Die Wächter über Nord- und Ostsee
Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie dokumentiert die Erwärmung der See durch den Klimawandel, überwacht den Fischbestand und die Schadstoffbelastung. Die Besatzungen der Schiffe vermessen Seewege und untersuchen Stellen, an denen Gefahren unter Wasser lauern.
Weiß spritzt die Gischt, klatscht auf die blaugrau glänzenden Wellen der Ostsee. Bei Windstärken vier. Die DENEB liegt ruhig in der See: 52 Meter lang, schwarzer Rumpf, weiße Aufbauten, drei kompakte knallgelbe Kräne. Auf der Brücke wirft Kapitän Andreas Gentes einen Blick durchs Fernglas:
"Wir haben uns ein Wrack ausgesucht, das planmäßig zu untersuchen ist. Als Wiederholungsuntersuchung, das ist ein bekanntes. Es befindet sich in der Ansteuerung von Warnemünde. Das sind Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg. Da sind dann Reste liegen geblieben, die eine gewisse Gefahr darstellen."
Die DENEB ist eines von fünf Forschungs-, Vermessungs- und Wracksuchschiffen, die für das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Nord-und Ostsee unterwegs sind. Das BSH hat seinen Sitz in Hamburg wie in Rostock und untersteht dem Bundesverkehrsministerium. Geleitet wird das Amt von Monika Breuch-Moritz:
"Wenn ich es ganz kurz zusammenfasse, dann machen wir im BSH all das auf dem Meer, auf Nordsee und Ostee, was sämtliche Bundesbehörden zusammengenommen auf dem Land machen: Wir sind das Bauamt für die Offshore-Windparks, wir sind das Bundesamt für Kartographie, für die Seevermessung und geben die Seekarten heraus. Wir sind ein Umweltamt für die Meeresumwelt. Wir sind Kraftfahrtbundesamt und Eisenbundesamt für die Seeschifffahrt und so weiter und so weiter. Wir haben ein Riesenspektrum von Aufgaben, aber alles auf See!"
750 Menschen arbeiten für das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie. Der Etat beträgt 70 Millionen Euro. Fachleute des BSH dokumentieren die Erwärmung der deutschen See durch den Klimawandel, sie überwachen den Fischbestand und die Schadstoffbelastung. Die Besatzungen der BSH-Schiffe vermessen Seewege vor den deutschen Küsten und untersuchen regelmäßig Stellen, an denen Gefahren unter Wasser lauern. Neben Wracks sind das vor allem Altlasten des Zweiten Weltkriegs: versenkte Munition, Minen und Bomben. Vor Helgoland zum Beispiel liegen etwa 6.000 Granaten aus Wehrmachtsbeständen, gefüllt mit zehn Tonnen des Nervengifts Tabun.
Solche extreme giftigen Altlasten und auch die meisten Wracks, erklärt Kapitän Gentes, könnten nur mit unverhältnismäßig hohem finanziellen Aufwand oder großem Risiko geborgen werden. Sie bleiben deshalb an Ort und Stelle. Rund 3.500 solcher Gefahren liegen auf dem Grund von Nord- und Ostsee. Sie werden vom BSH in Seekarten verzeichnet – auch der gesprengte Schlepper, der heute untersucht werden soll.
"Das war wahrscheinlich mal ein Schlepper, wovon jetzt Trümmerteile in einem Gebiet von 20 mal 50 Meter auf dem Meeresgrund noch vorhanden sind."
An den Masten, Aufbauten und Bordwänden von Wracks können sich Anker und Schleppnetze verhaken – und im Extremfall können sie ein Schiff leck schlagen.
"Wenn wir eine Wassertiefe über diesem Wrack von nur 13 Metern haben und sie fahren mit einem großen Schiff da rüber und das ändert sich um zwei Meter, dann ist das eine ernst zu nehmende Gefahr! Und aus diesem Grunde wird das vorbeugend wiederholt untersucht."
Ein Sonar im Schiffsbauch
Kapitän Gentes fährt den Bord-Computer hoch und bereitet die erste Untersuchung des Wracks vor. Im Schiffsbauch ist ein Sonar installiert. Das Gerät tastet mit Schallwellen den Meeresboden ab und schickt ein Abbild des vor bald 70 Jahren gesunkenen Schleppers an den Monitor auf der Brücke. Andreas Gentes beobachtet die Umrisse des Schiffswracks am Bildschirm. Langsam gleitet die DENEB über die ersten Wrackteile am Meeresgrund, per Mausklick vermisst Gentes die weißgrauen Schattierungen:
"Das ist es ... Trümmerteile. Sieht aus, wie ein fossiler Abdruck in irgendeinem Sandstein. – Das sind Auswirkungen des Krieges. Möglicherweise bei einem Luftangriff gesunken ..."
