Bürger schweiget, Putin entscheidet
Anfang Dezember wird in Russland ein neues Parlament gewählt. Wie gewohnt dürfen die Bürger zwischen Parteien wählen, die dem Kreml genehm sind. Der Versuch der kremlkritischen Opposition, eine eigene Partei ins Rennen zu schicken, ist gescheitert.
"Worin liegt echte Stärke? Etwa im Geld? Du hast viel, und?! Ich glaube, Stärke liegt in der Wahrheit. Wer im Recht ist, ist stärker ... "
sagt Danila Bagrow, Held des Blockbusters "Bruder 2", der sich mit der Mafia anlegt, um seinen Bruder zu rächen. Patriotische Sätze, die in Russland längst Kultstatus erreicht haben. Und die jetzt der milliardenschwere Finanz- und Metallurgiemagnat Michail Prochorow bemüht.
Wer zurzeit durch Moskaus Straßen fährt, begegnet dem Oligarchen auf Schritt und Tritt. 3000 riesige Reklametafeln zeigen Prochorows Konterfei und eben jenen Spruch: Wer im Recht ist, ist stärker. Prochorow wirbt für seine neue Rolle. Als Politiker und Chef der Partei "Gerechte Sache". Das Drehbuch trägt klar die Handschrift des Kreml. Prochorows Partei soll all jenen eine Alternative bieten, die von der Kreml-Partei Geeintes Russland enttäuscht sind. Ein Auffangbecken für Frustrierte, die das Monopol der starren Bürokratenpartei, die im Parlament über die Zweidrittelmehrheit verfügt, leid sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob die neu gestaltete Partei ein überzeugendes Programm hat. Oder eine charismatische Führung. Wichtig ist allein – nach alter Potemkinscher Tradition - die Fiktion.
Dazu gehört, dass die Nachrichten der staatlichen Fernsehsender nicht nur ausführlich, sondern auch mit Enthusiasmus über den ersten Auftritt Prochorows als Führer der Partei "Gerechte Sache" berichten.
Von einem ungewöhnlichen Auftritt ist die Rede - und fast schon revolutionären Ansätzen. Der Reporter klingt dabei weit engagierter als Prochorow selbst, der mit monotoner Stimme auf abgedunkelter Bühne zu einem müde wirkenden Publikum spricht:
"Wir brauchen im Parlament wieder mindestens 25 Einzel-Mandate. Herausragende talentierte junge Leute sollten den politischen Olymp betreten können, ohne Parteien beitreten zu müssen. Das wäre richtig."
Direkte Bürgermeisterwahlen, mehr Vollmachten für die Regionen, Modernisierung der Wirtschaft, mehr Geld für das Bildungssystem, den medizinischen Bereich und Soziales. Vieles von dem, was Prochorow fordert, könnte aus der Feder des Redenschreibers des russischen Präsidenten stammen. Medwedews Forderung nach mehr Parteienvielfalt versteht der Oligarch so:
"Es sollte mindestens zwei Parteien der Macht geben. Zurzeit gibt es nur eine. Jedes politisches Monopol ist so wie jedes andere Monopol, egal ob geistig oder wirtschaftlich, unser Haupt-Gegner. Es steht schon in den Schulbüchern, dass ein Monopol der Feind jedweder Entwicklung ist."
Bewusst will sich Prochorow nicht als Oppositionsführer verstanden wissen. Schließlich sind das in den Augen des Kreml vom Westen bezahlte notorische Störenfriede.
"Ich bin dafür, dass wir das Wort Opposition aus unserem Sprachgebrauch streichen. Weil unsere Bürger das Wort Opposition schon lange nicht mehr mit politischen Parteien assoziieren. Sondern mit marginalen Gruppierungen, die schon lange jeden Bezug zur Realität verloren haben."
Die Bürger, über die Prochorow da urteilt, sehen das durchaus differenzierter. Mitten im Zentrum der Stadt, direkt an der politischen Machtzentrale, dem Kreml, zeigt sich, dass das vermeintlich ungebildete Wahlvolk, durchaus weiß, was eine Opposition ist, wie sie aussehen sollte oder könnte.
"Sehen wir uns das Parlament an. Dort sitzen vier Parteien, nicht eine. Wenn Geeintes Russland die regierende Partei ist, sind die anderen Parteien die Opposition."
