Bundesumweltminister will Atomendlager Gorleben "ergebnisoffen" prüfen
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat seinen Vorgängern, Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin und SPD-Chef Sigmar Gabriel, Tatenlosigkeit bei der Suche nach einem Atommüllendlager vorgeworfen.
Deutschlandradio Kultur: Die Weltklimakonferenz ist gescheitert. Die Bonner Folgekonferenz bestätigte dies. Müssen wir nun internationale weltweite Klimaschutzziele aufgeben?
Norbert Röttgen: Kopenhagen hat bei Weitem nicht den Erfolg gebracht, den wir nicht nur gewollt haben, sondern für nötig gehalten haben. Allerdings ist auch etwas beschlossen worden, zum Beispiel das Zwei-Grad-Ziel als Maßstab. Und wir haben das, was die 25 Staaten verabredet haben, was dann in Kopenhagen nicht akzeptiert wurde von den anderen Staaten, inzwischen faktisch aber zur Akzeptanz gebracht. Es sind über hundert Staaten, die sich dem, was verabredet worden ist, politisch angeschlossen haben. Ich war auch wirklich enttäuscht, aber wir dürfen jetzt nicht in Enttäuschung verharren, sondern müssen den Blick nach vorne richten. Und wir werden in Deutschland Anfang Mai eine Konferenz in Bonn durchführen, um zu praktischen Handlungszielen zu kommen, die wir vereinbaren – beim Tropenwaldschutz, in der Technologiekooperation, in der Transparenz von Finanzierung. Das ist die Aufgabe. Daran arbeiten wir, um in Cancún in Mexiko Ende des Jahres zu konkreten Handlungsprojekten zu kommen, die richtig CO2-Reduzierung beinhalten, also praktische Fortschritte erreichen, und damit auch einen Fortschritt im rechtlichen Vertragsverhandlungsprozess erbringen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben ein paar Beispiele genannt, was geschehen muss. Vielleicht konkretisieren Sie die noch mal mit Blick auf die Petersberger Konferenz, aber vor allen Dingen dann auf Cancún, was ja Ende des Jahres dann stattfinden soll.
Norbert Röttgen: Es ist eine Ergänzung der bisherigen Diskussionen, die sehr stark fokussiert waren auf den Abschluss eines international verbindlichen Vertrages. Den halten wir weiter für richtig, wir, nicht nur die Deutschen, sondern auch die Europäer, weil es auch unserem Verständnis entspricht, auch der Einschätzung entspricht, wie wir mit einem bedrohten globalen Gut Klima international umgehen müssen, nämlich mit internationalen Regeln, die verbindlich sind und deren Einhaltung überwacht wird.
Bei diesem Prozess und bei dieser Diskussion treffen aber auch unterschiedliche rechtliche, kulturelle Verständnisse, auch machtpolitische Interessen aufeinander. Darum muss das fortgeführt werden. Aber wir dürfen uns da nicht verkanten und verbeißen und festbeißen und in der ganzen Zeit passiert nichts, sondern wir haben uns dazu entschlossen, diesen Prozess auch durch praktische Handlungen zu ergänzen, indem wir uns die Felder anschauen, wo wir zu konkreten Fortschritten kommen wollen und kommen müssen. Also: Indem wir effektive Maßnahmen ergreifen, um die Abholzung der Tropenwälder zu beenden, weil, mit der Abholzung und Vernichtung der Tropenfelder massiv CO2-Emissionen verbunden sind und der Tropenwald als CO2-Speicher vernichtet wird.
Bei meinen Gesprächen in China haben wir in jedem Gespräch über Fragen der Kooperation gesprochen zwischen Deutschland und China bei der Energieeffizienz, bei der energetischen Sanierung und dem energetisch bewussten Bau neuer Wohnung. In China gibt es riesige Möglichkeiten, bei der Energieeffizienz voranzukommen. Es werden Millionen von Wohnungen gebaut, wo die Wärme durch die Wände, durch die Fenster, durch den Schornstein hinausgeschleudert wird. Wenn man hier mit Einsatz deutscher Effizienz, Energieeffizienztechnologie zu Fortschritten, auch zu wirtschaftlicher Kooperation kommt, ist das auch ein praktischer Beitrag zur CO2-Reduzierung und zur Energieeffizienz.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist die Wahrnehmung ja in China und bei den Schwellenländern anders als im industriellen Norden. Die Schwellenländer, die Chinesen, sind stolz darauf, dass sie den Industrieländern in Kopenhagen die Daumenschrauben angesetzt haben. Was wird daraus werden? Sie verlangen, der industrielle Norden soll vorangehen beim Klimaschutz.
Norbert Röttgen: Das bestreiten die Industrieländer auch nicht, sondern unser Grundsatz, aber auch der international akzeptierte Grundsatz lautet: eine gemeinsame, aber unterschiedliche, differenzierte Verantwortung. Aber wir haben alle gemeinsame Verantwortung für ein gemeinsames Gut.
China im Übrigen ist nicht glücklich mit der Rolle, als der Verhinderer von Kopenhagen dazustehen. Mit den Ergebnissen können sie durchaus leben. Aber mit dem Ergebnis, der globale Verhinderer, die globale Verhinderungsmacht zu sein, wollen sie nicht leben. Darum gibt es auch Ansätze, zu konstruktiven Ergebnissen zu kommen. Und zweitens ist zwar China jetzt insgesamt die Nummer 1 unter den Ländern beim CO2-Ausstoß, aber die Chinesen pro Kopf stoßen rund ein Viertel oder ein Fünftel des CO2-Volumens, das von einem durchschnittlichen Amerikaner ausgestoßen wird. Die Amerikaner 22 Tonnen pro Kopf, ein Deutscher 13 Tonnen pro Kopf, ein Chinese knapp 5 Tonnen pro Kopf, auch diese Rechnung stimmt. Darum ist es eine gemeinsame differenzierte Verantwortung, zu der wir uns bekennen. Aber ich sage China genauso und den anderen Schwellenländern insbesondere, ihr habt auch eine eigene Verantwortung. Ihr seid nicht mehr nur Entwicklungsland, sondern ihr seid ein wirtschaftliches Schwellenland, das Wohlstandsentwicklung hat, das industrielle Entwicklung hat. Und ihr habt neben dieser industriellen wirtschaftlichen Entwicklung und dem Status, den ihr erreicht habt, auch eine geopolitische Verantwortung als große Länder. Und es geht hier auch um die Neujustierung, um die Neukonstruktion internationaler Kooperation und Macht. Und diese Bühne haben China, Indien, Südafrika, Brasilien definitiv betreten. Und mit dem Betreten dieser Bühne, womit sie ja einverstanden sind, muss auch die Übernahme internationaler Verantwortung verbunden sein. Das können sie dann nicht auf die westliche Welt allein abschieben.
Deutschlandradio Kultur: Die EU will bis 2020 ihre Kohlendioxidemissionen um 20 Prozent reduzieren. Ist das ehrgeizig genug? Kann man sich nicht auch 30 oder sogar 40 Prozent vorstellen?