Alle Höhen-, Längen- und Breitenangaben werden an die Stützpunkte des Bundesamtes in Rostock und Hamburg übertragen. Dort wird jede Veränderung in den Seekarten vermerkt, auf Dezimeter genau. Im letzten Jahr, erzählt der Kapitän, hat die systematische Suche eine Überraschung beschert. Unverhofft lieferte das Sonar Bilder von sieben Stahlcontainern, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur:
"Das ist kurios ... Die sind alle von uns betaucht worden, um herauszufinden, ob da vielleicht gefährliche Ladung drin ist. Und drei von denen waren beim Aufkommen auf den Boden aufgegangen, waren geöffnet, sodass man sehen konnte, was drin ist: und da ist Schnaps drinne. - Aber das riecht nicht gut, wenn man das aufschraubt. Das kann man nicht mehr trinken. Eine Flasche haben wir gehoben, die riecht noch relativ normal, aber probiert hat keiner ..., nur Geruchsproben genommen. Man kann nicht mehr sehen, was für eine Sorte das ist: Die Etiketten sind abgeweicht und die Schraubverschlüsse sind so weit korrodiert, dass man oben auch nicht die Marke erkennen kann ..."
... und alles, so Gentes, deutet bei diesem Fund auf illegale Ware hin:
Größte Herausforderung - Offshore-Windkraft
Wer die Container warum über Bord geworfen hat, wird nie geklärt werden. Aber in den aktuellen Seekarten sind sie verzeichnet. Für seine Arbeit stehen dem BSH fünf Schiffe, gecharterte Hubschrauber, zwei Dutzend Taucher und über 40 Fachwissenschaftler zur Verfügung. Es arbeitet zusammen mit dem Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut oder dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde. Systematisch erforscht und vermessen wird deutsche See seit 1868. Damals gründete der Hamburger Wilhelm von Freden die Norddeutsche Seewarte. 1990, nach der deutschen Wiedervereinigung, entstand das BSH. – Aus ihrem Bürofenster schaut die Präsidentin des Amtes, Monika Breuch-Moritz, auf die Landungsbrücken, die Elbe und den Hafen. Die größte Herausforderung der letzten zehn Jahre, erzählt die studierte Meteorologin, war das Aufkommen der Offshore-Windkraft vor rund 15 Jahren.
"Wir wurden plötzlich das Bauamt für riesige, komplexe Anlagen. Vor allem für Anlagen, von denen noch keiner genau wusste, wie sie gebaut werden. Und welche Auswirkungen sie am Ende haben. Deshlab war das ganze auch sehr frühzeitig mit einer komplexen Begleitforschung flankiert, um festzustellen: Welche Auswirkungen gibt es von den Anlagen aus auf das Meer und umgekehrt: Welche Auswirkungen haben denn Meeresströmungen und Gezeiten und so weiter auf solche Anlagen?"
Und wie viel Krach bei den Bau- und Rammarbeiten auf hoher See vertragen die Schweinswale in Nord- und Ostsee? Das BSH gab dazu Gutachten bei externen Instituten in Auftrag, erforschte die Ausbreitung des Unterwasserschalls. Heute gilt: Bei allen Arbeiten muss ein Grenzwert eingehalten werden. Im Umkreis von 750 Metern dürfen 160 Dezibel unter Wasser nicht überschritten werden. Zum Vergleich: ein Düsenjet bringt es in 30 Meter Entfernung auf 140 Dezibel.
Um alle Veränderungen für die Flora und Fauna durch Offshore-Windkraftanlagen möglichst genau zu untersuchen, wurden schon vor Jahren Sensoren, Kameras und Mikrofone im Meer platziert. Zuständig dafür war das Team auf der WEGA, dem Schwesterschiff der DENEB.
70 Kilometer nördlich der Ostfriesischen Inseln ankert das Schiff im ersten deutschen Offshore-Windpark. In „Alpha Ventus" – so der Name des Projekts – drehen sich zwölf mächtige Rotoren: Durchmesser 116 Meter, mit je fünf Megawatt Leistung. Auf dem Achterdeck der WEGA stehen rostrote, zusammengeschweißte Metall-Gestänge in Pyramidenform:
"Das sind Hydrophon-Gestelle, die werden auf dem Meeresboden abgesetzt. Circa drei Meter hoch. Da werden Hydrophone angebracht und die messen dann den Betriebsschall von den Anlagen. Im Betrieb, beim Einschalten und auch, wenn die Anlagen nicht laufen."