"Es gibt die alte Opposition, aber sie ist meiner Meinung nach sehr schwach. Das sind die Kommunisten unter Sjuganow und Schirinowskis LDPR."
Revolutionsführer Lenin, der im hier und jetzt mehr an Fotos mit Touristen als an politischen Diskussionen interessiert ist, winkt ab. Er sieht keine real existierende Opposition:
"Es gibt nur PR. Unter so einem Regime kann eine echte Opposition kaum existieren. Jedes Andersdenken wird sehr schnell beseitigt."
Einer aktuellen Umfrage des Lewada-Zentrums zufolge halten 53 Prozent aller Befragten die Parlamentswahl für eine Imitation. Zwei Drittel glauben, dass es nur darum geht, welcher Beamtenclan Zugang zum Staatshaushalt bekommt. Und 72 Prozent wünschen sich die Wahlmöglichkeit "gegen alle" zurück. Vielleicht auch, weil es der Kreml-kritischen Opposition wieder nicht gelungen ist, sich für die Duma-Wahl registrieren zu lassen. Eduard Limonow, der wegen seiner Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen zu den am häufigsten festgenommen Oppositionellen zählt, wurde mit seiner Partei "Anderes Russland" ebenso wenig zugelassen wie die Koalition "PARNAS".
Die "PARNAS"-Gründer, die in Russland berühmt-berüchtigten Kreml-Kritiker Boris Nemzow, Wladimir Ryschkow, Michail Kasjanow und Ewgenij Milow, empörten sich – auch das bereits ein Ritual - auf einer Pressekonferenz, kündigten Einspruch und neue Straßenaktionen an. Wirklich überrascht hat sie die Entscheidung des Justizministeriums aber nicht. Wladimir Ryschkow:
"Vielleicht erinnern Sie sich, es war bei einer der berühmten TV-Shows von Herrn Putin. Er hat selbst die Frage ausgewählt und beantwortet. Also, er hat damals klar gesagt: diese Kerle werden nie an die Macht kommen. Schon damals im Dezember hat das Justizministerium also den direkten Auftrag bekommen - die PARNAS-Partei nicht zu registrieren."
Die offizielle Begründung: unter den 46.000 aufgelisteten Parteimitgliedern befänden sich Minderjährige, Leute, die nie einer Mitgliedschaft zugestimmt hätten und sogenannte Tote Seelen. Eine faule Ausrede, meint Ewgenij Milow.
"Ende Mai sind Umfrageergebnisse bekannt gegeben worden. Dort heißt es, dass die Partei PARNAS die einzige außerparlamentarische Partei ist, die die Möglichkeit hat, die Sieben-Prozent-Hürde zu überwinden und damit ins Parlament zu kommen. Obwohl wir zu dem Zeitpunkt noch gar nicht mit der Wahlkampagne angefangen hatten."
Michail Kasjanow ergänzt:
"Durch die Nicht-Registrierung hat die Führung Russlands Millionen russischer Bürger fundamentale Grundrechte genommen – nämlich eine Partei zu gründen und an Wahlen teilzunehmen. Das ist ein Verbrechen! Ein Verbrechen gegen die russische Verfassung, ein Verbrechen gegen die russischen Bürger!"
Bei den Bürgern bleibt die Empörung allerdings aus. Für Gesprächsstoff sorgen andere. Auf den Sperlingsbergen, unweit der mächtigen Universität, waschen leicht bekleidete, wohl proportionierte Mädchen auf High Heels Autos aus russischer Produktion.
Touristen gucken verwundert, Taxifahrer lüstern. Die Mädchen, die sich auf schrottreifen Fahrzeugen lasziv rekeln, klären auf:
"Uns gefällt Putin wirklich!"
Sie gehören zur sogenannten Putin-Armee, die ihren Präsidenten in Spe so verehren, dass sie sich für ihn zerreißen wollen. Oder zumindest ihre Blusen, T-Shirts und Unterhemden.
Wowa – wie sie ihn zärtlich nennen, soll zurück ans Ruder. In Comics sieht man ihn als Retter der in Not Geratenen, als Supermann und als Jedi-Ritter, der gegen die dunkle Seite der Macht kämpft. Im echten Leben tut der Premier alles, um diesem Bild gerecht zu werden. Das Fernsehen zeigt ihn beim Löschen von Waldbränden, beim Tauchen nach archäologischen Schätzen und ganz privat am Lagerfeuer mit jungen, engagierten Leuten.
