Wahlkampfrhetorik
Schenken sich nichts: CDU-Chef Friedrich Merz und Bundeskanzler Scholz von der SPD im Bundestag © IMAGO / dts Nachrichtenagentur
Noch Debatte oder schon Beleidigung?
Verbal geht es hoch her in der Bundespolitik. Scholz, Merz und Co. beharken sich: Die „sittliche Reife“ fehle, von „Niedertracht“ und „peinlichem“ Verhalten ist die Rede. Ist diese harte Gangart ein Novum?
„Ich verbitte mir, dass der Kanzler mich so persönlich angreift“, sagte CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im TV-Interview am Tag der Vertrauensfrage im Bundestag. Kurz zuvor hatte Olaf Scholz dem Fraktionsvorsitzenden der Union nachgesagt, dummes Zeug zu erzählen: „Fritze Merz erzählt gern Tünkram“, sagte Scholz wörtlich. Das Pikante daran: Es sind ausgerechnet die beiden Spitzenpolitiker, deren Parteien den aktuellen Umfragen nach am ehesten gemeinsam regieren könnten, die sich gegenseitig attackieren.
Erst der Anfang?
„Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine“, hat der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal gesagt. Eine Auseinandersetzung auf solch persönlicher Ebene sei aber selbst in Wahlkampfzeiten nicht alltäglich, meint der Politologe Albrecht von Lucke und befürchtet weiteres Eskalationspotential: „Wenn man so anfängt, weiß man nicht, wo das endet.“
Er sieht vor allem ein Problem: Die Angriffe seien kaum inhaltlich gedeckt. Scholz werfe Merz im Bundestag beispielsweise vor, er „könne es nicht“, müsste sich gleichzeitig aber eingestehen, dass er selbst es nicht geschafft habe, seine Koalition effektiv zu leiten. Die Absicht dahinter sei klar, so von Lucke. Für den Wahlkampf versuche der Kanzler einen Rollentausch zu vollziehen, der ihn als Amtsinhaber in die Position des Herausforderers bringt.
In der Vergangenheit waren harte Debatten üblich
Völlig neu sind verbale Attacken nicht, sie sind nur zwischenzeitlich aus der Mode gekommen. In der noch jungen Bundesrepublik waren harte Debatten und wütende Angriffe durchaus üblich. So beschimpfte SPD-Mann Herbert Wehner die Unionsfraktion als „dumm“ und zog einen indirekten NS-Vergleich. Legendär sind seine Duelle mit Franz Josef Strauß, der am Rednerpult ebenfalls derbe auszuteilen wusste. „Da ging es viel härter zu als heute“, bemerkt auch Politologe von Lucke.
Nicht zuletzt in der 16 Jahre währenden Kanzlerschaft von Angela Merkel, die solche Auftritte vermied, ist die Kultur der scharfen Rhetorik aber in den Hintergrund geraten. Gleichzeitig wuchs die sprachliche Sensibilität in der Gesellschaft und den Medien. Deftige Bemerkungen würden deshalb höhere Wellen schlagen, meint von Lucke, fügt aber hinzu, dass „diese Zimperlichkeit der Spitzenpolitiker, die ihrerseits auch gerne austeilen“, genauso „lächerlich“ sei. Der Wahlkampf sei kurz und werde dementsprechend intensiv geführt.
Gefahr bleibender Verletzungen
Wer die Äußerungen nach dem Aus der Ampel-Koalition verfolgt hat, der muss bemerkt haben, wie groß der persönliche Zwist zwischen Kanzler Scholz und FDP-Chef Christian Lindner sein muss. Es kaum vorstellbar, dass beide noch einmal miteinander arbeiten könnten - zu hart waren die persönlichen Angriffe, zu tief die Verletzungen.
In diesem Szenario sieht Politologe von Lucke ein Kernproblem für den Wahlkampf der kommenden Wochen. Als Beispiel nennt er einen Auftritt von Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder. „Diese Schärfe in der Abgrenzung zu den Grünen macht es meiner Ansicht nach sehr schwierig, dass nach der Wahl dann doch eine schwarz-grüne Koalition zustande kommt.“
Damit schränke die Union ihren eigenen Spielraum bei einer möglichen Regierungsbildung ein. Es wäre eine negative Folge der schrillen Rhetorik. Von Lucke hofft, dass die persönlichen Angriffe der vergangenen Wochen eine Momentaufnahme bleiben. Der Streit um Inhalte sollte in den Vordergrund treten.
jk