Norbert Röttgen: Ich halte es nicht für ehrgeizig genug. Deutschland hat ja gesagt, die deutsche Bundesregierung, diese Regierung übrigens, unser Ziel lautet: 40 Prozent CO2-Reduzierung bis 2020. Und damit hat sie genau die richtige Führung auf diesem Gebiet wahrgenommen. Manche geben ja die Empfehlung, wenn andere diese Ambition nicht haben und nachlassen, dann soll auch Deutschland von seinen Ambitionen runtergehen. Das ist in jeder Hinsicht der falsche Ratschlag. Erstens geht es darum, glaubwürdig diesen notwendigen, und zwar im Sinne der eigenen, wie der globalen Entwicklung schlicht notwendigen Fortschritt bei der CO2-Reduzierung zu erreichen. Es ist eine Bedingung künftiger allgemeiner menschlicher und wirtschaftlicher Entwicklung. Wenn wir das nicht schaffen, ist das Ende von Wachstum und Wohlstand über Generationen absehbar. Wir landen in einer Sackgasse. Darum müssen wir auch unseren Beitrag leisten. Und wir sind nur international im Verhandlungsprozess glaubwürdig, wenn wir auch national so handeln.
Und zweitens geht es darum, dass bei Klimaschutz, Klimaschutztechnologien es sich im Kern um einen ökonomischen Modernisierungsprozess handelt der Volkswirtschaften und um einen ökonomischen Wettbewerbsprozess. Wir stehen in und vor einer industriell-technologischen Revolution. Wir stehen in einem Paradigmenwechsel von der verbrauchenden, von der Ressourcen verbrauchenden Wirtschaft zu einer ressourceneffizienten Wirtschaft aus einer immanenten Notwendigkeit heraus, weil Ressourcenschonung bei immer mehr Menschen und immer mehr wirtschaftlicher Entwicklung die Bedingung wirtschaftlichen Wachstums ist.
Es geht um die Wettbewerbs-, um die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaftsregionen. Ob Nordamerika, Asien, China, Indien oder Europa weiter die Wachstumskräfte sind, und zwar Wachstum in einem qualitativen Sinne, darum geht es. Und in dem Prozess sind wir. Und darum ist die Position richtig: für Deutschland 40 Prozent und Europa 30 Prozent.
Deutschlandradio Kultur: Aber wer hört Ihre Botschaft, mit Wachstum aus der Krise herauszukommen? Die Industrie bremst ab. Auch in Teilen der Unionsfraktionen, sowohl im Europäischen Parlament als im Bundestag hat man durchaus die Überlegung, wir wollen nicht unsere Wettbewerbsfähigkeit dadurch beschädigen, indem wir Dinge tun, die andere nicht mitmachen.
Norbert Röttgen: Das ist eben eine sehr kurzfristige Sicht. Ich bestreite auch nicht, dass der eine oder andere die kurzfristige Sicht der Dinge hat. Wir haben ja gerade in der Finanzmarktkrise den Exzess von Kurzfristigkeit erlebt. Natürlich kann man noch einige Jahre lang billig leben. Aber das endet in 20 Jahren in der Sackgasse. Wir können noch von den Renditen des deutschen Wirtschaftswunders 10, 20 Jahre leben. Dann haben wir die Ergebnisse der Arbeit meiner Eltern und Großeltern aufgezehrt.
Darum ist die Frage: Kurzfristigkeit und Egoismus oder Langfristigkeit und Zukunftsverantwortung? Das ist eine Debatte in der Gesellschaft, in den Parteien und – nebenbei – in der Industrie. Wenn Sie mit dem Maschinenbauer, mit der Maschinenbaubranche reden, die sind in permanenter Innovation. Die wollen daran teilnehmen. Das ist deren Geschäftsmodell, durch Innovation erfolgreich und exportorientiert zu sein. Wenn Sie mit der IT-Branche reden, dann sagen die, wir brauchen intelligente Netze und wir können sie machen und wir werden daran verdienen. Wenn Sie mit der Elektroindustrie reden, dann sagen die genau das: Wir sind Innovationsindustrie. Und wenn Sie vielleicht mit der einen oder anderen Industrie reden, deren Produkte in diesem Transformationsprozess, weil sie auf Verbrennung und Ressourcenverbrauch ausgehen, nicht mehr zur Zukunft gehören, ja, dann sind sie natürlich Betroffene in einem Transformationsprozess. Darum darf man die nicht links liegen lassen, sondern auch die, die so betroffen sind, müssen in diesen Strukturwandelprozess eingebaut werden. Aber Konservierung alter Strukturen in einem Fundamentalwechsel und -wandel von Wirtschaft national und global, das ist keine Perspektive für Deutschland.
Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Röttgen, es ist doch auch eine Frage der Prioritäten. Wir hören sehr viel von der Verlängerung von Laufzeiten von Atomkraftwerken. Wir kommen da auch noch drauf. Nicht so viel hören wir zum Beispiel zum Thema Energiesparen. Müsste man nicht auch zugleich eine Energiesparkampagne starten?
Norbert Röttgen: Ein modernes Energiekonzept ist ein ganz wichtiges, ein zentrales Feld in diesem Strukturwandel. Und darum ist ja unser Ziel daraus abgeleitet, von einer fossilen, Ressourcen verbrauchenden – ob Kohle oder Uran – basierten Energieversorgung zur erneuerbaren Energieversorgung umzustellen. Die Kernenergie hat dafür Brückenfunktion. Sie ist nicht das Ziel, sondern sie ist der notwendige Weg bis wir die Fähigkeit der erneuerbaren Energie erreicht haben, dass sie Kernenergie und Kohlekraft ersetzen kann. Das eine ist Übergang, das andere ist Ziel.
Und wir brauchen in der ganzen Bandbreite eine Energiepolitik, die zwei entscheidende Stellschrauben hat, nämlich den massiven technisch absolut möglichen Ausbau der erneuerbaren Energien. Die nächstliegenden Aufgaben sind Ausbau der Offshore-Windenergie, die in den 16 Prozent, den die Erneuerbaren schon heute an der Stromversorgung leisten, dann ergänzen werden und in den nächsten zehn Jahren sicher auf 30 Prozent Anteil der Erneuerbaren im Strom bringen werden. Dazu gehören zweitens intelligente Netze, die Steuerung, Nachfrageorientierung statt immer neues Angebot ermöglichen. Und drittens ist das Thema Energieeffizienz, Sie nannten es "Stromsparen", das ist auch eine technologische Aufgabe.
Das Generalprinzip muss lauten und ist technologisch zu machen, dass wir Wachstum entkoppeln von Ressourcen und Energieverbrauch.
Deutschlandradio Kultur: Aber, so wie Sie es beschrieben haben, ist es ja schon lange beschrieben worden. Jetzt ist doch die Frage, wann geht's denn los?
Norbert Röttgen: Jetzt machen wir's!