Sie laden Putin ein, an einer Rallye teilzunehmen. 2013. Wenn er denn dann mehr Zeit hätte. Was man natürlich nicht hoffe. Medwedew – ganz großer Staatsmann – setzt dagegen auf internationale Unterstützung. Vor amerikanischen Studenten wirbt er um Anerkennung für die demokratischen Errungenschaften seines Landes:
"Russland ist ein Land mit einer jungen Demokratie. Wir haben einen komplizierten und für ein Land wie Russland sehr schnellen Weg zurückgelegt. Unser politisches System entwickelt sich permanent weiter. Die Grundlagen sind in der Verfassung verankert, sie geben jedem Bürger die Möglichkeit, seine Verfassungsrechte auszuüben. Dabei sind wir gegen Fehler sicherlich nicht gefeit. Wir sind bereit, unser politisches System weiter zu vervollkommnen. Aber das wollen wir selbstständig tun - ohne Belehrungen von außen."
Beim Petersburger Dialog in Hannover witzelt er wenig später mit Kanzlerin Merkel über seine akademischen Titel. Sie könne ihn ruhig Doktor statt Kandidat der Wissenschaften nennen. Worauf sie kokett und doppeldeutig antwortet:
"Ich finde, Kandidat hört sich auch schön an ... "
Eine Meinung, die die sogenannten Medwedew Girls teilen. Für sie ist Medwedew der politische Führer, dem man auch in Zukunft folgen sollte. Wegen seiner klugen Initiativen und weitsichtigen Gesetzesprojekte.
Anna und Veronika lassen auf dem Puschkinplatz in Moskau deshalb nicht einfach nur so ihre Shorts fallen lassen. Sondern erst für drei Liter Bier, die junge Männer freiwillig wegschütten. Für sechs fällt auch das T-Shirt.
"Dieses Projekt hat unsere Koordinatorin Alisa ausgesucht. Wir unterstützen sie mit großem Vergnügen. Denn wir sind der Meinung, dass es ein großes Problem ist, dass so viel Bier an öffentlichen Plätzen, auch von Minderjährigen, getrunken wird. Wir sind daran interessiert, das zu stoppen."
Veronika will das Spektakel als Unterstützung von Medwedews Anti-Bier-Kampagne verstanden wissen. Und nicht als PR-Reaktion auf die Auto-Waschaktion der Putin-Mädels. Leidtragende des Bilder-Kampfes sind ausgerechnet die staatlichen Fernsehsender. Solange sie nicht wissen, wer antritt - Putin oder Medwedew - müssen sie auf Ausgleich bedacht sein. Bei der Reihenfolge der Nachrichten, der Länge der Beiträge - und selbst bei der Wahl der Kamera-Einstellungen. Schließlich könnte ja auch die Größe der gefangenen Fische, wenn beide gemeinsam angeln gehen, eine versteckte Botschaft enthalten! Auch wenn Medwedew im konkreten Fall tatsächlich den größeren Fisch an der Angel hatte - in Umfragen liegt der Präsident immer noch hinter Putin. Dessen Rückkehr ins Präsidentenamt aus Sicht der Bürgerrechtler fatale Folgen für das Land haben würde. Auf die Frage nach dem Warum, zögert Svetlana Gannuschkina, die bereits mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert worden ist, keine Sekunde:
"Mir gefällt längst nicht alles, was Medwedew sagt. Aber ich habe den Eindruck, dass er trotzdem ein Mensch ist, der zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Anders als Putin. Ihm ist seine eigene innere Einstellung wichtiger. Seine Persönlichkeit spielt da eine große Rolle, seine Kindheit, seine alten Komplexe – und davon hat er furchtbar viele. Er kann einfach nicht glücklich sein, obwohl er ganz oben steht. Und kann deshalb auch Chodorkowski nicht verzeihen, dass der selbst im Gefängnis glücklicher ist."
Unter einem Präsidenten Medwedew gebe es zumindest die Chance, dass es keine weiteren Rückschritte in Sachen Demokratie gebe. Dass Putin – zurück im Präsidentenamt - die Zügel wieder anziehen könnte, befürchten viele seiner Kritiker. Als Beleg gilt eine Aussage Putins in Jekaterinburg. Gefragt, was er am Tag nach der Wahl tun würde, erklärte der Premier:
"Ich geh mich waschen. Im hygienischen Sinn und im politischen. Nach den Kampagnen, die uns bevorstehen muss man sich um Sauberkeit kümmern. Das ist leider so. Es ist halt so wie Churchill gesagt hat – die schlimmste Form der Verwaltung ist die Demokratie. Aber es gibt nichts Besseres."
