Bundesregierung

"Durststrecke für den Datenschutz"

Ein mit "PRIVAT" gekennzeichneter Ordner auf dem Bildschirm eines Computers.
Ein mit "PRIVAT" gekennzeichneter Ordner auf dem Bildschirm eines Computers. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Gerhart Baum im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
"Frau Merkel hat sich eigentlich nie für den Datenschutz engagiert", meint der ehemalige Innenminister Gerhart Baum. Der Liberale sieht auch die künftige Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff mit großer Skepsis.
Stephan Karkowsky: Im Jahr 1978 setzte die Bundesregierung erstmals einen Bundesbeauftragten ein für den Datenschutz. Der hieß Hans Peter Bull und er unterstand wie alle Datenschutzbeauftragten der Bundesregierung der Dienstaufsicht des Innenministers. Damals war das Gerhart Baum von der FDP. Baum hat seitdem immer ein Auge gehabt auf dem Amt des obersten Datenschützers, auch die zehnjährige Amtszeit des nun aus dem Amt scheidenden Peter Schaar hat er verfolgt.
Und deshalb soll er uns selbst verraten, wie er denn Schaars Amtszeit bewertet. Herr Baum, guten Tag!
Gerhart Baum: Guten Tag! Ich bewerte sie positiv, er hat dem Datenschutz Impulse gegeben, er war der Verbündete aller derjenigen, die sich um den Schutz der Privatheit Sorgen machen. Er hat dem Bundestag regelmäßig wichtige Berichte vorgelegt, aus denen leider viel zu wenig gemacht worden ist. Er hat mich beispielsweise unterstützt und meine Freunde bei Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe. Also insgesamt eine positive Amtszeit, er hat sich wirklich um den Datenschutz, um die Entwicklung des Datenschutzes verdient gemacht in einer politisch für ihn nicht günstigen Umgebung.
Karkowsky: Schaar selbst übte Selbstkritik, in einem Interview im Deutschlandfunk sagte er, es sei schade, dass sie bei der elektronischen Gesundheitskarte es nicht geschafft hätten, die biometrischen Daten zu verhindern.
FDP-Politiker Gerhart-Rudolf Baum
Gerhart Baum© picture alliance / dpa
"Datenschutz ist nicht weiterentwickelt worden"
Baum: Ja, da gibt es einiges, was nicht verhindert werden konnte. Vor allen Dingen ist nichts nach vorne gerichtet geschehen. Wir haben jetzt in den letzten beiden Legislaturperioden eigentlich eine Durststrecke für den Datenschutz hinter uns, der Datenschutz ist nicht weiterentwickelt worden, er war ein Stiefkind der Regierungspolitik. Frau Merkel hat sich eigentlich nie für den Datenschutz engagiert. Das Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist gescheitert, also, das Computergrundrecht, das das Gericht in Karlsruhe 2008 ins Leben gerufen hat, ist nicht ausgefüllt worden. Also, in dieser Durststrecke hat Schaar immer wieder gemahnt und er ist nicht mit allem durchgedrungen, was er eigentlich wollte.
Karkowsky: Herr Baum, man hat dennoch den Eindruck, Sie selbst waren zeitweise in den Medien präsenter als Schaar, wenn es um die Verteidigung von Bürgerrechten gegen den Überwachungsstaat geht. Ich erinnere mal an ein paar Punkte, Sie hatten vor den Verfassungsgerichten Erfolg mit Beschwerden gegen den sogenannten großen Lauschangriff, also die Verwanzung von Wohnungen und Telefonen, Sie hatten Erfolg gegen die Online-Durchsuchung in NRW und gegen die Vorratsdatenspeicherung. Zeigt das nicht eigentlich dem Bürger, das Amt des Datenschutzbeauftragten ist eigentlich überflüssig, weil er dem Innenminister unterstellt ist, und Gesetze des Innenministers können wirksam nur von außen kritisiert werden?
