Waffenexporte aus Bulgarien

Munition aus dem Rosental

23:26 Minuten
Rosa Damaszener-Rose im Dunkel
Waffenproduktion, wo die Rosen blühen: Aus den Damaszener-Rose in Bulgarien wird das weltweit teuerste Rosenöl gewonnen. © picture-alliance / dpa / epa / Vassil Donev
Von Diljana Lambreva |
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Das Rosental in Bulgarien ist für sein Rosenöl bekannt. Nun boomt der Waffenexport aus der Region. Denn dort sind auch große Rüstungsbetriebe angesiedelte. Offiziell wird aus dem Land mit pro-russischer Regierung aber nichts an die Ukraine geliefert.
Während das Gezwitscher der Vögel am Morgen langsam aufhört, wird auf dem Rosenfeld in Zelenikovo, nicht weit von der Bezirkshauptstadt Plovdiv, der Feierabend eingeläutet. Die Erntehelferinnen schütten die mit rosafarbenen Blüten vollgestopften Beutel auf einen Haufen aus und eilen nach Hause.
50 Kilogramm Rosenblüten haben Walja Todorova und ihre Freundin Rossiza Koleva, die ihre vierjährige Tochter Nikol mitgebracht hat, an diesem Tag gesammelt. Dafür bekommen sie umgerechnet 35 Euro. Die bulgarischen Tarife für Feldarbeit haben die westlichen zwar noch nicht erreicht, aber sie werden von Jahr zu Jahr besser.
Arbeiter füllen in einer Rosenöl-Fabrik Destilliergeräte mit Rosenblüten.
Arbeiter füllen in einer Rosenöl-Fabrik Destilliergeräte mit Rosenblüten. Das Öl ist vor allem bei Kosmetikfirmen in Frankreich und Deutschland begehrt.© picture-alliance / dpa / epa / Vassil Donev
„Zum Pflücken brauchst du keine besondere Technik", sagt Todorova. "Einfach mit den Fingernägeln die Knospe abzwicken. Nur musst du es viel schneller machen, damit du auch mehr schaffst.“

Mittags haben Rosenblüten das intensivste Aroma

Die vierjährige Nikol gähnt. Seit sechs Uhr früh ist die Kleine, die ganz in pink gekleidet ist, mit ihrer Mutter auf dem Rosenfeld. Die Rosen müssen morgens gepflückt werden. Denn bevor die Sonne hoch am Himmel steht, haben die zarten Blüten das intensivste Aroma. Rosa damascena ist eine exklusive Sorte von Rosen und wurde vor Hunderten von Jahren von Syrien nach Bulgarien gebracht. Aus ihren Blütenblättern wird das teuerste Rosenöl der Welt destilliert. Das Klima zwischen den Gebirgen Stara Planina und Sredna Gora, in dem sich Sonne und Regen, hohe und niedrige Temperaturen abwechseln, bekommen der anspruchsvollen Pflanze am besten, meint Nikolaj Nenkov, Besitzer von Galen-N, einem der größten bulgarischen Hersteller von ätherischen Ölen.

Begehrte Blumenblätter

Nikolaj Nenkov betreibt das Geschäft mit der Rosa damascena seit den 1990er-Jahren. Damals begann das sozialistische Monopol der Firma „Bulgarische Rose“ zu bröckeln und er übernahm deren Handelskontakte.
Ein Mann steht zwischen Bäumen Nikolaj Nenkov
Flüssiges Gold werde das Rosenöl auch genannt, sagt Firmeninhaber Nikolaj Nenkov.© Diljana Lambreva
Heute arbeiten große deutsche Naturkosmetikhersteller wie Primavera und Weleda, sowie französische Parfumhäuser mit den Rohstoffen seiner Firma. „Vorige Woche waren hier die Top-Profis Thierry Wasser, Chef-Parfumeur in fünfter Generation aus dem französischen Haus Guerlain, und Gerrard aus dem Haus Jean Niel", erzählt Nenkov. "Sie haben sich selbst von der Qualität des bulgarischen Rosenöls überzeugt. Nicht ohne Grund wird es Bulgariens flüssiges Gold genannt.“
Von der großen Nachfrage profitieren nicht nur bulgarische Großunternehmer wie Nenkov. Auch Kleinproduzenten verdienen sich mit ihren Rosengärten etwas dazu. So war es bereits, als Bulgarien unter osmanischer Herrschaft stand. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs gab es in Bulgarien 88 Destillerien. Das Land stieg zum weltweit größten Rosenöl-Hersteller auf.