Deutschlandradio Kultur: Brauchen wir einen Masterplan, einen Masterplan, der uns sagt, Meilenstein bis 2015, Meilenstein bis 2020?
Norbert Röttgen: Ja. Völlig richtig. Es mag schon häufiger beschrieben worden sein, trotzdem ist mein Eindruck, es ist noch nicht überall angekommen. Darum ist auch richtig, dass diese Regierung sich die Aufgabe gestellt hat und sie in diesem Jahr erfüllen wird, ein energiepolitisches Konzept vorzulegen.
Das hängt dann an konkreten Schritten. Wir waren in den letzten zehn Jahren sehr erfolgreich. Vor zehn Jahren hatten wir 4, 5 Prozent Anteil erneuerbare Energien. Jetzt haben wir 16 Prozent. Wir haben jetzt 300.000 Beschäftigte. Der Aufbau heimischer Wertschöpfung findet statt. Unsere Volkswirtschaft ist im letzten Jahr um 5 Prozent geschrumpft, die erneuerbaren Energien um 20 Prozent gestiegen. Aber wenn wir das auf über 50 Prozent bringen wollen, wenn wir – das ist meine Vision – im Jahre 2050 nahezu vollständig erneuerbare Energieversorgung haben, dann gehören konkrete Entscheidungen dazu: Investitionen in Windenergieparks in der Nordsee und in der Ostsee. Ein Windenergiepark kostet anderthalb Milliarden. Und dann brauchen wir die erforderlichen Netze für den Stromtransport und für die Verbindung unterschiedlicher Windenergieparks. Irgendwo weht immer der Wind und da muss man ihn abholen und in verbundene, europäisch verbundene Netze einspeisen. Und darum brauchen wir einen Netzausbau in Qualität und Quantität. Und dafür braucht man auch einen Masterplan Energieversorgung. Das soll das energiepolitische Konzept sein.
Und so, wie wir jetzt einen Elektromobilitätsgipfel am 3. Mai haben, glaube ich, bräuchten wir auch einen Netzgipfel, weil die Netze sind die Weichenstellung dafür, dass der erneuerbare Strom auch im Haushalt ankommt.
Deutschlandradio Kultur: Stichwort Mobilität: Der Präsident des Umweltbundesamtes hat ja jetzt einen Vorschlag gemacht. Herr Flasbarth wünscht sich eine flächendeckende Pkw-Maut zur allgemeinen Straßennutzung. Können Sie sich mit so was anfreunden?
Norbert Röttgen: Das Umweltbundesamt hat die gesetzliche Aufgabe der wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung. Die Aufgabe hat Herr Flasbarth wahrgenommen. Der Vorschlag entspricht nicht dem, was die Bundesregierung in der Verkehrspolitik, ich bin nicht der Verkehrsminister, aber in der Verkehrspolitik vorschlägt. Aber es ist ein sozusagen wissenschaftlicher Rat, der gegeben wird von der Institution, die Kraft Gesetzes die Aufgabe hat, das zu tun. Aber entscheiden muss die Bundesregierung. Und der Entscheidungsstand und Meinungsbildungsstand der Bundesregierung, des Verkehrsministeriums ist, das nicht zu befürworten.
Deutschlandradio Kultur: Es wird ja sehr viel gestritten über die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. Nun hat die CSU vorgeschlagen: "schalten wir doch die Kohlekraftwerke ab". Ist dieser Vorschlag so unsinnig?
Norbert Röttgen: Die CSU hat mit den Koalitionsvertrag unterschrieben. Und die CSU, das weiß ich, hält selbstverständlich, auch als eine wertkonservative und ökonomisch kompetente Partei, daran fest, dass wir in das Zeitalter der erneuerbaren Energien wollen und dass konventionelle Energieversorgung Übergang ist.
Wir werden in Deutschland kein neues Kernkraftwerk bauen. Jetzt können wir über Laufzeiten reden. Sie werden zu Ende gehen und es kommt kein neues Kernkraftwerk. Wir, wie alle Industrieländer, haben uns verpflichtet, in 40 Jahren die CO2-Emission um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Weil wir in Deutschland sind und es bleiben wollen, es bleiben werden, wird es industrielle CO2-Emissionen geben. Für die Energieversorgung heißt das, wir brauchen eine praktisch CO2-freie Energieversorgung. Und darum sind die konventionellen Technologien aus unterschiedlichen Gründen – mal aus politischen Gründen oder aus Klimaschutzgründen – Übergang, die zur Energieversorgung durch erneuerbare Energien führen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Das hieße doch aber auch: Keine neuen Kohlekraftwerke! Da hätte doch die CSU dann Recht.
Norbert Röttgen: Ob es keine "neuen" heißt oder ob eine Ersetzung alter, zum Teil sehr alter, über 50 Jahre alter mit einem miserablen Wirkungsgrad arbeitenden Kohlekraftwerke durch neue Kohlekraftwerke, ist damit nicht gesagt. Gesagt ist, dass wir einen dynamischen Energiemix brauchen, dessen Dynamik darin besteht, dass der Anteil der Erneuerbaren immer größer wird und der Anteil der konventionellen Energiequellen immer geringer wird.
Deutschlandradio Kultur: In der Frage der Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke gibt's ja durchaus unterschiedliche Ansichten, auch in der Regierung bzw. den Koalitionsfraktionen. Sie gelten als jemand, der diese Verlängerung möglichst gering halten will. Es gibt aber auch beispielsweise gerade aus dem Süden der Republik ganz andere Ansichten. Ist das denn eine Lösung, die besten, die sichersten bleiben beispielsweise 60 Jahre im Dienst und die eher schlechten gehen sofort vom Netz?
Norbert Röttgen: Das Leitmotiv heißt, dass Kernenergie nicht als solche als Energiequelle eingesetzt wird, sondern nur in der Funktion, die Brücke zu bauen und zu bilden, solange die erneuerbaren Energiequellen die Stromversorgung noch nicht leisten können. Das ist das Prinzip. Und das lassen wir nun auch wissenschaftlich berechnen. Was bedeutet das? Was verlangt das an Laufzeiten und Stromversorgung durch Kernenergie in der Perspektive?
Und die Jahreszeiträume oder die Strommengen werden wir dann politisch am Ende des Jahres auch in der Regierung festlegen. Aber das Prinzip haben wir im Koalitionsvertrag festgestellt: Kernkraftwerke müssen sicher sein. Wenn sie nicht sicher sind, können sie auch keine Brücke bilden. Wenn Kernkraftwerke länger laufen, muss auch dynamisch und im übrigen angepasst an jedes einzelne Kernkraftwerk, die ja unterschiedlichen Baureihen entstammen, unterschiedlich alt sind, auf jedes Kernkraftwerk darum angepasst ein dynamisches Sicherheitskonzept entwickelt werden. Sicherheit ist nicht verhandelbar, sondern ist die Bedingung des Betriebs von Kernkraftwerken.
