stück ist in seiner Argumentation rasiermesserscharf und scheut keine Tabuverletzung. Die Debatte über Rassismus verletzt die politische Korrektheit ohne Bedenken. Dahinter verbirgt sich eine alte britische Schule, die "Debating Society", der Debattierklub, an Oberstufen und Universitäten. Die Kontrahenten vertreten Thesen, um ihren Gegner zu besiegen und spitzen ihre Argumente zu – die Zuhörer haben den Gewinn, die Argumente pur geliefert zu bekommen, um sich dann selbst entscheiden zu können. Greig würzt das Ganze noch mit Anschauung. Mit Spannung – und bei der richtigen Besetzung mit der Spannung zwischen den Geschlechtern.
Das Stück ist über die Maßen geglückt – die Uraufführung ist eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Wien und wird zum ersten Mal im November in Österreichs Hauptstadt auf Deutsch aufgeführt.
In Salzburg müssen junge Regisseure vom Festival bezahlt werden um aufzutreten, das hat Edinburgh nicht nötig. Glückliches Schottland!