Stunde der Wahrheit für die Große Koalition
Im Zeichen der Affäre um Edathy und Friedrich werden alte Rechnungen beglichen. Wie belastet die Koalition an dieser Stelle ist, zeigt die Tatsache, dass die Parteivorsitzenden sich am Dienstag ohne die Fraktionsspitzen treffen.
Drei Personen stehen im Zentrum der Affäre, die mit dem Mandatsverzicht eines SPD-Abgeordneten begann. Sebastian Edathy selbst, Hans-Peter Friedrich, der am Nachmittag vom Bundespräsidenten aus dem Amt des Landwirtschaftsministers entlassen wurde, und Thomas Oppermann, der SPD-Fraktionsvorsitzende, der nun zur Hauptzielscheibe der Kritik aus Union und Opposition geworden ist.
Zu Edathy ist nach wie vor nicht viel zu sagen. Wahrscheinlich wird der Fall des SPD-Abgeordneten am Ende mehr als persönliche Tragödie denn als politischer Skandal in Erinnerung bleiben. Zunächst kann und muss für Edathy nach seinem Amtsverzicht die Unschuldsvermutung gelten, die jeder Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren für sich in Anspruch nehmen darf. Einmal mehr muss sich allerdings eine Staatsanwaltschaft mit dem Vorwurf auseinandersetzen, öffentliche Vorverurteilungen an die Stelle ergebnisoffener Ermittlungen gesetzt zu haben.
Friedrich galt als schwacher Minister
Substantielleres lässt sich schon zum Fall des ehemaligen Landwirtschafts- und Innenministers nachtragen, der wohl auch ein Sturz gewesen ist. Hans-Peter Friedrich selbst hat mittlerweile deutlich gemacht, dass sein Rücktritt nicht allein durch ein drohendes Ermittlungsverfahren, sondern auch durch einen Vertrauensverlust in den eigenen Reihen erzwungen wurde. Nicht nur in der Öffentlichkeit, auch in den Krisengesprächen mit der Kanzlerin und dem CSU-Chef war es ihm offenbar nicht gelungen, eine politisch belastbare Verteidigungsposition aufzubauen. Sein Vertrauenskapital bei Angela Merkel und Host Seehofer war ohnehin nicht groß. Friedrich galt als schwacher Innenminister. Niemand wollte ihm jetzt noch eine Chance geben, starker Chef eines (nach der Regierungsbildung ohnehin strukturell geschwächten) Landwirtschaftsministeriums zu werden.
Im freien Schussfeld steht jetzt der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, und auch in seinem Fall wird deutlich, dass im Zeichen der aktuellen Affäre alte Rechnungen beglichen werden. Oppermann war in der Union unbeliebt, seitdem er in der Diskussion um den NSA-Skandal besonders scharf gegen die damalige Regierung geschossen hatte. Als Fraktionschef sitzt er nun an der empfindlichsten Schnittstelle des neuen Regierungsbündnisses. Ein gutes Arbeitsverhältnis zwischen den Fraktionsvorsitzenden ist ein Schlüssel zum Erfolg jeder Regierung.
Oppermann und Kauder wurden ausgeladen
Legendär war die Freundschaft zwischen dem Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder und seinem SPD Kollegen Peter Struck. Wie belastet die Koalition an dieser Stelle heute ist, zeigt die Tatsache, dass sich die drei Parteivorsitzenden morgen ohne die Fraktionsspitzen zum Krisengespräch treffen. Oppermann und Kauder, die eigentlich beim ersten Treffen des Koalitionsausschusses mit am Tisch sitzen sollten, wurden ausgeladen.
Zwei Monate nach Beginn der Arbeit muss die Arbeitsgrundlage des Regierungsbündnisses jetzt von ganz oben her gerettet werden. Es wird sich dabei zeigen, ob die Vertrauensbasis zwischen Angela Merkel und Sigmar Gabriel tatsächlich so belastbar ist, wie beide das seit Beginn der Koalitionsgespräche immer wieder zur Schau gestellt haben. Früher, als beide das gewünscht haben können, ist für ihr Verhältnis die Stunde der Wahrheit gekommen.