Deutschlandradio Kultur: Aber könnte Ihre Brücke nicht auch falsch konstruiert sein? Völlig unabhängig, ob Sie Atom oder Kohle sagen, es gilt ja der Vorschlag, man muss dezentral künftig mit Stadtwerken, mit industrienahen Kraftwerken arbeiten, Kraftwärmekopplung fordern. Das heißt, diese Großkraftwerke seien out. Sehen Sie das auch so?
Norbert Röttgen: Ein Element der Neugestaltung, da haben Sie völlig Recht, ist, dass wir von einer oligopolistischen, also durch Gebietsmonopole und damit durch wenig Wettbewerb und in der Folge zu hohen Preisen, die aus einem Mangel an Wettbewerb entstehen, geprägten Energie- und Stromversorgung übergehen zu einer erneuerbaren und dezentralen Stromversorgung. Die erneuerbaren Energien sind für sich dezentral. Sie sind übrigens mittelständisch. Sie sind innovativ. Es entwickelt sich zudem ein sehr positives, von mir sehr begrüßtes Engagement der Kommunen, in einer dezentralen Energieversorgung mit unterschiedlichen Quellen ... – Sie haben die Kraft-Wärme-Kopplung genannt als eine sehr klimaverträgliche Art der Strom- und Energieversorgung und Wärmegewinnung, die beides miteinander kombiniert, Strom und Wärme. Darum ist ja auch die Position der kommunalen Unternehmen, dass die Verlängerung der konventionellen Stromversorgung um ihrer selbst willen, nicht nur in der Brückenfunktion, auch die Wettbewerbsposition der Kommunen nachhaltig stören würde und den Aufbau einer dezentralen wettbewerblich organisierten Stromversorgung behindern würde, weil die Macht zementiert würde. Und dieser Wettbewerbsaspekt ist ein zweiter eigener Gesichtspunkt, warum wir zu einer Veränderung des Strommarktes in den Quellen und in den Strukturen kommen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Sie lassen ja wieder prüfen, ob der Salzstock Gorleben geeignet ist als Atomendlager. Nun hat sich Greenpeace die Mühe gemacht, in die Akten geschaut. Und die haben festgestellt: Gorleben ist nicht geeignet. Kann man sich die Prüfung denn nicht sparen?
Norbert Röttgen: Meine Position ist, dass mit der Nutzung der Kernenergie die Endlagerfrage zwingend verbunden ist und auch in Verantwortung aus vorangegangenem Tun besteht. Also, man kann keine Energie immer für falsch gehalten haben, wenn man jetzt in der politischen staatlichen Verantwortung steht, muss man das Thema lösen.
Das ist mein Vorwurf an meine beiden Vorgänger. Aus politischer Bequemlichkeit haben sie gekniffen und haben ein Erkundungsmoratorium verhängt. Das heißt, sie haben gesagt, wir tun nichts. Wir wollen gar keine Erkenntnisse haben, sondern wir lassen das Thema ungelöst, schieben wir der nächsten Generation vor die Füße. Das halte ich für nicht verantwortlich. Und darum ist meine Position, dass die Frage, ob Gorleben als Endlagerstandort geeignet ist oder eben nicht geeignet ist, in einem transparenten, rechtsstaatlichen Verfahren zu einem Ergebnis geführt werden muss.
Wenn die Behauptung stimmt von Greenpeace, dann muss sie in einem entsprechenden Verfahren und wird sie in einem entsprechenden Verfahren festgestellt werden. Das Verfahren muss ergebnisoffen sein – es wird ergebnisoffen sein – und muss die Frage der Eignung beantworten, Eignung oder nicht Eignung an den strengsten, nach menschlichen Erkenntnissen möglichen Sicherheitsanforderungen orientiert. Und vor dem Prozess darf man sich der politischen Verantwortung wegen nicht drücken. Das tue ich nicht. Und darum habe ich diesen Erkenntniserkundungsprozess wieder eingeleitet und aufgenommen, der zum Ziel hat, festzustellen im geordneten Verfahren, ob die Eignung da ist oder die Nichteignung.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie werden doch jetzt schon ausgebremst. Die süddeutschen Bundesländer sind doch nicht geneigt, ergebnisoffen zu prüfen, weil sie sagen, 'bei uns finden keine alternativen Suchen statt'.
Norbert Röttgen: Ergebnisoffenheit bezieht sich darauf, dass dieses Verfahren Gorleben davon geprägt ist, dass im Verfahren keiner weiß, ist Eignung oder Nichteignung das Ergebnis. Das ist die Ergebnisoffenheit. Wir wissen nicht, ich weiß nicht, ob Gorleben geeignet oder nicht geeignet ist, sondern das muss ein, wie eben beschriebenes Verfahren gewährleisten.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben doch einen Plan B. Wenn Gorleben nicht geeignet ist, müssten Sie doch Alternativen suchen.
Norbert Röttgen: Wenn Gorleben nicht geeignet ist, dann muss ein anderer Endlagerstandort gefunden werden – das ist keine Frage.
Deutschlandradio Kultur: Da spielen die Südländer nicht mit.
Norbert Röttgen: Also, ich glaube, dass, wenn man der Verantwortung gerecht werden will, dann muss man bei Gorleben anknüpfen, weil seit 30 Jahren dieses Thema bearbeitet wird, weil 1,5 Milliarden Euro investiert wurden und weil beim Atomausstieg der damalige Bundeskanzler Schröder und der Bundesumweltminister Trittin die positiven Erkenntnisse ausdrücklich dokumentiert haben. Also muss Gorleben in diesem Erkenntnisstand nach Jahrzehnten und Milliarden zum Ergebnis geführt werden.
Ich kann die Möglichkeit der Nichteignung nicht ausschließen. Und darum ist die praktische Konsequenz, die ich daraus ziehe, dass die wissenschaftliche Diskussion um die Eignung alternativer Gesteine – Ton, Granit – von mir vorangetrieben wird, auch politisch vorangetrieben wird, um mich auf dieses mögliche negative Ereignis jetzt schon vorzubereiten.
Aber ich bin auch nicht bereit und werde mich nicht an der Blockade beteiligen, überhaupt des Suchverfahrens, die in den vergangenen zehn Jahren geherrscht hat, weil man sich über die Möglichkeit alternativer Standorte nicht einigen konnte und dann am Ende den bequemen Weg gefunden hat, dass am besten gar nichts geschieht und man dieses Thema als offene Frage den nächsten Generationen überlässt. Diese Verantwortungslosigkeit mache ich nicht, sondern das, was praktisch möglich ist, mache ich und zu dem stehe ich auch.
Deutschlandradio Kultur: Und diese Suche würde auch für Bayern und Baden-Württemberg gelten?
Norbert Röttgen: Das ist keine Standortsuche, von der ich gerade gesprochen habe, sondern wir haben eine ergebnisoffene Prüfung von Gorleben und parallel dazu eine wissenschaftliche Diskussion über die Eignung alternativer Gesteine, keine Standortbestimmung, keine Bohrung irgendwo, sondern der erste praktische Schritt, der zu machen ist, ist die wissenschaftliche Frage nach der Eignung alternativer Gesteine, Ton, Granit, die infrage kommen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, wir danken für das Gespräch!
Norbert Röttgen: Ich bedanke mich sehr für das Gespräch!
Norbert Röttgen: Kopenhagen hat bei Weitem nicht den Erfolg gebracht, den wir nicht nur gewollt haben, sondern für nötig gehalten haben. Allerdings ist auch etwas beschlossen worden, zum Beispiel das Zwei-Grad-Ziel als Maßstab. Und wir haben das, was die 25 Staaten verabredet haben, was dann in Kopenhagen nicht akzeptiert wurde von den anderen Staaten, inzwischen faktisch aber zur Akzeptanz gebracht. Es sind über hundert Staaten, die sich dem, was verabredet worden ist, politisch angeschlossen haben. Ich war auch wirklich enttäuscht, aber wir dürfen jetzt nicht in Enttäuschung verharren, sondern müssen den Blick nach vorne richten. Und wir werden in Deutschland Anfang Mai eine Konferenz in Bonn durchführen, um zu praktischen Handlungszielen zu kommen, die wir vereinbaren – beim Tropenwaldschutz, in der Technologiekooperation, in der Transparenz von Finanzierung. Das ist die Aufgabe. Daran arbeiten wir, um in Cancún in Mexiko Ende des Jahres zu konkreten Handlungsprojekten zu kommen, die richtig CO2-Reduzierung beinhalten, also praktische Fortschritte erreichen, und damit auch einen Fortschritt im rechtlichen Vertragsverhandlungsprozess erbringen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben ein paar Beispiele genannt, was geschehen muss. Vielleicht konkretisieren Sie die noch mal mit Blick auf die Petersberger Konferenz, aber vor allen Dingen dann auf Cancún, was ja Ende des Jahres dann stattfinden soll.
Norbert Röttgen: Es ist eine Ergänzung der bisherigen Diskussionen, die sehr stark fokussiert waren auf den Abschluss eines international verbindlichen Vertrages. Den halten wir weiter für richtig, wir, nicht nur die Deutschen, sondern auch die Europäer, weil es auch unserem Verständnis entspricht, auch der Einschätzung entspricht, wie wir mit einem bedrohten globalen Gut Klima international umgehen müssen, nämlich mit internationalen Regeln, die verbindlich sind und deren Einhaltung überwacht wird.
Bei diesem Prozess und bei dieser Diskussion treffen aber auch unterschiedliche rechtliche, kulturelle Verständnisse, auch machtpolitische Interessen aufeinander. Darum muss das fortgeführt werden. Aber wir dürfen uns da nicht verkanten und verbeißen und festbeißen und in der ganzen Zeit passiert nichts, sondern wir haben uns dazu entschlossen, diesen Prozess auch durch praktische Handlungen zu ergänzen, indem wir uns die Felder anschauen, wo wir zu konkreten Fortschritten kommen wollen und kommen müssen. Also: Indem wir effektive Maßnahmen ergreifen, um die Abholzung der Tropenwälder zu beenden, weil, mit der Abholzung und Vernichtung der Tropenfelder massiv CO2-Emissionen verbunden sind und der Tropenwald als CO2-Speicher vernichtet wird.
Bei meinen Gesprächen in China haben wir in jedem Gespräch über Fragen der Kooperation gesprochen zwischen Deutschland und China bei der Energieeffizienz, bei der energetischen Sanierung und dem energetisch bewussten Bau neuer Wohnung. In China gibt es riesige Möglichkeiten, bei der Energieeffizienz voranzukommen. Es werden Millionen von Wohnungen gebaut, wo die Wärme durch die Wände, durch die Fenster, durch den Schornstein hinausgeschleudert wird. Wenn man hier mit Einsatz deutscher Effizienz, Energieeffizienztechnologie zu Fortschritten, auch zu wirtschaftlicher Kooperation kommt, ist das auch ein praktischer Beitrag zur CO2-Reduzierung und zur Energieeffizienz.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist die Wahrnehmung ja in China und bei den Schwellenländern anders als im industriellen Norden. Die Schwellenländer, die Chinesen, sind stolz darauf, dass sie den Industrieländern in Kopenhagen die Daumenschrauben angesetzt haben. Was wird daraus werden? Sie verlangen, der industrielle Norden soll vorangehen beim Klimaschutz.
Norbert Röttgen: Das bestreiten die Industrieländer auch nicht, sondern unser Grundsatz, aber auch der international akzeptierte Grundsatz lautet: eine gemeinsame, aber unterschiedliche, differenzierte Verantwortung. Aber wir haben alle gemeinsame Verantwortung für ein gemeinsames Gut.
China im Übrigen ist nicht glücklich mit der Rolle, als der Verhinderer von Kopenhagen dazustehen. Mit den Ergebnissen können sie durchaus leben. Aber mit dem Ergebnis, der globale Verhinderer, die globale Verhinderungsmacht zu sein, wollen sie nicht leben. Darum gibt es auch Ansätze, zu konstruktiven Ergebnissen zu kommen. Und zweitens ist zwar China jetzt insgesamt die Nummer 1 unter den Ländern beim CO2-Ausstoß, aber die Chinesen pro Kopf stoßen rund ein Viertel oder ein Fünftel des CO2-Volumens, das von einem durchschnittlichen Amerikaner ausgestoßen wird. Die Amerikaner 22 Tonnen pro Kopf, ein Deutscher 13 Tonnen pro Kopf, ein Chinese knapp 5 Tonnen pro Kopf, auch diese Rechnung stimmt. Darum ist es eine gemeinsame differenzierte Verantwortung, zu der wir uns bekennen. Aber ich sage China genauso und den anderen Schwellenländern insbesondere, ihr habt auch eine eigene Verantwortung. Ihr seid nicht mehr nur Entwicklungsland, sondern ihr seid ein wirtschaftliches Schwellenland, das Wohlstandsentwicklung hat, das industrielle Entwicklung hat. Und ihr habt neben dieser industriellen wirtschaftlichen Entwicklung und dem Status, den ihr erreicht habt, auch eine geopolitische Verantwortung als große Länder. Und es geht hier auch um die Neujustierung, um die Neukonstruktion internationaler Kooperation und Macht. Und diese Bühne haben China, Indien, Südafrika, Brasilien definitiv betreten. Und mit dem Betreten dieser Bühne, womit sie ja einverstanden sind, muss auch die Übernahme internationaler Verantwortung verbunden sein. Das können sie dann nicht auf die westliche Welt allein abschieben.
Deutschlandradio Kultur: Die EU will bis 2020 ihre Kohlendioxidemissionen um 20 Prozent reduzieren. Ist das ehrgeizig genug? Kann man sich nicht auch 30 oder sogar 40 Prozent vorstellen?