Schmutzkampagnen während der Wahl oder politische Säuberungen danach? Ein weiterer Fall für Kreml-Astrologen. Die deuten weiter munter alle Zeichen in der großen Preisfrage, wer als Präsidentschaftskandidat antreten wird. Während die Betroffenen so tun, als sei die Frage noch nicht entschieden. Premier Putin:
"Präsident Medwedew und ich arbeiten eng zusammen. Wir haben schon vor langer Zeit entschieden, dass wir gemeinsam die Entscheidung treffen werden bezüglich der Wahl 2012 – und zwar im Interesse des russischen Volkes. Noch einmal: wir werden uns absprechen und die Entscheidung auf der Grundlage der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage im Land treffen."
Für den letzten Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, ein fataler Rückfall in alte Denkmuster:
"Mir gefällt ihr Benehmen nicht. Warum soll eigentlich Putin entscheiden, wer zum Präsidenten gewählt wird? Das ist Angelegenheit unserer Nation – es soll doch eine Wahl sein. Die Menschen müssen entscheiden, wer der nächste Präsident wird. Dafür gibt es übrigens auch andere Anwärter und alle haben das gleiche Recht auf diesen Posten."
Der einzige übrigens, der bislang offiziell seinen Hut in den Ring geworfen hat, ist Gennadij Sjuganow. Über die Kandidatur des kommunistischen Urgesteins, das schon gegen Jelzin antrat, wird allerdings trotzdem nicht gesprochen. Vielleicht, weil sich keine jungen Mädchen für ihn ausziehen. Er nicht beim Boot fahren, Reiten oder Retten zu sehen ist. Und selbst in den hauseigenen Wahlfilmchen im Internet nicht vorkommt. Auch sie beschäftigen sich zwar satirisch, aber eben auch nur mit Putin und Medwedew.
Den Agitprop-Ideenwettbewerb hat er damit verloren – und der interessiert bislang weit mehr als die Wahlen selbst, deren Ergebnisse ja eh schon vorher feststehen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
"Alles war besser als Jelzin" - Sabine Adler hat ein Buch über ihre Zeit in Russland geschrieben
Kapitalismus für alle - Der russische Oligarch Michail Prochorow an der Spitze der Partei "Rechte Sache"
Interview: Russland zwischen Demokratie und Autokratie
sagt Danila Bagrow, Held des Blockbusters "Bruder 2", der sich mit der Mafia anlegt, um seinen Bruder zu rächen. Patriotische Sätze, die in Russland längst Kultstatus erreicht haben. Und die jetzt der milliardenschwere Finanz- und Metallurgiemagnat Michail Prochorow bemüht.
Wer zurzeit durch Moskaus Straßen fährt, begegnet dem Oligarchen auf Schritt und Tritt. 3000 riesige Reklametafeln zeigen Prochorows Konterfei und eben jenen Spruch: Wer im Recht ist, ist stärker. Prochorow wirbt für seine neue Rolle. Als Politiker und Chef der Partei "Gerechte Sache". Das Drehbuch trägt klar die Handschrift des Kreml. Prochorows Partei soll all jenen eine Alternative bieten, die von der Kreml-Partei Geeintes Russland enttäuscht sind. Ein Auffangbecken für Frustrierte, die das Monopol der starren Bürokratenpartei, die im Parlament über die Zweidrittelmehrheit verfügt, leid sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob die neu gestaltete Partei ein überzeugendes Programm hat. Oder eine charismatische Führung. Wichtig ist allein – nach alter Potemkinscher Tradition - die Fiktion.
Dazu gehört, dass die Nachrichten der staatlichen Fernsehsender nicht nur ausführlich, sondern auch mit Enthusiasmus über den ersten Auftritt Prochorows als Führer der Partei "Gerechte Sache" berichten.
Von einem ungewöhnlichen Auftritt ist die Rede - und fast schon revolutionären Ansätzen. Der Reporter klingt dabei weit engagierter als Prochorow selbst, der mit monotoner Stimme auf abgedunkelter Bühne zu einem müde wirkenden Publikum spricht:
"Wir brauchen im Parlament wieder mindestens 25 Einzel-Mandate. Herausragende talentierte junge Leute sollten den politischen Olymp betreten können, ohne Parteien beitreten zu müssen. Das wäre richtig."
