Die Wechselwirkung zwischen Fußball und Macht
Am Fußball kommt niemand vorbei – erst recht kein Politiker. Doch welchen Stellenwert, welche Macht hat der Fußball bei politischen Entscheidungen? Ein Streifzug durch das Fußballland Nordrhein-Westfalen.
Ein sonniger Nachmittag in Köln. Frühherbst im Südstadion, Fortuna Köln spielt gegen Dynamo Dresden, 3. Liga.
Walter-Borjans: "Spende für die Fortuna-Jugend!"
Norbert Walter-Borjans, SPD-Mitglied und Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, geht durch die Zuschauerreihen. Er trägt einen alten Fußball, in dem oben ein Schlitz ist – wie bei einem Sparschwein. Walter-Borjans sammelt Geld. Für die Jugendarbeit der Fortuna.
"Dankeschön, vielen Dank."
Ein Finanzminister kommt selten in die Verlegenheit, geliebt oder gelobt zu werden: Entweder er spart zu viel – und ringt damit Kabinettsmitgliedern, Interessensverbänden und Bürgern Geld ab. Oder – in dem Verdacht steht wohl eher Walter-Borjans in NRW – er spart zu wenig und muss sich wegen zu hoher Schulden gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigen. Es ist also eigentlich kein Amt, in dem einem die Sympathien zufliegen, doch an diesem Nachmittag im Kölner Südstadion scheint alles anders:
Fan: "Da möchte ich mal dem Finanzminister mein schon versteuertes Geld geben."
Walter-Borjans: "Das ist genau richtig."
Unglaublich, aber wahr: Beim Fußball wird selbst einem Finanzminister das Geld hinterhergetragen.
"Ich sehe selten so freundliche Gesichter beim Bezahlen."
Publikumsmagnet, Wirtschaftszweig, TV-Großereignis, aber auch Machtfaktor: Der Fußball ist das Massenphänomen unserer heutigen Zeit. Und während Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen die Mitglieder wegrennen, boomt der Fußball. Knapp sieben Millionen Mitglieder hat der Deutsche Fußball-Bund, kurz DFB, er ist eine der größten Organisationen des Landes. Knapp 33 Millionen Menschen schalteten das WM-Finale im vergangenen Jahr ein – ein TV-Allzeit-Rekord in Deutschland. Und nun eben auch noch Geld für den Finanzminister – ohne Murren.
"So, jetzt war ich hier schon…"
Angesichts dieser Fakten und Umstände, erscheint eines nur folgerichtig: "Für Politiker", so schrieb einst die "Welt am Sonntag" mal, "gibt es kaum etwas Wichtigeres als Fußball." Und weiter: "Besonders eng sind die Bindungen an Rhein und Ruhr."
Die Staatskanzlei in Düsseldorf, Fototermin. Nach der Kabinettsumbildung vor einigen Wochen, soll nun die neue Mannschaft auch offiziell fotografiert werden. Insgesamt 14 Männer und Frauen haben sich versammelt, sollen in die Kamera lächeln.
Jäger: "Schalke wird Deutscher Meister."
Innenminister Ralf Jäger hat die Lacher auf seiner Seite – und als Fan des zuletzt eher erfolglosen MSV Duisburg ist ihm der Spott der Kabinettskollegen sicher.
Es sind Momente wie diese, in der Staatskanzlei, bei einem Rundgang durch den Landtag in NRW, vorbei an Postern von Borussia Dortmund oder Fan-Devotionalien von Schalke 04, oder in der Landespressekonferenz nach einem Spieltag, wo sich auch die Journalisten über das letzte Spiel, naja, unterhalten, und in denen sich die Aussagen aus der "Welt" bestätigen: Der Ball und die Politik – es ist ein besonders Verhältnis. Vor allem eben in Nordrhein-Westfalen.
Dreiviertel der NRW-Landtagsabgeordneten sind Fußball-Fans
Laut einer exklusiven Deutschlandradio-Umfrage, an der fast ein Drittel der insgesamt 211 NRW-Parlamentarier teilnahmen, würden sich über Dreiviertel der befragten Abgeordneten als "Fußball-Fan" bezeichnen.
