Mitmachen lohnt sich
Kein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit sind Bürgerhaushalte. Besser als nur meckern sind sie allemal. In manchen Städten der Republik funktioniert das Mitmach-Konzept richtig gut, wie der Blick ins hessische Darmstadt zeigt.
Junge Frauen mit Kinderwagen queren den Darmstädter Riegerplatz auf dem Weg vom Gemüsestand zum Biobäcker. Vor zwei Jahrzehnten noch nutzen Autofahrer den Mittelpunkt des Martinsviertels komplett als Parkplatz. Dass ein Teil zum Wochenmarkt umfunktioniert wurde, ist Ergebnis einer Bürgerinitiative. Öffentliches Engagement hat im Martinsviertel Tradition. Und der Bürgerhaushalt ist den jungen Müttern ein Begriff:
"Ja, als der Bürgermeister Partsch ins Amt gewählt wurde, habe ich das auf der Internetseite gelesen, dass es eine Absicht oder ein Interesse von ihm ist, die Bürger stärker zu beteiligen."
"Mein Mann ist da öfter mal aktiv und hat Vorschläge bewertet, kann man ja bewerten, ob gut oder nicht gut. Der guckt sich da schon immer um, was es da Neues gibt. Er ist immer für Ausbau der Radwege, das ist da immer auch ein Thema, das weiß ich, dass ihn das beschäftigt hat."
"Ja ich weiß, dass mein Schwiegervater da einen Vorschlag gemacht hat",
nämlich den Darmbach in der Stadtmitte wieder frei fließen zu lassen: eine der heiß umstrittenen und längst nicht zu Ende diskutierten Ideen auf der Internet-Plattform www.da-bei.darmstadt.de.
Grün-schwarze Teilhabe-Konzepte
Mit Jochen Partsch bekam die südhessische Kommune als erste hessische Großstadt einen grünen Oberbürgermeister. Kurze Zeit später schmiedete die Stadtregierung die erste grün-schwarze Koalition in Hessen und legte los mit neuen Teilhabe-Konzepten, darunter der Bürgerhaushalt. Von Ermüdung nach vier Jahren keine Spur, konstatiert Stadtkämmerer André Schellenberg. Der CDU-Politiker verzeichnet
"stetig steigende Nutzer der Internetplattform. Wir haben in diesem Jahr 1500 Nutzer gehabt, das ist eine Zahl die uns zufriedenstellt, ein Prozent der Bevölkerung, eine Zahl, die deutlich steigt. Und wir haben bei den jährlich durchgeführten Bürgerversammlungen auch etwa 450 Besucher. Für Haushaltsfragen ist das eine Zahl, die uns positiv stimmt, 450 Besucher für eine doch sehr technisch geprägte Veranstaltung."
Jeweils zu Jahresanfang legt die Stadt Rechenschaft darüber ab, welche Vorschläge aus der 24-stelligen Ideen-Hitliste in den Haushaltsberatungen durchkamen. 200.000 Euro pro Jahr kostet die Anregung, Darmstadts Schulen eine bessere IT-Ausstattung zu verpassen, das schmerzt den Kämmerer durchaus. Andererseits freut sich Schellenberg über"Sparvorschläge mit Hand und Fuß":
"Ein schönes Beispiel ist, dass Bürger gesagt haben, wir wollen die Grünflächenpflege vor unserer Haustür, in unserer Straße ehrenamtlich selbst übernehmen. Das ist jetzt im wahrsten Sinne des Wortes ein zartes Pflänzchen, was jetzt gedeiht. Schon im großen Stil im Park Rosenhöhe, eine Anlage noch aus Herzogs Zeiten, wo sich die Bürger in der Grünflächenpflege engagieren."
In Darmstadt gedeiht der Bürgersinn
Unter Anleitung der Mitarbeiter des Grünflächenamtes allerdings, in deren Hand bleibt auch die Motorsäge beim Gärtnern im historischen Park. Die gemeinsame Arbeit lässt im Viertel neue Kontakte wachsen. Bürgersinn gedeiht ganz nebenbei. Warum der Bürgerhaushalt anderswo als Rohrkrepierer endet, in Darmstadt aber als belebender Impulsgeber gilt? Carsten Buchholz, von Beruf Projektentwickler, zuckt die Schultern. Der alleinerziehender Vater und Hobby-Blogger weiß nicht, warum es anderswo schlecht funktioniert, kann aber sagen, woran er den Darmstädter Erfolg festmacht. Die Internetplattform und die Bürgerversammlungen findet er gut organisiert.
Den Initiatoren nimmt er ab, dass sie die Bürger als Etat-Berater ernstnehmen:
"Ich persönlich fühle mich abgeholt und interessiere mich mehr und intensiver für Kommunalpolitik, als ich das bisher getan habe."
Deshalb bloggt Buchholz auch über den Bürgerhaushalt und macht immer wieder Vorschläge. Obwohl er weiß, dass die Bürger nur einen Bruchteil des städtischen 500-Millionen-Euro-Etats beeinflussen.
"Das Problem, das nur ein Teil des Haushalts frei verfügbar ist, haben ja auch die Stadtverordneten selber. Auch die können ja nicht frei entscheiden, sondern die meisten Sachen sind einfach durch Recht und Gesetz schon gebunden, bzw. durch Schulden oder das Zahlen von Zinsen für Schulden, die man in der Vergangenheit gemacht hat. Das ist das Normale, und das müssen Bürger auch verstehen und lernen, dass Politik eben nicht Allmacht bedeutet, sondern sich auch in gewissen Grenzen bewegt."
Nicht nur für Bildungsbürger
Die Gefahr von getarntem Lobbyismus und Dominanz der Wortgewaltigen hält Buchholz für gering. Diskussionen und Abstimmungen im Netz lassen sich so leicht nicht dominieren, weiß der berufliche Internet-Experte. Buchholz würde den Bürgerhaushalt gern als kommunale Ideenmaschine weiter entwickeln, sieht die Zukunft darin, dass die Beteiligten Vorschläge online in einem moderierten Prozess gemeinschaftlich zu Kompromissen ausfeilen. Und diese, falls es dafür keine Haushaltsmittel gibt, notfalls in Eigenregie umsetzen. Dass das nur was für Bildungsbürger und ohnehin Politik-Affine bleibt, glaubt Buchholz nicht. Ihn jedenfalls hat die Aufbruchsstimmung gepackt. Und die hält er für ansteckend.