Europäisch denken, lokal handeln
Ein breites gesellschaftliches Bündnis wirbt in Niedersachsen für die EU - und dafür, dass viele Menschen an der Europawahl teilnehmen. Unterstützt werden die Initiativen auch von Birgit Honé, der niedersächsischen Europaministerin.
"Wir warten auf Sonne und warmes Wasser, damit wir dann endlich reinspringen dürfen"
"Aber ich habe gehört, dass ein bisschen hier auch angeheizt werden kann?"
"Ja, bis 20 Grad, aber da kann man ja im Moment nicht gegen anheizen"
"Aber ich habe gehört, dass ein bisschen hier auch angeheizt werden kann?"
"Ja, bis 20 Grad, aber da kann man ja im Moment nicht gegen anheizen"
Die Freibadfreunde Uetze eröffnen die Badesaison – was abschreckt, ist die Witterung: Zwölf Grad Wassertemperatur bei nordischem Nieselregen. Noch wagt keiner den Sprung in das kalte Nass.
Ministerin mit EU-Regenschirm
Dafür lüftet Birgit Honé ihren Regenschirm. Einen Schirm mit gelben Europasternen auf blauem Grund. Niedersachsens Ministerin für Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung lässt dem Blick schweifen über schmucke Strandkörbe auf gepflegtem Rasen, Blumenbeete, Sträucher, Sonnenliegen. Stolz führen die Freibadfreunde die Sozialdemokratin zum Beckenrand.
Vorstand Michael Kropp erzählt, wie die Aktiven vor bald zehn Jahren ihre Genossenschaft gründeten, um ihr betagtes Freibad in Zeiten klammer Gemeindekassen zu übernehmen – in bürgerlicher Eigenregie.
"Und dann ging es natürlich los", erinnert sich Michael Kropp. "Wo kriegen wir die Gelder her? Da mussten wir viele Steinchen aus dem Weg räumen. Da gab es diese LEADER-Geschichte – und so sind wir dann sozusagen auf die Schiene gekommen, dass man natürlich auch andere Mittel vielleicht anzapfen kann."
1,5 Millionen Euro verschlang der Umbau zum Schwimmbad mit ökologischer Wasseraufbereitung - immerhin 100.000 Euro kamen von der Europäischen Union. Seit 1991 fördert die Gemeinschaft modellhaft innovative Aktionen im ländlichen Raum.
"Wenn Sie mal so draufschauen, sieht das fast so aus wie beim Forellenteich. Da kommen so kleine Sachen hoch, als wenn da so ein Fisch Luft holt, und darunter befinden sich dann die Düsen", sagt Michael Kropp.
EU fördert Klimaschutz, Artenvielfalt und Gemeinsinn
In den Verhandlungen um den mehrjährigen EU-Haushalt spricht sich Europaministerin Honé für eine Stärkung der sogenannten Regionalmittel aus – wohl auf Kosten der Direktzahlungen an Landwirte.
Statt wie bisher mit der Fördergießkanne über das Land zu ziehen, soll die Union künftig noch stärker zielgerichtet solche Projekte fördern, die der lokalen Wirtschaft in den besonders von Überalterung und Abwanderung betroffenen Regionen aufhelfen.
Jetzt, kurz vor der Europawahl, reist die 58-Jährige quer durch Niedersachsen. Sie schnuppert an Blühstreifen, besucht eine Einrichtung zur Senioren-Tagespflege. Sie will den Menschen bewusst machen, wie wichtig Europa längst für deren konkreten Alltagsbelange geworden ist.
"Hier ist was durch Eigenleistung geschaffen worden"
Und sie erzählt, was EU-Fördermittel für den Klimaschutz, die Artenvielfalt und für das soziale Gefüge auf dem Lande bewirken:
"Hier ist durch Eigenleistung der Bürgerinnen und Bürger was geschaffen worden, was weit über ein Kleinod hinausgeht. Und das ist die Erfahrung, die ich landauf landab gemacht habe, dass bei diesen Projekten, die durch bürgerschaftliches Engagement entstanden sind, das sind oft Keimzellen dafür, dass noch viele andere Dinge entstehen. Man muss sich aufgehoben fühlen – dann kommen auch die jungen Leute wieder in die ländlichen Räume zurück."
