Gesetze, Verwaltung, Vorschriften

    Bürokratie - Von wegen Monster!

    Ein rotes Monster mit drei Augen und einem Lächeln auf den Lippen, darüber schwebt ein Herz.
    Bürokratie wird oft als Problem wahrgenommen, doch sie erfüllt wichtige Funktionen für die Gesellschaft © IMAGO/Design Pics
    Kleinteilig, kompliziert, überbordend: Die Bürokratie hat einen extrem schlechten Ruf. Aber Moment: Wozu wurde die Bürokratie denn dann überhaupt aufgebaut? Und ist sie wirklich so kaputt wie ihr Image?
    Sie wird kritisiert, gescholten und bekämpft - die Bürokratie hat es hierzulande wahrlich nicht leicht. Und sie wächst und wächst, durch neue Gesetze, Berichtspflichten und Papierkram. "Die Bürger leiden, die Wirtschaft leidet und selbst die Beamten leiden unter dem Dickicht an Vorschriften", sagt Justizminister Marco Buschmann (FDP).
    Zugegeben: Das klingt alles andere als positiv. Kein Wunder also, dass Politiker seit Jahren fordern, die Bürokratie endlich abzubauen. Sie wollen das Bürokratiemonster bekämpfen, den undurchsichtigen Dschungel und Bürokratie-Wahnsinn beenden. Aber Schluss mit der Schwarzmalerei: Denn Bürokratie hat auch gute Seiten!

    Bürokratie - die Herrschaft des Büros

    Alles hat einen Anfang, und so auch der Begriff der Bürokratie. Dieser geht zurück auf einen französischen Wissenschaftler namens Vincent de Gournay. Er prägte den Begriff der Bürokratie im 18. Jahrhundert als „die Herrschaft des Büros“ – also mit einer eher negativen Konnotation.
    Doch dann trat im frühen 20. Jahrhundert der berühmte Soziologe Max Weber mit seinem Bürokratiemodell auf die Bühne. Für ihn bedeutete Bürokratie eine rationale Form der Herrschaft und Schutz vor Willkürherrschaft, erklärt die Verwaltungswissenschaftlerin Sabine Kuhlmann. Endlich mal etwas Positives.

    Wie Bürokratie der Demokratie dient

    Es ist also nicht alles schlecht an der Bürokratie. Das meint auch der Soziologe Berthold Vogel. In Rechtsstaaten mit pluralen, offenen Gesellschaften hat die Bürokratie eine wichtige Funktion inne, sagt er: „Sie dient der Demokratie." Denn diese benötigt eben eine gut arbeitende Verwaltung. Also: Her mit den Aktenordnern!
    Das Positive an der Verwaltung ist, dass das öffentlliche Handeln regelbasiert ist und sich eben nicht einfach immer das Recht des Stärkeren durchsetzt. Wie Max Weber bereits betonte: Bürokratie und Verwaltung sind ein Schutz vor Willkür.
    Und nein, auch wenn Politiker gerne das Gegenteil behaupten, die Bürokratie ist im Laufe der Jahre nicht zwangsläufig schlechter geworden, sagt zumindest Berthold Vogel: „Wir haben nicht mehr die autoritäre Staatsverwaltung wie vielleicht noch vor 50 oder 60 Jahren. Die Verwaltung ist partizipativer, transparenter und bürgernäher geworden.“

    Von Umwelt bis Verbraucherschutz: Bürokratie wahrt Standards

    Auch Kuhlmann ist davon überzeugt, dass Bürokratie nicht nur problematische Seiten hat. „Denken Sie an Verbraucherschutz, Umweltschutz oder die Gesundheitspolitik. Das sind Regulierungsfelder, die aufgrund berechtigter Forderungen aus der Gesellschaft reguliert werden müssen“, sagt Kuhlmann.
    Bürokratie wächst also auch daher, weil es ein Interesse an diesen Regeln gibt – und zwar seitens der Bevölkerung. Und nicht zu unterschätzen: Dank der Bürokratie können Standards gewahrt werden, meint Kuhlmann.

    Unternehmen profitieren von der Bürokratie

    Vor allem Unternehmen beklagen sich liebend gerne über die Bürokratie. Sie nehme zu viel Zeit in Anspruch, während die Zeit für Kreativität und Innovation zu kurz komme. Gleichzeitig nehme der bürokratische Aufwand stetig zu. Kurzum: Es wird einfach viel zu viel. Marco Buschmann schrieb daher auch im vergangenen Jahr, dass Unternehmen unter einem Bürokratie-Burnout leiden würden. Das Bürokratiemonster ist also eine wahre Zumutung – oder?
    „Unternehmen profitieren ja auch wiederum von der Regelhaftigkeit von Bürokratie und von Verwaltung“, entgegnet Vogel. Der Soziologe glaubt, dass es manchmal auch eine etwas „wohlfeile Klage“ der Unternehmen ist. Bürokratie wird also vor allen Dingen dann zum Problem, wenn man den Eindruck hat, sie werde den eigenen Bedürfnissen nicht gerecht.

