Bundesverfassungsgericht

Medizinstudium auf dem Prüfstand

Die Medizinstudenten Marie (l) und Helene führen in der Charité in Berlin bei der Übung "Simulierte Rettungsstelle" eine Notfallbehandlung an einem Dummy durch.
Medizinstudentinnen führen in der Charité in Berlin bei der Übung "Simulierte Rettungsstelle" eine Notfallbehandlung an einem Dummy durch. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild
Yael Adler im Gespräch mit Ute Welty |
Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit der Frage, ob der Zugang zum Medizinstudium neu geregelt werden sollte. Die Ärztin Yael Adler wünscht sich, dass akademische Eignung und menschliche Qualitäten für den Arztberuf in Einklang gebracht werden.
Die Platzvergabe in Studiengängen mit bundesweitem Numerus clausus kommt an diesem Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht auf den Prüfstand. Die Karlsruher Richter verhandeln über die Frage, ob das aktuelle Zulassungsverfahren für Humanmedizin mit der Verfassung vereinbar ist. Die Ärztin und Buchautorin Yael Adler erzählte im Deutschlandfunk Kultur, welche Eigenschaften man in dem Beruf eigentlich mitbringen sollte. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Eine Auswahl muss es geben, denn in jedem Semester bewerben sich etwa fünfmal so viele Menschen für Medizin, wie es Studienplätze gibt. Über dieses Studium und dieses Stadium ist Yael Adler längst hinaus. Die Hautärztin und Sachbuchautorin hat mit ihrem Buch "Haut nah" einen internationalen Bestseller landen können. Guten Morgen, Frau Adler!
Yael Adler: Guten Morgen!
Welty: Was muss denn grundsätzlich jemand mitbringen, der oder die Medizin studieren will, was braucht man für Ihren Beruf?
Adler: Na ja, für den Beruf ist klar, wissen wir alle, man braucht Empathie für seinen Patienten, man braucht Zeit, man braucht Leidenschaft, man braucht Durchhaltevermögen, weil manchmal vielleicht auch die Arbeit in der Klinik sehr schwer ist. Man muss belastbar sein und man muss querdenken. All diese Dinge, das ist im Grunde jedem klar, jeder wünscht sich das von seinem eigenen Arzt, und hoffentlich hat auch jeder einen gefunden, der genau diese Qualitäten mitbringt, aber: Das Studium ist ja sehr, sehr lang und auch sehr verschult.
Manchmal gibt es diese Multiple-Choice-Tests und unheimlich viel Stoff, den man dann in sich hineinpauken muss, der einen vielleicht gar nicht so bewegt, und vielleicht will man ja Psychiater werden und dann findet man die Biochemie so mittel. Aber Tatsache, man muss dieses Studium überstehen. Und dafür muss man natürlich so eine Art Fähigkeit mitbringen, und deswegen sind ja auch die Eingangstests so schwierig, weil man sagt, der Student muss ja erst mal diese sechs Jahre rumkriegen. Daraufhin wird ja auch untersucht quasi in der Vorauswahl.
Welty: Man hat ja schon versucht, neben Abi-Note und Wartezeit so etwas wie eine inhaltliche Qualifikation einzuführen mit diesem Test für medizinische Studiengänge. Hat das Ihrer Meinung nach was gebracht?
Adler: Damals bei mir war das so, dass man da so Schlangenbilder sich angucken musste und Muster vergleichen, es war so eine Art Intelligenztest im Grunde. In der Realität ist es so, dass es sicherlich einen Teil der Aufgaben im Studium zu bewältigen gibt, die da sozusagen genau zu passen, aber es geht auch so. Und wenn man das Studium eben etwas auf den Beruf mehr zuschneiden würde, dass man das nicht so durchhauen muss und maschinell lesen muss, dann würde das auch wirklich passen, wenn ein Mensch angeschaut würde und nicht nur ein Test – und ob dieser Mensch willig ist und bereit ist und Luft hat, wirklich diese Jahre durchzuhalten und dann ein guter Arzt sein will.
Ich kenne so viele Ärzte, die am Ende ein toller Arzt sind, die ein mistiges Abitur hatten, weil es darauf eben nicht immer ankommt. Und ich kenne auch großartige Schüler, die echt schlechte Ärzte waren, die ihren Patienten nicht zugehört haben und denen man eigentlich wünschen würde, lieber ab ins Labor.

