Bürger wollen kein "Adressat von fertigen Lösungen" sein
Die Bürger seien immer weniger bereit, "nur Adressat von Informationen und fertigen Lösungen zu sein", sagt Oliver Märker, Experte für Bürgerbeteiligung. Sie "wollen frühzeitig informiert werden und ihre Hinweise, Ideen gerade aus der Betroffenheit heraus mit in die Planung einfließen sehen". Dies sei bei Stuttgart 21 "nur suboptimal" geschehen.
Ulrike Timm: Die Schlichtung zu Stuttgart 21 wurde von Flensburg bis München nicht eines Bahnhofs wegen verfolgt, das Interesse galt der Diskussion an sich. Auch der Schlichterspruch machte deutlich: Es ist pseudodemokratisch, wenn Politik und Wirtschaft über viele Jahre im Hinterzimmer und hinter einer Wand unverständlicher Worte Großprojekte ausklamüsern, weil der Bürger sie ja gewählt hat, und der Bürger bekommt davon zu Recht gar nichts mit. Andererseits legt unser Grundgesetz das Prinzip der repräsentativen Demokratie fest. Der Politologe Wolf-Dieter Narr sprach in unserem Programm gestern zugespitzt gar von repräsentativem Absolutismus. Wie kriegt man da die Kurve? Wie hält man die Balance von demokratischem Anspruch und demokratischer Praxis. Oliver Märker hat den Prozess einer besseren Bürgerbeteiligung in verschiedenen deutschen Städten begleitet, unter anderem in Essen, in Köln und in Bonn, und er ist uns jetzt zugeschaltet. Schönen guten Tag, Herr Märker!
Oliver Märker: Schönen guten Tag!
Timm: Welche Themen lassen sich denn Ihrer Erfahrung nach gut im ständigen Dialog mit dem Bürger verhandeln?
Märker: Also es gibt viele Themen, die sich verhandeln oder diskutieren lassen mit dem Bürger – Voraussetzung ist immer, dass ein Spielraum vorhanden ist. Das haben Sie ja eben auch schon in Ihrer Einleitung gesagt, dass bei Stuttgart 21 die Spielräume eigentlich nicht mehr vorhanden waren. Zum Beispiel ist in der Stadt Köln zurzeit eine Bürgerbeteiligung am Laufen, da geht es um die sogenannte Lärmaktionsplanung. Jede Stadt in Deutschland, die eine gewisse Größe hat, also Ballungsraumgröße ab 200.000 Einwohner, ist dazu verpflichtet, eine Lärmaktionsplanung durchzuführen, sprich Maßnahmen zu entwickeln, wie der Lärm in der Stadt gemindert werden soll. Und die Stadt Köln hat jetzt im Gegensatz zu vielen anderen Städten die Bürger und Bürgerinnen im Internet dazu aufgerufen, Vorschläge zu machen, wo man und wie man Lärm mindern könnte. In der Regel läuft es ja so ab, dass solche Pläne, wie zum Beispiel zur Lärmminderung, irgendwo aushängen und dann zwei, drei Bürger ins Amt gehen und sich so etwas anschauen, und in der Regel bekommen sie da kein Feedback, keine Vorschläge, keine Hinweise.
Timm: Und solche Vorschläge, kommen die dann durch oder läuft das nach dem Motto, schön, dass wir miteinander geredet haben?
Märker: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Es muss natürlich ein Versprechen, ein Leistungsversprechen von der Verwaltung der Politik geben, dass das, was die Bürger sagen, an Feedback geben, an Hinweisen, an Vorschlägen, in den politisch administrativen Planungs- und Beratungsprozess einfließt. Wenn das nicht der Fall ist, dann können Sie einmal die Bürger aufrufen, beim zweiten Mal werden Sie sie nicht mehr zur Beteiligung motivieren können. Das hat jetzt die Stadt Köln auch gesagt, dass die von den Bürgerinnen und Bürgern vorgeschlagenen Ideen in die Maßnahmenplanung hinein sollen, berücksichtigt werden sollen, und wenn dann die Maßnahmen entwickelt wurden, die auch noch mal zur Abstimmung und zum Feedback erneut zur Diskussion gestellt werden, also sogar eine zweiphasige Bürgerbeteiligung ist hier vorgesehen.
Timm: Wie verhindert man denn bei einer Bürgerbeteiligung, dass man sich entweder demokratisch heillos und unendlich zerfleddert beziehungsweise auch, dass sich der durchsetzt, der am lautesten schreit, um seine eigenen Interessen zu wahren – also wenn man zum Beispiel sagt, alle wollen eine Straße, aber keiner will sie vor seiner Tür?