Ronny Hahn ist damals Projektingenieur beim Bundesamt. Alpha Ventus, erklärt er, wird mittlerweile von etlichen Sensoren überwacht. Nun sollen mit den Hydrophonen, also: Unterwassermikrofonen, zwei weitere hinzukommen und die Betriebsgeräusche der Windmühlen unter Wasser aufzeichnen. Der bordeigene Kran wird die Gestelle auf den 30 Meter tiefen Grund absetzen, zusammen mit einem 170 Meter langen Übertragungskabel ...
"... und der Taucher nimmt dann die Kabel entgegen und wird die dann unter Wasser an die Anlage stecken."
Gut verdrahtet - die Nordsee um Alpha Ventus
Per Handzeichen startet Ronny Hahn die Aktion: an einem schweren Eisenhaken schwebt das erste Gestell über die Planken, vier Mann bugsieren es übers Wasser. Schon senkt sich das Gestell in die dunkle See. Kaum ein Fleck Nordsee ist so gut verdrahtet wie das Gebiet um Alpha Ventus. Wie intensiv die Forscher dieses Stück Nordsee untersuchen, erklärt der Kapitän der WEGA, Hartmut Brunn, auf der Brücke:
"Die armen Fische, die haben alle schon Störungen, weil hier andauernd die Forschungsschiffe hin und her fahren... Nein, das ist schon so, dass in diesem Gebiet unheimlich viel gemacht wurde. In jeder Hinsicht: geologisch, biologisch, alle Abteilungen sind hier ja unterwegs. Die Vogelzähler sind hier ständig unterwegs und als dieses Projekt geplant wurde ging das schon los mit Vorfeldmessungen, um dann eben Vergleichsdaten zu haben."
Der Kapitän steht am Kartentisch, in der Hand einen Metallzirkel mit abgerundeten Spitzen. Vor ihm ausgebreitet liegt eine Seekarte: die Geographie des deutschen Festlandsockels, vermessen vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie.
"Dieses Alpha-Ventus-Gebiet ist, wenn man hier so in die Karte guckt, so klein, dass man es eigentlich kaum sieht. Das ist ein Gebiet mit zwölf Mühlen, das sieht man hier so als ... naja, ein bisschen mehr als ein Fliegenschiss. Aber wenn man dann sieht, auf welchen Flächen da was passiert ... Das sind gewaltige Ausmaße!"
Hier sollen im Jahr 2030 rund 5.000 Windräder Strom liefern, mit der Leistung mehrerer Dutzend Atomkraftwerke. Die Schifffahrt, meint Brunn, wird keine Probleme mit den Windparks bekommen, denn die Fahrwasser bleiben selbstverständlich frei von Windrädern. Kollisionen ausschließen will er aber nicht.
"Ich sehe da navigatorisch nicht so das Problem. Was nicht heißt, dass das nicht mal schief gehen kann ... Es fährt auch mal einer auf ein Riff oder gegen eine Insel, die da schon immer war ... Je mehr Hindernisse da sind, desto mehr kann passieren, das ist ja klar!"
Die WEGA war dabei, als die gigantischen Stahlfundamente der Windmühlen in den Meeresboden gerammt wurden. Dreißig Meter tief stecken sie im Meeresboden. Einige Windräder werden auf dreien dieser Stahlrohre montiert, andere nur auf einem. Nach dem Einrammen mussten die Taucherteams der WEGA nach unten:
"Da gibt es viele Arbeiten, bei denen wir mitgemacht haben mit unseren Tauchern, die die aufgebauten Mühlen dann mit Messgeräten bestückt haben. Um die Beine rum, direkt an den Beinen, um da auch Vibrationen an den Beinen selber oder Übertragungen der Vibrationen in den Boden, Einfluss auf Boden, auf Sandkornverteilung zu messen. Da ist also auch sehr viel technische Arbeit gemacht worden."
