Wir Glücksritter - Schauspiel auf der Grundlage der Blogbeiträge von Andreas Altmann, Alina Bronsky, Lutz Hübner, José F. A. Oliver, Markus Orths, Tina Müller, Nellja Veremej, Feridun Zaimoglu und den Kommentatoren von blogbuehne.de
Regie: Oliver Dominique Endreß
Theaterhaus Stuttgart
Überhöhter Alltag
Blogtexte von acht Autoren und die Reaktionen darauf lieferten dem Dramaturgen Thomas Richhardt den Stoff für "Wir Glücksritter". Die surreal überhöhten aber nicht realitätsfernen Alltagsszenen inszenierte Oliver Dominique Endreß am Theaterhaus Stuttgart.
Der Abends beginnt fulminant. Das Saallicht ist noch an, eine Dame mit Mikrofon betritt die Bühne und man meint, eine Vertreterin des Theaters werde jetzt verkünden, dass der Hauptdarsteller erkrankt sei oder noch schlimmer, die Vorstellung ausfallen müsse. Doch der Auftritt gehört bereits zum Stück. Die Theaterrealität der echten Theaterbesucher und die Bühnenrealität des Stückes verschmelzen miteinander. Die Dame entpuppt sich als Moderatorin einer Talkshow, doch in der Talkshow verweigert sich der Gast – eine Schriftstellerin -, weil sie sich in einer Schreibkrise befinde. Sie geht. Da erheben sich im Zuschauerraum einzelne – natürlich Schauspieler – und kommentieren den Eklat.
Damit greift die Inszenierung die Situation auf, in der das Stück entstanden ist – durch Zufall wie die vermeintlichen Zuschauerreaktionen, und aus der Alltagsrealität heraus. Denn die acht vom Theaterhaus beauftragten Schriftsteller sollten nicht nur in ihren Blogs das Thema Alltag behandeln, sondern auch die Kommentare der Blogleser verarbeiten.
Satirische Szenen
Aus diesen sehr unterschiedlichen Texten schrieb Dramaturg Thomas Richhardt dann das Stück, das zum größten Teil eben aus den Blogtexten und Reaktionen darauf bestand – und daraus ergab sich eine Szenenfolge. In der eingangs erwähnten Talkshowszene kommen sich eine Frau und ein Mann näher – unversehens bringt ihnen der Paketbote in der zweiten Szene ein Päckchen, in dem sich ein Baby befinden soll. Natürlich ist das surreal überhöht, aber so fern der Realität doch auch wieder nicht, schließlich kann auch aus einem One-Night-Stand eine Schwangerschaft entstehen, und das Kind kommt postwendend neun Monate danach. Und schon entspinnt sich eine Diskussion darüber, wie die beiden als Eltern eigentlich sein wollen – so wie ihre eigenen Eltern oder ganz anders. In einer dritten Szene möchte der junge Mann seiner neuen Bekannten einen Brief schreiben, kommt aber vor lauter Ablenkung durch den PC und Google nicht dazu, das gute alte Medium Brief einzusetzen. Oft handelt es sich bei den Szenen um Satiren – auf den Castingbetrieb im Fernsehen oder eine Gruppentherapie bei einem Guru.
Nicht alle Szenen haben dieses Niveau. Dass sich in der Kneipe nach einigen Bierchen so mancher selbst ernannte Philosoph über Gott und das Leben auslässt, ist nichts Neues, wird aber nicht witziger, wenn die Damen dabei aber als Hasen verkleidet mit aufgesteckten vorstehenden Schneidezähnen auftreten. Das Problem, dass man bei einer Mitfahrgelegenheit auf Gedeih und Verderb dem Gerede der Mitfahrenden ausgesetzt ist, verliert an Brisanz, wenn es sich um eine eher lächerliche schwadronierende Ökofanatikerin handelt. Doch viele der Szenen regen zum Nachdenken an. Und es sind nicht einfach nur vereinzelte Szenen entstanden, obwohl das Rohmaterial aus derart disparaten und zufällig im Internet zustande gekommenen Texten bestand.
Stringenter Abend
Es gelang Regisseur Oliver Dominique Endreß und Dramaturg Thomas Richhardt, eine stringente Handlung zu entwickelt. Aus der Talkshow ergab sich das ein junge Paar, die beiden gestressten Möchtegerneltern landen in einer Therapiegruppe, bei der sich auch – man möchte fast sagen: natürlich - die unter einer Schreibkrise leidende Autorin der Talkshowszene zu Beginn einfindet. Am Ende wird das Stück nach Texten von Feridun Zaimoglu geradezu poetisch. An die Wohnung des jungen Paares, das sich inzwischen auf das Kind freut, klopft eben jene Autorin mit der Schreibhemmung. Sie setzt sich an einen Tisch und beginnt zu schreiben – genau das Stück, das soeben über die Bühne gegangen war: "Wir Glücksritter. Szenen des Alltags."