Märker: Ich denke, dass es immer wichtig ist, dass man nicht nur die Gegner, sondern auch die Befürworter mobilisiert. Das ist nicht ganz einfach, weil die Befürworter oft aufgrund noch fehlender Betroffenheit nicht so … manchmal noch nicht kennen beziehungsweise sie nicht gehört werden. Das Problem ist, wenn Sie nur diejenigen, die sowieso schon mobilisiert sind, die sich sowieso schon organisiert haben gegen etwas, in so ein Verfahren hineinholen, dann ist das zwar auch wichtig, aber Sie sollten immer versuchen, den Kreis derjenigen, die etwas zu sagen haben, möglichst vielfältig und heterogen zu gestalten.
Timm: Aber Stuttgart 21, hätten Sie da gern mitgemischt oder wäre das eine Nummer zu groß? Denn auch das Ergebnis der Schlichtung war ja, dass alles schon viel zu weit gediehen ist, um von Grund auf was zu ändern.
Märker: Ja, also ich denke, dass Stuttgart 21 von der gesellschaftlichen Entwicklung überholt worden ist. Es ist in der Tat so, dass ich mich zu diesem Punkt nicht in Form einer Bürgerbeteiligung engagieren wollte, weil es in der Tat, wie Sie auch selber schon anmoderiert haben, zu spät war. Also der Zeitpunkt ist zu spät gewesen, man hat letztendlich das Verfahren zu spät zum Bürger hin geöffnet, und man ist letztendlich von – wie ich schon gesagt habe – auch von der gesellschaftlichen Entwicklung überholt worden. Als die ersten Planungen vor zehn, 15 Jahren begannen, da war die Gesellschaft möglicherweise noch eher bereit, sozusagen sich als Adressat eines Ergebnisses behandeln zu lassen, aber die Bürger und Bürgerinnen sind immer weniger bereit, nur Adressat von Informationen und fertigen Lösungen zu sein, sondern sie wollen frühzeitig informiert werden, sie wollen aber auch ihre Hinweise, Ideen gerade aus der Betroffenheit heraus mit in die Planung einfließen sehen. Und das ist in Stuttgart 21 – ich will es mal milde ausdrücken – nur suboptimal geschehen.
Timm: Meint Oliver Märker, Experte für Bürgerbeteiligung, hier im Programm von Deutschlandradio Kultur. Herr Märker, Sie betreiben für die Bundeszentrale für politische Bildung die Internetplattform Bürgerhaushalt. Was ist denn eigentlich ein Bürgerhaushalt?
Märker: Ein Bürgerhaushalt, das ist eine Bezeichnung, vielleicht auch eine etwas, ja, ich sag mal eine etwas missdeutige Bezeichnung, weil man denkt, der Bürger könnte jetzt den Haushalt einer Stadt entscheiden.
Timm: Ja, zumal alles wird durch Steuern finanziert, ist also per se ein großer Bürgerhaushalt, also muss man aus diesem großen Haushalt irgendeinen Bereich abzweigen, einen kleineren, und den dann Bürgerhaushalt nennen, oder wie muss man sich das vorstellen?
Märker: Also es gibt Bürgerhaushalte, die das so machen, wie Sie das gesagt haben, dass man in einer Kommune, die ja jedes Jahr oder wenn sie einen Doppelhaushalt hat alle zwei Jahre die sogenannte kommunale Haushaltsplanung macht, sprich, die Verwaltung bringt einen Vorschlag ein, wie der Haushalt aussehen soll, also sprich, wo das Geld ausgegeben werden soll oder wo es eben nicht ausgegeben werden soll, und die Politik berät diesen Entwurf und entscheidet ihn. Das ist letztendlich ein sehr fundamentaler Prozess, und es gibt manche Städte, die sagen, okay, ein ganz kleines Budget zweigen wir ab, und dann kann der Bürger sagen, welche Projekte er damit realisieren will.
Timm: Und wie funktioniert denn ganz praktisch oder vielleicht auch an einem Beispiel die Verteilung dieses kleinen Teils des Kuchens, dieses Bürgerhaushalts?