Ideale Arbeitsbedingungen für Forschungsprojekte
Hartmut Brunn steigt die steile Holztreppe in den Rumpf hinab. Dort liegen die Labore der WEGA. Physiker, Chemiker und Biologen aus ganz Deutschland finden hier ideale Arbeitsbedingungen für ihre Forschungsprojekte:
"Das sind die Laborräume, einer der Laborräume. Das sogenannte Nasslabor, das direkt ans Arbeitsdeck angrenzend ist. Mit den entsprechenden Möglichkeiten draußen über Kräne Sonden zu fahren, Wasserproben zu nehmen, Messungen zu machen und die Proben hier direkt vom Arbeitsdeck ins Labor hinein zu kriegen. Das Labor ist ausgestattet mit technischen Einrichtungen so wie Giftgasabzüge, Kühlanlagen, Wassereinrichtungen. Sonst ist nichts drin, denn die entsprechenden Einrichtungen bringen dann die jeweiligen Wissenschaftler mit. Das heißt, sie richten das Labor nach ihren eigenen Bedürfnissen ein."
Im Regal steht seefest verschraubt ein Computer, angeschlossen ans Bordnetz. Ein Brutschrank steht bereit, um Wasser- oder Sedimentproben noch auf See genauer untersuchen zu können.
Auf dem Achterdeck der WEGA steht Taucher Martin Sulanke, zieht an einer Zigarette und geht mit dem Team noch einmal jeden Schritt seines Auftrags durch: Er muss bis an das Fundament einer Windanlage hinabtauchen. In 30 Meter Tiefe soll er dann die Kabel des gerade auf den Meeresgrund abgesetzten Unterwassermikrofons mit dem Messcomputer am Windrad verbinden.
Eine Viertelstunde später schaukelt das Beiboot der WEGA auf den Nordseewellen, an einem der gelben Beine vertäut, auf denen die Windanlage steht. Sulanke steigt die Leiter am Bootsheck hinunter, taucht in die kalte Nordsee und hangelt sich an einer Leine entlang in die Dunkelheit hinunter. Seine Helmkamera liefert Bilder an den Monitor auf dem Beiboot: muschelbesetzte gelbe Metallrohre, kleine Krebse, die umher schwimmen und die Sicht behindern. Innerhalb eines Jahres haben sich an den Fundamenten des Hochsee-Windparks Taschenkrebse und Samtkrabben, Austern und Seeanemonen angesiedelt.
Auf dem Monitor sind Sulankes dicke Handschuhe zu sehen. Er steckt Kabel zusammen, hantiert mit Zange und Schraubenzieher, kämpft mit der schlechten Sicht. Sieben Grad kalt ist das Wasser und nach einer halben Stunde ist Schluss: Dann setzt die Flut ein und macht das Arbeiten unter Wasser unmöglich. Zu stark ist die Strömung.
Zurück an Bord wischt sich Martin Sulanke die winzigen Krebse vom schwarzen Neopren-Anzug.
"Da muss noch mal einer runter, die nachsetzen die Stecker und nochmal sichern die Kabelbahn. Aber es war schon ganz gut erfolgreich diese Geschichte."
In sechs Stunden wechseln sich wieder Flut und Ebbe ab. Erst dann, bei Stauwasser, kann Sulanke wieder runter. Bis dahin erholt er sich und bereitet den nächsten Einsatz vor.
Zurück in Hamburg, im BSH-Stützpunkt an den Landungsbrücken, im Büro von Präsidentin Monika Breuch-Moritz. Ihrer Behörde wird die Arbeit so bald nicht ausgehen, meint sie:
"Die industrielle Nutzung der Meere geht natürlich voran. Das ist auch auf Nord- und Ostsee nicht anders: Die Seeverkehrsprognosen gehen von einer Verdoppelung des Seeverkehrs in den nächsten zwanzig Jahren aus. Damit sind die Meere stärker befahren. Und das ist mit einer der Gründe, warum die Vorschriften immer strenger werden und auch die Kontrollen immer strenger werden. Damit eben nichts passiert. Damit man weiterhin von sicheren und einem umweltfreundlichen Seeverkehr ausgehen kann."
Positive Effekte für die Pflanzen- und Tierwelt?
