Bundestagswahl

Stimme zu verschenken!

03:57 Minuten
Jemand schreibt mit weißer Farbe und einer Schablone die Worte "Eltern wählen für ihre Kinder" auf den Boden.
Der Journalist Günther Wessel ist für ein Wahlrecht ab 16 Jahren bei Bundestagswahlen. © AFP / Paul Zinken
Ein Kommentar von Günther Wessel |
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Wer darf wählen und über die Zukunft mitentscheiden und wer nicht? Seit Jahren wird über das richtige Wahlalter gestritten. Der Journalist Günther Wessel plädiert dafür, es herabzusenken. Doch da sich der Gesetzgeber nicht regt, greift er zu anderen Mitteln.
Am Wochenende werde ich mich einen Abend mit meiner Tochter zusammensetzen und lange mit ihr reden. Sie ist 17 Jahre alt und darf bei den kommenden Wahlen noch nicht wählen. Sie findet das nicht fair, ich finde das auch nicht fair. Die kommenden Bundestagswahlen werden über viele Fragen entscheiden, die unsere Zukunft betreffen: Die Klimakrise ist da, Handeln ist erforderlich, auch über eine Legislaturperiode hinaus.
Es ist ein altes Argument der jungen Klimabewegung, das sie erstmals aussprach, als die Bundesregierung stolz ihren sogenannten Kohlekompromiss verkündete: Warum entscheidet ein Gremium über eine Zukunft, die es selbst nicht mehr erleben wird? Es war ein gemeines Argument, aber irgendwie auch ein treffendes. Das Durchschnittsalter der Kohlekommission lag bei 57 Jahren.

Ältere orientieren sich weniger an Klimaschutzinteressen

Und Menschen, die heute 50 bis 60 Jahre alt sind, werden vermutlich noch in einer Zeit leben, in der das Klimaziel von 1,5 Grad noch nicht gerissen ist. Das kann zwar auch schon zu größeren Naturkatastrophen führen – die Überschwemmungen an der Ahr mit mehr als 180 Toten sind eine zu schnell vergessene Mahnung – aber irgendwie scheint man sich damit ja einrichten zu können. 2,5 Grad, 3 Grad, 4 Grad – das erleben dann die nachfolgenden Generationen.
Was zynisch klingt, scheint aber genauso zu sein: Eine Umfrage des Naturschutzbundes Deutschland bestätigte kürzlich: Je älter die Menschen sind, desto weniger richten sie ihr Wahlverhalten an den Klimaschutzinteressen der jüngeren Generation aus. In der Gruppe der Menschen, die über 50 Jahre alt sind, sagten nur 30 Prozent, dass sich ihre Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl an den Klima- und Naturschutzinteressen der jungen Generation orientiere.
Besonderes Pech für die nachfolgenden Generationen: Die Alten sind einfach mehr. Es gibt viel mehr Wähler in der Altersgruppe ab 50 Jahre als darunter.

Manipulierbarkeit – kein Gegenargument

Ich bin 62 Jahre alt, ich werde die schlimmeren Auswirkungen der Klimakrise, die sich langsam durch Fluten, Starkregen, Stürme und Trockenheit abzeichnen, wahrscheinlich nicht mehr erleben. Im Jahr 2050 wäre ich 91 Jahre alt. Meine Tochter hingegen erst 46, ihre Kinder dann vielleicht zehn, vielleicht 15, vielleicht 20 Jahre alt. Ihr Großvater ist nun Mitte 80, ihre Großmutter ebenso. Sie dürfen wählen, wir wünschen ihnen noch ein langes Leben. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass die Zukunft meiner Tochter wahrscheinlich länger dauert. Müssten nicht also ihre Interessen mindestens genauso, wenn nicht gar deutlicher gewichtet werden?
Ich bin, um es klar zu sagen, für ein Wahlrecht ab 16 Jahren bei Bundestagswahlen. Auch ein Wahlrecht, bei denen Eltern bis dahin Stimmen für ihre Kinder abgeben können, halte ich für bedenkenswert. Das Argument, dass man mit 16 Jahren nur beschränkt geschäftsfähig, noch nicht reif und gefestigt genug sei, sondern leicht manipulierbar, dieses Argument ist nicht stichhaltig: Denn wer überprüft die Manipulierbarkeit von anderen Menschen?
Meine Tochter könnte ihre Wahlentscheidung wahrscheinlich besser begründen als manch Erwachsener. Aber auch das ist etwas Schönes am allgemeinen Wahlrecht. Man muss seine Wahl nicht begründen, das Recht ist einfach erteilt. Was es noch schwerer einzusehen macht, warum nicht für alle.

Das Recht, mitzureden

Ich werde mich in dieser Woche mit meiner Tochter zusammensetzen, und wir werden reden. Über Politik, darüber, wen sie wählen würde, würde sie es schon dürfen, und darüber, wen ich wählen möchte. Vielleicht werden wir übereinstimmen, das wäre schön. Aber ich spreche mit ihr, weil sie bestimmen soll, was mit meiner Stimme passiert. Ich schenke ihr meine Stimme. Sie soll sagen, was und wen ich am 26. September ankreuzen soll, wenn ich den Stimmzettel in der Wahlkabine vor mir liegen habe.
Es ist unsere Zukunft. Sie hat das Recht mitzureden.

Günther Wessel ist Journalist und Autor. Zuletzt erschien sein Buch "You for Future", das er zusammen mit seiner Tochter Franziska geschieben hat (Arena, Würzburg 2020).

© hasskarl.de
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