Gödecke: "Ich glaube, dass sehr viel Kolleginnen und Kollegen echte Fußball-Fans sind, sich eindeutig zu einer Bundesliga-Mannschaft, wobei es manchmal egal ist, ob erste oder zweite Bundesliga, bekennen."
Sagt auch Carina Gödecke. Die 57-Jährige sitzt in ihrem Büro im Landtag. Vor dem Fenster fließt der Rhein, die Dämmerung setzt ein. Seit nunmehr über drei Jahren ist sie Landtagspräsidentin – und damit sozusagen die oberste Abgeordnete der NRW-Parlamentarier. Auch Gödecke ist Fan:
"Also, ich komme aus Bochum, bin natürlich bekennender VfL Bochum-Fan. Ich gehe auch, wann immer es möglich ist, ins Stadion, das ist aber leider aufgrund meiner zeitlichen Belastung nicht ganz so häufig der Fall, wie ich es gerne hätte."
Aber eine Maxime, nach der eben auch viele ihrer Kolleginnen und Kollegen leben. Immerhin fast 40 Prozent der Parlamentarier im Landtag von NRW gaben in der Deutschlandradio-Umfrage an mindestens einmal im Monat ins Stadion zu gehen. Ganz vorne, bei den präferierten Vereinen, liegen die großen NRW-Klubs: Dortmund, Schalke, der 1. FC Köln oder auch Borussia Mönchengladbach, der Verein von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Sie ist Stammgast im Borussia-Park und soll – laut "Welt" – nach Siegen mit Vorliebe das MG-Nummernschild an ihrer schwarzen Staatskarosse anbringen lassen. Die Kennzeichen müssen aus Sicherheitsgründen immer wechseln – und lassen so einen Raum für derartige Spielerein.
Doch nicht nur wegen der fünf Vereine in der ersten Bundesliga, den fünf Klubs in Liga zwei und den zahlreichen Traditionsvereinen wie Rot-Weiß Essen oder Rot-Weiß Oberhausen, die in untere Ligen abgerutscht sind, spielt der Fußball in NRW eine solch große Rolle.
"Mit Sicherheit, weil wir so viele Vereine haben, aber auch, weil Fußball natürlich als Breitensport unheimlich verankert ist in Nordrhein-Westfalen. Von daher, glaube ich, als Nordrhein-Westfalen sind wir wirklich das Fußball-Land. Und das merkt man überall auf den Terminen. Wo immer man hinkommt, man trifft Menschen, die einen Fragen, ob man eine Vorliebe hat."
Eine Erkenntnis, die auch viele ihrer Kolleginnen und Kollegen bereits hatten. Auf die Frage der Deutschlandradio-Umfrage, ob Fußball-Kenntnisse für ihre berufliche Ausübung, beispielsweise im Wahlkampf, wichtig seien, antworteten immerhin 65 Prozent der Befragten mit "Ja".
Gödecke: "Ich stelle nur fest, bei meinen Kontakten, auch wenn ich Schulbesuche unternehme: Fußball und sich ein bisschen aus zu kennen, ein bekennender Fan zu sein und dann auch ein bisschen was über andere zu wissen, ist ein echter Gesprächsöffner."
Doch Fußball ist nicht nur Small-Talk-Thema, sondern mitunter Leidenschaft – oft auch in der Politik, was sich eben auch im Landtag von NRW wiederspiegelt. Poster zieren Abgeordneten-Flure. Für Landtagspräsidentin Gödecke ist das in Ordnung, ihr Tenor: In privaten Büros können die Abgeordneten ihrer Leidenschaft nachgehen:
"In den öffentlichen Bereichen muss man sehr zurückhaltend sein, weil wir eine Menge Fußballmannschaften in der ersten und der zweiten Liga haben und wenn man dann zulässt, dass nur das Bekenntnis für eine Mannschaft da wäre, wäre das sicherlich nicht ausgewogen, aber wir sind eben auch kein Sportplatz, wir sind auch nicht ein Vereinsheim, sondern wir sind der Landtag Nordrhein-Westfalen."