Baum: Ja, da ist etwas dran. Also, Sie haben ja eben erwähnt, dass wir in dem ersten Bundesdatenschutzgesetz den Datenschutzbeauftragten der Dienstaufsicht des Bundesinnenministeriums unterstellt haben. Ich würde das heute nicht mehr tun. Ich würde ihm eine unabhängigere Position geben. Dienstaufsicht ist ja nicht Fachaufsicht, aber dennoch ist die Nähe zum Innenministerium nicht gut. Und das Innenministerium war ja in den letzten Jahren kein Datenschutzministerium. Der Datenschutz ist dort angesiedelt und dennoch ist nichts geschehen, das Innenministerium behindert jetzt eine der wichtigsten Gesetzesvorhaben, nämlich die Datenschutzgrundverordnung in Europa. Also, ich würde ihm, dem Datenschutzbeauftragten, eine unabhängigere Stellung einräumen.
Karkowsky: Und dass die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag nun die Vorratsdatenspeicherung wieder einführt, das konnte Schaar auch nicht verhindern, obwohl er ein erklärter Gegner dieser anlasslosen Massenüberwachung ist. Da hat er also offenbar auch gar keinen Einfluss gehabt, oder?
Baum: Natürlich hat er Einfluss gehabt, er hat zum Beispiel unterstützt Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die das auch nicht wollte. Und jetzt wird die Bundesregierung ja gut beraten sein, zunächst mal die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten. Denn die Stellungnahme des Generalanwalts ist ja sehr kritisch, was die europäische Datenschutzrichtlinie angeht. Schaar hat seine Stimme immer wieder erhoben, er hat Vorschläge gemacht, er hat Kritik geübt. Er hat vor allen Dingen minutiös die Behörden geprüft, das alles kann man in seinen Berichten nachlesen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat eine sehr wichtige Funktion.
Karkowsky: Zum Ende der Amtszeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar hören Sie den ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum von der FDP. Herr Baum, zu den aktuellen Snowden-Enthüllungen fiel Schaar nur ein, mit den ganzen Späh- und Datenauswertungsprogrammen vom NSA und den anderen Geheimdiensten wäre der Datenschutz – und ich zitiere ihn jetzt – für die Katz. Sehen Sie das auch so?
"Ein fundamentaler Angriff auf unsere Grundrechte von außen"
Baum: Ja. Was hier passiert ist, ist ein fundamentaler Angriff auf unsere Grundrechte von außen. Die Grenzen, die wir festgelegt haben auch mithilfe des Bundesverfassungsgerichts zwischen Sicherheit und Freiheit, also die Grenzen der Datensammlung und deren Nutzung, das wird alles aufgehoben. Wird weggewischt durch diese Massendatenausspähung, der wir ausgesetzt sind, im Grunde ein ungeheuerlicher Vorgang. Und ich kann der Bundesregierung nur raten, sich dagegen zu wehren. Die Amerikaner auch jetzt, wenn sie Kritik üben an der Praxis, so ist die Kritik bezogen auf die Behandlung amerikanischer Bürger. Wir, die Nichtamerikaner, sind ausdrücklich von jedem Schutz ausgenommen, also auch von dem Schutz der amerikanischen Verfassung, dem Schutz für die Privatheit der US-Bürger. Also, wir dürfen uns da nicht etwas vormachen lassen. Wir sind ungeschützt und die Amerikaner werden so weitermachen, es sei denn, wir werden wirklich energisch.
Karkowsky: Mit Peter Schaar schien Exinnenminister Friedrich nie besonders glücklich zu sein. Sein Nachfolger nun ist Thomas de Maizière. Und der dürfte sich doch sehr freuen über Schaars Nachfolgerin, über Andrea Voßhoff, einer Bundestagswahlverliererin der CDU! Was halten Sie denn von der?
Baum: Sie ist ein unbeschriebenes Blatt, zum großen Erstaunen der an Datenschutz Interessierten in der Republik soll sie das Amt jetzt führen. Sie ist unbeschrieben, im Gegenteil, sie hat mitgewirkt an datenschutzfeindlichen Entscheidungen im Bundestag. Aber jetzt muss sie einen gesetzlichen Auftrag erfüllen, man wird abwarten, mit Skepsis abwarten, wie sie das macht. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der neue und der alte, der Innenminister de Maizière, dem Datenschutz gegenüber aufgeschlossener ist, als Herr Friedrich es war.
