Musik im Exil
Mehr als 1,5 Millionen Syrer sind vor dem Bürgerkrieg nach Libanon geflohen. Unter ihnen sind die drei Mitglieder der Rockband Tanjaret Daghet. Wie viele Flüchtlinge sehnen sie sich vor allem nach Normalität.
"Unter Druck" - damit bietet Tanjaret Daghet beim ersten Hinhören genügend Stoff, um zwischen ihren Zeilen zu lesen. Aber: Die drei Musiker meinen nicht den Druck, den Assad aufgebaut hat oder Untergrundkämpfer; und sie meinen auch nicht den Druck des Bürgerkrieges! Nein, damit habe der Song "Unter Druck" nichts zu tun.
"In alle Richtungen…"
... sagt Leadsänger und Bassist Khaled Omran:
"Druck - das heißt menschlicher, privater Druck, in alle Richtungen, aus allen Richtungen. Meine Mutter, Druck der Familie. Vieles..."
Es gehe ihnen um den Druck, den jeder einzelne Mensch empfinden kann: weil er die Umweltverschmutzung bedrohlich findet oder die globale Erwärmung; weil es ihm wirtschaftlich schlecht geht oder die Politik seinen Interessen zuwiderläuft.
Die drei Musiker sind seit Herbst 2011 - als der Bürgerkrieg in Syrien gerade begann - in Beirut. Sie wollten sich der Einberufung zur Armee entziehen, weil der Militärdienst sie daran gehindert hätte, weiter Musik zu machen - so Khaled Omran: "Wir mussten mit diesem Projekt, mit unserer Band weitermachen. Wir wollten unser Leben fortsetzen. Und in Damaskus – da ist kein Leben."
In Syrien Musiker zu sein wahr schon vor dem Bürgerkrieg ein Kampf
"Aber es war nicht so, dass mir einer von Bashar al-Assads Leuten oder jemand von der Gegenseite eine Knarre an den Kopf gehalten hat. Darum geht’s nicht. Der größte Druck, unter dem ich stand, war, dass ich keinen 200-Ampere-Verstärker hatte. Zwei Jahre lang. Ich bin Musiker und ich brauchte es, und deshalb habe ich unter Druck gelebt."
... sagt Tarek Khuluki, der Gitarrist von Tanjaret Daghet. Es habe immer einen gewissen Druck in Syrien gegeben: Weil das Staatssystem Jahrzehntelang restriktiv war; aufgrund der Planwirtschaft war die syrische Währung schwach; ausgefeiltes Musik-Equipment teuer; für Auftritte musste sich die Band von Apparatschiks, die keinen Schimmer von Musik haben, Genehmigungen einholen, und, und, und…
Dieser Druck auch habe dafür gesorgt, dass die Band schon vor vier Jahren überlegt hatte, Syrien zu verlassen; der Bürgerkrieg habe diese Entscheidung dann nur bestärkt. Ihr Keyboarder ist in Damaskus geblieben, aber sie, die drei anderen Musiker von Tanjaret Daghet, haben kurz nach einander Syriens Hauptstadt verlassen und in Beirut einen Produzenten gefunden. Und jetzt spürt Tarek Khuluki einen neuen Druck:
"Wie zum Beispiel: Du machst Musik, ist es wegen all dessen, was in Syrien passiert? Solche Fragen stellen die Leute. Nein, deshalb mache ich keine Musik. Ich mache Musik, um der Musik willen. Weil sie nichts mit Politik zu tun hat. Weil sie etwas Reines ist. Musik ist nicht wie Politik. Politik ist eine Lüge!"
Die Band will sich politisch nicht einordnen lassen
Khuluki will nicht lügen; will ehrliche Musik machen – und das heißt: Musik ohne öffentliche, politische Position. Nicht wie manche seiner Kollegen; syrische zum Beispiel: So singen bekannte Künstler wie Ali al-Deik Hymnen auf Bashar al-Assad; andere halten es mit der Gegenseite. So etwas lehnt Khuluki ab:
"Andere Leute sterben – und ich soll das für mich ausnutzen? Leute sterben. Das wäre sicherlich eine Schlagzeile: Wir machen Tanjaret Daghet zum Teil des Krieges – und dann haben wir Erfolg. Das wäre verdammt noch mal falsch."
"Und - tschuldigung, dass ich mich einmische - wenn wir Stücke für die Revolution schreiben würden, gegen Bashar al-Assad, was ist, wenn er weg ist? Was passiert dann mit dem Song? Was hätte er dann noch für eine Bedeutung?"
Er würde genauso weg sein wie Syriens Präsident, sagt der Schlagzeuger der Band, Dani Shukri. Musik aber sollte darauf zielen, unabhängig von Zeit und Raum zu bestehen; frei von Gedanken daran, in welchem Land sie komponiert wurde und unter der Herrschaft welches Staatsoberhauptes. Für Gitarrist Tarek Khuluki ist es musikalisch ein Fluch, aus Syrien zu stammen:
"Wirklich, wenn wir unseren eigenen Planeten finden könnten, würden wir da hingehen und Musik machen. Wir finden ihn aber nicht. Also machen wir’s hier. Und versuchen den Menschen zu zeigen, wie wir fühlen und wie wir Dinge sehen. Wir versuchen nur eines: normal zu sein."