Um das zu erreichen, nimmt das Bundesamt regelmäßig so genannte Bunkerproben: Schweröl aus den Schiffstanks werden chemisch analysiert. Nach und nach, so fordert die International Maritime Organization (IMO), soll besonders schwefelhaltiger und extreme umweltbelastender Schiffsdiesel verbannt werden. Und ab 2016 müssen alle Großschiffe, die zwischen den Kontinenten verkehren, ihr Ballastwasser reinigen, bevor sie es über Bord pumpen, damit keine fremden Tier- und Pflanzenarten auf diesem Weg in die heimischen Ökosysteme eingeschleppt werden. Auch für die Kontrollen dieser Filter wird das BSH zuständig sein. Neben den Gefahren, das zeigt die Ansiedlung neuer Meeresbewohner rings um die Offshore-Windmühlen, könnte die wachsende wirtschaftliche Nutzung der deutschen Küsten aber auch positive Effekte für die Pflanzen- und Tierwelt haben:
"Wenn solche Windparkgebiete nicht befahren werden dürfen und dort nicht gefischt wird, können Rückzugsräume für alle möglichen Tierarten entstehen und auch die Fischbestände möglicherweise erholen. Also, man kann nicht nur von Nachteilen reden. Es gibt sicher auch unter ökologischen Aspekten Vorteile der Windparks. Neben dem Effekt, dass die CO2-Emmissionen reduziert werden. Was ja der Hauptsinn eines Windparks ist."
Die Auswirkungen der Offshore-Windparks auf die Pflanzen- und Tierwelt untersucht das BSH auch auf der Forschungsplattform FINO 1. Sie gehört zu den insgesamt drei Stützpunkten des BSH in der deutschen Nord- und Ostsee. FINO 1 steht am Rande von Alpha Ventus und ist am besten mit dem Hubschrauber erreichbar.
Aus vierhundert Meter Flughöhe wirken die Hunderte Meter langen Containerfrachter in der Deutschen Bucht winzig.
Die zwölf mächtigen, rund 140 Meter hohen Windräder von Alpha Ventus tauchen aus dem Dunst über der See. Gleich daneben: die FINO 1. Auf dem Hubschrauber-Deck der Forschungsplattform steigt die dreiköpfige BSH-Mannschaft aus: Projektingenieur Ronny Hahn, der Techniker Hans-Hermann Uhde und Kai Herklotz, beim BSH zuständig für Marine Messnetze. – Alle zwei Wochen besuchen Wissenschaftler, Techniker und Monteure die Plattform. Heute sind schon zwei weitere Teams vor Ort. Kai Herklotz legt den Kopf in den Nacken, schaut hoch zum weißlackierten Stahlmast von FINO 1:
"Das ist der eigentliche Windmessmast. Die Spitze ist 101 Meter über Seekartennull. Der ganze Mast ist 81 Meter hoch, weil wir so auf 20, 21 Meter stehen. Und an verschiedenen Stationen, angefangen bei 33 Meter werden meteorologische Daten gemessen, Wind, Windstärke, Windrichtung, Lufttemperatur. Das sind so die wesentlichen Sachen."
Kai Herklotz' Kollegen hieven ein neues Messgerät aus einer Transportkiste:
"Das ist ein sogenannter Radarpegel. Das heißt, es ist Wellen- und Wasserstandsmessgerät, was über Radarstrahlung den Abstand bis zur Meeresoberfläche misst. Und das so hoch aufgelöst, dass du sogar jede einzelne Welle mit messen kannst."
Mit einem Ruck setzt sich ein paar Meter entfernt eine schwere Apparatur in Bewegung und gleitet an einer Führungsschiene senkrecht nach unten in die Nordsee.
"Das ist eine Kamera, die von Land aus gesteuert werden kann und an einem Schlitten bis knapp über den Meeresboden fahren kann. Und mit den Bildern kann man doch auch sehen, wie viele Fische sich hier aufhalten und rumwabbern."
Immer mehr Fische bewohnen das Gebiet
Auf dem Festland empfangen Wissenschaftler die Aufnahmen fast ohne Verzögerung. Ihre Beobachtungen zeigen: Seit der Errichtung des Windparks bewohnen immer mehr Fische das Gebiet. Projektingenieur Ronny Hahn tippt Befehle in den Computer, ruckelt an Steckern, startet das Wellenradar. Das misst auch, wie rau der Alltag auf See sein kann. Heute ist es ruhig hier draußen, aber bei stürmischer See können die Wogen schon mal das Stahlgeländer von FINO 1 verbiegen oder den Gitterfußboden wegreißen.
"In Extremsituationen, die es hier ja wohl häufiger gibt als wir erwartet haben, gibt es Wellen durchaus bis 15, 16 Meter Höhe. Und das ist eigentlich eine Sache, die wir hier in der südlichen Deutschen Bucht auch gar nicht erwartet hatten."
Nach fünf Stunden heißt es: Auftrag erledigt. – Die Mannschaft steigt wieder nach oben aufs Helikopterdeck.
