"Ein Epochenbruch"
So knapp war eine Bundespräsidentenwahl in Österreich noch nie. Erst wenn die Stimmen der Briefwähler ausgezählt sind, entscheidet sich, welcher Kandidat gewonnen hat. Die Situation sei für die österreichischen Wähler völlig unbekannt, sagt der Journalist Florian Klenk.
Nur wenige tausend Stimmen trennen die beiden Kandidaten Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen voneinander. Der eine ein Rechtspopulist, der andere ein Grüner. Und eine völlig unbekannte Situation für die österreichischen Wähler, sagt der Journalist und Chefredakteur des Magazins "Falter" Florian Klenk.
Es sei das erste Mal, dass eine überwiegende Mehrheit von Menschen, einen Kandidaten einer Partei wählen müsse, den sie zuvor für nicht denkbar gehalten hätte, erklärt Klenk im Deutschlandradio Kultur. Und es sei auch das erste Mal, dass sich die Österreicher zu 50 Prozent einen Kandidaten der rechtspopulistischen FPÖ als Staatsrepräsentanten wünschten. "Insofern ist diese Wahl schon sehr bedeutend und stellt doch einen Epochenbruch dar."
Der FPÖ sei es gelungen, sich als eine Kraft der Mitte darzustellen, meint Klenk. Die Großparteien ÖVP und SPÖ seien bei der Wahl "weggerutscht", weshalb Blaue und auch Grüne in die Mitte hätten rücken können. Den Rechtspopulisten sei es dabei "erstaunlichem Ausmaß gelungen, ganz breite Bevölkerungsschichten anzusprechen".
Für bemerkenswert hält der Journalist auch, dass sich die großen Parteien nicht dazu hätten durchringen können, eine Wahlempfehlung für den Grünen-Kandidaten Van der Bellen abzugeben. "Das hat meiner Meinung nach taktische Gründe, weil man mit der FPÖ doch in den nächsten Jahren möglicherweise eine Regierung formen könnte. (...) Das heißt man sieht die FPÖ schon als eine mögliche gestalterische Kraft an."
Das Gespräch im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: "Zwischen Blut und Loden", so hat der österreichische Schriftsteller Robert Menasse den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer bezeichnet, der bekanntlich österreichischer Bundespräsident werden will und damit der erste Rechtspopulist in der Hofburg wäre. Aber noch ist er nicht am Ziel, denn bis jetzt, nach den bisherigen Auszählungen, steht es Pi mal Daumen fifty-fifty zwischen ihm und seinem grünen Konkurrenten Alexander Van der Bellen. Und welches Ergebnis dann heute im Lauf des Tages verkündet werden wird, das dürften die etwa 700.000 Briefwähler vor allem entscheiden, also ein paar hundert oder ein paar tausend Stimmen entscheiden über Blau oder Grün in der Hofburg. All das wollen wir jetzt ventilieren mit Florian Klenk. Er ist Jurist, Enthüllungsjournalist und Buchautor und seit 2012 Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung "Falter". Er hat als investigativer Journalist auch an der Veröffentlichung der Panama-Papers 2016 mitgearbeitet. Schönen guten Morgen, Herr Klenk!
Florian Klenk: Einen schönen guten Morgen aus Wien!
von Billerbeck: Bisher blau nicht, grün nicht, weder blau noch grün, also fifty-fifty zwischen Van der Bellen und Hofer. Hatten Sie das erwartet, oder worauf haben Sie getippt?
Klenk: Wir hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Es gab ja erstaunlicherweise vorher fast keine Hochrechnungen, es gab nur Schätzungen, aber nicht repräsentative Umfragen, die veröffentlicht wurden, weil man schlicht nicht wusste, wie die Leute wählen werden, weil es das erste Mal ist, dass eine überwiegende Mehrheit von Menschen eine Partei wählen müssen oder einen Kandidaten einer Partei wählen müssen, den sie zuvor nicht für denkbar gehalten haben. Also die meisten, die die Grünen gewählt haben, haben sich nicht vorstellen können, je grün zu wählen, und die meisten, die die FPÖ gewählt haben, konnten sich das vorher auch nicht vorstellen. Und insofern ist diese Wahl ganz untypisch und ganz ungewöhnlich, und sie rüttelt alles um, was in Österreich bis jetzt an politischen Wahlgängen bekannt war.
