Keine einfachen Lösungen für Syrien
Der syrische Präsident Baschar al-Assad dürfte erst einmal an der Macht bleiben, kommentiert Michael Lüders. Intelligent hat sich das Regime neu aufgestellt, sodass sich ihm der Westen wieder zugewandt hat. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in absehbarer Zeit keinen Frieden geben wird.
Leider gibt es keine einfachen Lösungen für Syrien. Viel zu unübersichtlich sind die Fronten, viel zu viele Akteure wirken an der (Selbst-) Zerstörung des Landes mit. Was im März 2011, ausgelöst durch den arabischen Frühling, als Volkserhebung vor allem ärmerer sozialer Schichten auf Seiten der Sunniten begann, hat sich längst zu einem Bürgerkrieg entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien entwickelt. Dieser Bürgerkrieg wird zudem überlagert von einem Stellvertreterkrieg, in dem sich, vereinfacht gesagt, zwei Lager gegenüberstehen.
Den westlichen Staaten, allen voran den USA, aber auch der Türkei und den Golfstaaten wäre der Sturz Baschar al-Assads und seines Regimes am liebsten. Nicht weil er ein Diktator wäre (das sind die Herrscher am Golf auch), sondern aufgrund der bestehenden schiitischen Achse Teheran-Damaskus-Hisbollah. Das syrische Regime ist der einzige Verbündete Irans in der arabischen Welt, über Syrien erfolgt der Waffennachschub für die Hisbollah.
Alle Seiten verfolgen ihre eigenen Interessen
Das Kalkül der Assad-Gegner: Stürzt sein Regime, das vor allem von der religiösen Minderheit der Alawiten getragen wird, übernehmen mit Sicherheit die Sunniten die Macht in Damaskus, die etwa 60 Prozent der Bevölkerung stellen. Die Sunniten aber würden die privilegierten Beziehungen zu Teheran beenden. Eben deswegen hält der Iran um jeden Preis am Assad-Regime fest. Ebenso wie Russland und China, die beide eine weitere Ausweitung der westlichen Einflusssphäre im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern trachten.
Beide Seiten, Unterstützer wie Gegner Assads, verfolgen rücksichtslos ihre eigenen geo- und machtpolitischen Interessen. Gleichzeitig erfand sich das Regime neu oder, besser gesagt: lernte es die Gewalt zu fokussieren. Versuchte es zunächst, die Aufständischen in allen Landesteilen zurückzuschlagen, konzentriert es sich mittlerweile auf das alawitische Kernland.
Am 31. August verkündete Präsident Obama auf dem Rasen des Weißen Hauses, dass er entgegen seiner vorherigen Ankündigung nicht in Syrien militärisch eingreifen werde, als Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen gegen syrische Zivilisten. Damit ist Assads politisches Überleben gesichert. Zumal er bereit ist, seine Chemiewaffen zerstören zu lassen. Nicht zuletzt kommt ihm zugute, dass sich die gemäßigten, nationalistischen Oppositionskräfte als militärisch zu schwach und politisch unfähig erwiesen haben. Die „Syrische Nationale Allianz“ mit Sitz in Istanbul, auf der zunächst die Hoffnungen des Westens ruhten, ist in erster Linie mit sich selbst beschäftigt, die „Freie Syrische Armee“ befindet sich im Zustand der Auflösung.
Die verwaisten Botschaften in Damaskus werden bald wieder eröffnet
Sehr zur Verärgerung Saudi-Arabiens und der türkischen Regierung nähern sich die USA, aber auch die Europäer gegenwärtig wieder dem Assad-Regime an. Der Grund ist der wachsende Vormarsch von Al-Kaida und anderer gewaltbereiter Dschihad-Gruppen in Syrien. Vor die Wahl gestellt, sich entweder mit Assad zu arrangieren oder aber das Land radikalen Islamisten und dem Chaos zu überlassen, entscheidet sich der Westen gegenwärtig für Assad. Die verwaisten Botschaften in Damaskus stehen kurz vor der Wiedereröffnung. Militäranalysten schätzen die Stärke der syrischen Rebellen auf 100.000 Kämpfer, die sich auf rund 1.000 Gruppen, Grüppchen und Banden aufteilen.
Etwa 90 Prozent der Aufständischen kommen aus den Reihen der Dschihadisten, die ihrerseits zwei Richtungen erkennen lassen. Die „Dschihad Light“-Variante kämpft für einen Gottesstaat in Syrien, ohne eine Agenda über Syrien hinaus zu verfolgen. Die „Hardcore“- Dschihadisten aus dem Al-Kaida-Umfeld sehen Syrien als Sprungbrett für den Kampf gegen den Westen, gegen Israel und für eine generelle Abrechnung mit den ihnen verhassten Schiiten. Viele ihrer Kämpfer sind aus dem Ausland eingesickert, auch aus Deutschland und Europa. In den Gebieten, die unter ihrer Kontrolle stehen, haben sie ein wahres Terrorregime errichtet und schlagen ihren Gegnern mit Vorliebe den Kopf ab.
Angesichts dieser Gefechtslage dürfte Assad erst einmal an der Macht bleiben. Und möglicherweise bald schon ein gefragter Bündnispartner im Kampf gegen Al-Kaida sein. Der für Januar geplanten Syrienkonferenz in Genf kann das syrische Regime gelassen entgegensehen. Der Krieg aber und das Leid der Bevölkerung werden auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte weitergehen.