Und dass gilt für Gödecke, erst recht für den Plenarsaal selbst. Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär erschien im Mai dieses Jahres zur Feier der Deutschen Meisterschaft im Trikot des FC Bayern München im Bundestag. Wäre denn ein Dortmund-Trikot im NRW-Landtag bei einem Titelgewinn der Borussia vorstellbar? Für Gödecke eine schwierige Frage:
"Ich würde es einen Moment akzeptieren und freundlichen kommentieren im Plenarsaal. Aber ich würde nicht zulassen, dass es auf lange Sicht im Laufe einer Sitzung dann auch getragen wird."
Denn für Gödecke ist klar: Ein Trikot, so schön der Fußball auch ist, polarisiert und grenzt damit auch aus:
"Weil wir schon die Regel haben, dass der Plenarsaal der Ort von Wort und Widerwort ist und der verbalen Auseinandersetzung und das nicht außerparlamentarische Maßnahmen, Instrumente dort verwendet werden."
Die Trikot-Frage ist im Plenarsaal angekommen
Dass der Fußball innerhalb des Landtages, gerade in NRW, einen solch großen Stellenwert hat, dass sich die Landtagspräsidentin sogar mit der Trikot-Frage im Plenarsaal auseinandersetzen muss, verwundert Professor Jürgen Mittag von der Sporthochschule Köln gar nicht:
"Es gibt, glaub ich, kaum ein Phänomen, was so viel Mobilisierungs- und Aufmerksamkeitspotential hat, wie der Fußball."
Mittag ist Autor des Buches: "Das Spiel mit dem Fußball: Interessen, Projektionen und Vereinnahmungen". Eine enge Verbindung, so Mittag, sei angesichts dieser Massen, nur logisch:
"Das ist auch der Grund, warum sehr viele Menschen, ob das Politiker, Wirtschaftsvertreter sind, ob es Menschen aus der Kultur sind, dass sie sich des Sports, des Fußballs im Besonderen, bedienen, um ihre Interessen über den Fußball zu vermitteln."
Dabei können es – auch im Landtag von NRW – mitunter gar nur das sprichwörtlich sportliche Interesse sein.
Der Flinger Broich in Düsseldorf. Auf dem Rasenplatz steht unter anderem der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag, Mehrdad Mostofizadeh: Grünes Trikot, weiße Hose, rote Stutzen. Mostofizadeh spielt linker Verteidiger. Und zwar beim FC Landtag der hier Anfang September auf die Alten Herren der SG Büdingen 05 trifft.
Zinnkann: "Es lag nahe, bei der Fußball-Begeisterung, dass wir uns mal zu einer Mannschaft zusammengeschlossen haben und seit 1990 ist der FC Landtag auch ein eingetragener Verein."
Auch Hans Zinnkann spielt an diesem Nachmittag mit – in der Innenverteidigung. Über 25 Jahre war er Pressesprecher des Landtages in Nordrhein-Westfalen – in diesen Tagen geht er nun in den Ruhestand. Doch Zinnkann hat sich nicht nur um den Landtag selbst, sondern eben auch um dessen Fußball-Club gekümmert. Der ist bunt gemischt.
Zinkann: "Es sind Abgeordnete aller Fraktionen, sind aber vor allem auch Beschäftigte der Landtagsverwaltung oder auch Mitarbeiter der Fraktionen."
15, 16 Spiele im Kalenderjahr waren, gerade in dieser Anfangszeit, keine Seltenheit. Gegen andere Parlamente, gegen Vereinigungen oder gegen "einfache" Vereine. Die Parteizugehörigkeit war zweitrangig.
Zinnkann: "Da hängt es sehr davon ab, wie die fußballerischen Fähigkeiten sind, die politischen Fähigkeiten, die stehen in dem Fall etwas zurück."
An diesem Nachmittag schienen allerdings auch die Ballfertigkeiten eher etwas zurückzustehen. Gegen Büdingen setzte es eine 3 : 5-Niederlage – allen fraktionsübergreifenden Koalitionen zum Trotz.