Märker: Also das ist wie gesagt nur eine Variante des Bürgerhaushaltes. Das passiert so, dass man dann in die Quartiere geht und die Menschen einlädt und mit ihnen diskutiert und Projekte entwickeln lässt und dann abstimmen lässt, je nach Quartier. Wenn die Quartiersbezug haben, also wenn es zum Beispiel um einen Spielplatz geht oder um eine soziale Einrichtung, dann wird dann vor Ort darüber abgestimmt, und das wird dann alles zusammengeführt, und am Ende wird dann entschieden, welche Projekte umgesetzt werden können oder nicht. Aber die meisten Bürgerhaushalte in Deutschland sind eigentlich ganz anders, da wird nämlich nicht ein Budget vorher festgelegt, sondern die Bürgerinnen und Bürger werden aufgefordert, Vorschläge zu machen, entweder zu bestimmten Haushaltsthemen wie zum Beispiel zum Thema Sport oder Kultur Vorschläge zu machen, wo sie wollen, dass Geld ausgegeben wird oder mehr Geld ausgegeben werden soll oder wo auch gespart werden soll.
Timm: Und dann können Bürger wirklich in einem kommunalen Haushalt Akzente setzen, die, wenn man die Kommunalpolitiker alleine machen ließe, so wahrscheinlich nicht gesetzt würden?
Märker: Also sie haben zumindest die Chance, den Beratungsprozess der Politik durch eigene Vorschläge oder Prioritätensetzungen zu beeinflussen. Am Ende entscheidet auch bei einem Bürgerhaushalt, auch wenn er Bürgerhaushalt heißt, der Rat, also die repräsentativ gewählten PolitikerInnen, aber sie haben, wie Sie richtig gesehen haben, zumindest die Chance, diesen Beratungsprozess durch Vorschläge und auch Bewertungsprozesse, Prioritätensetzungen zu beeinflussen und möglicherweise etwas die Akzentuierung und Prioritätensetzung in der Politik zu verändern.
Timm: Wenn es dann doch nur um einen verhältnismäßig kleinen Spielraum geht, selbst wenn in dem lebhaft diskutiert wird, sind Sie denn in Ihren Erfahrungen mit Bürgerhaushalten und mit Bürgerbeteiligung auch mal irgendwo völlig damit gegen die Wand gefahren?
Märker: Also das Problem bei diesen Verfahren ist in der Tat immer, dass am Ende es passieren kann, dass der Input aus der Bürgerschaft nicht genug beachtet wird und auch nicht genug rückgemeldet wird. Also selbst wenn alles nicht angenommen würde, passiert es in manchen Städten, dass das noch nicht mal vernünftig zurückgemeldet wird an die Bürgerschaft, warum man das abgelehnt hat. Und das ist ein wichtiger Prozess, der in manchen Städten besser und in anderen Städten weniger gut funktioniert, aber es ist immer, ein Bürgerhaushalt ist immer auch ein Prozess über viele Jahre. Und es ist ein schwieriger Öffnungsprozess, weil Sie müsse sich vorstellen, diese Verfahren waren 40, 50 Jahre lang letztendlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und sie werden langsam geöffnet, und ich denke, dass man das als Prozess sehen wird. Und man eben in einer Kommune der Politik auch Zeit geben, sich diesen Prozessen zu öffnen.
Timm: Oliver Märker, Spezialist für Bürgerbeteiligungen und Bürgerhaushalte, erklärte uns dass auch auf der kommunalen Ebene - bei aller Hoffnung - alles nach dem Prinzip läuft, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Vielen Dank fürs Gespräch!
Märker: Ich danke Ihnen auch!
Oliver Märker: Schönen guten Tag!
Timm: Welche Themen lassen sich denn Ihrer Erfahrung nach gut im ständigen Dialog mit dem Bürger verhandeln?
Märker: Also es gibt viele Themen, die sich verhandeln oder diskutieren lassen mit dem Bürger – Voraussetzung ist immer, dass ein Spielraum vorhanden ist. Das haben Sie ja eben auch schon in Ihrer Einleitung gesagt, dass bei Stuttgart 21 die Spielräume eigentlich nicht mehr vorhanden waren. Zum Beispiel ist in der Stadt Köln zurzeit eine Bürgerbeteiligung am Laufen, da geht es um die sogenannte Lärmaktionsplanung. Jede Stadt in Deutschland, die eine gewisse Größe hat, also Ballungsraumgröße ab 200.000 Einwohner, ist dazu verpflichtet, eine Lärmaktionsplanung durchzuführen, sprich Maßnahmen zu entwickeln, wie der Lärm in der Stadt gemindert werden soll. Und die Stadt Köln hat jetzt im Gegensatz zu vielen anderen Städten die Bürger und Bürgerinnen im Internet dazu aufgerufen, Vorschläge zu machen, wo man und wie man Lärm mindern könnte. In der Regel läuft es ja so ab, dass solche Pläne, wie zum Beispiel zur Lärmminderung, irgendwo aushängen und dann zwei, drei Bürger ins Amt gehen und sich so etwas anschauen, und in der Regel bekommen sie da kein Feedback, keine Vorschläge, keine Hinweise.
