Bühne

Knochenmänner und Geldnot

Von Wiebke Hüster |
Pläne, Ankündigungen und Enttäuschungen haben die Tanzszene 2013 geprägt. Aber es gab auch echte Highlights. Zum Beispiel eine Geisterhaus-Inszenierung im Pariser Palais Garnier.
Benjamin Millepied ist der Choreograf von Darren Aronofskys Thriller "Black Swan" und verheiratet mit Hollywoodstar Natalie Portman. Die ersten Gerüchte, Millepied werde neuer Ballettdirektor der Pariser Oper, verbreiteten sich über Twitter. "To make a bad ballet week worse", twitterte eine Frau, das mache eine schlechte Woche für das Ballett noch schlimmer. Womit sie auf den entsetzlichen Säureanschlag auf den Bolschoi-Ballettdirektor Sergej Filin anspielte.
Filin, seit 2011 neuer Bolschoi-Ballettchef, wurde am 17. Januar nachts attackiert, als er aus dem Theater nach Hause zurückkehrte, und erlitt schreckliche Verätzungen im Gesicht und an den Augen. Filin will weitermachen am Bolschoi, wohin im Dezember Deutschlands dienstältester Ballettchef John Neumeier zu Proben gereist ist, mitteilend, ein Boykott des Bolschoi-Balletts wegen der Homosexuellendiskrimierungen durch Putin käme für ihn nicht infrage.
Schon Anfang 2014 schlägt für einige der neu ernannten Ballettdirektoren die Stunde der Wahrheit, da sie ihre Spielpläne auf Pressekonferenzen bekannt geben müssen.
Kein Zustand, sondern ein Skandal
Nervös angesichts der anstehenden Veröffentlichung seiner Programmplanung dürfte auch der mit Millepied etwa gleich alte Deutsche Tim Plegge sein. Er übernimmt das neu gegründete Hessische Staatsballett, das die Häuser Darmstadt und Wiesbaden bespielen soll und unter der Herrschaft von gleich zwei Intendanten steht, die sich das Modell ausgedacht haben: Uwe-Eric Laufenberg, designierter Wiesbadener Theaterdirektor und sein Darmstädter Kollege Karsten Wiegand. Ganze drei Millionen hat der Tanz dann zur Verfügung, Geld von zwei Häusern, deren jeweiliger Gesamtetat das Zehnfache dieser Summe locker übersteigt. Wo da die Großzügigkeit gegenüber dem Tanz liegen soll, ist unklar. Die Rhein-Main-Region ist damit vollständig um die Chance eines großen, international ausstrahlenden klassischen Ballettensembles betrogen, denn auch in Mainz kuratiert demnächst der tanzferne Honne Dohrmann wechselnde Gastchoreografen. Frankfurt hat bekanntlich schon seit Jahren keine Ballettkompanie an den Städtischen Bühnen. Eigentlich kein Zustand, sondern ein Skandal.
In Berlin muss der Spanier Nacho Duato die Karten auf den Tisch legen, denn im August ist Vladimir Malakhovs Endlos-Regentschaft beim Staatsballett Berlin endlich vorbei. Einen melancholischen Jahresausklang bescherte Berlin die Choreografin Sasha Waltz. Weil der Senat nicht willens sei, ihr eine Million mehr zu zahlen, könne sie ihren Tänzern keine Festanstellungen, sondern nur noch Honorarverträge geben. Das Staatsballett hatte man ihr nicht anvertrauen wollen, so wenig wie das Hebbel am Ufer mit seinen drei Spielstätten. In den Zeitungen stand viel über Waltz, seit sie zum 100. Jubiläum von Igor Strawinskys "Le sacre du printemps" eine neue Choreografie mit dem Mariinski-Ballett Sankt Petersburg einstudierte, die pünktlich zum Jahrestag am 29. Mai am Originalschauplatz der Premiere in Paris gezeigt wurde.
Schön fürchterliche Glanzlichter
Eine noch andauernde Festspielzeit begeht das Tanztheater Wuppertal aus Anlass seines vierzigjährigen Bestehens mit glanzvollen Wiederaufnahmen alter Pina-Bausch-Stücke, großen Gastspielen und Ausstellungen. Diskutiert wird derzeit, ob aus dem Schauspielhaus Wuppertal nicht ein internationales Haus für den Tanz werden könnte, in dem das Tanztheater Wuppertal und die Pina-Bausch-Stiftung ein dauerhaftes Zuhause fänden, aber auch neue Formen erprobt würden.
Es gab aber nicht nur Pläne, Ankündigungen, Wünsche und Enttäuschungen, sondern auch echte Highlights im Jahr 2013. Einer der ältesten amtierenden Theater-Avantgardisten, Robert Wilson, inszenierte und choreografierte ein fabelhaftes Stück Tanz- und Schauspielkunst mit den New Yorkern Willem Dafoe und Mikhail Baryshnikov, "The Old Woman" nach einer Novelle von Daniil Charms. Sternstunde! Und Sidi Larbi Cherkaoui choreografierte mit Damien Jalet für die Tänzer der Pariser Oper einen wundervollen neuen Bolero. Marina Abramovic verwandelte das Palais Garnier dazu mit riesigen Spiegeln in ein Geisterhaus, und Givenchy-Designer Riccardo Tisci zog den Tänzern spinnwebenfeine Knochenmännertrikots an. Selten so schön gefürchtet! Martin Schläpfer, Direktor des Balletts am Rhein Düsseldorf/Duisburg hat seinen Ruf als Deutschlands interessantester Choreograf und Chef der besten deutschen Kompanie weiter ausgebaut und hat – wie Ivan Liska in München – mit einer Choreografie von Merce Cunningham einem fantastischen Spielplan Glanzlichter aufgesteckt.
Beim Bayerischen Staatsballett spielte Gavin Bryars live zu Merce Cunninghams traumverlorenem "Biped", das Düsseldorfer kunstsinnige Publikum feierte sein Stück "Pond Way" mit Roy Lichtensteins überwältigend schönem Gemälde eines stillen Sees im Hintergrund. Der junge Choreograf aber, von dem wir mehr sehen wollen, ist ein in London lebender Israeli, der seine eigene Musik komponiert: Hofesh Shechter. Absolut hip. Happy New Dance Year, everybody!
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