    Die Bürokratie wird kreativ

    Wenn man es genauer betrachtet, ist die Kritik und Schelte an der Bürokratie und den Menschen in den Ämtern und Behörden vor allem eines: unfair. Im Grunde genommen handeln sie lediglich gemäß den Vorgaben der Politik und dann ernten sie Kritik dafür. Kein Wunder, dass sich da Frust ausbreitet. Dabei wird gerade in den Ämtern und Behörden viel über die eigene gesellschaftliche Rolle nachgedacht und einige werden sogar kreativ, sagt Vogel.
    Kleine Spielfiguren seilen sich an einem Regal mit Aktenordnern ab.
    In den Ämtern und Behörden wird viel gearbeitet und überlegt, wie man die Bürokratie verbessern kann.© picture alliance / Leif Stiller / Shotshop / Leif Stiller
    In Berlin gibt es zum Beispiel seit ein paar Jahren ein Festival für kreative Bürokratie, das Creative Burocracy Festival. „Wir hatten im letzten Jahr Gäste aus 37 Ländern da“, sagt Kulturwissenschaftlerin Johanna Sieben, die auch die Direktorin des Creative Burocracy Festivals ist. „Und das ist das, was Hoffnung gibt, wenn man die Leute sieht, die sagen: Wir sind im Aufbruch, wir machen das anders, und wir lassen uns auch von dem schlechten Ruf der Verwaltung nicht aufhalten, denn wir wissen, es gibt den guten Teil der Verwaltung.“

    Ämter und Behörden bringen Lösungen voran


    Die Mitarbeiter in den Ämtern und Behörden meckern nicht nur, sondern geben sich tatsächlich große Mühe, verschiedene Maßnahmen umzusetzen. Ihr Ziel: die Bürokratie voranzubringen. Ein Beispiel sind Jobcenter, die Scanner im Wartebereich zur Verfügung stellen, um die Abläufe zu optimieren. So haben die Bürger die Möglichkeit, ihre Wartezeit zu nutzen, indem sie ihre Dokumente selbst scannen und sie direkt an die zuständige Sachbearbeiterin senden.
    „Es ist so eine einfache Maßnahme. In dem Fall wurde Bürokratie sozusagen abgebaut, aber eigentlich wurde kein Gesetz wirklich verändert“, sagt Johanna Sieben. Eine weiteres positives Beispiel ist das Standesamt Wiesbaden, das mittlerweile die Möglichkeit bietet, Ehen online anzumelden.
    Die Ämter und Behörden möchten ihren Spielraum so weit wie möglich ausnutzen, erklärt Sieben. Das nennt man auch "Pushing Boundaries": Wie können bestehende Regeln verschoben werden, um mehr Handlungsspielraum zu gewinnen? Doch die Angst ist groß, dabei Fehler zu machen. Denn: Sehr viel ist in Deutschland genauestens verrechtlicht. Verwaltungswissenschaftlerin Sabine Kuhlmann glaubt, dass es gerade daher wichtig ist, dass Führungskräfte in den Verwaltungsbehörden viel mehr dazu ermutigen sollten, eine Fehlerkultur zu fördern.

    Ist Bürokratie also ein Monster?

    „Es gibt einzelne Regulierungskomplexe, wie die sozialen Leistungen, wo ich sagen würde, das hat sich zu einem Monster entwickelt, also es frisst einen regelrecht auf“, sagt Kuhlmann. Das System "Elster", dass es ermöglicht, die Einkommenssteuererklärung digital einzureichen, sei ein positives Beispiel, wie Bürokratie verbessert werden kann. „Da läuft schon vieles automatisiert, das ist ja kein Monster", fügt Kuhlmann hinzu.
    Natürlich ist in der Bürokratielandschaft nicht alles rosig: Es gibt Handlungsbedarf, die Bürokratie muss verbessert und teilweise auch abgebaut werden. Zwar existiert seit 2015 das Konzept „One in One out“. Also: Für ein neues Gesetz muss ein altes gehen. Das Problem: Wenn in Deutschland ein neues Gesetz auf eine EU-Vorgabe folgt, gilt die Regel nicht. Es werden daher insgesamt mehr Regeln geschaffen als abgeschafft. Eine „One-in-Two-out“-Regelung könnte eine mögliche Lösung sein, schlägt Kuhlmann vor.
    Mit jedem Bürokratieabbauprozess geht letztendlich ein neuer bürokratischer Prozess einher: Eine Bürokratieabbau-Bürokratie, wie sie Berthold Vogel bezeichnet. Die Einschätzung des Soziologen: „Bürokratien haben einen ausgesprochenen Hang dazu, sich selbst zu erhalten und an ihrem eigenen Überleben zu arbeiten.“ Wir sollten uns mit dem Bürokratiemonster also besser anfreunden.