Islamisten in Syrien "sind ganz besonders brutal"
Das Erstarken islamistischer Terroristen in Syrien bewirke eine Akzentverschiebung der US-Außenpolitik, meint der Islamwissenschaftler Guido Steinberg. Im Vergleich zu den El-Kaida-Ablegern sei den Amerikanern das Assad-Regime "natürlich lieber".
André Hatting: Die gute Nachricht: Der Vormarsch von El-Kaida-Terrorgruppen im Irak ist erst mal gebremst, auch aus Falludscha – das liegt etwa 70 Kilometer westlich von Bagdad – konnte die Gruppe offenbar vertrieben werden. Das behaupten zumindest Augenzeugen, allerdings sind die Angaben dazu widersprüchlich. "Islamischer Staat im Irak und in Syrien", kurz ISIS, nennt sich dieser El-Kaida-Ableger. Der Name ist Programm, denn auch im syrischen Bürgerkrieg mischen sie kräftig mit. Und das ist dann auch schon die schlechte Nachricht, denn 2011 mit der Tötung von Osama bin Laden schien El Kaida am Ende zu sein, und jetzt bekommt das Terrornetzwerk wieder mächtig Zulauf.
Wie stark sind die islamistischen Rebellen? Darüber möchte ich jetzt mit Guido Steinberg sprechen. Er ist der Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, guten Morgen, Herr Steinberg.
Guido Steinberg: Guten Morgen, Herr Hatting.
Hatting: Passiert in Syrien und im Irak gerade das, was wir im vergangenen Jahr in Mali erlebt haben und immer noch im Jemen sehen? Islamistische Terroristen nutzen eine schwache Regierung aus?
Steinberg: Ja, genau das sehen wir. Die Dschihadisten, die islamistischen Terroristen haben enorm davon profitiert, dass nach dem Arabischen Frühling 2011 viele dieser Staaten instabiler geworden sind, dass die Regime, die früher ja sehr viel in den Kampf gegen diese Gruppen investiert haben, entweder geschwächt sind oder schon gestürzt sind. Syrien ist da nun natürlich das Paradebeispiel und das ist eine der Folgen der Ereignisse von 2011.
Hatting: In Syrien gibt es sogar gleich zwei El-Kaida-Ableger, einen radikalen und einen etwas gemäßigteren. Wie stark sind die jeweils?
Nusra-Front und ISIS sind "sehr gut motiviert und finanziert"
Steinberg: Das ist sehr, sehr schwer zu sagen. Es gibt da nur gelehrte Schätzungen. Man muss davon ausgehen, dass beide Gruppierungen, also einmal die Nusra-Front und einmal dieser "Islamischer Staat im Irak und in Syrien", in Syrien selbst so irgendwo jeweils zwischen 8.000 und 15.000 Kämpfer haben. Das mag sich jetzt nicht so dramatisch anhören, damit bilden sie aber so ungefähr ein Drittel des Gesamtkontingents der Aufständischen in Syrien und sie haben zumindest in den letzten Monaten begonnen, diese Aufstandsbewegung zu dominieren, weil sie eben ganz besonders brutal und durchsetzungsfähig sind, weil sie aber auch sehr, sehr gut motiviert und sehr gut finanziert sind. Und das zeichnet sie besonders gegenüber der Freien Syrischen Armee aus, die ja doch enorm verloren hat in den letzten Monaten.
Hatting: Spielt der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten ihnen dabei in die Hände?
Steinberg: Ja, dieser Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten ist besonders für die sunnitische Seite ein ganz wichtiger Faktor und ist ein Unterscheidungsmerkmal. Sie haben das eben gesagt, das ist so ein etwas moderaterer El-Kaida-Flügel, das ist die Nusra-Front, die diesen antischiitischen Aspekt des Dschihadismus etwas weniger ausgeprägt betreibt als der "Islamische Staat im Irak und in Syrien". Das ist zumindest eine ganz, ganz wichtige Triebfeder der Kämpfer. Die glauben nämlich, im Irak gegen eine schiitische Regierung zu kämpfen, und auch die Aleviten in Syrien, die ja einen wichtigen Bestandteil des Regimes von Präsident Assad, der selbst Alevit ist, stellen, sehen sie als Schiiten an. Und dieser Aspekt gewinnt in der Strategie und in der Ideologie El-Kaida-naher Gruppen im Nahen Osten in den letzten Jahren enorm an Bedeutung.
Hatting: Sie haben die Stärke dieser Kämpfer in Syrien angesprochen, gerade auch im Vergleich zur Freien Syrischen Armee. Welche Schuld tragen eigentlich die Westmächte, hätten die früher damit beginnen müssen, die Freie Syrische Armee aufzurüsten?