Doch wie nah beieinander Politik und Fußball liegen, vor allem, wie sehr sich beide Felder auch überschneiden und voneinander profitieren, lässt sich nicht nur im Fußballland NRW beobachten, sondern auch – oder mitunter besser – auf der Bundes-Ebene, wie ein kleiner Exkurs in die Hauptstadt zeigt. Und wo der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel aus dem Norden Deutschlands, der zugleich Schatzmeister des Deutschen Fußball-Bundes ist, sein Büro hat.
Grindel: "Der DFB bekommt keine Bundesmittel aus dem Haushalt"
Grindel ist als DFB-Schatzmeister zuletzt häufiger in den Medien. Er selbst sieht aber keinen Interessenskonflikt zwischen seinen Funktionen – auf der einen Seite als Bundestagsabgeordneter, der auf Steuereinnahmen achten muss, auf der anderen Seite als Mitglied des DFB-Präsidiums, das Steuerbefreiungen fordert. Bisher. Kurz nach seiner Wahl im Herbst 2013 sagte er:
"Wichtig ist, dass man doch eines betont: Wir verfolgen keine Eigeninteressen. Der DFB bekommt zum Beispiel keine Bundesmittel aus dem Haushalt, insofern ist, glaub' ich, an der Stelle die Frage der Vermischung etwas anderes als im Verhältnis etwa zur berechtigten Diskussion, wenn es um das Verhältnis von Wirtschaft und Politik geht."
In dieser Legislaturperiode ist Grindel stellvertretender Vorsitzender des Bundestagssportausschusses – und vielleicht die Person, die den Doppelpass zwischen Politik und Fußball am besten beherrscht. Aber: Es liegt auch an einem Desinteresse der Öffentlichkeit an solchen Konstellationen, dass diese überhaupt möglich sind. Erst in den letzten Jahren stieg die Berichterstattung über solche Verbindungen, wurde genauer hingeschaut.
Laut der Deutschlandradio-Umfrage gaben zwar nur 16 Prozent der befragten NRW-Parlamentarier an, ein Haupt- oder Ehrenamt oder eine andere Funktion in einem Fußball-Verein ausgeübt zu haben. Aber Grindel ist beileibe a kein Einzelfall. So sitzt der Präsident des Zweitligisten Karlsruher SC, Ingo Wellenreuther, beispielsweise ebenfalls für die CDU im Bundestag, ebenfalls im dortigen Sportausschuss. Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück hat einen Platz im Aufsichtsrat von Borussia Dortmund. Eben jenem Verein, dessen Präsident Reinhard Rauball ist. Rauball ist zugleich Präsident der mächtigen Deutschen Fußball-Liga und war im März 1999 für eine Woche NRW-Justizminister, bevor er wegen unlauterer Geschäftsübernahmen zurücktreten musste. Nun als Sportfunktionär pflegt Rauball Kontakte, kennt die politischen Gepflogenheiten, weiß um die Klaviatur der Macht – und um die Kraft der Bilder, die Öffentlichkeit, die der Fußball bietet.
Dortmund. In einem Raum direkt unter der Südtribüne des Stadions drängen sich die Kameras und Mikrofone. Eben um BVB-Präsident Rauball, genauso wie um Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Der Grund: Bundesinnenminister Thomas de Maiziere hat sich im Zuge einer kleinen Sommer-Tour zum Kurzbesuch angekündigt, will sich ein Projekt der BVB-Fanarbeit gegen Rechtsextremismus näher ansehen.
De Maiziere: "Die Rechtsextremen versuchen, den Fußball sich nutze zu machen und die Anhänger anzusprechen und deswegen geht jetzt der Verein umgekehrt und sagt: Das hat mit Fußball nichts zu tun, Fußball ist Integration und Vielfalt."
Die Kameras klicken. Es war die Initiative des Ministers, in Dortmund, beim BVB, vorbeizuschauen. Denn de Maiziere weiß eben auch um die Öffentlichkeit, die der Fußball bietet. Er will sie ebenfalls nutzen. Wie sehr Politiker dies verinnerlicht haben, zeigt erneut die Deutschlandradio-Umfrage in Landtag NRW: 62 Prozent der befragten Politiker sind der Meinung, dass die mediale Aufmerksamkeit für Themen mit Fußball-Bezug überproportional hoch ist.
