Kultur als unterschätzte politische Kraft
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Die USA-Reise des Bundespräsidenten führte ihn nicht nach Washington und nicht ins Weiße Haus. Stattdessen standen zum Abschluss des Deutschlandjahres in den USA unter dem Motto "Wunderbar together" die zahlreichen Gemeinsamkeiten in der Kultur im Fokus.
Der Moment der USA-Reise des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier war ein außergewöhnliches Konzert in der Boston Symphony Hall. Sie wurde nach dem Vorbild des alten Leipziger Gewandhaus gebaut. Und nicht nur das verbindet in diesem Moment die Vereinigten Staaten und Deutschland: Auch der Chefdirigent Andris Nelsons ist derselbe. Er leitet das Boston Symphony Orchestra und das Gewandhausorchester Leipzig.
Vom Publikum wird der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gefeiert, fast wie ein Star. Er kommt aus einem Land, das kulturell gerade in dieser wohlhabenden akademisch geprägten Neuengland-Welt tief verankert ist. Die transatlantischen Beziehungen könnten wohlmöglich nicht so harmonisch sein, wie es diese beiden Orchester sind, eröffnet Steinmeier den Abend. Und auch der Rest seiner Reise zeigt: Das Verständnis und das Gespräch kommen zum einen aus der kulturellen Verbindung und zum anderen aus der Geschichte.
Kultur ist politisch
Wo bekommt Steinmeier noch frenetischen Applaus, wenn er vom 30. Jubiläum des Mauerfalls spricht? Einfach so, einfach wegen des historischen Fakts, freuen sich in dieser Symphony Hall in Boston hunderte Besucher über die Freiheit der Deutschen. Und noch eine Botschaft sendet Bundespräsident Steinmeier während dieser Reise aus: Sie heißt Dankbarkeit.
Ein kraftvoller Richard Strauss, also Musik von einem, der sich dem Nazi-Regime nicht verweigert hat, kontrastiert mit einer Komposition vom Emigranten Arnold Schönberg. Und eine große Besetzung: 130 Musikerinnern und Musiker aus Boston und aus Leipzig gemeinsam teilen sich die Bühne, jeder Quadratzentimeter ist genutzt.
Weihnachtskekse nach Plan arrangiert
Diese Reise von Steinmeier hebt die Kultur auf eine politische Ebene. Was nicht schwierig ist, weil sie selbst von den politischen Umbrüchen des letzten Jahrhunderts geprägt war. Walter Gropius etwa, der Bauhaus-Gründer, der hier eine neue Heimat fand. Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender nehmen sich Zeit, um das Wohnhaus von Gropius zu besichtigen und sich von der Enkelin persönlich führen zu lassen. Erika Pfammatter zitiert ihren Großvater mit dem richtigen Zitat zur richtigen Zeit: "Der Geist ist wie ein Fallschirm. Er kann nur funktionieren, wenn er offen ist." Die Enkelin führt Steinmeier und seine Frau durch das Haus, erklärt, wie pedantisch der Bauhaus-Meister war und sogar die Weihnachtskekse auf dem Teller nach einem Plan arrangierte.
Später befragt, wie sie vor dem Hintergrund ihrer berühmten deutschen Großeltern das derzeitige Verhältnis sieht, vertraut auch sie der Politik nicht. Es wäre doch viel schöner auf andere Verbindungen zu bauen, kultureller Art. Die bleiben im Gegensatz zur Politik, die im ständigen Wandel begriffen sei.
Asien wichtiger als Deutschland
Ähnliches hört man dann auch später bei der Wiedereröffnung des Goethe-Instituts in Boston, des ältesten in den USA, das nach zwei Jahren Sanierung ganz auf die akademische neuenglische, sehr deutschland-affine Community setzen kann. Auch von der deutschen Schule hier hört man, dass viele Eltern ihre Kinder dorthin schicken, damit sie ein deutsches Abitur machen. Deutschland ist attraktiv - kulturell, wissenschaftlich. Das bleibt. Ein Politikwissenschaftler wie Yascha Mounk, geborener Münchner und jetzt Dozent in Harvard, sieht die Sache aber nüchtern. Die Perspektiven für die USA hätten sich verändert:
"Zum Beispiel, dass die USA nicht mehr so sehr nach Europa schauen wie früher, dass die Ostküste nicht mehr so wichtig ist, wie sie einmal war. Die Westküste ist mittlerweile genauso wichtig. Dass die Proportion der Amerikaner, die aus Europa stammen, viel kleiner ist, als es einmal war. Dass natürlich China viel wichtiger ist in der Welt, als es einmal gewesen ist, und Asien deshalb in der außenpolitischen Diskussion einen viel größeren Rang hat. All diese Veränderungen sind sicherlich nicht rückgängig zu machen. Aber ich denke schon, dass hoffentlich nach Trump ein Präsident im Weißen Haus sitzen wird, der in Europa und in Deutschland einen der engsten Partner der USA sieht."
Kultur stiftet Verbindung
Nur weil der Reiseplan den Präsidenten Donald Trump ignoriert, geht er nicht weg und Spuren hat er schon hinterlassen. Politisch sind viele Dinge nicht mehr zurückzudrehen. Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist schon ein anderes als vor Trump. Und es wird immer klarer: Das Politische hat die Macht zu trennen, die Kultur hat die Macht zu verbinden.
Steinmeier scheint mit dieser Reise auch die Botschaft auszusenden, dass Kultur eben kein Beiwerk ist, kein "nice to have", das immer um Gelder kämpfen muss. Sondern: Sie hat eine oft unterschätzte politische Kraft.