Es ist das erste Mal, dass die Menschen einen, oder zu 50 Prozent, die Menschen einen Kandidaten der FPÖ in ein Amt wählen wollen. Also dass sie nicht aus Protest so stark wählen, oder dass sie auf Landesebene stark wählen, wie das ja bei Jörg Haider der Fall war, der hat ja fast 40 Prozent bekommen, sondern dass sie ganz gezielt einen Staatsrepräsentanten aus der FPÖ wollen. Und insofern ist diese Wahl schon sehr bedeutend und stellt doch einen Epochenbruch dar.
FPÖ konnte sich als Kraft der Mitte darstellen
von Billerbeck: Was heißt denn das, wenn also so viele Österreicher nicht bloß aus Protest einen FPÖ-Mann wählen, sondern ihn tatsächlich dort ins Amt, in die Wiener Hofburg transpedieren wollen?
Klenk: Das heißt, dass es der FPÖ gelungen ist, sich als eine Kraft der Mitte darzustellen. Die Großparteien, also die Sozialdemokratie, aber auch die Christdemokraten, die Christlich-Sozialen, sind in Österreich weggerutscht bei dieser Wahl. Die haben nicht einmal mehr zehn, elf Prozent bekommen. Und jetzt sind auf einmal die Grünen, die eher links stehen, und die Blauen, die ganz rechts stehen, mussten in die Mitte rutschen, und der FPÖ ist es gelungen, ihre Positionen als etwas in der Mitte darzustellen.
Und das sind sie aber in Wahrheit nicht, weil die FPÖ immer wieder sehr extreme Positionen vertreten hat, sie vertritt zum Beispiel in der Sozialpolitik die Meinung, dass man Ausländer oder Fremde in eigenen Kassen unterbringen soll. Also sie hat fast eine Art sozialpolitisches, man könnte es zuspitzen, sozialpolitisches Apartheidssystem. Sie wirbt mit dem Slogan der NPD, dass sie die "soziale Heimatpartei" ist. Sie hat noch immer sehr viele sehr radikale Kandidaten drin, die Flüchtlinge zum Beispiel als "Erdmenschen" oder "Höhlenmenschen" bezeichnen. Sie hat aber auch einige moderate Kandidaten, die jetzt schon Regierungsverantwortung in den Ländern ausüben, die auf Bezirksebene in Wien tätig sind. Die FPÖ versucht in die Mitte zu rutschen, mal gelingt ihr das, mal nicht. Bei dieser Wahl ist es ihr in einem erstaunlichen Ausmaß gelungen, ganz breite Bevölkerungsschichten anzusprechen.
Keine politische Allianz gegen Hofer
von Billerbeck: Gucken wir mal auf die andere Seite der Wähler. Sie hatten ja auch gesagt, dass viele ÖsterreicherInnen sich vorher auch nicht hatten vorstellen können, jemals grün zu wählen. Hat es da so was Ähnliches gegeben wie beispielsweise 2002 nach dem Wahlsieg von Jean-Marie le Pen, eine "antifaschistische Allianz", in Anführungsstrichen?
Klenk: Die hat es nicht wirklich gegeben. Die großen Parteien haben sich erstaunlicherweise nicht dazu durchgerungen, eine Wahlempfehlung für Van der Bellen, also für den grünen Kandidaten abzugeben. Das hat zwar der neue Bundeskanzler Christian Kern gesagt, er wird ihn wählen, das hat der sehr mächtige Wiener Bürgermeister Häupl gesagt, er wird ihn wählen. Aber ein entschlossenes Auftreten im Sinne eines Cordon Sanitaire hat es nicht gegeben.
Und das hat meiner Meinung nach taktische Gründe, weil man mit der FPÖ doch in den nächsten Jahren möglicherweise eine Regierung formen könnte, so wie das jetzt schon im Burgenland oder in Oberösterreich der Fall ist. Im Burgenland koalieren die Sozialdemokraten, in Oberösterreich die ÖVP. Das heißt, man sieht die FPÖ schon als eine mögliche gestalterische Kraft an, und man wird sehen, wie jetzt ein Kandidat Hofer, der ja möglicherweise heute Bundespräsidentschaftskandidat sein könnte – es ist völlig offen –, auch Druck machen könnte, dass die jetzige Regierung abtritt. Wir haben ja jetzt einen neuen Bundeskanzler mit Christian Kern, der eine sehr charismatische Figur geworden ist, die sehr umjubelt wird, zumindest in den sozialen Medien, auf Facebook, auf Twitter, in seiner eigenen Partei.