Blättert man dagegen in den offiziellen Regierungsvorhaben, so kann der Eindruck entstehen, dass die Politik das Thema Fußball eher ignoriert, zumindest aber vernachlässigt. Denn eine inhaltliche, tiefergehende, gar kritische Auseinandersetzung mit dem Massenphänomen Fußball findet nur selten statt. Das belegt eben der Blick in die Koalitionsverträge: Während in dem Werk der auf Bundesebene amtierenden Großen Koalition in Berlin der Fußball zweimal in einem kleinen Absatz erwähnt wird, gibt es in der knapp 200-seitigen rot-grünen Regierungsvereinbarung von Nordrhein-Westfalen ebenfalls nur einen Absatz zum Stichwort "Mehr Sicherheit bei Fußballspielen".
"Ja, wir haben elf Uhr, liebe Kollegen, herzlich willkommen."
Die Landespressekonferenz im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Anfang Februar.
"Thema ist heute ein neues Konzept der Landesregierung gegen Gewalt im Fußball und gegen Intensivtäter in Fußballstadien. Zu Gast hier oben sind Innenminister Ralf Jäger, Justizminister Thomas Kutschaty …"
Wie immer, wenn in den Einladungen vom Fußball die Rede ist, sind freie Plätze rar und Kamera-Teams versperren die Sicht. Im Kern geht es an diesem Tag darum, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter am Wohnort des Täters ihre Arbeit bündeln. Es soll nicht mehr überall dort ermittelt werden, wo sich der Schläger ausgetobt hat, wie Innenminister Jäger betont:
"Diese kleine Gruppe von etwa 150 Intensivtätern, nehmen wir in Nordrhein-Westfalen mit einem neuen Konzept sozusagen in Manndeckung. Ab sofort ermitteln Polizei und Justiz Täter-orientiert in Richtung dieser Intensivtäter."
Sicherheitsdiskussion versus Fan-Rechte
Für ihre Beschlüsse werden die Minister viel Beifall bekommen – aber es gibt auch Kritik. Beispielsweise aus der Piraten-Fraktion, die im Landtag in der Opposition sitzt. Denn: Die Sicherheitsdiskussion ist auch eine Diskussion um Fan-Rechte – und denen haben sich die Piraten seit einiger Zeit verschrieben:
"Wir dachten: Hey, da geht der Fan irgendwo unter und da gibt es doch ein paar Belange, wo die Leute mal Gehör brauchen und da haben wir sie halt eingeladen."
Sagt Frank Herrmann, der Innen-Experte der Fraktion. Das sogenannte Fan-Hearing war geboren.
Hermann: "Als wir neu waren hier im Landtag, ist uns halt aufgefallen, dass doch immer über die Fans gesprochen wird in den anderen Fraktionen und jeder da seine Meinung zu hatte. Und wir wollten halt mal hören, was sie selber sagen und denen auch Möglichkeiten, ein Forum halt bieten. Das war der Grundgedanke."
Mittlerweile ist das Fanhearing institutionalisiert, im Dezember soll die 11. Veranstaltung stattfinden. Dennoch: Dass ausgerechnet die Piraten sich des Themas Fußballs annehmen, entbehrt nicht einer gewisse Ironie: Denn innerhalb ihrer Fraktion ist die Fan-Quote unter den Befragten der Deutschlandradio-Umfrage am niedrigsten: Nur knapp die Hälfte würde sich selbst als Fans bezeichnen. Auch Hermann nicht.
"Das Führen in Dateien angeht, ob es übermäßige Kontrollen sind, auf den Wegen zum Stadion, in den Zügen, im Stadion selber und so weiter. Also, Repressionen ist das große Thema."
Während es von Verbands- oder Vereinsseite aus dem Fußball auf diese Initiative kein Reaktion gab, haben die Piraten aber vielleicht doch andere Parteien in NRW, sozusagen die politische Konkurrenz, auf eine Idee gebracht.