Direkte Bürgermeisterwahlen, mehr Vollmachten für die Regionen, Modernisierung der Wirtschaft, mehr Geld für das Bildungssystem, den medizinischen Bereich und Soziales. Vieles von dem, was Prochorow fordert, könnte aus der Feder des Redenschreibers des russischen Präsidenten stammen. Medwedews Forderung nach mehr Parteienvielfalt versteht der Oligarch so:
"Es sollte mindestens zwei Parteien der Macht geben. Zurzeit gibt es nur eine. Jedes politisches Monopol ist so wie jedes andere Monopol, egal ob geistig oder wirtschaftlich, unser Haupt-Gegner. Es steht schon in den Schulbüchern, dass ein Monopol der Feind jedweder Entwicklung ist."
Bewusst will sich Prochorow nicht als Oppositionsführer verstanden wissen. Schließlich sind das in den Augen des Kreml vom Westen bezahlte notorische Störenfriede.
"Ich bin dafür, dass wir das Wort Opposition aus unserem Sprachgebrauch streichen. Weil unsere Bürger das Wort Opposition schon lange nicht mehr mit politischen Parteien assoziieren. Sondern mit marginalen Gruppierungen, die schon lange jeden Bezug zur Realität verloren haben."
Die Bürger, über die Prochorow da urteilt, sehen das durchaus differenzierter. Mitten im Zentrum der Stadt, direkt an der politischen Machtzentrale, dem Kreml, zeigt sich, dass das vermeintlich ungebildete Wahlvolk, durchaus weiß, was eine Opposition ist, wie sie aussehen sollte oder könnte.
"Sehen wir uns das Parlament an. Dort sitzen vier Parteien, nicht eine. Wenn Geeintes Russland die regierende Partei ist, sind die anderen Parteien die Opposition."
"Es gibt die alte Opposition, aber sie ist meiner Meinung nach sehr schwach. Das sind die Kommunisten unter Sjuganow und Schirinowskis LDPR."
Revolutionsführer Lenin, der im hier und jetzt mehr an Fotos mit Touristen als an politischen Diskussionen interessiert ist, winkt ab. Er sieht keine real existierende Opposition:
"Es gibt nur PR. Unter so einem Regime kann eine echte Opposition kaum existieren. Jedes Andersdenken wird sehr schnell beseitigt."
Einer aktuellen Umfrage des Lewada-Zentrums zufolge halten 53 Prozent aller Befragten die Parlamentswahl für eine Imitation. Zwei Drittel glauben, dass es nur darum geht, welcher Beamtenclan Zugang zum Staatshaushalt bekommt. Und 72 Prozent wünschen sich die Wahlmöglichkeit "gegen alle" zurück. Vielleicht auch, weil es der Kreml-kritischen Opposition wieder nicht gelungen ist, sich für die Duma-Wahl registrieren zu lassen. Eduard Limonow, der wegen seiner Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen zu den am häufigsten festgenommen Oppositionellen zählt, wurde mit seiner Partei "Anderes Russland" ebenso wenig zugelassen wie die Koalition "PARNAS".
Die "PARNAS"-Gründer, die in Russland berühmt-berüchtigten Kreml-Kritiker Boris Nemzow, Wladimir Ryschkow, Michail Kasjanow und Ewgenij Milow, empörten sich – auch das bereits ein Ritual - auf einer Pressekonferenz, kündigten Einspruch und neue Straßenaktionen an. Wirklich überrascht hat sie die Entscheidung des Justizministeriums aber nicht. Wladimir Ryschkow:
"Vielleicht erinnern Sie sich, es war bei einer der berühmten TV-Shows von Herrn Putin. Er hat selbst die Frage ausgewählt und beantwortet. Also, er hat damals klar gesagt: diese Kerle werden nie an die Macht kommen. Schon damals im Dezember hat das Justizministerium also den direkten Auftrag bekommen - die PARNAS-Partei nicht zu registrieren."
Die offizielle Begründung: unter den 46.000 aufgelisteten Parteimitgliedern befänden sich Minderjährige, Leute, die nie einer Mitgliedschaft zugestimmt hätten und sogenannte Tote Seelen. Eine faule Ausrede, meint Ewgenij Milow.