Unwissenheit befördert EU-Müdigkeit
Wolfram Dörner steht unter dem Sprungturm und nickt zustimmend. Dörner, 1952 in der damaligen DDR geboren, war noch ein kleines Kind als seine Familie in den Westen übersiedelte.
Seit einer kleinen Ewigkeit lebt und schwimmt er nun in Uetze: "Meiner Meinung nach müsste es viel deutlicher den Bürgern bekannt sein, für welche Zwecke Europa Geld ausgibt. Man denkt auch, Deutschland ist der große Geldgeber. Wir sind sicherlich auch derjenige, der sehr viel hineingibt, aber auch viel rausbekommt am Ende, muss man auch sagen. Die Europa-Müdigkeit hängt sehr damit zusammen, dass diese Dinge nicht genügend gut in die Gesellschaft hineingetragen werden."
Auf Landes-Ebene wirbt das Bündnis "Niedersachsen für Europa" für die Europäische Union und ihre Verdienste. "Wir haben ein großes Fest organisiert, wir werben für Europa – und vorhin tauchte so ein bisschen die Frage auf: Warum sollten wir denn uns für Europa so stark machen und einsetzen?"
"Ja, wir müssen wirklich für Europa werben, und zwar deswegen, weil die Erfolge von Europa scheinbar so selbstverständlich sind."
Wahl-Mobilisierung mit Crêpes und Luftballons
Ortswechsel: Wir sind in Hannover. Europafest auf dem Opernplatz: Aus Holzbuden heraus werden Info-Flyer, Wimpel und Luftballons an die spärlichen Besucher verteilt. Es gibt französische Crêpes und belgisches Bier. Ministerpräsident Stephan Weil steht auf der Bühne und versucht sich als Anheizer.
Hinter der Initiative, die sich zugleich für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung bei der Europawahl am 26. Mai einsetzt, stehen neben der Landesregierung und den beiden großen christlichen Kirchen, rund 200 weitere Verbände, Firmen und Gruppierungen von der Ostfriesischen Landschaft bis zum VW-Konzern – keine Frage, so Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil:
"Das ist für uns so selbstverständlich, aber das ist es gar nicht: Historiker sagen, es hat noch nie eine so lange Phase zum Beispiel bei uns in Deutschland gegeben, wo es keinen Krieg gegeben hat. Und das hängt natürlich ganz unmittelbar mit Europa zusammen, weil damit die unterschiedlichen Länder so eng zusammengerückt sind wie noch nie - und das kann man ruhig mal in Erinnerung rufen."
Und markig fügt der Sozialdemokrat hinzu: "Populismus ist keine Lösung – und das beste Argument in der Hinsicht ist übrigens: Schaut euch an, was gerade in Großbritannien los ist! Dann seht Ihr, was Populismus mit Ländern machen kann."
Einsatz für ein weltoffenes und bürgernahes Europa
Nicht nur der Ministerpräsident setzt auf Europa – auch junge Menschen wie Tobias von Gostomski, der Landesvorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten, die sich für ein weltoffenes, bürgernahes und demokratisches Europa einsetzen.
Der 25-Jährige sitzt mit Mitstreitern in einem Seminarraum der Universität Göttingen. Laptops und Tablets surren auf dem Tisch. Seine Eltern stammen aus Polen und leben in Deutschland. Ein offenes Europa ermöglichte ihm einen Freiwilligendienst in England, danach ein Erasmus-Studium in Dänemark.
