Grüner Wahlkampf im CDU-Stammland
09:03 Minuten
Wo Johannes Kretschmann auch hinkommt bei seinem Bundestagswahlkampf im Süden Baden-Württembergs - sein Vater, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, war schon da. Der 42-Jährige versucht, sich abzugrenzen - auch mit seiner bisherigen Kommunalpolitik.
Die Grünen könnten bei dieser Bundestagswahl nicht nur in den Städten stark sein, sondern auch auf dem Land, wo nicht die typischen Grünen-Wählerinnen und -Wähler wohnen. In Baden-Württemberg zum Beispiel sind das oft traditionelle CDU-Wahlkreise, wie auch der Wahlkreis 295: tief im Süden, zwischen Donautal und Schwäbischer Alb. Seit 1949 gewinnt hier die CDU.
Mit dem Megathema Klimaschutz und dem Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg könnte nun zum ersten Mal ein Grüner von hier in den Bundestag gewählt werden: Johannes Kretschmann heißt der Kandidat, ältester Sohn des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.
Johannes Kretschmann aber sucht seine ganz eigene Rolle in der Politik, im Leben. Der 42-Jährige mit Hornbrille und dem Wuschelkopf ist Linguist, geprüfter Dialektologe. Er liebt Sprachen, kann Rumänisch, Altgriechisch – und Schwäbisch.
Gerade ist er dabei, seinen Wahlkreis komplett kennenzulernen. Er besucht viele Unternehmen. Und Stadtoberhäupter – fast alle von der CDU, wie Frank Schroft, Bürgermeister der kleinen Stadt Meßstetten. Er empfängt Kretschmann im großen Rathaussaal. Der Grüne trägt schwarzen Anzug mit Weste, schwarzen Hut mit breiter Krempe und eine altmodische schwarze Kordel um den Hals.
Sieben Jahre im Kreistag
In Meßstetten geht es um die leer stehende Bundeswehrkaserne, Umgehungsstraßen, ein Ärztehaus. Und, natürlich, wenn der Grüne da ist, geht es um Klimaschutz: "Es muss eben auch umsetzbar sein. Und dort mangelt es dann oftmals noch", sagt Schroft.
Johannes Kretschmann schreibt mit, mit einem Füllfederhalter. Seinem Wahlkreis geht es gut, kaum Arbeitslose, viele erfolgreiche Mittelständler. Trotzdem begegnet Kretschmann immer wieder die Sorge, den Leuten werde etwas genommen, sollten die Grünen im Bund an die Regierung kommen.
"Für ambitionierten Klimaschutz braucht man Mehrheiten", sagt Kretschmann. Und dass man in den Kommunen schauen müsse: Wie viel Geld stellen wir für den Klimaschutz bereit? Er sei auch Kommunalpolitiker. "Das ist eine gute Impfung für so was", sagt er mit Blick auf diese Debatten.
Kretschmann sitzt seit sieben Jahren im Kreistag von Sigmaringen, ist dort inzwischen Chef der Grünen-Fraktion, hinter CDU und Freien Wählern. Die Grünen kämpfen im Kreis zu acht für mehr Fotovoltaik auf Dächern oder gegen eine neue Kalkgrube in der Region.
Abgrenzung zum Vater
Der Hang zur Politik sei aber nicht einfach Familientradition. Obwohl auch seine Mutter im Kreistag saß, Gerlinde Kretschmann. Und seine Tante jetzt für die Grünen Landtagsabgeordnete ist. Und: Der Vater gerade zum dritten Mal in Baden-Württemberg für die Grünen zum Ministerpräsidenten gewählt worden ist.
Egal wo Johannes Kretschmann hinkommt, sein Vater Winfried ist irgendwie immer schon da gewesen. Kretschmann hat sich deshalb für solche Termine einen Satz zurechtgelegt: "Was ich von meinem Vater mit Sicherheit geerbt habe, ist der eigene Kopf. Auch meinem Vater gegenüber."
Sein Vater und er seien früher oft aneinander gerasselt, erzählt er. Er hatte ihn sogar als Ethiklehrer in der Schule. Heute suche er aber keinen Streit mehr. "Ich meine, an den schwätzen genug Leute schlau daher den ganzen Tag. Da brauch ich jetzt nicht der Tausenderste sein."
Vater und Sohn klingen heute oft ähnlich. Auch der Sohn sucht Kompromisse, ist bei den Grünen eher in der Mitte zu Hause.
"Wir Grüne stehen für innovatives Wirtschaften. Für innovatives Wirtschaften, das unseren Wohlstand sichert."
Über Gendersterne beim Sprechen kann er sich lange aufregen. Johannes Kretschmann betont aber lieber die Unterschiede zum Vater:
"Ich grenze mich einfach dadurch ab, dass ich ein anderes Feld beackere, nämlich die Bundespolitik dann oder eben die Kommunalpolitik. Mein Vater macht Landespolitik."
Grüne müssten Wahlergebnis verdoppeln
Sein Herzensthema ist: Osteuropa, eine neue Osterweiterung der EU. Damit im Wahlkampf in der schwäbischen Provinz durchzudringen, ist eher schwierig. Doch Kretschmann betont, da es um Europa gehe, betreffe es die Leute irgendwann auch. "Und letztendlich entscheidet sich darüber, ob wir in Zukunft in Freiheit leben."
Für die Kandidatur bei der Bundestagswahl musste er sich bei den Grünen erst mal durchsetzen. Bisher war er kaum vernetzt in der Partei. Es reichte dann nur für Listenplatz 21. Eine Chance hat er nur, wenn die Grünen ihr Wahlergebnis von vor vier Jahren fast verdoppeln. 15 Prozent Minimum.
Ausgeschlossen ist das nicht. Das Direktmandat zu bekommen, ist allerdings schwierig. Sein Gegner auf CDU-Seite ist Thomas Bareiss, Staatssekretär im Berliner Wirtschaftsministerium, in die Aserbaidschan-Affäre der CDU verwickelt. Bareiss setzt alles aufs Direktmandat. Er ist nicht über die Landesliste abgesichert. Johannes Kretschmann setzt dafür voll auf seine Wurzeln.
Als Langzeitstudent nicht das schwäbische Ideal
In Laiz, Kretschmanns Heimatdorf, spielt Kretschmann seit Kindertagen Waldhorn im Blasorchester. Auch, als er in Berlin war – Langzeitstudent, sagt er selbst –, blieb er dem Orchester treu.
Der Posaunist und Biobauer Bruno Stehle, kennt ihn von klein auf. "Er ist ja nicht in einem handwerklichen Beruf tätig oder so. Sondern er hat eine lange Studienzeit gehabt und ist so gesehen Akademiker. Aber trotzdem für uns alle keineswegs abgehoben oder sonst was."
So ähnlich sehen es auch andere, sagen es lieber nicht ins Mikro: Kretschmann erfüllt offenbar nicht das schwäbische Ideal vom pausenlosen Arbeiten. Nach seinem Studium war er Onlineredakteur bei einem Schweizer Nachrichtenportal, aktuell schreibt er noch an einem Roman.
Johannes Kretschmann spielt mit dem Widerspruch. Mit seinen Anzügen, seiner Sprache, dem Typ Künstler, Intellektueller. Er sitzt aber trotzdem danach mit am Stammtisch. In dem Heimatdorf, aus dessen Enge er als Jugendlicher ganz schnell wegwollte. Und dann doch wieder zurückgekommen ist. Um jetzt vielleicht Bundespolitiker zu werden.
Vielleicht bekomme jetzt die Zerrissenheit, die er spüre, einen Sinn. "Dass ich eigentlich ein Landmensch bin, aber doch von der Großstadt nicht wegkomme. Daraus ergibt sich jetzt plötzlich eine Möglichkeit."
Manuskriptbearbeitung: abr