Steinberg: Also, in jedem Fall sind da einige Dinge versäumt worden und es fehlt so etwas die klare Entscheidung zu Beginn des Aufstands in Syrien. Ich glaube allerdings nicht, dass man das den Amerikanern und Europäern wirklich zum Vorwurf machen kann, denn sie haben ja, wie wir das ja gerade hier in Deutschland immer wieder fordern, auf ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates gewartet. Dieses Mandat gab es nicht und in dem Moment, als der Aufstand sich verselbstständigte, haben dort schon Islamisten ganz verschiedener Couleur immer mehr an Bedeutung gewonnen. Ich bin allerdings insgesamt auch skeptisch, dass ein frühes Eingreifen das hätte verhindern können.
Viele Beobachter hier in Europa übersehen, dass es in Syrien einen ganz starken dschihadistischen Untergrund gab, der schon nach 2003 sehr wichtig war, als der Krieg in Irak geführt wurde. Da gab es nämlich Unterstützernetzwerke und große Kämpfergruppen, die von Syrien in den Irak gegangen sind, und auf die stützen sich diese dschihadistischen Gruppen heute auch wieder. Hinzu kommen Gruppierungen, die eher salafistisch, eher islamistisch orientiert sind, also der Muslimbruderschaft nahestehen. Es war zu erwarten, dass die irgendwann diesen Aufstand dominieren. Ich glaube nicht, dass eine westliche Unterstützung für andere Gruppen das ganz grundsätzlich hätte verhindern können.
USA "fordern nicht mehr so vehement einen Sturz des Assad-Regimes"
Hatting: Wenn diese Gruppen jetzt den Aufstand dominieren, wie Sie sagen, was bedeutet das dann für den Bürgerkrieg in Syrien? Werden die USA und Europa jetzt Assad unterstützen?
Steinberg: So weit sind wir noch nicht, aber es ist doch ganz deutlich, dass es da eine Akzentverschiebung bei den Amerikanern gibt. Sie fordern nicht mehr so vehement einen Sturz des Assad-Regimes, weil sie tatsächlich mittlerweile die Alternative sehen, entweder die Dschihadisten oder Assad, und dann ist ihnen natürlich Assad lieber. Es ist ein Abkommen geschlossen worden über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und das zeigt doch ganz deutlich, dass die Amerikaner zumindest nicht ausschließen, mit Assad als Partner weiterzuarbeiten.
Nun ist dieser Aufstand ein sehr dynamisches, sehr bewegliches Phänomen. Man sieht das in den letzten Tagen, es hat jetzt Gruppierungen gegeben, die von Saudi-Arabien beispielsweise unterstützt werden, und die haben begonnen, gegen den islamischen Staat zu kämpfen. Es ist nun abzuwarten, inwieweit die sich durchsetzen können. Wir müssen zumindest damit rechnen, dass die gegenwärtige Stärke von El Kaida in Syrien vielleicht wieder abnehmen kann. Was es ganz sicherlich nicht geben wird, ist eine vollständige Niederlage dieser Gruppen in den nächsten Jahren. Ich denke, wir müssen weiterhin wie schon von Beginn an mit einem sehr langen Bürgerkrieg rechnen.
Hatting: Zumindest für den Irak haben die USA jetzt beschlossen, mehr Waffen hinzuliefern, also die Regierung aufzurüsten für den Kampf gegen El Kaida. Die richtige Strategie?
Steinberg: Nein, das ist keine Strategie, das ist eine Notlösung. Das ist allerdings etwas, was die Amerikaner auch selbst wissen. Sie fordern von der Regierung Maliki immer wieder, die Marginalisierung der Sunniten im politischen System zu beenden. Seit 2010 versuchen Maliki und die schiitischen Parteien, die ihn unterstützen, sämtliche Sunniten und auch alle Säkularisten von der Regierung fernzuhalten. Und das ist einer der Gründe dafür, weshalb El Kaida in den sunnitischen Gebieten des Irak so viel Unterstützung erfährt. Die Organisation war eigentlich geschlagen, die Amerikaner haben 2008 sehr, sehr vieles richtig gemacht und die Regierung Maliki macht das zunichte.
Die Amerikaner sind jetzt in der etwas unbequemen Situation, dass sie eine Regierung unterstützen müssen, deren Politik sie für grundfalsch halten, um die allerschlimmsten Folgen dieser falschen Politik wieder zu korrigieren. Also, diese Waffenlieferungen, die es da gibt, Hellfire-Raketen, sind vielleicht jetzt ganz sinnvoll, wenn es darum geht, das akute Erstarken von El Kaida zu verhindern; die falsche Politik der Regierung Maliki wird dazu führen, dass sich dieser Konflikt verstetigt. Und selbst wenn El Kaida etwas schwächer wird, werden es andere Gruppen im Irak sein, die sich gegen diese Marginalisierung der Sunniten wehren. Also, es ist auch da abzusehen, dass der Konflikt andauert.
Hatting: Der Politikwissenschaftler Guido Steinberg über die wachsende Gefahr durch El-Kaida-Truppen im Nahen Osten. Ich danke für das Gespräch.
Steinberg: Sehr gerne.
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