Der angehende Jurist weiß von den großen und kleinen Errungenschaften der EU: von der Abschaffung der Roaming-Gebühren bis zur Reisefreiheit – doch Tobias von Gostomski ist es leid, diese immerzu in abgedroschen Phrasen zu beschwören:
"Ich störe mich auch so ein bisschen daran, dass viele führende Politikerinnen und Politiker diese Wahl als Schicksalswahl hochjazzen, weil ich glaube, das ist nicht förderlich für die europäische Einigung und auch nicht förderlich für die europäische Demokratie. Denn ich glaube, dass die Menschen eher an rationalen Vorschlägen interessiert sind. Also wirklich auch Lösungen präsentiert bekommen möchten, wie es sinnvoll auf der heutigen Grundlage vorangehen kann – und man nicht in den Antagonismus zurückfällt in mehr oder weniger Europa. Ich glaub, das 'catched' die Leute mittlerweile einfach nicht mehr."
Nur pro Europa sein, ist jungen Aktivisten zu wenig
Auch in Niedersachsen engagiert sich die "Generation Erasmus" in überparteilichen Bewegungen wie "Pulse of Europe" und den "Jungen Europäischen Föderalisten". Doch nur pro Europa sein, ist vielen jungen Aktivisten zu wenig: Sie fordern ein nachhaltiges Engagement über den Wahltag hinaus, die Beteiligung an überfälligen Reformdebatten, vom Subsidiaritätsprinzip bis hin zum Mehrheitsentscheid. Über das EU-Parlament sollen Europas Bürger endlich eigene Gesetzentwürfe vorlegen können. Kurz gesagt: Statt blumiger Sonntagsreden sind beherzte Taten gefragt, damit die EU nicht zur lahmen Krücke verkommt.
Und wenn er sieht, mit welcher Arroganz manche Vertreter der etablierten Parteien auf die Klima- und Urheberrechtsproteste junger Menschen reagieren, dann ärgert er sich richtig.
Strategischer Ansatz nach dem Schneeballprinzip
Dass die breite Kampagne pro Europa auf Emotion pur und sogenannte Influencer setzt, begrüßen die Jungen Europäischen Föderalisten.
"Durch diese Aktion, die wir jetzt hier planen, versuchen wir eben über unsere privaten Kontakte diese Blase zu verlassen und auch Menschen zu erreichen, die nicht so super viel mit Europa zu tun haben. Deswegen haben wir uns gedacht, dass wir so Bilder posten."
Über soziale Medien Freunde für Europa zu begeistern, und hoffen, dass diese dann wieder andere dazu anregen, wählen zu gehen, das ist ihr strategischer Ansatz nach dem Schneeballprinzip. Das Ganze ohne moralischen Zeigefinger.
Göttingen profitiert vom Europäischen Regionalfonds
So sieht man auf einem der Fotos Tobias von Gostomski wie er sich lässig in der Göttinger Theaterstraße an eine Hauswand lehnt. Die Sanierung des Quartiers wurde mit Mitteln aus dem Europäischen Regionalfonds gefördert.
"Erst durch europäische Mittel konnte dieser Innenstadt-Bereich revitalisiert und erneuert werden. Und seitdem das passiert ist, ist es auf jeden Fall sehr einladend, dort zu flanieren. Und man einfach den Eindruck hat, dass das zum Lebensgefühl der Stadt maßgeblich beigetragen hat."
Nur noch wenige Tage bis zur Wahl – auf dem Europafest in Hannover greift Michael Hale jetzt zur Klampfe und teilt Liedtexte aus. Der Volkshochschullehrer im Ruhestand ist eigentlich Brite, doch er hat die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Hale hat sich für Europa entschieden, weil für ihn das einfach zum Lebensgefühl dazu gehört:
"Als dieses Brexit-Referendum so schrecklich ausgegangen ist, mein Bruder sagt: Wir sind keine Europäer. Und ich dachte in dem Moment: Ich schon. Wenn Brexit überhaupt irgendetwas bewirkt hat, dann dass durch diese Diskussion viel mehr Menschen bewusst ist, was wir eigentlich davon haben und was wir auch damit machen. Wenn öffentliches Engagement kommt, wenn mehr Leute zur Wahl gehen, wenn mehr Leute sich mit den Themen beschäftigen, dann hoffe ich, dass wir mehr Verbindungen haben werden!"