Üble Tricks im Wahlkampf
von Billerbeck: Hat das eine Rolle gespielt, dieser Kanzlerwechsel, für diese Bundespräsidentenwahl?
Klenk: Der erste Wahlgang war noch eine richtige Wutwahl, da war sozusagen das Flüchtlingsthema viel stärker am Kochen. Aber vor allem waren auch Leute sauer auf Werner Faymann, dem sie einfach ein, die Amerikaner würde, sagen ein Flip-Flopping vorgeworfen haben, also keine eigene Position zu haben. Nicht immer die falsche Position zu haben, aber eine eigene Position zu vertreten. Und ich glaube, dass der Wechsel zu Kern schon das Wutpotenzial rausgenommen hat, sonst hätte Hofer, glaube ich, verloren.
Hofer hat ja in dem Wahlkampf mit sehr vielen durchaus üblen Tricks gespielt. Es gab eine legendäre Konfrontation, die unmoderiert war, wo sich die Kandidaten nur gegenüber saßen, wo Hofer mit rhetorischen Tricks, mit NLP-Tricks wirklich versucht hat, eine Diskussion zu zerstören, sein Gegenüber, Van der Bellen, eigentlich auch zwischenmenschlich niederzumachen. Er hat ihm einmal ein Glas Wasser vor die Nase gestellt, in einer Live-Sendung, und hat gesagt, "Da können Sie ja mit dem Wasser reden, das ist der einzige Gegenstand, der Ihnen noch zuhört", also auf eine sehr respektlose Art versucht, seinen Gegner niederzuringen.
Herausforderung für Österreichs Zivilgesellschaft
von Billerbeck: Aber neurolinguistisches Programmieren hat ja offenbar nicht gereicht. Es haben ja doch sehr viele Österreicher sich dann doch für den Grünen entschieden. Es ist ja noch nicht ausgemacht, wer da einzieht in die Hofburg.
Klenk: Es ist noch nicht ausgemacht, aber man sieht, dass – man kann auch sagen, diese Art der Diskussion hat auch nicht dazu gereicht, dass die FPÖ dort steht, wo sie in jedem anderen europäischen Land stehen würde, nämlich vielleicht bei 20, 25, ja vielleicht 30 Prozent, sondern bei 50 Prozent minus ein paar Tausend momentan. Und das ist schon etwas Neues, und das ist etwas, was auch Europa interessiert, oder was auch Amerika – was wir in Amerika mit Donald Trump erleben – Trump ist sicher eine ganz andere Figur, das kann man nicht vergleichen, Trump ist viel radikaler – aber man sieht, dass man im Fernsehen mit sehr radikalen Positionen, mit gleichzeitig einem sehr sanftmütigen Auftritt – Hofer ist ja bei Weitem nicht, er ist ja kein Schreihals, sondern er ist ja, er tritt sehr sanftmütig auf, aber er sagt sehr radikale Dinge.
Er hat irgendwann mal gesagt, wir werden uns noch wundern, was alles möglich ist, wenn er mal in der Hofburg ist. Das sind ganz geschickte Codes, die er aussendet an seine Wähler. Und das geht durch, und das ist schon der bedenkliche Teil dieser Wahl. Ich glaube insgesamt, dass die österreichische Zivilgesellschaft, die Medien, die Opposition stark genug werden, eine paar Jahre Hofer auszuhalten. Aber es zeigt einfach, dass sich das weltoffene Österreich, das Österreich, das sich skandinavisch definiert, vielleicht sogar sozialstaatlich definiert, das sich in Europa positioniert, jetzt sehr herausgefordert sieht, eines Österreichs, das sich national definiert und eher Richtung Ungarn und Polen orientieren möchte.
von Billerbeck: Einschätzungen waren das von Florian Klenk, dem Chefredakteur des Magazins "Falter" aus Wien, zu der noch immer nicht entschiedenen Bundespräsidentenwahl in Österreich. Ich danke Ihnen!
Klenk: Danke schön!
von Billerbeck: Einen schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.