"Ende Mai sind Umfrageergebnisse bekannt gegeben worden. Dort heißt es, dass die Partei PARNAS die einzige außerparlamentarische Partei ist, die die Möglichkeit hat, die Sieben-Prozent-Hürde zu überwinden und damit ins Parlament zu kommen. Obwohl wir zu dem Zeitpunkt noch gar nicht mit der Wahlkampagne angefangen hatten."
Michail Kasjanow ergänzt:
"Durch die Nicht-Registrierung hat die Führung Russlands Millionen russischer Bürger fundamentale Grundrechte genommen – nämlich eine Partei zu gründen und an Wahlen teilzunehmen. Das ist ein Verbrechen! Ein Verbrechen gegen die russische Verfassung, ein Verbrechen gegen die russischen Bürger!"
Bei den Bürgern bleibt die Empörung allerdings aus. Für Gesprächsstoff sorgen andere. Auf den Sperlingsbergen, unweit der mächtigen Universität, waschen leicht bekleidete, wohl proportionierte Mädchen auf High Heels Autos aus russischer Produktion.
Touristen gucken verwundert, Taxifahrer lüstern. Die Mädchen, die sich auf schrottreifen Fahrzeugen lasziv rekeln, klären auf:
"Uns gefällt Putin wirklich!"
Sie gehören zur sogenannten Putin-Armee, die ihren Präsidenten in Spe so verehren, dass sie sich für ihn zerreißen wollen. Oder zumindest ihre Blusen, T-Shirts und Unterhemden.
Wowa – wie sie ihn zärtlich nennen, soll zurück ans Ruder. In Comics sieht man ihn als Retter der in Not Geratenen, als Supermann und als Jedi-Ritter, der gegen die dunkle Seite der Macht kämpft. Im echten Leben tut der Premier alles, um diesem Bild gerecht zu werden. Das Fernsehen zeigt ihn beim Löschen von Waldbränden, beim Tauchen nach archäologischen Schätzen und ganz privat am Lagerfeuer mit jungen, engagierten Leuten.
Sie laden Putin ein, an einer Rallye teilzunehmen. 2013. Wenn er denn dann mehr Zeit hätte. Was man natürlich nicht hoffe. Medwedew – ganz großer Staatsmann – setzt dagegen auf internationale Unterstützung. Vor amerikanischen Studenten wirbt er um Anerkennung für die demokratischen Errungenschaften seines Landes:
"Russland ist ein Land mit einer jungen Demokratie. Wir haben einen komplizierten und für ein Land wie Russland sehr schnellen Weg zurückgelegt. Unser politisches System entwickelt sich permanent weiter. Die Grundlagen sind in der Verfassung verankert, sie geben jedem Bürger die Möglichkeit, seine Verfassungsrechte auszuüben. Dabei sind wir gegen Fehler sicherlich nicht gefeit. Wir sind bereit, unser politisches System weiter zu vervollkommnen. Aber das wollen wir selbstständig tun - ohne Belehrungen von außen."
Beim Petersburger Dialog in Hannover witzelt er wenig später mit Kanzlerin Merkel über seine akademischen Titel. Sie könne ihn ruhig Doktor statt Kandidat der Wissenschaften nennen. Worauf sie kokett und doppeldeutig antwortet:
"Ich finde, Kandidat hört sich auch schön an ... "
Eine Meinung, die die sogenannten Medwedew Girls teilen. Für sie ist Medwedew der politische Führer, dem man auch in Zukunft folgen sollte. Wegen seiner klugen Initiativen und weitsichtigen Gesetzesprojekte.
Anna und Veronika lassen auf dem Puschkinplatz in Moskau deshalb nicht einfach nur so ihre Shorts fallen lassen. Sondern erst für drei Liter Bier, die junge Männer freiwillig wegschütten. Für sechs fällt auch das T-Shirt.
"Dieses Projekt hat unsere Koordinatorin Alisa ausgesucht. Wir unterstützen sie mit großem Vergnügen. Denn wir sind der Meinung, dass es ein großes Problem ist, dass so viel Bier an öffentlichen Plätzen, auch von Minderjährigen, getrunken wird. Wir sind daran interessiert, das zu stoppen."