Norbert Röttgen: Ich halte es nicht für ehrgeizig genug. Deutschland hat ja gesagt, die deutsche Bundesregierung, diese Regierung übrigens, unser Ziel lautet: 40 Prozent CO2-Reduzierung bis 2020. Und damit hat sie genau die richtige Führung auf diesem Gebiet wahrgenommen. Manche geben ja die Empfehlung, wenn andere diese Ambition nicht haben und nachlassen, dann soll auch Deutschland von seinen Ambitionen runtergehen. Das ist in jeder Hinsicht der falsche Ratschlag. Erstens geht es darum, glaubwürdig diesen notwendigen, und zwar im Sinne der eigenen, wie der globalen Entwicklung schlicht notwendigen Fortschritt bei der CO2-Reduzierung zu erreichen. Es ist eine Bedingung künftiger allgemeiner menschlicher und wirtschaftlicher Entwicklung. Wenn wir das nicht schaffen, ist das Ende von Wachstum und Wohlstand über Generationen absehbar. Wir landen in einer Sackgasse. Darum müssen wir auch unseren Beitrag leisten. Und wir sind nur international im Verhandlungsprozess glaubwürdig, wenn wir auch national so handeln.
Und zweitens geht es darum, dass bei Klimaschutz, Klimaschutztechnologien es sich im Kern um einen ökonomischen Modernisierungsprozess handelt der Volkswirtschaften und um einen ökonomischen Wettbewerbsprozess. Wir stehen in und vor einer industriell-technologischen Revolution. Wir stehen in einem Paradigmenwechsel von der verbrauchenden, von der Ressourcen verbrauchenden Wirtschaft zu einer ressourceneffizienten Wirtschaft aus einer immanenten Notwendigkeit heraus, weil Ressourcenschonung bei immer mehr Menschen und immer mehr wirtschaftlicher Entwicklung die Bedingung wirtschaftlichen Wachstums ist.
Es geht um die Wettbewerbs-, um die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaftsregionen. Ob Nordamerika, Asien, China, Indien oder Europa weiter die Wachstumskräfte sind, und zwar Wachstum in einem qualitativen Sinne, darum geht es. Und in dem Prozess sind wir. Und darum ist die Position richtig: für Deutschland 40 Prozent und Europa 30 Prozent.
Deutschlandradio Kultur: Aber wer hört Ihre Botschaft, mit Wachstum aus der Krise herauszukommen? Die Industrie bremst ab. Auch in Teilen der Unionsfraktionen, sowohl im Europäischen Parlament als im Bundestag hat man durchaus die Überlegung, wir wollen nicht unsere Wettbewerbsfähigkeit dadurch beschädigen, indem wir Dinge tun, die andere nicht mitmachen.
Norbert Röttgen: Das ist eben eine sehr kurzfristige Sicht. Ich bestreite auch nicht, dass der eine oder andere die kurzfristige Sicht der Dinge hat. Wir haben ja gerade in der Finanzmarktkrise den Exzess von Kurzfristigkeit erlebt. Natürlich kann man noch einige Jahre lang billig leben. Aber das endet in 20 Jahren in der Sackgasse. Wir können noch von den Renditen des deutschen Wirtschaftswunders 10, 20 Jahre leben. Dann haben wir die Ergebnisse der Arbeit meiner Eltern und Großeltern aufgezehrt.
Darum ist die Frage: Kurzfristigkeit und Egoismus oder Langfristigkeit und Zukunftsverantwortung? Das ist eine Debatte in der Gesellschaft, in den Parteien und – nebenbei – in der Industrie. Wenn Sie mit dem Maschinenbauer, mit der Maschinenbaubranche reden, die sind in permanenter Innovation. Die wollen daran teilnehmen. Das ist deren Geschäftsmodell, durch Innovation erfolgreich und exportorientiert zu sein. Wenn Sie mit der IT-Branche reden, dann sagen die, wir brauchen intelligente Netze und wir können sie machen und wir werden daran verdienen. Wenn Sie mit der Elektroindustrie reden, dann sagen die genau das: Wir sind Innovationsindustrie. Und wenn Sie vielleicht mit der einen oder anderen Industrie reden, deren Produkte in diesem Transformationsprozess, weil sie auf Verbrennung und Ressourcenverbrauch ausgehen, nicht mehr zur Zukunft gehören, ja, dann sind sie natürlich Betroffene in einem Transformationsprozess. Darum darf man die nicht links liegen lassen, sondern auch die, die so betroffen sind, müssen in diesen Strukturwandelprozess eingebaut werden. Aber Konservierung alter Strukturen in einem Fundamentalwechsel und -wandel von Wirtschaft national und global, das ist keine Perspektive für Deutschland.
Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Röttgen, es ist doch auch eine Frage der Prioritäten. Wir hören sehr viel von der Verlängerung von Laufzeiten von Atomkraftwerken. Wir kommen da auch noch drauf. Nicht so viel hören wir zum Beispiel zum Thema Energiesparen. Müsste man nicht auch zugleich eine Energiesparkampagne starten?
Norbert Röttgen: Ein modernes Energiekonzept ist ein ganz wichtiges, ein zentrales Feld in diesem Strukturwandel. Und darum ist ja unser Ziel daraus abgeleitet, von einer fossilen, Ressourcen verbrauchenden – ob Kohle oder Uran – basierten Energieversorgung zur erneuerbaren Energieversorgung umzustellen. Die Kernenergie hat dafür Brückenfunktion. Sie ist nicht das Ziel, sondern sie ist der notwendige Weg bis wir die Fähigkeit der erneuerbaren Energie erreicht haben, dass sie Kernenergie und Kohlekraft ersetzen kann. Das eine ist Übergang, das andere ist Ziel.
Und wir brauchen in der ganzen Bandbreite eine Energiepolitik, die zwei entscheidende Stellschrauben hat, nämlich den massiven technisch absolut möglichen Ausbau der erneuerbaren Energien. Die nächstliegenden Aufgaben sind Ausbau der Offshore-Windenergie, die in den 16 Prozent, den die Erneuerbaren schon heute an der Stromversorgung leisten, dann ergänzen werden und in den nächsten zehn Jahren sicher auf 30 Prozent Anteil der Erneuerbaren im Strom bringen werden. Dazu gehören zweitens intelligente Netze, die Steuerung, Nachfrageorientierung statt immer neues Angebot ermöglichen. Und drittens ist das Thema Energieeffizienz, Sie nannten es "Stromsparen", das ist auch eine technologische Aufgabe.
Das Generalprinzip muss lauten und ist technologisch zu machen, dass wir Wachstum entkoppeln von Ressourcen und Energieverbrauch.
Deutschlandradio Kultur: Aber, so wie Sie es beschrieben haben, ist es ja schon lange beschrieben worden. Jetzt ist doch die Frage, wann geht's denn los?
Norbert Röttgen: Jetzt machen wir's!
Deutschlandradio Kultur: Brauchen wir einen Masterplan, einen Masterplan, der uns sagt, Meilenstein bis 2015, Meilenstein bis 2020?
Norbert Röttgen: Ja. Völlig richtig. Es mag schon häufiger beschrieben worden sein, trotzdem ist mein Eindruck, es ist noch nicht überall angekommen. Darum ist auch richtig, dass diese Regierung sich die Aufgabe gestellt hat und sie in diesem Jahr erfüllen wird, ein energiepolitisches Konzept vorzulegen.
Das hängt dann an konkreten Schritten. Wir waren in den letzten zehn Jahren sehr erfolgreich. Vor zehn Jahren hatten wir 4, 5 Prozent Anteil erneuerbare Energien. Jetzt haben wir 16 Prozent. Wir haben jetzt 300.000 Beschäftigte. Der Aufbau heimischer Wertschöpfung findet statt. Unsere Volkswirtschaft ist im letzten Jahr um 5 Prozent geschrumpft, die erneuerbaren Energien um 20 Prozent gestiegen. Aber wenn wir das auf über 50 Prozent bringen wollen, wenn wir – das ist meine Vision – im Jahre 2050 nahezu vollständig erneuerbare Energieversorgung haben, dann gehören konkrete Entscheidungen dazu: Investitionen in Windenergieparks in der Nordsee und in der Ostsee. Ein Windenergiepark kostet anderthalb Milliarden. Und dann brauchen wir die erforderlichen Netze für den Stromtransport und für die Verbindung unterschiedlicher Windenergieparks. Irgendwo weht immer der Wind und da muss man ihn abholen und in verbundene, europäisch verbundene Netze einspeisen. Und darum brauchen wir einen Netzausbau in Qualität und Quantität. Und dafür braucht man auch einen Masterplan Energieversorgung. Das soll das energiepolitische Konzept sein.
Und so, wie wir jetzt einen Elektromobilitätsgipfel am 3. Mai haben, glaube ich, bräuchten wir auch einen Netzgipfel, weil die Netze sind die Weichenstellung dafür, dass der erneuerbare Strom auch im Haushalt ankommt.
Deutschlandradio Kultur: Stichwort Mobilität: Der Präsident des Umweltbundesamtes hat ja jetzt einen Vorschlag gemacht. Herr Flasbarth wünscht sich eine flächendeckende Pkw-Maut zur allgemeinen Straßennutzung. Können Sie sich mit so was anfreunden?
Norbert Röttgen: Das Umweltbundesamt hat die gesetzliche Aufgabe der wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung. Die Aufgabe hat Herr Flasbarth wahrgenommen. Der Vorschlag entspricht nicht dem, was die Bundesregierung in der Verkehrspolitik, ich bin nicht der Verkehrsminister, aber in der Verkehrspolitik vorschlägt. Aber es ist ein sozusagen wissenschaftlicher Rat, der gegeben wird von der Institution, die Kraft Gesetzes die Aufgabe hat, das zu tun. Aber entscheiden muss die Bundesregierung. Und der Entscheidungsstand und Meinungsbildungsstand der Bundesregierung, des Verkehrsministeriums ist, das nicht zu befürworten.
Deutschlandradio Kultur: Es wird ja sehr viel gestritten über die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. Nun hat die CSU vorgeschlagen: "schalten wir doch die Kohlekraftwerke ab". Ist dieser Vorschlag so unsinnig?
Norbert Röttgen: Die CSU hat mit den Koalitionsvertrag unterschrieben. Und die CSU, das weiß ich, hält selbstverständlich, auch als eine wertkonservative und ökonomisch kompetente Partei, daran fest, dass wir in das Zeitalter der erneuerbaren Energien wollen und dass konventionelle Energieversorgung Übergang ist.
Wir werden in Deutschland kein neues Kernkraftwerk bauen. Jetzt können wir über Laufzeiten reden. Sie werden zu Ende gehen und es kommt kein neues Kernkraftwerk. Wir, wie alle Industrieländer, haben uns verpflichtet, in 40 Jahren die CO2-Emission um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Weil wir in Deutschland sind und es bleiben wollen, es bleiben werden, wird es industrielle CO2-Emissionen geben. Für die Energieversorgung heißt das, wir brauchen eine praktisch CO2-freie Energieversorgung. Und darum sind die konventionellen Technologien aus unterschiedlichen Gründen – mal aus politischen Gründen oder aus Klimaschutzgründen – Übergang, die zur Energieversorgung durch erneuerbare Energien führen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Das hieße doch aber auch: Keine neuen Kohlekraftwerke! Da hätte doch die CSU dann Recht.
Norbert Röttgen: Ob es keine "neuen" heißt oder ob eine Ersetzung alter, zum Teil sehr alter, über 50 Jahre alter mit einem miserablen Wirkungsgrad arbeitenden Kohlekraftwerke durch neue Kohlekraftwerke, ist damit nicht gesagt. Gesagt ist, dass wir einen dynamischen Energiemix brauchen, dessen Dynamik darin besteht, dass der Anteil der Erneuerbaren immer größer wird und der Anteil der konventionellen Energiequellen immer geringer wird.
Deutschlandradio Kultur: In der Frage der Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke gibt's ja durchaus unterschiedliche Ansichten, auch in der Regierung bzw. den Koalitionsfraktionen. Sie gelten als jemand, der diese Verlängerung möglichst gering halten will. Es gibt aber auch beispielsweise gerade aus dem Süden der Republik ganz andere Ansichten. Ist das denn eine Lösung, die besten, die sichersten bleiben beispielsweise 60 Jahre im Dienst und die eher schlechten gehen sofort vom Netz?
Norbert Röttgen: Das Leitmotiv heißt, dass Kernenergie nicht als solche als Energiequelle eingesetzt wird, sondern nur in der Funktion, die Brücke zu bauen und zu bilden, solange die erneuerbaren Energiequellen die Stromversorgung noch nicht leisten können. Das ist das Prinzip. Und das lassen wir nun auch wissenschaftlich berechnen. Was bedeutet das? Was verlangt das an Laufzeiten und Stromversorgung durch Kernenergie in der Perspektive?
Und die Jahreszeiträume oder die Strommengen werden wir dann politisch am Ende des Jahres auch in der Regierung festlegen. Aber das Prinzip haben wir im Koalitionsvertrag festgestellt: Kernkraftwerke müssen sicher sein. Wenn sie nicht sicher sind, können sie auch keine Brücke bilden. Wenn Kernkraftwerke länger laufen, muss auch dynamisch und im übrigen angepasst an jedes einzelne Kernkraftwerk, die ja unterschiedlichen Baureihen entstammen, unterschiedlich alt sind, auf jedes Kernkraftwerk darum angepasst ein dynamisches Sicherheitskonzept entwickelt werden. Sicherheit ist nicht verhandelbar, sondern ist die Bedingung des Betriebs von Kernkraftwerken.
Deutschlandradio Kultur: Aber könnte Ihre Brücke nicht auch falsch konstruiert sein? Völlig unabhängig, ob Sie Atom oder Kohle sagen, es gilt ja der Vorschlag, man muss dezentral künftig mit Stadtwerken, mit industrienahen Kraftwerken arbeiten, Kraftwärmekopplung fordern. Das heißt, diese Großkraftwerke seien out. Sehen Sie das auch so?
