Urteil bald von der Realität überholt?
Eine Klage auf ein verpflichtendes Ethik-Unterrichtsangebot in der Grundschule wurde heute vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abgewiesen. Dennoch müsse das Religionsrecht der Kirchen überdacht werden, meint Kirsten Dietrich.
Die Kirchen haben das Recht, Religionsunterricht an der Schule anzubieten – so steht es im Grundgesetz, so hat es das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden. Das muss man erstmal nicht richtig oder falsch finden, das entspricht einfach der Gesetzeswirklichkeit. Und doch sollten vor allem die Kirchen das Urteil nicht vorschnell feiern und ihren Status quo nicht beruhigt als wieder einmal gesichert abhaken. Denn allein ein Blick auf die Entwicklung der Religionszugehörigkeit in Deutschland zeigt: Das Thema kommt wieder, und zwar bald.
Heute ist zwar noch einmal bestätigt worden, was festgelegt wurde, als die Bundesrepublik jung, aber in Trümmern war und die Kirchen als die einzigen Großorganisationen schienen, die sich im Nationalsozialismus nicht hemmungslos kompromittiert hatten: Damals wurde der besondere Körperschaftsstatus der Kirchen ins Grundgesetz geschrieben. Er garantiert seitdem christlichen Kirchen verschiedener Größe und einigen anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besondere Rechte, unter anderem eben das auf Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen, in eigener Regie.
Kirchliche Vorrechte empören Konfessionslose
Zumindest in den meisten Bundesländern. Denn in einigen, da ist schon der erste Haken, wurde dieses Recht nicht in der Verfassung verankert, in Bremen und Berlin zum Beispiel. Von einem zwingenden Ersatzangebot für den Religionsunterricht schreibt das Grundgesetz nichts – wahrscheinlich konnte sich 1949 schlicht niemand vorstellen, dass einmal ein gutes Drittel der Bundesbürger sich keiner Religion zugehörig fühlt, Tendenz steigend. Und deswegen mag das heutige Urteil gar nicht anders möglich gewesen sein. Es wird aber bald von der Realität überholt werden.
Denn in der Tat muss sich der Gesetzgeber überlegen, ob das gegenwärtige Religionsrecht überhaupt noch seinen Aufgaben gerecht wird. Es kennt als Modell für religiöse Vergemeinschaftung nach wie vor nur die Kirchen – deshalb bietet es keine Möglichkeiten, den völlig anders organisierten Islam in die gesellschaftliche Verantwortung einzubinden. Und weil die Mütter und Väter des Grundgesetzes von den Kirchen viel Gutes erwarteten, räumten sie ihnen im Gegenzug Rechte ein, deren Umfang die organisierten Vertreter der Konfessionslosen immer empörter über eine zu große Verquickung von Staat und Kirche klagen lassen.
Noch sind nur wenige Konfessionslose auch organisiert, die Klage lässt sich leicht überhören. Aber niemand sollte vergessen: Das war nicht nur eine streitsüchtige Mutter, deren Klage heute abgewiesen wurde. Sie steht für ein komplexes gesellschaftliches Problem, das dringend angegangen werden muss. Allerdings vom Parlament, und nicht von den Gerichten.