Veronika will das Spektakel als Unterstützung von Medwedews Anti-Bier-Kampagne verstanden wissen. Und nicht als PR-Reaktion auf die Auto-Waschaktion der Putin-Mädels. Leidtragende des Bilder-Kampfes sind ausgerechnet die staatlichen Fernsehsender. Solange sie nicht wissen, wer antritt - Putin oder Medwedew - müssen sie auf Ausgleich bedacht sein. Bei der Reihenfolge der Nachrichten, der Länge der Beiträge - und selbst bei der Wahl der Kamera-Einstellungen. Schließlich könnte ja auch die Größe der gefangenen Fische, wenn beide gemeinsam angeln gehen, eine versteckte Botschaft enthalten! Auch wenn Medwedew im konkreten Fall tatsächlich den größeren Fisch an der Angel hatte - in Umfragen liegt der Präsident immer noch hinter Putin. Dessen Rückkehr ins Präsidentenamt aus Sicht der Bürgerrechtler fatale Folgen für das Land haben würde. Auf die Frage nach dem Warum, zögert Svetlana Gannuschkina, die bereits mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert worden ist, keine Sekunde:
"Mir gefällt längst nicht alles, was Medwedew sagt. Aber ich habe den Eindruck, dass er trotzdem ein Mensch ist, der zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Anders als Putin. Ihm ist seine eigene innere Einstellung wichtiger. Seine Persönlichkeit spielt da eine große Rolle, seine Kindheit, seine alten Komplexe – und davon hat er furchtbar viele. Er kann einfach nicht glücklich sein, obwohl er ganz oben steht. Und kann deshalb auch Chodorkowski nicht verzeihen, dass der selbst im Gefängnis glücklicher ist."
Unter einem Präsidenten Medwedew gebe es zumindest die Chance, dass es keine weiteren Rückschritte in Sachen Demokratie gebe. Dass Putin – zurück im Präsidentenamt - die Zügel wieder anziehen könnte, befürchten viele seiner Kritiker. Als Beleg gilt eine Aussage Putins in Jekaterinburg. Gefragt, was er am Tag nach der Wahl tun würde, erklärte der Premier:
"Ich geh mich waschen. Im hygienischen Sinn und im politischen. Nach den Kampagnen, die uns bevorstehen muss man sich um Sauberkeit kümmern. Das ist leider so. Es ist halt so wie Churchill gesagt hat – die schlimmste Form der Verwaltung ist die Demokratie. Aber es gibt nichts Besseres."
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"Präsident Medwedew und ich arbeiten eng zusammen. Wir haben schon vor langer Zeit entschieden, dass wir gemeinsam die Entscheidung treffen werden bezüglich der Wahl 2012 – und zwar im Interesse des russischen Volkes. Noch einmal: wir werden uns absprechen und die Entscheidung auf der Grundlage der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage im Land treffen."
Für den letzten Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, ein fataler Rückfall in alte Denkmuster:
"Mir gefällt ihr Benehmen nicht. Warum soll eigentlich Putin entscheiden, wer zum Präsidenten gewählt wird? Das ist Angelegenheit unserer Nation – es soll doch eine Wahl sein. Die Menschen müssen entscheiden, wer der nächste Präsident wird. Dafür gibt es übrigens auch andere Anwärter und alle haben das gleiche Recht auf diesen Posten."
Der einzige übrigens, der bislang offiziell seinen Hut in den Ring geworfen hat, ist Gennadij Sjuganow. Über die Kandidatur des kommunistischen Urgesteins, das schon gegen Jelzin antrat, wird allerdings trotzdem nicht gesprochen. Vielleicht, weil sich keine jungen Mädchen für ihn ausziehen. Er nicht beim Boot fahren, Reiten oder Retten zu sehen ist. Und selbst in den hauseigenen Wahlfilmchen im Internet nicht vorkommt. Auch sie beschäftigen sich zwar satirisch, aber eben auch nur mit Putin und Medwedew.
Den Agitprop-Ideenwettbewerb hat er damit verloren – und der interessiert bislang weit mehr als die Wahlen selbst, deren Ergebnisse ja eh schon vorher feststehen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
"Alles war besser als Jelzin" - Sabine Adler hat ein Buch über ihre Zeit in Russland geschrieben
Kapitalismus für alle - Der russische Oligarch Michail Prochorow an der Spitze der Partei "Rechte Sache"
Interview: Russland zwischen Demokratie und Autokratie