Norbert Röttgen: Ein Element der Neugestaltung, da haben Sie völlig Recht, ist, dass wir von einer oligopolistischen, also durch Gebietsmonopole und damit durch wenig Wettbewerb und in der Folge zu hohen Preisen, die aus einem Mangel an Wettbewerb entstehen, geprägten Energie- und Stromversorgung übergehen zu einer erneuerbaren und dezentralen Stromversorgung. Die erneuerbaren Energien sind für sich dezentral. Sie sind übrigens mittelständisch. Sie sind innovativ. Es entwickelt sich zudem ein sehr positives, von mir sehr begrüßtes Engagement der Kommunen, in einer dezentralen Energieversorgung mit unterschiedlichen Quellen ... – Sie haben die Kraft-Wärme-Kopplung genannt als eine sehr klimaverträgliche Art der Strom- und Energieversorgung und Wärmegewinnung, die beides miteinander kombiniert, Strom und Wärme. Darum ist ja auch die Position der kommunalen Unternehmen, dass die Verlängerung der konventionellen Stromversorgung um ihrer selbst willen, nicht nur in der Brückenfunktion, auch die Wettbewerbsposition der Kommunen nachhaltig stören würde und den Aufbau einer dezentralen wettbewerblich organisierten Stromversorgung behindern würde, weil die Macht zementiert würde. Und dieser Wettbewerbsaspekt ist ein zweiter eigener Gesichtspunkt, warum wir zu einer Veränderung des Strommarktes in den Quellen und in den Strukturen kommen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Sie lassen ja wieder prüfen, ob der Salzstock Gorleben geeignet ist als Atomendlager. Nun hat sich Greenpeace die Mühe gemacht, in die Akten geschaut. Und die haben festgestellt: Gorleben ist nicht geeignet. Kann man sich die Prüfung denn nicht sparen?
Norbert Röttgen: Meine Position ist, dass mit der Nutzung der Kernenergie die Endlagerfrage zwingend verbunden ist und auch in Verantwortung aus vorangegangenem Tun besteht. Also, man kann keine Energie immer für falsch gehalten haben, wenn man jetzt in der politischen staatlichen Verantwortung steht, muss man das Thema lösen.
Das ist mein Vorwurf an meine beiden Vorgänger. Aus politischer Bequemlichkeit haben sie gekniffen und haben ein Erkundungsmoratorium verhängt. Das heißt, sie haben gesagt, wir tun nichts. Wir wollen gar keine Erkenntnisse haben, sondern wir lassen das Thema ungelöst, schieben wir der nächsten Generation vor die Füße. Das halte ich für nicht verantwortlich. Und darum ist meine Position, dass die Frage, ob Gorleben als Endlagerstandort geeignet ist oder eben nicht geeignet ist, in einem transparenten, rechtsstaatlichen Verfahren zu einem Ergebnis geführt werden muss.
Wenn die Behauptung stimmt von Greenpeace, dann muss sie in einem entsprechenden Verfahren und wird sie in einem entsprechenden Verfahren festgestellt werden. Das Verfahren muss ergebnisoffen sein – es wird ergebnisoffen sein – und muss die Frage der Eignung beantworten, Eignung oder nicht Eignung an den strengsten, nach menschlichen Erkenntnissen möglichen Sicherheitsanforderungen orientiert. Und vor dem Prozess darf man sich der politischen Verantwortung wegen nicht drücken. Das tue ich nicht. Und darum habe ich diesen Erkenntniserkundungsprozess wieder eingeleitet und aufgenommen, der zum Ziel hat, festzustellen im geordneten Verfahren, ob die Eignung da ist oder die Nichteignung.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie werden doch jetzt schon ausgebremst. Die süddeutschen Bundesländer sind doch nicht geneigt, ergebnisoffen zu prüfen, weil sie sagen, 'bei uns finden keine alternativen Suchen statt'.
Norbert Röttgen: Ergebnisoffenheit bezieht sich darauf, dass dieses Verfahren Gorleben davon geprägt ist, dass im Verfahren keiner weiß, ist Eignung oder Nichteignung das Ergebnis. Das ist die Ergebnisoffenheit. Wir wissen nicht, ich weiß nicht, ob Gorleben geeignet oder nicht geeignet ist, sondern das muss ein, wie eben beschriebenes Verfahren gewährleisten.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben doch einen Plan B. Wenn Gorleben nicht geeignet ist, müssten Sie doch Alternativen suchen.
Norbert Röttgen: Wenn Gorleben nicht geeignet ist, dann muss ein anderer Endlagerstandort gefunden werden – das ist keine Frage.
Deutschlandradio Kultur: Da spielen die Südländer nicht mit.
Norbert Röttgen: Also, ich glaube, dass, wenn man der Verantwortung gerecht werden will, dann muss man bei Gorleben anknüpfen, weil seit 30 Jahren dieses Thema bearbeitet wird, weil 1,5 Milliarden Euro investiert wurden und weil beim Atomausstieg der damalige Bundeskanzler Schröder und der Bundesumweltminister Trittin die positiven Erkenntnisse ausdrücklich dokumentiert haben. Also muss Gorleben in diesem Erkenntnisstand nach Jahrzehnten und Milliarden zum Ergebnis geführt werden.
Ich kann die Möglichkeit der Nichteignung nicht ausschließen. Und darum ist die praktische Konsequenz, die ich daraus ziehe, dass die wissenschaftliche Diskussion um die Eignung alternativer Gesteine – Ton, Granit – von mir vorangetrieben wird, auch politisch vorangetrieben wird, um mich auf dieses mögliche negative Ereignis jetzt schon vorzubereiten.
Aber ich bin auch nicht bereit und werde mich nicht an der Blockade beteiligen, überhaupt des Suchverfahrens, die in den vergangenen zehn Jahren geherrscht hat, weil man sich über die Möglichkeit alternativer Standorte nicht einigen konnte und dann am Ende den bequemen Weg gefunden hat, dass am besten gar nichts geschieht und man dieses Thema als offene Frage den nächsten Generationen überlässt. Diese Verantwortungslosigkeit mache ich nicht, sondern das, was praktisch möglich ist, mache ich und zu dem stehe ich auch.
Deutschlandradio Kultur: Und diese Suche würde auch für Bayern und Baden-Württemberg gelten?
Norbert Röttgen: Das ist keine Standortsuche, von der ich gerade gesprochen habe, sondern wir haben eine ergebnisoffene Prüfung von Gorleben und parallel dazu eine wissenschaftliche Diskussion über die Eignung alternativer Gesteine, keine Standortbestimmung, keine Bohrung irgendwo, sondern der erste praktische Schritt, der zu machen ist, ist die wissenschaftliche Frage nach der Eignung alternativer Gesteine, Ton, Granit, die infrage kommen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, wir danken für das Gespräch!
Norbert Röttgen: Ich bedanke mich sehr für das Gespräch!