Der Pilot startet den Motor, um sich auf den Rückflug nach Emden zu machen. Vorbei an den mächtigen Windrädern, über das am besten erforschte Areal in der deutschen See.
Jedes Jahr, immer in den Sommermonaten, untersucht das BSH den Gesamtzustand von Nord- und Ostsee. Zuletzt fuhren die Meereschemikerin Dr. Sieglinde Weigelt-Krenz und ihr zehnköpfiges Team im Sommer 2014 mit dem Forschungsschiff „Celtic Explore" über die deutsche See. Von Hamburg bis ins norwegische Bergen werden an den immer gleichen Stellen Wasserproben genommen. Gemessen werden Temperatur, der Sauerstoff-, Salz- und Schadstoffgehalt der See. Erreichbar ist Sieglinde Weigelt-Krenz während der sogenannten Gesamtaufnahme nur über eine knarzende Satellitenverbindung:
"Die erste Station beginnt pünktlich acht Uhr. Das heißt: Halb acht spätestens im Labor, Geräte vorbereiten. Damit die startklar sind, wenn wir auf Station kommen. Dann setzen wir die sogenannten Kranzwasserschöpfer ein ..."
... und mit diesen Schöpfern hieven die zwölf Forscher auf der „Celtic Explorer" das Meerwasser an Bord, füllen es ab, notieren Ort und Datum jeder einzelnen Probe. An einigen Orten, so Sieglinde Weigelt Krenz, war der Sauerstoffgehalt in der Nordsee im letzten Sommer mit nur 60 Prozent erschreckend niedrig. Normal sind Werte über 90 Prozent. Sie fürchtet, das Kleinlebewesen am Meeresgrund unter dem Mangel leiden werden. - Genau analysiert werden die Wasserproben nach der Erkundungsfahrt im Hamburger Labor des Bundesamtes. Das Ergebnis: Der Zustand der Nordsee hat sich in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren in einigen Punkten stark verbessert, erklärt Dr. Stefan Schmolke vom BSH:
"Wir haben in der Nordsee signifikant abnehmende Quecksilberkonzentrationen seit Jahrzehnten. Man kann diesen Effekt der abnehmenden Quecksilberkonzentrationen im Sediment bis in die zentrale Nordsee hinaus beobachten."
Giftstoffe verbieten lohnt sich
Kaum noch messbar sind auch radioaktive Stoffe, die früher in großen Mengen über die Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield ins Meer gepumpt wurden. Und auch die Belastung mit bestimmten Pflanzenschutzmitteln ist zurückgegangen, weil diese Stoffe seit Jahren verboten sind. Die gute Nachricht lautet: Giftstoffe verbieten lohnt sich. Der Zustand der Nordsee lässt sich auf diese Weise messbar verbessern.
Die schlechte Nachricht schiebt der Wissenschaftler Schmolke aber gleich hinterher:
"Die chemische Industrie reagiert natürlich darauf. Indem andere Substanzen entwickelt werden, die – hoffentlich – umweltverträglicher sind. Dass in dem einen oder anderen Fall vielleicht auch sind. Manchmal aber auch einfach nur – das ist eine subjektive Einschätzung – manchmal auch einfach nur kosmetischer Art sind. Das heißt, dass die Struktur von irgendeinem Herbizid nur ein bisschen verändert wird. Damit ist es eine andere Substanz. Die aber quasi genauso wirkt wie die geregelte Substanz. Aber eben ungeregelt ist."
Gleichzeitig beeinflusst der Klimawandel die Ökosysteme in Nord- und Ostsee, erklärt die BSH-Präsidentin Monika Breuch-Moritz:
"Also, unsere Langzeitmessungen der Wassertemperaturen, die zeigen eindeutig eine Entwicklung nach oben. Wir haben so um die anderthalb Grad mehr, also höhere Wassertemperaturen in der Deutschen Bucht in den obersten vierzig Meter Wasserschichten als vor hundert Jahren oder vor 70, 80 Jahren. Der Trend zur Erwärmung ist eindeutig. Das geht zwar mal auf und ab. Mal kühlt es ein Jahr ab oder bleibt etwa gleich. Aber dann kommt wirklich sprunghaft die nächste Erwärmung, die man in den Daten auch nachweisen kann."
Was diese Entwicklung am Ende für Folgen für die deutschen Meere haben wird, ist noch nicht klar. Klar ist: dem BSH wird die Arbeit auch in Zukunft nicht ausgehen.