Die Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen. In unmittelbarer Nähe zum FC Schalke 04, drückten hier die späteren Weltmeister Mesut Özil, Manuel Neuer und Julian Draxler die Schulbank. Doch heute, an einem Sonntag Ende August, ist von Schülern nichts zu sehen. Stattdessen sitzen einige Erwachsene in Fußball-Trikots im Foyer der Schule – Willkommen zum ersten "Grünen-Fankongress". Doch, was bezweckt die Partei mit diesem Anstoß?
Neubaur: "Uns als Grünen liegt daran, dass wir einen Austausch herstellen, weil wir glauben, dass Fußball und Sport eine wichtige Binde-Wirkung in Gesellschaft hat, für Jugendkultur, aber auch ein ganz wichtiger Teil ist von innenpolitischen Diskussionen, die wir führen als Gesellschaft und darum wollen wir uns kümmern."
Sagt Mona Neubaur, die Landesvorsitzende. Die Grünen in NRW sehen sich in ihrer Partei als Vorreiter– und wollen das Thema auch weiter verfolgen.
"Wir werden mit den Landesarbeitsgemeinschaften, die jetzt hier in der Vorbereitung auch beteiligt waren, das sicherlich auch in unserem Programmprozess mit einfließen lassen und dann mit guten Ideen uns zur Wahl stellen."
Fußball ist "Lupe in die Gesellschaft", meint Mona Neubaur
Der Fußball als ein Thema im Landtagswahlkampf in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland im Mai 2017? Für die Grünen-Landesvorsitzende Neubaur ist klar, dass sich die Parteien bisher zu wenig darum gekümmert haben:
"Meiner Meinung nach ist Fußball einfach, sozusagen: Man guckt durch die Lupe in die Gesellschaft und wenn man das Bewusstsein in sich hat, also Politiker oder Politikerin sollte man das haben, dann lohnt es sich, da mehr hin zu gucken."
Dass es für die Politik wohl überfällig wäre, sich intensiver auch mit den verschiedenen Seiten des Massenphänomens, einem klassischen Querschnitts-Thema durch alle Ressorts, zu beschäftigten, zeigt alleine die finanzielle Dimension. Denn der Fußball schafft es häufig, durch seine öffentlichkeitswirksame und populäre Stellung, in eine Machtposition zu kommen – und diese dann zu nutzen. Stichwort: Steuerbefreiung. Stichwort: Bürgschaften in Millionen-Höhe. Insgesamt 15 Landesbürgschaften gibt es im Zusammenhang mit Stadion-Neu- oder Umbauten in NRW. Kredite von gut 350 Millionen Euro wurden bewilligt. Das geht aus einer Vorlage des Finanzministeriums hervor. Derzeit hat das Land aus diesen Bürgschaften noch Verpflichtungen für eventuelle Ausfälle von insgesamt rund 150 Millionen Euro. Summen, die für Politikwissenschaftler Mittag von der Sporthochschule Köln, zu einem Umdenken führen:
"Erst in den letzten drei, vier Jahren bahnt sich die Sichtweise den Weg, wenn diese Sportereignisse und Fußball dann im Besonderen, ein solch hohe finanzielle Bedeutsamkeit haben, ein solch großen Umsatz erzielen, dann müsste es auch entsprechende Leistungen des Sports geben. Das heißt, die Kosten sind nicht nur auf die Allgemeinheit, sprich auf den Steuerzahler umlegbar."
Wie sich an einem der jüngsten Beispiele gut illustrieren lässt: Dem gerade eröffneten Fußball-Museum in Dortmund. Das Land NRW steuerte mit 18,5 Millionen Euro mehr als die Hälfte der Baukosten von 36 Millionen Euro bei. Der DFB – millionenschwer – musste nur 17,5 Millionen Euro geben. Doch die Baukosten sind nur ein Faktor: Denn der Verband als indirekter Betreiber plant optimistisch mit 270.000 Besucher im Jahr, um auf eine schwarze Null zu kommen. Sollten diese ausbleiben, muss der DFB als Gesellschafter jedoch nur für die Hälfte des potentiellen Verlustes haften, maximal sowieso nur bis 250.000 Euro. Die andere Hälfte sowie alles, was darüber hinausgeht, muss von der Stadt Dortmund als Mitgesellschafterin kommen. Einer Kommune, die in ihrem Haushalt für das Jahr 2016 ein Loch von 66 Millionen Euro und insgesamt Schulden in Höhe von 2,4 Milliarden Euro hat. Das Grundstück in bester Lage am Dortmunder Hauptbahnhof bekam der DFB dennoch in Erbpacht für 99 Jahre – kostenfrei.