Man spricht von Waffen, nicht von Rosen

Die betörende bulgarische Rose, die auch Landessymbol ist, wird jedes Jahr im Juni, zur Zeit der Ernte, gefeiert: mit Musik und Folkloretanz und mit einer Wahl der Rosenkönigin.
In diesem Jahr sind die Rosenfeste allerdings nur eine hübsche Kulisse im Rosental, einem Gebiet im Zentrum Bulgariens, das etwa 100 Quadratkilometer groß ist. Denn hier spricht man in diesem Jahr von Waffen, nicht von Rosen. Der Grund: Im Rosental gibt es auch die größten Rüstungsbetriebe Bulgariens.
Die Stadt Sopot liegt im westlichen Teil des Rosentals, am Fuße des südlichen Balkangebirges. Apostol Andonov, ein schlanker Mann mittleren Alters, lebt hier seit seiner Geburt – und hat noch nie so viele Militärlastwagen wie jetzt durch die Stadt fahren sehen. „Die Lastwagen laden und fahren hier regelmäßig vorbei, seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs, vollbeladen mit Munition", sagt er.
Offiziell unterstützt Bulgarien die Ukraine lediglich mit der Reparatur von Kriegsgerät. Das ist der Kompromiss mit der mitregierenden pro-russischen „Bulgarischen Sozialistischen Partei“. „Keine einzige bulgarische Patrone erreicht die Front“, schwören die dem Kreml nahen Sozialisten, die strikt gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind, genauso wie die breite Öffentlichkeit.

Offiziell verschickt Bulgarien keine Waffen

Doch die Militärindustrie im Rosental boomt. So schrieb beispielweise das Werk Arsenal in der Stadt Kazanlak 300 neue Stellenanzeigen aus. Auch bei den staatlichen Rüstungsbetrieben in Sopot – den größten des Landes – könnte man sofort eine Stelle bekommen, meint Apostol Andonov.
Er selbst hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und ist dennoch nicht interessiert. Denn er will seine Gesundheit nicht gefährden. Für die Produktion von Granatwerfern wird etwa Aluminium benötigt und für die Hülsen Schießpulver, meint er. „Früher durfte kein Roma das Werk für die Herstellung von Munition betreten", erzählt er. In letzter Zeit sei man jedoch nicht so wählerisch. "Kein Wunder. Ich kenne Leute, denen nach zehn Jahren Arbeit die Zähne ausgefallen sind.“
In den Waffenwerken kommt es immer wieder zu Arbeitsunfällen.  Es sind meist Explosionen, die dazu führen. Die Hintergründe bleiben allerdings ungeklärt.
Den Beschäftigten, die abends die Werke in Sopot verlassen, sieht man an, wie müde sie sind. Urlaube werden momentan nicht genehmigt. Gearbeitet wird in drei Schichten, auch sonntags und feiertags. Zumindest die Löhne wurden kürzlich etwas angehoben. Denn die Kassen der Rüstungsbetriebe sind voll. Alleine von Dezember bis März 2022 exportierte Bulgarien Militärgüter im Wert von über 500 Millionen Euro.

Munition nach sowjetischem Standard

Der Rüstungskomplex „WMZ Sopot“ wurde 1936 gegründet, als Europa vor dem Zweiten Weltkrieg aufrüstete. Mit der Machtübernahme durch die Sowjets kam die Spezialisierung auf die Produktion der Munition nach sowjetischen Standards.
Die sowjetischen Institute und Universitäten wurden zur Kaderschmiede der bulgarischen Militärindustrie und Armee, erzählt Damjan Mollov, langjähriger ehemaliger Direktor der Abteilung für Mechanik der „WMZ Rüstungswerke“. Er war selbst Stipendiat der sowjetischen Universität Tula. „Die Fakultät für mechanische Metallverarbeitung habe ich mit Auszeichnung abgeschlossen. Rotes Diplom hieß das damals im Jahr 1975", erzählt er. "Dafür wurde ich von der Partei verpflichtet, fünf Jahre im Dienst der Wazows Rüstungswerke zu stehen.“
Vor dem Wazows Maschinenbauwerk: Tor mit kyrillischer Inschrift.
Vor dem Wazows Maschinenbauwerk: Waffenproduktion hat in der Region eine lange Tradition.© Diljana Lambreva
Bulgarische Waffen und Munition wurden in Länder wie den Irak, Libyen und Kuba geliefert und stützten Diktatoren wie Saddam Hussein. Doch darüber zu reden, war damals ein Tabu, sagt Damjan Mollov, der heute als Rentner im Dorf Karavelovo, gut 30 Kilometer von Karlovo entfernt, Honig herstellt. „Das Zusammensetzen der Ware erfolgte woanders", sagt er. "Wir waren meistens nur für die Produktion der einzelnen Teile zuständig. Wohin die Waffen wann exportiert wurden – davon wusste ich nichts.“

Bulgarische Militärindustrie ist gefragt

Sowohl die Munition als auch das Rosenöl brachten damals der zunehmend verschuldeten bulgarischen Volkswirtschaft Devisen ein. Das wiederum ermöglichte Investitionen in westliche Technologien.
Als Bulgarien nach der Wende 2004 der NATO beitrat und von Moskaus Partner zum Konkurrenten wurde, hatte die bulgarische Militärindustrie etwas zu bieten, meint Tichomir Bezlov, Sicherheitsexperte am Zentrum für Demokratieforschung in Sofia. „Als der Islamische Staat seinen Siegeszug antrat nach 2014, exportierte Bulgarien so viel Munition wie fast alle osteuropäischen Staaten zusammen und wurde zum wichtigen Faktor auf dem Rüstungsmarkt.“
Bulgarien ist bekannt für seine tragbaren Panzer-Abwehr-Granatwerfer, für die Kalaschnikows AK-47, die 122- und 152-Millimeter-Granaten. Heute sind Länder im Nahen Osten, Ägypten und Israel große Abnehmer bulgarischer Kriegsgeräte. Die Aufträge für NATO-Verbündete wie etwa Großbritannien, vor allem aber Polen und Tschechien haben angeblich Vorrang. Denn diese Länder exportieren die bulgarischen Militärgüter weiter in die Ukraine, sagen Experten. Das ist nicht nur umständlich, sondern letztlich auch teurer für Kiew.

Ringtausch zugunsten der Ukraine

An der ukrainischen Front, dort wo entscheidende Kämpfe stattfinden, werden sie aber dringend benötigt. Denn die Ukrainer kennen Kriegsgerät, das nach sowjetischen Standards gebaut ist, sehr gut – und brauchen genau das, nur noch viel mehr.
Das könne nur der Staat liefern, meint Tichomir Bezlov. „So einer großen Nachfrage können nur die Bestände des Militärs gerecht werden. Doch eine offizielle Zusage Bulgariens ist problematisch.“
Die Befürchtung von Sofia und Kiew war stets, dass eine direkte Hilfe zur Regierungskrise in Bulgarien führen würde – und schließlich zur Gründung einer Interimsregierung, bestellt vom Präsidenten Rumen Radev. Radev, der seit Januar 2017 im Amt ist, war bis 2016 Chef der Bulgarischen Luftstreitkräfte. Angeblich wurde er nach Absprache mit Leonid Reschetnikov, einem Ex-General der russischen Auslandsspionage und Vertrauten Putins, zum Präsidenten gewählt. Für ihn ist die Halbinsel Krim russisch und Waffenlieferungen an die Ukraine verlängern nur den Krieg.
Bereits als er zum Präsidenten gewählt wurde, warnten Beobachter vor einem trojanischen Pferd in der EU – und meinten damit ihn, erklärt der ehemalige Verteidigungsminister Todor Tagarev. „Der Einfluss Russlands ist in Bulgarien stark, zu stark. Diejenigen, die mitverfolgt haben, wie es dazu kam, sind darüber kaum erstaunt. Das war schon vor dem Ukraine-Krieg so. Doch mit dem Krieg hat sich die pro-russische Propaganda in den Medien verzehnfacht. Das ist monströs, denke ich.“