Timm: Und solche Vorschläge, kommen die dann durch oder läuft das nach dem Motto, schön, dass wir miteinander geredet haben?
Märker: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Es muss natürlich ein Versprechen, ein Leistungsversprechen von der Verwaltung der Politik geben, dass das, was die Bürger sagen, an Feedback geben, an Hinweisen, an Vorschlägen, in den politisch administrativen Planungs- und Beratungsprozess einfließt. Wenn das nicht der Fall ist, dann können Sie einmal die Bürger aufrufen, beim zweiten Mal werden Sie sie nicht mehr zur Beteiligung motivieren können. Das hat jetzt die Stadt Köln auch gesagt, dass die von den Bürgerinnen und Bürgern vorgeschlagenen Ideen in die Maßnahmenplanung hinein sollen, berücksichtigt werden sollen, und wenn dann die Maßnahmen entwickelt wurden, die auch noch mal zur Abstimmung und zum Feedback erneut zur Diskussion gestellt werden, also sogar eine zweiphasige Bürgerbeteiligung ist hier vorgesehen.
Timm: Wie verhindert man denn bei einer Bürgerbeteiligung, dass man sich entweder demokratisch heillos und unendlich zerfleddert beziehungsweise auch, dass sich der durchsetzt, der am lautesten schreit, um seine eigenen Interessen zu wahren – also wenn man zum Beispiel sagt, alle wollen eine Straße, aber keiner will sie vor seiner Tür?
Märker: Ich denke, dass es immer wichtig ist, dass man nicht nur die Gegner, sondern auch die Befürworter mobilisiert. Das ist nicht ganz einfach, weil die Befürworter oft aufgrund noch fehlender Betroffenheit nicht so … manchmal noch nicht kennen beziehungsweise sie nicht gehört werden. Das Problem ist, wenn Sie nur diejenigen, die sowieso schon mobilisiert sind, die sich sowieso schon organisiert haben gegen etwas, in so ein Verfahren hineinholen, dann ist das zwar auch wichtig, aber Sie sollten immer versuchen, den Kreis derjenigen, die etwas zu sagen haben, möglichst vielfältig und heterogen zu gestalten.
Timm: Aber Stuttgart 21, hätten Sie da gern mitgemischt oder wäre das eine Nummer zu groß? Denn auch das Ergebnis der Schlichtung war ja, dass alles schon viel zu weit gediehen ist, um von Grund auf was zu ändern.
Märker: Ja, also ich denke, dass Stuttgart 21 von der gesellschaftlichen Entwicklung überholt worden ist. Es ist in der Tat so, dass ich mich zu diesem Punkt nicht in Form einer Bürgerbeteiligung engagieren wollte, weil es in der Tat, wie Sie auch selber schon anmoderiert haben, zu spät war. Also der Zeitpunkt ist zu spät gewesen, man hat letztendlich das Verfahren zu spät zum Bürger hin geöffnet, und man ist letztendlich von – wie ich schon gesagt habe – auch von der gesellschaftlichen Entwicklung überholt worden. Als die ersten Planungen vor zehn, 15 Jahren begannen, da war die Gesellschaft möglicherweise noch eher bereit, sozusagen sich als Adressat eines Ergebnisses behandeln zu lassen, aber die Bürger und Bürgerinnen sind immer weniger bereit, nur Adressat von Informationen und fertigen Lösungen zu sein, sondern sie wollen frühzeitig informiert werden, sie wollen aber auch ihre Hinweise, Ideen gerade aus der Betroffenheit heraus mit in die Planung einfließen sehen. Und das ist in Stuttgart 21 – ich will es mal milde ausdrücken – nur suboptimal geschehen.
Timm: Meint Oliver Märker, Experte für Bürgerbeteiligung, hier im Programm von Deutschlandradio Kultur. Herr Märker, Sie betreiben für die Bundeszentrale für politische Bildung die Internetplattform Bürgerhaushalt. Was ist denn eigentlich ein Bürgerhaushalt?
Märker: Ein Bürgerhaushalt, das ist eine Bezeichnung, vielleicht auch eine etwas, ja, ich sag mal eine etwas missdeutige Bezeichnung, weil man denkt, der Bürger könnte jetzt den Haushalt einer Stadt entscheiden.
Timm: Ja, zumal alles wird durch Steuern finanziert, ist also per se ein großer Bürgerhaushalt, also muss man aus diesem großen Haushalt irgendeinen Bereich abzweigen, einen kleineren, und den dann Bürgerhaushalt nennen, oder wie muss man sich das vorstellen?
