Tom Buk-Swienty: "Die Löwin. Tania Blixen in Afrika"
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Wie aus einem Leben ein guter Roman wurde
06:39 Minuten
Tom Buk-Swienty
Übersetzt von Ulrich Sonnenberg
Die Löwin. Tania Blixen in AfrikaPenguin Verlag, München 2021768 Seiten
32,00 Euro
Mit ihrem Erinnerungsroman "Jenseits von Afrika" schrieb Tania Blixen einen Weltbestseller. Tom Buk-Swienty erinnert in einer wuchtigen Biografie an die dänische Schriftstellerin und ihre Zeit. Und er erzählt, wie es wirklich war.
Sie ist eine Frau mit vielen Namen. Als Karen Dinesen wird sie 1885 geboren, später ist sie als Karen Blixen Dänemarks populärste Autorin, in Amerika feiert sie unter dem Pseudonym Isak Dinesen Erfolge, Tania Blixen heißt die Autorin in Deutschland. Für die Familie war sie Tanne.
"Honourable Lioness", geehrte Löwin, so nennt ihr englischer Geliebter sie, wenn er brieflich nach monatelangen Safaris seine heiß ersehnte Ankunft auf ihrer Hochlandfarm annonciert.
Ein alimentiertes Abenteuer
Zunächst heiratet sie ihren Vetter Bror von Blixen-Finecke, mit dem sie die Sehnsucht nach Abenteuer teilt, sie gehen zusammen nach Britisch-Ostafrika. Und er macht sie zur Baronin, ein Titel, auf den sie größten Wert legt. Aber er infiziert sie auch mit Syphilis, an deren Folgen sie zeitlebens leiden wird. Nach 17 Jahren – die Ehe ist längst geschieden, die Farm ist bankrott, ihr Geliebter Denys Finch Hatton mit dem Flugzeug abgestürzt – kehrt sie nach Dänemark zurück. Sie beginnt zu schreiben, 1937 erscheint der Roman „Jenseits von Afrika“.
Tom Buk-Swienty, ein dänischer Historiker und Journalist, stützt sich auf neue Quellen aus dem Familienarchiv, vor allem die Geschäftskorrespondenz zwischen Blixen und ihrem Onkel, einem erfolgreichen Kaufmann. Es stellt sich heraus, dass Tania Blixen sich das Leben in Afrika nur leisten konnte, weil die Familie, allen voran Onkel Aage, es alimentierte. 17 Jahre lang.
Als sie Weihnachten 1913 in See stach, hatte sie dreieinhalb Millionen (in heutige Euro umgerechnet) in der Tasche, um mit Bror Farmland nahe Nairobi zu kaufen. Am Ende werden es 13 Millionen sein, die das afrikanische Abenteuer gekostet haben wird. Denn die Farm warf nichts ab, für den Kaffeeanbau lag sie zu hoch in den Bergen, außerdem hatte sie mit Dürreperioden, Überschwemmungen, Käfer- und Heuschreckenplagen zu kämpfen. Alles Schicksalsschläge, gegen die Aage Scheck um Scheck herausrückte.
Eine Frau mit vielen Talenten
Es zeigte sich aber auch das Talent der späteren Schriftstellerin. Ihre Neugier auf Menschen, gepaart mit Tatkraft und Durchsetzungswillen – Eigenschaften, die ihr zupasskamen, nachdem sich Bror als Totalausfall erwiesen hatte.
Es gab, darauf weist Buk-Swienty hin, nur wenige Frauen in den 1920er-Jahren, die wie Blixen einen Betrieb mit mehreren Hundert Angestellten und Millionen-Umsatz leiteten. Schon gar nicht in Afrika.
Bunt sind die Personenschilderungen des Autors. Man trifft sich in Clubs und Ballsälen, bei Großwildjagden, auf dem Rennplatz, wo zum Abschluss aus den von schwarzen Boys mitgeschleppten Kristallgläsern Champagner getrunken wird. Es ist eine koloniale Gesellschaft, die sich hier trifft. Ein Sammelbecken für Leute, die Geld machen wollen, aber auch für Abenteurer.
Dass Tania Blixen zu beiden gehört, daran lässt Buk-Swienty keinen Zweifel, auch wenn sie sich lustig macht über die Engländer um sie herum, die blasiert auf die Einheimischen gucken. Sie selbst betreibt auf der Farm eine improvisierte Krankenstation und eine Schule.
768 ziegelsteinschwere Seiten
Mit 768 Seiten liegt der Band ziegelsteinschwer in der Hand. Man hätte sich weniger Detailfreude gewünscht, nicht nur in den Schilderungen immer wiederkehrender finanzieller Malaisen, dafür ab und zu ein beherzt abkürzendes Resümee.
Doch reich bebildert mit erstmalig veröffentlichten Fotos aus familiärem Besitz sowie einer Vielzahl anonymer Aufnahmen von Land und Leuten rekonstruiert die Biografie erhellend das afrikanische Leben Tania Blixens.
Was Buk-Swienty vor allem interessiert, ist, wie es wirklich war, wo Tania Blixen in ihrem Roman von der Wirklichkeit abweicht. Und warum. Ihre Absicht sei es gewesen, meint er, sich erinnernd als unabhängige, selbstbestimmte Frau zu zeigen. Kein Ehemann (oder zumindest nur sehr kurz); keine Mutter, die ihr in allen Kalamitäten die Stange gehalten hat, nicht der unermüdliche Aage und selbst der Bruder nicht, dem sie die letzte Falte ihrer Seele offenbart, inklusive der jahrelang geheim gehaltenen Affäre mit der großen Lebensliebe Denys Finch Hatton. Alles vermieden um der Selbststilisierung willen?
Das Leben selbst mag ja die besten Geschichten schreiben. Gut sind sie erst, wenn sie aufgeschrieben werden, später, aus der Distanz. Nicht in, sondern jenseits von Afrika.