Falschinformationen aus Russland

Die Qualität der Medien in Bulgarien lässt zu wünschen übrig, und Russland nutzt es aus, indem es Bulgarien mit gezielten Falschinformationen überschwemmt.
„Die cleveren Propagandisten agitieren nicht für Moskau. Nein, sie machen es raffinierter: Sie hetzen gegen Europa, gegen die USA und gegen die bulgarische Regierung. Unsere Wirtschaft gehe zugrunde, alles verfalle, die Politik führe zu einem Desaster. Das wird massiv vermittelt", sagt Todor Tagarev, der heute an der Akademie der Wissenschaften zu Kommunikationsstrategien forscht.
Die Propaganda fällt auf einen fruchtbaren Boden: Die große Erzählung über den russisch-türkischen Krieg, der 1878 die osmanische Herrschaft in Bulgarien beendete, wird in Bulgarien bis heute geachtet.
Mann mit schwarzem Anzug vor blauem Hintergrund: Bulgariens Präsident Rumen Radev während des NATO-Gipfels
Bulgariens Präsident Rumen Radev während des NATO-Gipfels: Er vertritt einen eher pro-russischen Kurs.© picture alliance / AP / Bertrand Guay
Während sie früher von der kommunistischen Führung instrumentalisiert wurde, bedienen sich heute nationalistische Parteien und Kleptokraten ihrer, erklärt Todor Tagarev. „Von Kindesbeinen an hört man das bei uns. Die Russen sind unsere Befreier, und wir sollten ihnen ewig dankbar sein. Viele Kreml-freundlichen Politiker fördern diese Einstellung und versuchen, davon zu profitieren. Es gibt auch massenweise Wissenslücken. Sie spielen diesen Politikern in die Hände. Viele Menschen in Bulgarien wissen zum Beispiel nicht, dass die Sowjetunion 1944 auch Bulgarien den Krieg erklärt hatte und zur Besatzungsmacht wurde.“

Sturz der prowestlichen Regierung

Im Klima von Informationschaos und Polarisierung hat das bulgarische Parlament am 22. Juni der Regierung Kiril Petkovs das Misstrauen erklärt. Beobachter sehen dahinter Oligarchen als Strippenzieher. Das Kabinett Petkov hatte das Land vom Erdgaskonzern Gazprom entkoppelt und war gleichzeitig gegen Korruption vorgegangen.
Die unklare politische Zukunft Bulgariens stellt jetzt nicht nur die eingeleiteten Reformen infrage. Das Land könnte auch vom pro-europäischen und pro-atlantischen Kurs etwas abweichen. Umfragen zufolge fiel die Unterstützung für die EU zum ersten Mal seit Beginn des Krieges unter die 50 Prozent-Marke. 38 Prozent der Bevölkerung wollen aus der NATO austreten. Und: Von allen EU-Bürgerinnen und -Bürgern sind die Bulgarinnen und Bulgaren am wenigsten solidarisch mit der Ukraine.

Verdeckter Waffenhandel blüht

Zurück ins Rosental, zurück zu den Damaszener-Rosen. Marian Russev besitzt hier 23 Hektar Land. Nicht vererbt, sondern selbst erworben. Darauf ist er stolz. Nicht weit von seinen Rosengärten entfernt sind die Werke, die auf Hochtouren Kampfgerät herstellen. Davon will der Landwirt aber nichts wissen. Erntehelfer findet er immer schwieriger.
Die Roma, die meist bereit sind für harte Handarbeit, werden gerade aus diesem Grund auch in der Produktion von Kriegsgerät gesucht. „Mein ganzer Freundeskreis ist gegen Waffenlieferungen für die Ukraine", sagt er. "Alle sind für Neutralität. Wir sollten besser auf uns schauen. Die Probleme im Land sind schon so groß genug. Um Hilfe sollten sich besser die großen Länder kümmern und nicht die kleinen.“
Doch der verdeckte Waffenhandel blüht wie in den Zeiten des Kalten Krieges und wetteifert mit dem Rosenhandel. Niemand hier hätte sich das im Jahr 2022 so vorgestellt, sagt Damjan Mollov, früher begeisterter Kommunist. Das Schicksal der von den Russen blockierten ukrainischen Kämpfer im Asow-Stahlwerk geht ihm nicht aus dem Kopf: „Menschen in einem Stahlwerk einzusperren. Keine Evakuierung zu erlauben. Wie kann man so etwas nur tun?! Ich kann das alles nicht verstehen.“
Es herrscht Krieg in Europa, und die bulgarische Munition findet ihren Weg an die ukrainische Front – auch wenn der Kreml das nicht will.

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