Märker: Also es gibt Bürgerhaushalte, die das so machen, wie Sie das gesagt haben, dass man in einer Kommune, die ja jedes Jahr oder wenn sie einen Doppelhaushalt hat alle zwei Jahre die sogenannte kommunale Haushaltsplanung macht, sprich, die Verwaltung bringt einen Vorschlag ein, wie der Haushalt aussehen soll, also sprich, wo das Geld ausgegeben werden soll oder wo es eben nicht ausgegeben werden soll, und die Politik berät diesen Entwurf und entscheidet ihn. Das ist letztendlich ein sehr fundamentaler Prozess, und es gibt manche Städte, die sagen, okay, ein ganz kleines Budget zweigen wir ab, und dann kann der Bürger sagen, welche Projekte er damit realisieren will.
Timm: Und wie funktioniert denn ganz praktisch oder vielleicht auch an einem Beispiel die Verteilung dieses kleinen Teils des Kuchens, dieses Bürgerhaushalts?
Märker: Also das ist wie gesagt nur eine Variante des Bürgerhaushaltes. Das passiert so, dass man dann in die Quartiere geht und die Menschen einlädt und mit ihnen diskutiert und Projekte entwickeln lässt und dann abstimmen lässt, je nach Quartier. Wenn die Quartiersbezug haben, also wenn es zum Beispiel um einen Spielplatz geht oder um eine soziale Einrichtung, dann wird dann vor Ort darüber abgestimmt, und das wird dann alles zusammengeführt, und am Ende wird dann entschieden, welche Projekte umgesetzt werden können oder nicht. Aber die meisten Bürgerhaushalte in Deutschland sind eigentlich ganz anders, da wird nämlich nicht ein Budget vorher festgelegt, sondern die Bürgerinnen und Bürger werden aufgefordert, Vorschläge zu machen, entweder zu bestimmten Haushaltsthemen wie zum Beispiel zum Thema Sport oder Kultur Vorschläge zu machen, wo sie wollen, dass Geld ausgegeben wird oder mehr Geld ausgegeben werden soll oder wo auch gespart werden soll.
Timm: Und dann können Bürger wirklich in einem kommunalen Haushalt Akzente setzen, die, wenn man die Kommunalpolitiker alleine machen ließe, so wahrscheinlich nicht gesetzt würden?
Märker: Also sie haben zumindest die Chance, den Beratungsprozess der Politik durch eigene Vorschläge oder Prioritätensetzungen zu beeinflussen. Am Ende entscheidet auch bei einem Bürgerhaushalt, auch wenn er Bürgerhaushalt heißt, der Rat, also die repräsentativ gewählten PolitikerInnen, aber sie haben, wie Sie richtig gesehen haben, zumindest die Chance, diesen Beratungsprozess durch Vorschläge und auch Bewertungsprozesse, Prioritätensetzungen zu beeinflussen und möglicherweise etwas die Akzentuierung und Prioritätensetzung in der Politik zu verändern.
Timm: Wenn es dann doch nur um einen verhältnismäßig kleinen Spielraum geht, selbst wenn in dem lebhaft diskutiert wird, sind Sie denn in Ihren Erfahrungen mit Bürgerhaushalten und mit Bürgerbeteiligung auch mal irgendwo völlig damit gegen die Wand gefahren?
Märker: Also das Problem bei diesen Verfahren ist in der Tat immer, dass am Ende es passieren kann, dass der Input aus der Bürgerschaft nicht genug beachtet wird und auch nicht genug rückgemeldet wird. Also selbst wenn alles nicht angenommen würde, passiert es in manchen Städten, dass das noch nicht mal vernünftig zurückgemeldet wird an die Bürgerschaft, warum man das abgelehnt hat. Und das ist ein wichtiger Prozess, der in manchen Städten besser und in anderen Städten weniger gut funktioniert, aber es ist immer, ein Bürgerhaushalt ist immer auch ein Prozess über viele Jahre. Und es ist ein schwieriger Öffnungsprozess, weil Sie müsse sich vorstellen, diese Verfahren waren 40, 50 Jahre lang letztendlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und sie werden langsam geöffnet, und ich denke, dass man das als Prozess sehen wird. Und man eben in einer Kommune der Politik auch Zeit geben, sich diesen Prozessen zu öffnen.
Timm: Oliver Märker, Spezialist für Bürgerbeteiligungen und Bürgerhaushalte, erklärte uns dass auch auf der kommunalen Ebene - bei aller Hoffnung - alles nach dem Prinzip läuft, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Vielen Dank fürs Gespräch!
Märker: Ich danke Ihnen auch!