Die Not durch die Cholera
Im Bürgerkriegsland Jemen sterben viele Menschen an Cholera. Die Koordinatorin des Deutschen Roten Kreuzes, Astrid Nissen, beklagt, dass Hilfe schwer durchkommt, weil die Kriegsgegner sie an Checkpoints blockieren.
Nach dem Ausbruch einer Cholera-Epedemie leiden die Menschen in dem Bürgerkriegsland nun auch unter den Folgen dieser schweren Infektionskrankheit. Astrid Nissen koordiniert von Beirut aus für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) die Jemen-Hilfe. Sie berichtet im Deutschlandfunk von einem zusammen gebrochenen Gesundheitssystem, dass der schwierigen Lager kaum noch Herr wird. "Ja, in der Tat ist die Situation sehr kritisch", sagte Nissen. Durch starke Regenfälle in einigen Landesteilen habe sich die Lage zusätzlich verschlechert.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Zehntausende sind im Jemen wahrscheinlich erkrankt an der Cholera, einer Krankheit, die uns hierzulande scheint wie etwas aus grauer Vorzeit, längst besiegt. 30.000 Verdachtsfälle hat die WHO im Bürgerkriegsland Jemen registriert. Über 300 Menschen sollen dort an der Cholera bisher gestorben sein, auch weil es keinen Zugang zu sauberem Wasser gibt. Astrid Nissen koordiniert von Beirut aus die Hilfe für den Jemen und ist dort jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Astrid Nissen: Guten Morgen!
Billerbeck: Die Bilder, die wir aus dem Jemen sehen, sind dramatisch. Wie ist die Lage, was wissen Sie darüber?
Nissen: Ja, in der Tat ist die Situation sehr kritisch. Die Zahlen, die Sie gerade eben genannt haben, also bis zu 30.000 Verdachtsfälle und über 300 Tote, allein in den letzten drei Wochen, diese Situation kommt für die Menschen zusätzlich zu der ohnehin dramatischen Lage in vielen Teilen des Landes, wo durch den anhaltenden Konflikt die Versorgungslage eingeschränkt ist und auch die Gesundheitsversorgung für die Menschen auch vor dem Ausbruch, jetzt dem erneuten Ausbruch der Cholera, extrem kritisch war.
Billerbeck: Wo liegen denn die konkreten Ursachen für den Ausbruch der Krankheit?
Nissen: Gut, es ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die sich letztendlich … also sie ist nicht neu im Jemen. Wir haben in den letzten Monaten immer wieder einige Fälle registrieren müssen, aber was jetzt der Unterschied ist in den letzten drei Wochen, wo es zu einem starken Anstieg der Fälle gekommen ist, ist, dass es sehr starke Regenfälle in einigen Landesteilen, vor allen Dingen auch in der Stadt Sanaa gegeben hat, was dazu geführt hat, dass viele der Wasserquellen verseucht wurden mit den Bakterien. Dazu kommt, dass es eine schlechte, insgesamt, Wasser- und Abwasserversorgung für die Menschen dort gibt, und auch die Müllabfuhr funktioniert nur eingeschränkt. Das heißt, die hygienischen Umstände haben mit dazu beigetragen, und dann gleichzeitig jetzt der Anstieg der Temperaturen, der für einen starken Ausbruch oder Verbreitung der Bakterien führt.
Viele Krankenhäuser funktionieren nicht
Billerbeck: Das heißt, dieser Ausbruch der Cholera jetzt kam nicht überraschend, sondern hat sich schon länger angekündigt?
Nissen: Ja, wie gesagt, es gab schon registrierte und bestätigte Cholerafälle seit Herbst letzten Jahres, sodass also die Gesundheitsbehörden und auch die Hilfsorganisation wie das Rote Kreuz, aber auch andere, drauf vorbereitet waren. Die Situation, die es halt schwierig macht, den Ausbruch weiter einzudämmen, ist, dass, A, die Schwäche der Versorgungsleistung durch die Krankenhäuser, die halt insgesamt durch den anhaltenden Konflikt sehr in Mitleidenschaft gezogen sind. Also nur rund 45 Prozent der Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen im Land funktionieren heute überhaupt noch, und ein weiterer Punkt, der uns die Arbeit erschwert, ist, dass sowohl die Einfuhr von Medikamenten und anderen Hilfsgütern im Land, aber auch der Transport im Land durch den anhaltenden Konflikt sehr schwierig geworden ist.
Billerbeck: Wie frustrierend ist das für Helfer wie Sie und Ihre Kolleginnen, wenn da ein Teil der Hilfsgüter an Checkpoints hängen bleibt, weil die Bürgerkriegsparteien dafür sorgen, dass solche Güter eben nicht durchkommen?
Nissen: Das ist vor allem für unsere Kollegen im Jemen selbst wirklich unfassbar, weil sie haben die Not der Menschen wirklich jeden Tag vor Augen. Also Bilder von Krankhäusern in Sanaa, wo Menschen mit Infusionsschläuchen in den Autos vor dem Krankenhaus gefunden werden. Da ist eine sehr große Frustration zu spüren, und darum ist es unsere Aufgabe, immer wieder von den Konfliktparteien einzufordern, dass die humanitäre Hilfeleistung nicht gefährdet wird und unsere Helfer nicht gefährdet werden.
Komplexer Konflikt
Billerbeck: Der US-Präsident Trump hat ja nun gerade in Saudi-Arabien ein großes Waffengeschäft gemacht für über 100 Milliarden Dollar, Militärausrüstung verschenkt – wunderschöne Militärausrüstung, wie er sagte. Aber gerade Saudi-Arabien ist ja Kriegspartei im Jemen. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht, wenn da weiter aufgerüstet wird?
Nissen: Ob und inwiefern der unmittelbare Effekt dieses Besuchs des amerikanischen Präsidenten im Jemen sich zeigt, das wäre jetzt von meiner Seite einfach große Spekulation. Was klar ist, ist, dass die Konstellationen der Auseinandersetzung des Konflikts im Jemen sehr, sehr komplex sind und sehr viele verschiedene, auf verschiedensten Ebenen, Akteure daran beteiligt sind. Der entscheidende Punkt für uns ist, dass diese Akteure, egal, welcher Seite sie zuzurechnen sind, die Grundsätze des internationalen Rechts einhalten und, wie gesagt, die Dienstleistung für die betroffene Bevölkerung ermöglichen.
Billerbeck: Astrid Nissen war das, Koordinatorin des Deutschen Roten Kreuzes für die Jemen-Hilfe aus Beirut über die Lage im Kriegsland Jemen, wo auch die Cholera ausgebrochen ist und viele Verdachtsfälle registriert werden und viele Menschen an dieser Krankheit gestorben sind. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Arbeit!
Nissen: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.