Karkowsky: Die "Süddeutsche Zeitung" verweist in Sachen Andrea Voßhoff auf das Internetportal Abgeordnetenwatch. Demnach stimmte sie mit der CDU-Fraktion für Internetsperren, für Online-Durchsuchung und für die Speicherung von Vorratsdaten. Würden Sie sagen, hier wird – um mal das Sprichwort abzuwandeln – die Ziege zum Gärtner gemacht?
"Auf den ersten Blick keine Idealbesetzung"
Baum: Ja gut, das kann durchaus sein. Also, sie hat keine datenschutzfreundliche Vorgeschichte und das macht skeptisch. Und sie wird besonders beobachtet werden jetzt und sie hat, wie gesagt, einen gesetzlichen Auftrag, den muss sie erfüllen. Und wenn sie das nicht tut, zieht sie Kritik auf sich. Also, es ist jedenfalls auf den ersten Blick keine Idealbesetzung.
Karkowsky: Was erwarten Sie denn von der neuen Bundesregierung in Sachen Datenschutz, was müsste als Erstes geschehen?
Baum: Als Erstes müsste jetzt geschehen vor der Europawahl die Verabschiedung der Datenschutzgrundverordnung in Europa. Es gab einen Datenschutzstillstand seit 1995, das Datenschutzrecht in Europa ist 1995 zuletzt geändert worden. Inzwischen haben sich die Zeiten total geändert, die Freiheitsbedrohungen durch das Internet sind dramatisch gewachsen. Und hier soll durch die europäische Datenschutzgrundverordnung ein Bollwerk aufgebaut werden. Das Europäische Parlament hat zugestimmt, alle Fraktionen haben sich auf einen Kompromiss geeinigt, und die Regierungen sollten das nun auch schleunigst tun. Ich fürchte allerdings, dass das auf die lange Bank geschoben wird, und damit haben wir auch keine gute argumentative Ausgangsposition gegenüber den USA.
Karkowsky: Nun ist der Datenschutzbeauftragte ja schon seit längerer Zeit nicht nur für den Datenschutz zuständig, sondern auch für die Informationsfreiheit. Und die scheint ja gefährdet, wenn man sich zum Beispiel das neue transatlantische Handelsabkommen mit den USA anschaut. Was muss denn da passieren?
Baum: Da müssen wir sehr wachsam sein. Das Abkommen darf nicht dazu dienen, dass Bürgerrechte in die Defensive geraten. Also, wenn man beispielsweise sagen würde, Datenschutz ist ein Handelshemmnis und deshalb können wir ihn nicht beachten, wäre das ein wirklich besorgniserregender Vorgang. Also, ich kann nur dringend raten, dieses Freihandelsabkommen kritisch zu begleiten, die Verbraucherrechte zum Beispiel stehen zur Debatte oder die Kulturförderung. Und eben der Schutz der Privatheit.
Und ich plädiere dafür, dieses Thema wirklich in eine Größenordnung zu stellen, wie der Klimaschutz es ist. Es ist ein Thema der Gefährdung, Freiheitsgefährdung in weltweiter Dimension. Im Grunde werden wir in einem Weltbürgerrecht, unsere Privatheit ist ein Recht, das wir auch nach den UNO-Regeln haben, werden wir jetzt massiv gefährdet. Und so kann es wirklich nicht weitergehen. Die Regierung muss wirklich deutlich machen, dass die Privatheit, also die Menschenwürde nicht angetastet werden darf, wie das Grundgesetz es gebietet.
Karkowsky: Peter Schaar scheidet heute aus dem Amt als Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit aus. Über ihn und seine Nachfolgerin Andrea Voßhoff sprachen wir mit dem ehemaligen Innenminister Gerhart Baum von der FDP. Herr Baum, Ihnen danke für das Gespräch!
Baum: Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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