Privilegien, die im Jahr 2009, als die Entscheidung fiel, in Köln, das sich ebenfalls Hoffnung auf das Museum gemacht hatte, gar nicht gut ankamen: Der dortige Kämmerer hatte nämlich errechnet, dass selbst bei 370.000 Besuchern im Jahr ein Verlust von etwa 730.000 Euro drohe. Zumal der DFB in Köln sich ebenfalls ein Areal in bester Lage, direkt am Hauptbahnhof, im Schatten des Domes ausgesucht hatte. Für den vor einigen Wochen aus dem Amt geschiedene Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters, ein gewöhnungsbedürftiger Vorgang, wie er sich erinnert:
"In Sachen Museum hätte ich mir gewünscht, dass man noch auf die Stadt zugegangen wäre. Man muss ja auch sehen: Das ist ja auch eine politische Entscheidung. Und wenn man sagt: Wir machen das nur, wenn das Grundstück kostenlos zur Verfügung gestellt wird, dann setzt man die Politik schon in eine Entscheidungssituation, die nicht so günstig ist."
Für Roters war klar, dass der DFB in diesem Fall auch seine Machtposition ausspielen wollte:
"Und wenn wir wirklich den reichsten Fußball-Verband der Welt haben, dann hätte man auch von ihm erwarten können, dass er im Hinblick auf die Immobilienfrage auch auf die Stadt zugegangen wäre. Das ist nicht geschehen, das muss man sagen. Insoweit ist dieses Museum an uns vorbeigegangen."
So ging dieser Kelch an der Domstadt vorbei – doch teure Bauvorhaben sind kein Einzelfall in NRW, siehe eben die Landesbürgschaften. Dass der Fußball – nicht nur in Finanzfragen – eine Machtstellung hat, glauben auch Dreiviertel der befragten NRW-Parlamentarier. Dass der Fußball diese Machtstellung auch aktiv nutzt, immerhin noch knapp 60 Prozent. Werte, über die sich Politikwissenschaftler Mittag nicht wundert:
"Das überrascht mich nicht, denn die Politiker im Landtag, aber auch in der Regierungsverantwortung kriegen ja genau mit, welche Ansinnen von Seiten des Sportes an sie herangetragen werden und sie sehen auch, wie schwierig das ist, sich solchen Ansinnen entgegenzustellen, was ja nachvollziehbar ist."
Dennoch: Für Mittag ist auch klar, dass zu hohe Kosten, Intransparenz und anhaltende kritische Medien-Berichte auch zu einem Umdenken führen könnten:
"Wenn der Politiker als rational denkender und handelnder Mensch merkt, hier habe ich nichts zu gewinnen, sondern eher zu verlieren, dann werden Dinge auch in Frage gestellt."
Doch noch, DFB-Krise hin, Sommermärchen-Diskussion her, scheint es nicht so weit.
Zurück in Köln, zurück im Südstadion, zurück bei NRWs Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Dem Mann, in dessen Etat all diese Landesbürgschaften nun liegen. Selbst ist sich Walter-Borjans keiner Schuld bewusst: Er habe keine neue Landes-Bürgschaften ausgestellt, sagt der Minister. Aber als ehemaliger Regierungssprecher weiß er genau um dieses Spannungsfeld – aber eben auch um das Potential des Fußballs – und die tollen Bilder. Und: Immerhin 1200 Euro landen am Ende des Tages in dem Fußball-Klingelbeutel. Für die Mannschaft von Fortuna Köln war der Nachmittag dagegen nicht so erfolgreich: 1 zu 5, hieß es am Ende. Aber: War ja nur ein Spiel.