Die Dermatologin Yael Adler
Die Dermatologin Yael Adler© Jenny Sieboldt

Geld sollte nicht entscheiden

Welty: Manche Unis setzen ja auf persönliche Auswahlverfahren, wie in Neuruppin oder in Coburg, wo dann zwar kein Abi-Schnitt von 1,0 verlangt wird, aber zum Teil immense Studiengebühren von ein paar Tausend Euro pro Semester. Halten Sie diesen Weg der Selektion für richtig?
Adler: Nein, in unserem Land ist das nicht der richtige Weg und nicht üblich und von daher natürlich immer noch erst recht schade. Natürlich will man nicht Menschen aus wirtschaftlichen Gründen den Weg zum Arztstudium verweigern, das würde ja eine Selektion bedeuten, und das ist schade. Auch ein Arztberuf sollte aus allen Schichten der Gesellschaft gespeist werden.
Welty: Auf persönliche Auswahl setzt auch Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, er spricht sich für die Einführung von sogenannten Assessment-Centern aus. Welche Möglichkeiten und welche Risiken verbinden Sie mit diesem Vorschlag?
Adler: Ich finde das gut, wenn man darauf guckt, was ist das für ein Mensch, was hat der für Vorerfahrungen, hat er schon Praktika gemacht im Beruf, war er zum Beispiel als Schüler schon im Altenheim, in einer Klinik tätig, hat sich da das Berufsbild angeguckt und zeigt auch durch seinen Lebenslauf, dass er das will, dass es zu ihm passt oder zu ihr natürlich. Die Frage ist wirklich nur, schafft denn dieser Mensch auch, wenn er wirklich großen Willen hat, denn die schwierige Physik und die Biochemie und die mathematischen Aspekte zu bewältigen da im Studium. Und das ist etwas, dass eben Studium und Student zusammenpassen müssen. Und darauf muss natürlich auch so eine Testung abzielen, denn es ist schade, wenn jemand dann ausgewählt wurde, aber einfach an den akademischen oder an den naturwissenschaftlichen Anteilen scheitert.

Freie Ortswahl muss sein

Welty: Vor allem auf dem Land fehlt es an Ärzten, obwohl es Programme gibt, Niederlassungen dort zu fördern. Inwieweit könnte ein solches Kriterium, also die Bereitschaft, in ländlichen Regionen zu arbeiten, bei der Vergabe von Studienplätzen zum Tragen kommen?
Adler: Ist ein ganz guter Gedanke, trotzdem kann man ja auch dann wieder sagen, kann man denn jemanden beruflich zwingen, wo er arbeitet? Es soll ja auch da eine freie Wahl sein, nicht nur eine freie Berufswahl, sondern auch eine freie Ortswahl. Schwierig. Also ich glaube, da würde sich keiner drauf einlassen, und vor allem, man weiß auch am Anfang seines Berufslebens nicht, wo man am Ende sein will. Man will vielleicht auch diesen Beruf gerade wählen, weil der eine gewisse Flexibilität und Mobilität bedeutet. Man kann eben ins Ausland gehen, denn als Arzt ist man international einsetzbar.
Welty: Muss das Medizinstudium insgesamt billiger werden? Immerhin liegen ja die Kosten für die Ausbildung bei etwa 32.000 Euro pro Jahr.
Adler: Das ist etwas, was ich überhaupt nicht beantworten kann. Ich kann nur sagen, das Studium, so wie ich es erlebt habe, das ist aufwendig, man braucht viel Material. Die wissenschaftliche Ausbildung sollte ja möglichst mit Menschen, mit Substanzen sein, so alles nur theoretisch abhandeln, das klappt nicht. Man braucht einfach, denke ich, viel Aufwand. Und vielleicht kann man das ja auch prozentual verteilen oder Stiftungen einsetzen oder irgendwie so was, da wird es ja bestimmt Möglichkeiten geben. Aber je hautnaher so ein Studium ist, desto besser ist es am Ende.
Das Aufregendste war dann, sobald der klinische Teil begann, wenn man wirklich in der Klinik war, in kleinen Gruppen mit Patienten sprechen konnte und einen Tutor hatte, der einen dann durchführte. Auch der Anatomiekurs, das ist schon etwas, was einen sehr, sehr prägt fürs ganze Leben als Mediziner, und den zu organisieren, das ist einfach aufwendig.
Welty: Hautärztin und Bestsellerautorin Yael Adler über mögliche Kriterien für die Vergabe von Medizinstudienplätzen, denn heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die bisherige Regelung. Frau Adler, haben Sie herzlichen Dank für Ihre Einschätzung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Yael Adler: "Haut nah"
Droemer Knauer Verlag,
19,99 Euro

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