Plötzlich erscheint Pina Bausch im Nachthemd
Mehr als sechs Jahre nach dem Tod Pina Bauschs widmet die Bundeskunsthalle Bonn der Choreografin eine Ausstellung. Das Herzstück der Schau ist ein originalgetreuer Nachbau ihres legendären Proberaumes. Museumsbesucher werden hier von einer echten Bausch-Tänzerin empfangen.
Was für eine versponnene, geradezu befremdliche Idee – in einem Museum den legendären Probenraum der Choreografin Pina Bausch nachzubauen und in diese architektonische Kopie eine echte Bausch-Tänzerin zu stellen, damit diese mutigen, verspielten Ausstellungsbesuchern echte Bausch-Bewegungen beibringt.
Goethes Gartenhaus in Weimar und Pina Bauschs Lichtburg in Bonn. Drumherum – Videoaufnahmen in Museumshallengröße projiziert, akribisch an die Wand gepinnte Foto-Abzüge einer anderen Tanzkunstepoche, Plakate, Vitrinen mit Programmheften. Kaffeehaus-Stühle, zwischen denen es ist, als müsse Bausch selbst im nächsten Augenblick im spinnwebfeinen Nachthemd am Besucher vorbeieilen, durch die Lebenden hindurchsehend. Monitore mit knisternden Schwarzweißaufnahmen zeigen eine wunderschöne junge Tänzerin in altmodischen Trikots, aber mittendrin in dieser zum stundenlangen Forschen, Studieren, Nachsinnen und Verlieben einladenden Präsentation, mittendrin und magisch anziehend, harrt dieser Raum, der so echt wirkt und wie ein Bühnenbild zugleich.
Hier in der Kopie der Lichtburg verlischt die Zeit und kein Strahl Tageslicht stört die Illusion in der Tiefe des Museumsbaus. Verschlissene spinatgrüne Wandbespannung, mannshohe Spiegel, vollgehängte Kleiderständer, Tanzboden, Regietisch, Lautsprecher. Na dann mal los, wer sich traut.
Man sieht, da hat man ganz schön was zu tun, gehen, zählen, lächeln, Abstand halten, im Takt bleiben, nicht durcheinanderkommen mit den Händen, ganz schön schwer, werden viele feststellen. Im Theater kann man sich an diesen Stellen immer entspannen. Man wird ja angeflirtet.
Kunstformen schauen einander an
Und wer wäre nicht schon dem Charme der schönen rätselhaften Gesten, des verführerischen Theater-Lächelns, der elegant und punktgenau im Takt gesetzten Schritte erlegen. Soll also die Ausstellung einfach diese Reize replizieren, soll sie wie eine Zeitmaschine sein, in die der Besucher einsteigt, um selbst dabeizusein, mit Cordhose, T-Shirt und Zigarette in den 70er-Jahren?
Auf diese frühe Begeisterung beruft sich Rein Wolf, der Direktor der Bundeskunsthalle Bonn und Initiator der Ausstellung.
"Pina Bausch war für mich bereits seit 30, 40 Jahren eine Ikone."
Kunstformen schauen einander an. Die Beobachtung, dass die visuelle Ästhetik von Pina Bausch eine minimalistische war, während ihr körperlicher Ausdruck sicher ohne den deutschen Expressionismus ein anderer gewesen wäre, deckt auf, was sie wirklich wollte.
Folgt man Salomon Bausch, dem Sohn der Choreographin und Vorsitzenden der Pina Bausch Foundation, dann sollen die Exponate aus dem Bausch-Archiv anregen, das Kunstvolle, Gemachte, das Wie der Stücke zu studieren.
"Für die Pina Bausch Foundation ist das natürlich ein toller Moment, auf dem Weg das Werk von Pina Bausch auch anderen Nutzungsformen zu öffnen."
Chronologie braucht es nicht
Anstelle eines Katalogs ist rechtzeitig zum Ausstellungsbeginn ein von Stefan Koldehoff und der Pina Bausch Foundation herausgegebener Band mit Interviews und Reden der Choreografin erschienen. Entlang der Dramaturgie einer Rede, in der Bausch 2007 in Kyoto vor Workshopteilnehmern viel von sich und ihrer Kunstauffassung preisgab, habe man diesen Ausstellungsparcours geführt, so Rein Wolfs, nicht chronologisch. Chronologie braucht es nicht in einer solchen Hommage, die recht gelungen den Zauber des Tanztheaters Wuppertal reproduziert und reizvoll die Schönheit dieses Versuchs einer Theaterrevolution repräsentiert.
Für die Frage, ob wir einen Klassiker der bundesrepublikanischen Kunst feiern oder angesichts einer Epoche, in der sich das Publikum mit seinem Theater identifizieren konnte und wenig andere Sorgen hatte, zurecht sentimental werden, ist es sechs Jahre nach dem Tod der Choreografin immer noch zu früh. Durch den kapellenartigen letzten Saal, in dem sechs Kinoleinwandgroße Formate unterschiedliche Werkszenen zeigen, weht deren melancholischer Soundtrack.
Die Ausstellung "PINA BAUSCH und das Tanztheater" ist vom 4. März bis zum 24. Juli 2016 in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen.