Das erdet dann auch, wenn man auf dem Platz am Sonntag angeschrien wird, weil es eben keinen interessiert, dass man Bundestagsabgeordnete ist. Und das kann ich sanktionieren, da kann ich mich wehren. Ich kann klarmachen, dass das nicht geht - bei anonymen Briefen kann ich das natürlich nicht. Deshalb, glaube ich, brauche ich Fußball auch. Auch für den körperlichen Ausgleich. Aber am Ende auch für die Bodenständigkeit. Für die Realität.
Sport und Politik
Die Teams des FC Bundestag und der Autorennationalmannschaft bei ihrem Spiel © Wolf-Sören Treusch
Wie Bundestagsabgeordnete sich fit halten
23:56 Minuten
Pandemie, Ukrainekrieg, Wirtschaftskrise: Gerade in dieser Zeit haben Politiker einen engen Terminplan. Wie viel Zeit bleibt da noch für Abgeordnete, sich sportlich zu betätigen? Denn Sport hilft auch beim Stressabbau und sorgt für psychisches Wohlbefinden.
Direkt vor der Haupttribüne begeht ein Spieler der Gäste aus Langen ein sogenanntes taktisches Foul. Weil er in der ersten Halbzeit bereits verwarnt worden war, sieht er nun Gelb-Rot. Wütend und mit schnellen Schritten verlässt er das Spielfeld.
Eine Abgeordnete als Schiedsrichterin
Seine Wut richtet sich gegen die Schiedsrichterin: Maja Wallstein, seit elf Jahren im Fußball-Landesverband Brandenburg aktiv. Als er die Haupttribüne erreicht, wird er noch drastischer.
Spieler: „Nimm die Drecksfrauen aus dem Fußball, wirklich!“
Publikum protestiert: „Ey, du Vogel!“
Der Schiedsrichter-Assistent an der Seitenlinie notiert die unflätige Bemerkung. Maja Wallstein reagiert nicht. Sie hat den Vorgang offenbar nicht wahrgenommen. Später sagt sie:
Maja Wallstein, Alter: 36, Beruf: MdB, Mitglied des Bundestages. Bei den Wahlen im September 2021 gewann sie für die SPD das Direktmandat im Wahlkreis 064: Cottbus - Spree-Neiße. Mit hauchdünnem Vorsprung vor dem Kandidaten der AfD.
Ihr Wahlkampf damals sei schmutzig gewesen, sagt sie. Anonyme Drohbriefe habe sie erhalten, Unbekannte beschädigten ihr Wahlkreisbüro in Cottbus. Am Wochenende auf den Fußballplätzen ginge es manches Mal auch roh zu, aber immer ehrlich, findet Maja Wallstein, Spitzname Krawallstein. Einschüchtern davon ließe sie sich nicht.
Wallstein gründete mit Freunden einen Verein
Schiedsrichterin ist sie eher zufällig geworden. Vor elf Jahren während ihres Studiums in Potsdam. Mit ein paar Freunden gründete sie damals einen Fußballverein. Um am Spielbetrieb teilnehmen zu können, brauchte es jemanden mit Schiri-Schein.
Maja Wallstein ließ sich überreden. Zum Glück, sagt sie heute. Fußballspiele zu pfeifen ist ihre Leidenschaft geworden. Noch immer versucht sie, so oft wie möglich am Wochenende auf dem Platz zu stehen. Trotz Familie mit zwei kleinen Kindern und trotz der Anforderungen in ihrem Beruf als Bundestagsabgeordnete.
"Es ist eine unglaublich hohe Schlagzahl, die da ist. Da ist ein Termin nach dem anderen. Da sind jeden Tag unglaublich wichtige Leute an wichtigen Orten, an wichtigen Themen dran, und wo ich hinkomme und die Leute wissen, dass ich Bundestagsabgeordnete bin, da ist man wichtig. Wenn ich mich melde, werde ich sofort drangenommen. Und hier habe ich nur was zu melden, wenn ich die Pfeife im Mund habe sozusagen, danach bin ich eine von vielen, und genauso muss es sein. Denen ist es ziemlich wumpe, ob ich Bundestagsabgeordnete oder Hausfrau bin, das ist denen total egal, Hauptsache, die Zweikampfbewertung stimmt."
Im Bundestag gibt es eine Sportgemeinschaft
Die Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag existiert seit 1951. Gegründet in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn – zur Entspannung gab es sogar eine eigene Bäderabteilung mit sechs Badewannen. In Bonn sind heute noch 10 Sportgruppen beheimatet, in Berlin 20.
Von Badminton, Basketball und Boxen bis hin zu Line Dance, Volleyball und Yoga. Knapp 900 Mitglieder hat der eingetragene Verein. In der Mehrheit Angestellte der Bundestagsverwaltung, der Ministerien und der Abgeordnetenbüros. Externe sind ebenfalls zugelassen, das politische Spitzenpersonal dagegen macht sich rar. Gero Storjohann zum Beispiel, obwohl Vorsitzender des Vereins, nimmt keines der Sportangebote wahr.
Radeln als Ausgleich zum hektischen Politbetrieb
Der Mann aus dem hohen Norden hat einen eigenen Weg gefunden, Sport und Beruf miteinander zu verbinden. Er ist fahrradpolitischer Sprecher der Unionsfraktion geworden. Hat soeben mit Gleichgesinnten aus anderen Parteien den Parlamentskreis Fahrrad mitgegründet. Im Mittelpunkt stehen radpolitische Themen, aber auch Sport und Gesundheit. Er weiß: Die Arbeit als Spitzenpolitiker ist Hochleistungssport, nur eben häufig genug ohne Bewegung. Dafür brauche es einen Ausgleich, sagt er.
„Ich fahre Fahrrad, und zwar in der Regel in der Mittagszeit oder am Nachmittag, wenn ich im Wahlkreis bin. Und sei es nur eine Stunde, fahre ich in der Regel einmal um mein Dorf. Das ist eine Gegend, wunderbar, viel Wildbeobachtung möglich, ich habe Moor, und ich treffe praktisch keine Leute. Das heißt, ich kann auch wirklich fahren, entspannt sein, und habe bisschen was für den Körper getan, aber auch fürs Wohlbefinden, und dann habe ich die Nachmittags- oder Abendveranstaltung - und gehe da ganz anders ran.“
Mahmut Özdemir ist Kapitän des FC Bundestag
Jeden Dienstag einer Sitzungswoche lässt sich die Mannschaft zum Fußballplatz fahren – nur wenige Minuten vom Regierungsviertel entfernt. Alle sind bereits umgezogen, heute tragen sie die schwarz-rot-gestreiften Auswärtstrikots der deutschen Nationalmannschaft beim WM-Erfolg 2014. Der Deutsche Fußball-Bund erlaubt es dem FC Bundestag ausdrücklich, im Nationaltrikot anzutreten.
Ein Traum geht in Erfüllung
In dieser Legislaturperiode spielen erstmals Frauen offiziell beim FC Bundestag mit. Ein Novum in dessen 55-jähriger Geschichte. Maja Wallstein ist dabei, die SPD-Abgeordnete mit Verbandsliga-Vergangenheit und Schiedsrichter-Schein, und Tina Winklmann, 42, sportpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. Für sie ginge ein Traum in Erfüllung, sagt sie.
„Ich glaube, dass das schon klar ist, dass man da auch unbedingt mal mitspielen möchte. Also bei mir war es wirklich so, ich habe gleich geschaut: Wo kann man denn da mitspielen? Meine Mutter hat schon Fußball gespielt, mein Vater, meine Brüder, und meine Oma hat immer einen Kreisligaklub gemanagt als Frau in der tiefen Oberpfalz. Also wir waren schon immer auf dem Fußballplatz.“
Mannschaftskapitän Mahmut Özdemir dagegen leidet an diesem Tag. Er darf nicht mitspielen, wegen Erkältungssymptomen hat ihm sein Arzt kurzfristig Sportverbot erteilt. In edlem Zwirn steht er am Rand und ruft Kommandos aufs Spielfeld. Der Gegner: die deutsche Autorennationalmannschaft. Schon nach wenigen Minuten geht sie mit 1:0 in Führung, zur Pause steht es 4:1 gegen den FC Bundestag.
Für die Mitglieder des FC Bundestag ist der Termin am Dienstagabend gesetzt. Christian Freiherr von Stetten, 51, von der CDU, ist schon in der sechsten Legislaturperiode nacheinander dabei.
Es ist wirklich einer der wichtigsten Termine in der Sitzungswoche, ich habe immer so einen Zettel dabei, wenn du die Kollegen dann kennst aus den unterschiedlichen Ausschüssen, aus den unterschiedlichen Parteien und Fraktionen, weil du hast immer mit irgendjemandem was zu besprechen. So habe ich zum Beispiel durch den FC Bundestag eine Bundesstraße finanziert bekommen, die sonst nicht finanziert worden wäre, weil zu dem Zeitpunkt der verkehrspolitische Sprecher der CDU, SPD und FDP im FC Bundestag gespielt hat, und nach dem Spiel, nach dem Duschen, dann unterhält man sich auch in der dritten Halbzeit, und dann kann man solche Projekte im Wahlkreis auch mal durchbringen.
Auch AfD-Abgeordnete spielen mit
Begründung: Der betreffende AfD-Mann sei Hooligan und wegen Körperverletzung verurteilt worden. So könne er die Werte des FC Bundestag wie Fairness und Gewaltfreiheit nicht vertreten. Das Vereinsrecht erlaubt, Anträge abzuweisen. Ein Jahr zuvor waren die Mitglieder des FC Bundestag aus der Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag ausgetreten, hatten einen eigenen Verein gegründet und Werte wie Vielfalt, Weltoffenheit und Toleranz ausdrücklich in ihre Satzung geschrieben.
Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet. Zwei AfD-Abgeordnete unterschrieben die Vereinssatzung und sind seitdem Mitglied im FC Bundestag. Einer von ihnen kommt regelmäßig zu den Spielen, gegen die Autorennationalmannschaft fehlt er allerdings.
"Vernünftiges Verhältnis" im Team
"Wir haben aber insgesamt hier ein sehr vernünftiges Verhältnis über die Parteigrenzen hinweg, und ansonsten muss man sich auseinandersetzen, aber dafür ist der Bundestag da, das Plenum und die Ausschüsse, und da kann man sich dann auch streiten. Aber das ist hier nicht der geeignete Ort.“
Und CDU-Mann Christian Freiherr von Stetten ergänzt:
„Was man allerdings nicht macht, das habe ich jetzt in den 20 Jahren nicht erlebt, dass man einen Fußballkollegen im Parlament beleidigt oder dort angreift in der Öffentlichkeit, da ist dann schon so, dass man das intern klärt.“
Im Spiel gegen die Autorennationalmannschaft läuft es in der zweiten Halbzeit tatsächlich besser. Den 25 männlichen und den beiden weiblichen Teammitgliedern des FC Bundestag machen ihre Kurzeinsätze sichtlich Spaß. Trotz der ständigen Wechsel kassiert die Mannschaft nur noch einen Treffer. Endstand: 1:5.
Turnier mit Parlamentsteams aus anderen Ländern
Eine Woche nach diesem Spiel reist der FC Bundestag nach Finnland. Zum jährlichen Vier-Länder-Turnier gegen die Parlamentsmannschaften aus Österreich, der Schweiz und Finnland. Mit drei Siegen und ohne Gegentor wird das Team inoffizieller Europameister. Zum ersten Mal wieder seit 2011.
Acht Uhr morgens im Berliner Tiergarten. Ich bin mit zwei Abgeordneten der Unionsfraktion verabredet. Sie laufen, ich nebenher auf dem Fahrrad, so der Plan. Einer macht einen Rückzieher: Stephan Mayer – nach Vorwürfen, er habe einen Journalisten massiv bedroht, ist er wenige Tage zuvor als CSU-Generalsekretär zurückgetreten.
Ein CDU-Abgeordneter joggt im Tiergarten
Der andere, Detlef Seif, CDU-Obmann im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, zeigt Verständnis für den Fraktionskollegen und Lauffreund. Obwohl er findet: Gerade jetzt sei sportliche Betätigung besonders wichtig.
„Es gibt ja auch immer mal Anwürfe, ob das jetzt in der eigenen Partei ist, ob das von außen ist, wir fühlen uns oft zu Unrecht behandelt von einigen Medienvertretern, ob das so ist, mag dahinstehen, aber es sind da manchmal Phasen, wo man in den Fokus gelangt, und da hilft der Sport. Zur Genesung ist es ganz wichtig, dass man sich bewegt, dass der Körper in Schwung kommt - und die Seele dann auch zur Ruhe kommt.“
Detlef Seif, 59, groß, drahtig. Blaues Schlabber-Shirt, kurze schwarze Hose, blaue Laufschuhe mit roten Streifen: Von den anderen Menschen, die an diesem Morgen durch den warmen und hörbar kräftigen Wind joggen, unterscheidet ihn wenig. Immer wieder schaut er auf seine Uhr. Es ist ihm wichtig, den Kilometer konstant unter sechs Minuten zu laufen, bei einem Puls von maximal 140. In Rennen über siebeneinhalb oder zehn Kilometer konnte er zuletzt immer wieder Bester seiner Altersklasse werden.
Auch in der Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag gibt es zwei Laufgruppen. Die treffen sich aber immer schon so früh am Abend, dass Detlef Seif keine Zeit hat. Er läuft lieber spät nach Feierabend. Oder morgens, wenn klar ist, dass der Terminkalender nicht zu voll ist.
Die Bedeutung des Sports
Und dann erzählt er, wie er seinen Mitarbeitern im Abgeordnetenbüro einmal angeboten habe, wenn sie mitliefen, bekämen sie einen Tag Sonderurlaub. Einer, der es machte, habe anschließend drei Tage gebraucht, um sich zu regenerieren. Seitdem läuft Detlef Seif lieber wieder allein.
„Die Bedeutung des Sports, die ist auch bei vielen Kollegen nicht angekommen. Ich sage immer, und ich hoffe, dass jetzt Kollegen nicht böse über mich sind, aber einigen kann man ihre Zugehörigkeit im Deutschen Bundestag an den Jahresringen am Bauch erkennen. Das ist höchst gefährlich, da muss man gegenwirken, und deshalb müssen alle in ihren Tagesablauf auch Phasen der Erholung und des Sports einbauen. Und da ist Luft nach oben.“
Wir sind am Ende unseres kurzen Trips durch den Tiergarten und angrenzende Wohn- und Gewerbeviertel – 10,2 Kilometer zeigt seine Uhr an.
Die sexistische Beleidigungen werden in einem Sonderbericht erfasst. Maja Wallstein bittet die beiden Trainer in die Schiedsrichter-Kabine. Mit ihrem Assistenten zusammen erklärt sie, was sie in den Spielbericht schreiben wird.
Als die beiden Trainer weg sind, runzelt sie die Stirn. Sie glaube nicht, dass der Spieler viel zu befürchten habe. Sexistische Sprüche würde das Sportgericht viel milder sanktionieren als rassistische Beleidigungen.
Und dann holt sie die politische Realität ein. Auf dem Display ihres Smartphones entdeckt sie eine unbekannte Nummer. Zehn Tage ist es her, dass die russische Armee die Ukraine überfallen hat.
Fußball als schönste Nebensache
„Ich nehme demnächst wahrscheinlich Ukrainer auf. Freue ich mich. Man denkt, man ist in dem höchsten, direkt gewählten Gremium der Bundesrepublik, und trotzdem hat man manchmal das Gefühl der Hilflosigkeit. Und dann ist es echt schön, wenn man dieses Gefühl ein bisschen aufbrechen kann, und mit der Aufnahme von Ukrainern oder Leuten, die Hilfe brauchen, kann ich das.“
In Zeiten wie diesen ist Fußball für Maja Wallstein tatsächlich die schönste Nebensache der Welt. Zehn Wochen später, am Rande der Begegnung des FC Bundestag gegen die Autorennationalmannschaft, berichtet sie, wie es mit den geflüchteten Menschen aus der Ukraine weiterging.
„Ich hatte acht aufgenommen, vier Kinder, drei Mütter und eine Großmutter. Die sind am 8. März bei mir eingezogen, und jetzt langsam haben wir Wohnungen gefunden und Schule und Jobs und … - sie sind wundervoll. Und ich bin jedes Mal tief bewegt, wenn die abends versuchen, ihren Papa zu erreichen. Sie kommen aus Charkiw. Jetzt sieht es ja gerade gut aus um Charkiw, aber es gab ja auch eine Zeit, wo die unter massivem Artilleriebeschuss der russischen Armee standen. Da hatte man schon viele Tränen gesehen. Das steht auf jeden Fall fest. Und viel habe ich selbst geweint.“
Der Sport kann Ablenkung bieten, ist gesund und hilft beim Stressabbau. Wer regelmäßig trainiert, tut damit nicht nur etwas für seine körperliche Fitness, sondern auch für sein psychisches Wohlbefinden. Das gilt selbstverständlich auch für unser politisches Spitzenpersonal.