Zwischen Anpassung und Aufmüpfigkeit
In der DDR gab es nicht nur subversives Theater mit Protagonisten wie Frank Castorf oder Peter Sodann. Andernorts wiederholten Inszenierungen willfährig die Parolen der Herrschenden. Und wie sieht heute das Theater in Anklam oder Schwerin aus?
Wer heute vom Theater in der DDR redet, erinnert meist die Protagonisten subversiver Kunst in der Vorwende- und Wende-Zeit: Castorf in Anklam, Sodann in Halle, Meyer in Karl-Marx-Stadt, Engel in Dresden, Oelschlegel in Berlin und einige mehr. - Es gab sie, die Regisseure, Schauspieldirektoren, Intendanten mit dem Mut zur Aufmüpfigkeit. Sie schufen Inszenierungen, in denen die Zuschauer, geschult im Blick hinter die Bilder und im Hören des Unausgesprochenen, ausgerüstet also mit feinen Antennen, Nachrichten aus der Welt empfingen - aus der Weite hinter dem Eisernen Vorhang und aus der eigenen, aus der Enge des Mauerländles, ungeschönt und fern von Partei-Phrasen.
Doch Theater in der DDR war auch Anpassung: da wurde Geliebedienert und Speichel geleckt bis zum Geht-nicht-mehr. An den kleinen Stadttheatern und an den großen Staatshäusern wurden die Botschaften der Bonzen willfährig hinausposaunt. Viele Inszenierungen, viel zu viele, beispielsweise am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater Berlin oder in Meiningen, in Halberstadt, in Magdeburg und und und feierten die Dummheit der damals Herrschenden als Weltenrettung und festigten damit die Beschränktheit der Beherrschten. Das Aufmüpfige war all überall Ausnahme. Das Angepasste überwog.
Sprichwort: Die Kunst geht nach dem Brot
Was ist von denen, die einst wider den Stachel löckten, geblieben? - Die Legenden. Kaum mehr. Der bürgerliche Amüsierbetrieb hat die Ecken und Kanten weitgehend abgeschliffen. Frank Castorf etwa - der Koloss des Widerständigen im späten DDR-Theater - hat sich im Gestrüpp schicker Selbstironie verheddert und verkauft vor allem den Ruhm von damals und damit seinen einstigen Anspruch. Alexander Lang, dessen Version von "Dantons Tod" am Deutschen Theater Berlin zum Aufregendsten des späten DDR-Schauspiels gehörte, hat sich dem gediegenen Handwerk verschrieben. Christoph Schroth, der mit "Faust" Ende der 1970er-, Anfang der 80er-Jahre fast die ganze DDR nach Schwerin lockte, arbeitet nicht mehr.
Die kleineren Bühnen - Anklam, Schwerin, Cottbus - buhlen wie auch die meisten großen in Berlin, Dresden, Magdeburg vor allem mit leicht Verdaulichem um die Zuschauergunst. Müssen sie. Das alte Sprichwort gilt: Die Kunst geht nach Brot. Innovation, wie die post-migrantischen Erkundungen am Berliner Maxim Gorki Theater und das kluge Kinder- und Jugend-Angebot fern jeglicher 08/15-Routine am Leipziger Theater der Jungen Welt, ist Mangelware. Aber auch das Publikum hat sich schließlich verändert: Zu DDR-Zeiten wurde schon während der Vorstellungen gebuht und geklatscht, wurde kommentiert, wurde mitgedacht. Jetzt wird konsumiert. Man sitzt ab. Honeckers Traum vom duldsamen Volk - in der deutschen Theaterszene ist dieser Alptraum weitreichend Realität geworden.